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Veröffentlicht am 07.03.2021

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Kim Jiyoung, geboren 1982
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Gleichberechtigung von Mann und Frau - das ist ein viel diskutiertes Thema in zahlreichen Gesellschaften. Chos Roman rief bei seiner Erscheinung 2016 in Korea eine große Resonanz hervor und gab Anlass ...

Gleichberechtigung von Mann und Frau - das ist ein viel diskutiertes Thema in zahlreichen Gesellschaften. Chos Roman rief bei seiner Erscheinung 2016 in Korea eine große Resonanz hervor und gab Anlass zu kontroversen Debatten.
Die Protagonistin Kim Jiyoung kommt selbst nicht zu Wort, sie ist gewissermaßen ohne Sprache; denn ihre ganze Erziehung basiert auf Gehorsam und Anpassung. Nur wenige Mädchen/Frauen wehren sich aktiv gegen die Bevorzugung von Jungen/Männern und widersetzen sich damit den traditionellen Rollenvorstellungen. In recht nüchternem Stil schildert Cho Aspekte der Realität weiblichen Lebens in Korea, Unterordnung, Mobbing, sexuelle Übergriffe in aktiver als auch sprachlicher Form. Wie sehr Jiyoung darunter leidet, wird erst nach der Geburt ihres Kindes wirklich deutlich: nachdem sie der jungen Familie zuliebe ihren Beruf aufgegeben hat, wird sie psychisch auffällig. Sie nimmt Sprache und Gestus anderer Personen an, als deren Alter Ego sie dann über sich selbst spricht. Im Verlauf des Romans wird klar, dass es ihr behandelnder Psychiater ist, der Jiyoungs Anamnese sachlich distanziert dokumentiert - aus der (männlichen ) Sicht des Wissenschaftlers. Glaubwürdigkeit und Korrektheit werden immer wieder betont durch Fußnoten, die Erläuterungen und Hinweise zu entsprechender Literatur geben. Kims Lebenslauf wird von der Autorin recht allgemein beschrieben, so dass klar ist, hier handelt es sich nicht um ein Einzelschicksal, so verläuft vermutlich das Leben vieler ihrer Geschlechtsgenossinnen.
Zwar schildert der Roman das Leben von Frauen in Koreas Gesellschaft, doch das Problem der Geschlechtergerechtigkeit ist beileibe nicht allein auf diesen Staat begrenzt. Diese Staaten übergreifende Gültigkeit macht das große Potenzial des Romans aus und setzt ein Zeichen im Namen aller Frauen.

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Veröffentlicht am 07.03.2021

Tatort Geschichte

Stay away from Gretchen
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Tom Monderath ist zufrieden mit sich und seinem Leben: als Anchorman bei einem Kölner Fernsehsender ist er beruflich sehr erfolgreich und bei der Damenwelt beliebt. Dieses angenehme Leben gerät allerdings ...

Tom Monderath ist zufrieden mit sich und seinem Leben: als Anchorman bei einem Kölner Fernsehsender ist er beruflich sehr erfolgreich und bei der Damenwelt beliebt. Dieses angenehme Leben gerät allerdings aus seinen geregelten Bahnen, als seine betagte Mutter Grete die ärztliche Diagnose Alzheimer erhält. Er fühlt sich gezwungen, sich mehr seiner Mutter zuzuwenden und sich um ihr Wohl zu kümmern. Doch nicht allein ihr unaufhaltsames Vergessen bereitet ihm zunehmend Probleme. In ihrer Wohnung findet er Hinweise auf einen Teil ihrer Vergangenheit, den sie ihm bisher beharrlich verschwiegen hat. Als Einzelkind aufgewachsen, sieht er sich plötzlich mit der völlig unerwarteten Tatsache konfrontiert, dass er eine Halbschwester hat …
Glaubhaft schildert Susanne die Gegenwart von Mutter und Sohn im Wechsel mit Gretes Vergangenheit. Die Erinnerungen Gretes an ihre eigene Kindheit in Ostpreußen, den Kriegsbeginn und die Flucht vor den vorrückenden russischen Truppen, die schließlich in Heidelberg endet, sind lebendig beschrieben, ebenso wie der harte Kampf um das Überleben in der Nachkriegszeit. Zudem lässt sie Themen wie Fraternisation, Vorurteile, Rassenkonflikte und Adoption einfließen - die gut recherchiert sind - und auch der moderne Begriff der transgenerationalen Weitergabe von Traumata klingt an. Wer sich noch genauer informieren möchte, kann sich an dem Literarturverzeichnis im Anhang orientieren.
Tom (und der Leser) erhalten eine Ahnung davon, wie sehr alles miteinander zusammenhängt, und wie schmerzhaft es oft ist, die Vergangenheit der Eltern zu erforschen. Dennoch, Abel will mit ihrem Roman der älteren Generation „Gehör verschaffen und ein Gesicht geben.“ Denn: „Geschichte, wie bitter sie auch sein mag, ist Realität, die täglich in unsererGegenwart und die in unsere Zukunft fortwirkt.“

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Veröffentlicht am 28.02.2021

Von hoher Komplexität

Otmars Söhne
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Nur 24 Stunden schildert Buwalda auf den mehr als 600 Seiten seines Romans, die dem Leser einiges an Durchhaltevermögen abverlangen. Doch schafft er es spielend, zumindest meine Aufmerksamkeit zu halten. ...

