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Veröffentlicht am 10.04.2025

Möge die Frau im Mond dir den Weg weisen

Frau im Mond
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Dieses Buch ist ein Kunstwerk und eine Herausforderung. Grundsätzlich ist es sehr hübsch, erzählt locker eine Familiengeschichte, liebevoll und mit Humor, nur muss man sie ein bisschen suchen.

Im Prinzip ...

Dieses Buch ist ein Kunstwerk und eine Herausforderung. Grundsätzlich ist es sehr hübsch, erzählt locker eine Familiengeschichte, liebevoll und mit Humor, nur muss man sie ein bisschen suchen.

Im Prinzip begibt sich eine junge Frau auf die Suche nach ihren Wurzeln. Lilith macht Dokumentarfilme, Recherche ist ihr Metier, und als ihr dementer Großvater plötzlich ins Plaudern kommt merkt sie auf. Ihre Familie lebt schon lange in Kanada, aber ihre Großeltern kommen aus dem Libanon. Anush, ihre Großmutter, ist als Kind von Armenien in den Libanon geflohen. Welche Geschichte steckt dahinter?

Es geht hier ziemlich wild durch die Zeiten. Großvater Maroun erinnert sich, wie man sich halt erinnert, hier ein Stückchen und da ein bisschen und wie war das nochmal? Auch Liliths Gedanken schweifen ab. Es springen ständig die Perspektiven, die Zeiten und die Handlungsorte. Es ist verwirrend, aber irgendwie auch nett, bis es dann gar nicht mehr nett ist. Der Genozid, der 1915 an den Armeniern verübt wurde, war grausig und ein paar Sprenkel davon erleben wir mit.

Zwischendurch bekommt man noch einen Schnupperkurs in Raketenwissenschaft. Fritz Langs Film „Frau im Mond“ hat Maroun als Kind im Kino gesehen, war quasi dabei, als der Countdown erfunden wurde und hat eine lebenslange Faszination für Raketen, den Weltraum und den Mond mitgenommen. Die Haigazian College Rocket Society in Beirut hat in den 30er Jahren wegweisende Erkenntnisse errungen, das ist nur nicht allgemein bekannt.

Ein Countdown durchzieht das ganze Buch. Die Kapitel zählen rückwärts, laut und deutlich. Bei Null haben wir eine Idee, wie alles zusammenhängen könnte und sind beeindruckt, wie vielfältig man eine Frau im Mond als Symbol benutzen kann. Wir sind außerdem ein klein wenig froh, es geschafft zu haben. Das war eine spannende Reise, aber anstrengend war sie auch.

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Veröffentlicht am 03.04.2025

Schelmenroman mit blassem Schelm

Was ich von ihr weiß
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Ich habe bislang alle Bücher von Jean-Baptiste Andrea gelesen und war immer tief beeindruckt. Und ich hätte nie erwartet, das mal zu sagen, aber sein neustes Buch hat mich tatsächlich gelangweilt. Der ...

Ich habe bislang alle Bücher von Jean-Baptiste Andrea gelesen und war immer tief beeindruckt. Und ich hätte nie erwartet, das mal zu sagen, aber sein neustes Buch hat mich tatsächlich gelangweilt. Der Erzählstil ist noch immer ganz wunderbar, aber die Geschichte hat mich rein gar nicht abgeholt.

Michelangelo Vitaliani liegt im Sterben, als er beginnt, uns seine Geschichte zu erzählen und das ist schon mal der erste Punkt, der mir nicht gefallen hat. Wir erfahren auf der ersten Seite, er endet uralt und sterbend im Kloster, die Geschichte muss frustrierend enden und ist lang.

Dann folgt ein klassischer Schelmenroman, wobei der Schelm erstaunlich blass bleibt. Mimo ist kleinwüchsig und hat ein geniales Talent zum Bildhauen, sehr viel mehr erfährt man nicht von ihm. Ab Seite 70 kommt mit seiner Freundin Viola ein bisschen Leben ins Geschehen. Viola Orsini möchte fliegen lernen und nicht das Leben führen, das für eine Tochter aus gutem Hause vorgesehen ist. 1917 lernen sie sich kennen, da sind sie Kinder, die sich nachts auf dem Friedhof treffen, weil ihr Standesunterschied sonst keine Freundschaft zulassen würde. Später, wenn Mimo berühmt ist, wird er fast Teil der Familie. Das ist eigentlich sensationell, aber Mimo erzählt es eher launig, sein Erfolg fliegt ihm zu.

Nebenher bekommt man ein Stückchen italienische Geschichte, den Aufstieg und Fall Mussolinis kann man beobachten und Mimo hat sogar eine kurze Phase als Widerstandskämpfer, die ich ihm nicht abgekauft habe.

Wahrscheinlich ist das das Problem. Mimo und ich sind keine Freunde geworden. Er ist eine schillernde Figur, die viel erlebt und merkwürdig distanziert bleibt. Das ist für mich das eigentliche Drama des Buches. Ich habe Großes erwartet und mich weitgehend gelangweilt, das kann auch die schöne Sprache nicht ausgleichen. Für den Prix Goncourt hat es gereicht.

Eine Bewertung fällt mir hier schwer. Eigentlich müsste ich dem Buch drei Sterne geben, aber der Erzählstil ist wirklich herausragend. Ich gebe ihm vier, der vierte ist ein Sympathiestern.

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Veröffentlicht am 31.03.2025

Beeindruckend, hoch komisch und auch anstrengend

Russische Spezialitäten
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An dieses Buch musste ich mich erst einmal gewöhnen. Es ist toll erzählt, in exquisiter Sprache, irre komisch, höchst zynisch, mit einer enormen Gag-Dichte. Da sitzt jedes Wort, fast erschlagen sich die ...

