Eine tolle Neuinterpretation von Gottfried Kellers "Spiegel, das Kätzchen"
Der SchrecksenmeisterInhalt: Nach dem Tod seiner Besitzerin wohnt Echo, das Krätzchen, auf der Straße (Krätzchen sind wie Hauskatzen, die sprechen können und zwei Lebern besitzen). Als er kurz vor dem Verhungern steht, trifft ...
Inhalt: Nach dem Tod seiner Besitzerin wohnt Echo, das Krätzchen, auf der Straße (Krätzchen sind wie Hauskatzen, die sprechen können und zwei Lebern besitzen). Als er kurz vor dem Verhungern steht, trifft er auf den Schrecksenmeister der Stadt. Dieser bietet Echo einen Handel an: Echo dürfe bei ihm wohnen, schlemmen, was sein Herz begehre, und die Geheimnisse der Alchimie entdecken - allerdings nur einen Monat lang. Im Gegenzug verlangt der Schrecksenmeister das Fett des Krätzchens, das eine seltene alchimistische Zutat ist.
Persönliche Meinung: "Der Schrecksenmeister" von Walter Moers ist der fünfte Roman des Zamonien-Zyklus. Erzählt wird die Handlung aus der Perspektive Echos. Wie bereits in anderen Romanen nutzt Moers hier das Stilmittel der Herausgeberfiktion. Demnach ist "Der Schrecksenmeister" ein zamonischer Märchenklassiker aus der Feder von Gofid Letterkerl, den der große Hildegunst v. M. nun neu erzählt hat. Moers ist wieder nur der "Übersetzer" aus dem Zamonischen. Interessant ist, dass "Der Schrecksenmeister" sich an die Novelle "Spiegel, das Kätzchen" von Gottfried Keller anlehnt ("Gofid Letterkerl" ist übrigens ein Anagramm von "Gottfried Keller"). So gleichen sich die Ausangslage (hungerndes K(r)ätzchen schließt Pakt mit einem Schrecksen-/Hexenmeister, der es auf das Fett des K(r)ätzchens abgesehen hat), die Protagonisten ähneln sich im Namen (z.B. "Spiegel" und "Echo"; wobei sowohl ein Spiegel als auch ein Echo etwas widergeben), einzelne Figuren entsprechen sich und die Handlungsstruktur der Novelle findet sich im Kern bei Moers. Doch Moers mixt diese Zutaten anders. So erhält der Handlungort "Sledwaya" (ein Veweis auf "Seldwyla") eine eigene Topographie und spezifische Merkmale. Alle Bewohner*innen sind dort krank und Apotheken prägen das Stadtbild. Auch der Schrecksenmeister erhält eine eigene Vorgeschichte, dadurch eine größere Tiefe und Ambivalenz, die er bei G. Keller nicht besitzt. Die Handlung selbst geht ebenfalls z.T. andere Wege und bestitzt andere Wendungen. Außerdem baut Moers immer wieder Querverweise innerhalb der Handlung ein, sodass sie keine einfache Blaupause der Novelle Kellers ist. Zusätzlich dazu treten bei Moers spezifisch zamonische Figuren und Wesen auf, die man z.T. schon aus anderen Romanen kennt. Eine weitere Zutat von Moers ist der Untertitel "[e]in kulinarisches Märchen", den er sehr ernst. Der Schrecksenmeister bereitet für Echo exzessiv die kreativsten und wahnwitzigsten Speisen zu, die auch mal zu Bewusstseinserweiterungen führen. Insgesamt ist "Der Schrecksenmeister" eine gelungene Neuinterpretation von "Spiegel, das Kätzchen", wobei die Grundstruktur der Novelle sichtbar bleibt, aber viele neue Zutaten hinzukommen, die ordentlich durchgemischt werden - ohne, dass die Handlung zu aufgebläht oder übersättigt wird. In diesem Sinne: wohl bekomms!