Nur 24 Stunden schildert Buwalda auf den mehr als 600 Seiten seines Romans, die dem Leser einiges an Durchhaltevermögen abverlangen. Doch schafft er es spielend, zumindest meine Aufmerksamkeit zu halten.
Er erzählt von drei Menschen, deren Leben sich berühren und die sich miteinander verflechten. Auf der unwirtlichen sibirischen Insel Sachalin muss Ludwig, der auf einer Geschäftsreise hier den CEO des Shellkonzerns, Johann Tromp, getroffen hat, seinen Heimflug in die Niederlande wegen eines Schneesturm verschieben. Ludwig, der mit seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist, ahnt: jener Tromp könnte sein leiblicher Vater sein. Während er noch zögert sich ihm zu offenbaren, begegnet er seiner ehemaligen WG-Mitbewohnerin Isabelle, die zu einem Interview mit Tromp ebenfalls auf die Insel geflogen ist. Geschickt lässt der Autor in diese Wartezeit ausführliche Rückblicke und Erinnerungen einfließen. Ludwig denkt zurück an seine Kindheit, das Leben mit Stiefvater und –geschwistern, seinen beruflichen Werdegang und seine Begegnung mit Isabelle in seiner Studentenzeit. Ebenso erfahren wir aus Isabelles Sicht von ihrer Familie und ihren Erlebnissen als investigativer Journalistin. Buwalda knüpft ein kompaktes Netz aus den Themen Familie, Identität, Loyalität, Schuld; vor allem das Thema Sexualität prägt den Roman. Dabei erzählt er so detailliert, dringt so tief in die Gedanken- und Gefühlswelt seiner Protagonisten ein, dass sich der Leser wie ein Voyeur vorkommt.
Raffiniert konzipiert und lebendig geschrieben, fesselt seine Erzählung dennoch. Allerdings lässt er den Leser nach dem Countdown (beginnend mit Kapitel 111) bei Kapitel 75 mit einem unerwartet offenen Ende zurück, so dass kein Zweifel bleibt, dass eine Fortsetzung geplant ist: es handelt sich um den ersten Teil der Trilogie 111.

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Veröffentlicht am 08.02.2021

Überlebensstrategie

Kindheit
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Schon recht früh spürt die kleine Tove, dass sie anders ist als die Kinder ihrer Umgebung. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wächst sie in Kopenhagens Arbeiterviertel auf, wo Geldknappheit und ...

Schon recht früh spürt die kleine Tove, dass sie anders ist als die Kinder ihrer Umgebung. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wächst sie in Kopenhagens Arbeiterviertel auf, wo Geldknappheit und Arbeitslosigkeit das Leben der Menschen bestimmen. Zu ihrem Alltag gehört auch die an Lieblosigkeit grenzende Reserviertheit ihrer Mutter, so dass sie stets bemüht ist, sich möglichst unsichtbar zu machen, um ihrem Zorn zu entgehen. Um nicht unterzugehen, entwickelt das Mädchen seine eigene Strategie: das Verfassen von Gedichten gibt ihm Halt und Trost. Toves größter Wunsch - Schriftstellerin zu werden - ist in den Augen ihrer Familie etwas Unmögliches; sie soll Geld verdienen. Und schließlich ist es soweit: die Konfirmation markiert wie für so viele Kinder jener Zeit auch für Tove das Ende der Kindheit und den Eintritt ins Berufsleben.
Die Autorin lässt uns die Phasen ihrer eigenen Kindheit hautnah miterleben. Sie schildert ihre Freuden, Verzweiflung und Zukunftsängste sehr eindrucksvoll, aber keineswegs sentimental. Wunderbar fantasievolle Formulierungen berühren den Leser und ziehen ihn tief in ihren autobiographischen Roman.
„Schreiben heißt, sich selbst auszuliefern" sagte Ditlevsen selbst einmal, und so erstaunt es kaum, wie intensiv ihre Erzählung ist und beim Leser ankommt.

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Veröffentlicht am 26.01.2021

Berufung?

Was in zwei Koffer paßt
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Als Einundzwanzigjährige ist Veronika Peters in ein Benediktinerinnenkloster eingetreten, „um etwas herauszufinden, das ich noch immer als lohnenswert erachte, obwohl die Antworten stets wieder entgleiten ...

Als Einundzwanzigjährige ist Veronika Peters in ein Benediktinerinnenkloster eingetreten, „um etwas herauszufinden, das ich noch immer als lohnenswert erachte, obwohl die Antworten stets wieder entgleiten …“
Auf unterhaltsame Weise schildert sie diese Zeit und lässt uns teilnehmen an ihren Mühen, sich dem Leben der Nonnen anzupassen und in die Gemeinschaft einzufügen. Immer wieder zweifelt sie an ihrer Entscheidung. Wie schwierig ist es, die Klostergelübde einzuhalten, neben dem Verzicht auf Familie und Eigentum etwa das Gebot des unbedingten Gehorsams? Das fällt ihr nicht leicht, doch sie hält durch, auch mit Hilfe einiger ihr freundschaftlich gesinnter Schwestern. An vielen Stellen empfand ich das Buch allerdings als zu oberflächlich; Peters´ Konflikte und ihre Beschäftigung mit ihrer "Berufung" gerieten mir - gegenüber ihren Erzählungen aus dem Klosteralltag und den Beschreibungen ihrer Mitschwestern - zu sehr in den Hintergrund. Etliche Leser spekulieren gar darüber, ob ihr Buch auf tatsächlichen Erlebnissen beruht oder womöglich nur Fiktion ist. Wie dem auch sei - Peters hat ein interessantes Thema aufgegriffen und es sehr ansprechend zu Papier gebracht.

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