An dieses Buch musste ich mich erst einmal gewöhnen. Es ist toll erzählt, in exquisiter Sprache, irre komisch, höchst zynisch, mit einer enormen Gag-Dichte. Da sitzt jedes Wort, fast erschlagen sich die originellen Bilder gegenseitig, da trifft erlesener Wortwitz auf gnadenlose Beobachtungen und liebevoll ironische Analysen. Das ist beeindruckend, hoch komisch und auch anstrengend.

Dmitrij Kapitelman erzählt aufgeräumt von seiner Familie, die aus der Ukraine stammt, von seiner Jugend und vom Magasin der Familie, dem russischen Spezialitätengeschäft, das seine Eltern in Leipzig geführt haben. Zwischen den Zeilen steht allerdings auch Traurigkeit und Verzweiflung über die aktuelle Situation. Seine Mutter ist mit russischer Propaganda aufgewachsen, glaubt an alles, was das „Fernsehrussland“ ihr zeigt und findet es gut, dass das Naziregime in der Ukraine mal in seine Schranken gewiesen wird. Vernunftsargumenten ist sie nicht zugänglich und zeigt uns eine ganz neue Seite dieses schrecklichen Kriegs.

Wie russisch sind eigentlich Ukrainer? Das ist im Grunde das Thema dieses Buches, das deutlich macht, wie absurd dieser Krieg ist. Da lernen plötzlich Ukrainer Ukrainisch, weil das Russisch, das sie gewohnt waren, mit ihren neuen Lebensumständen kollidiert. Und Ukrainer im Exil gucken russisches Fernsehen, wie immer und verstehen die Welt nicht mehr.

Das Hörbuch liest der Autor selbst souverän und sehr sympathisch, man muss ihn nur ein bisschen schneller abspielen. Die russisch-ukrainischen Spitzfindigkeiten kann er wie niemand sonst vortragen.

Auch wenn ich mit diesem Buch Startschwierigkeiten hatte, habe ich es gerne gehört, habe mich sehr amüsiert und einiges gelernt.

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Veröffentlicht am 21.03.2025

Thriller mit Mehrwert

Der Gott des Waldes
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Es ist Sommer im Jahr 1975 als ein Mädchen verschwindet. Sie war im Sommercamp in den Adirondack Mountains, im Naturreservat, das ihren Eltern gehört. Ausgerechnet Barbara Van Laar verschwindet plötzlich, ...

Es ist Sommer im Jahr 1975 als ein Mädchen verschwindet. Sie war im Sommercamp in den Adirondack Mountains, im Naturreservat, das ihren Eltern gehört. Ausgerechnet Barbara Van Laar verschwindet plötzlich, genau wie ihr Bruder 14 Jahre vorher. Das ist schon mehr als seltsam.

In kurzen Kapitel wird hier das Geschehen eingekreist und jeder Aspekt der Geschichte beleuchtet. Was sagt Louise, die Betreuerin der Mädchen im Camp? Oder TJ, die Leiterin, ist sie nicht komisch? Die Eltern sind Snobs, das weiß jeder. 1961 ist der Sohn verschwunden, auch da sehen wir uns um. Ist diese Ehe glücklich? Barbaras Mutter Alice scheint nicht gerade der fürsorgliche Typ zu sein.

Die Polizei hat einen Verdächtigen im Blick, aber Investigator Judy Lutpack glaubt nicht daran. Sie ist jung, neu in der Abteilung und auch noch eine Frau. Die Kollegen nehmen sie nicht ernst, aber Judy lässt nicht locker.

Dies ist ein Thriller mit Mehrwert. Es werden nicht nur mysteriöse Vorkommnisse aufgeklärt, man lernt auch viele spannende Figuren sehr gut kennen, schaut in die Köpfe der unterschiedlichsten Charaktere und bekommt einen lebendigen Eindruck der Zeit und des Milieus. Privilegien und Verpflichtungen der High Society, die Rolle der Frauen, Kindererziehung, Naturliebe, Survival, Außenseitertum und sogar ein bisschen Mystery, all das spielt eine Rolle und wird zu einer finsteren Geschichte verknüpft, deren Ende niemand erwartet.

Das Personal ist vielleicht ein bisschen umfangreich, aber die Sprache absolut großartig. Ich habe es sehr gerne gelesen.

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Veröffentlicht am 20.03.2025

Eindringlich, norddeutsch, maritim

Stromlinien
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Am Anfang hat mich dieses Buch begeistert. Es liest sich super, die Sprache ist schön und die Atmosphäre sehr eindringlich, norddeutsch, geheimnisvoll und maritim.

Da sind zwei Zwillingsschwestern, die ...

Am Anfang hat mich dieses Buch begeistert. Es liest sich super, die Sprache ist schön und die Atmosphäre sehr eindringlich, norddeutsch, geheimnisvoll und maritim.

Da sind zwei Zwillingsschwestern, die anders sind, Außenseiterinnen, Elbmädchen, die mit ihrer Großmutter weit abgelegen wohnen und immer mit ihrem Boot die Elbarme rauf- und runterfahren, kleine geheime Inseln kennen, sich selbst genug sind bis eine plötzlich verschwindet. Eines Morgens wacht Enna auf und Jale ist weg, dabei ist der Tag gekommen, auf den sie seit Jahren gewartet haben.

Damit liegen gleich die ersten von 1000 Rätseln auf dem Tisch. Wo ist Jale? Auf was haben die Mädchen gewartet? Warum ist die Großmutter so reserviert? Wo ist die Mutter und wer ist der Vater?

Und dann holt das Buch auch noch ganz weit aus. 1923 sind wir dabei, wie der kleine Gunnar Äpfel klaut. In kurzen Kapitel springt man durch die Zeiten, blickt in die Jugend der Mutter und sogar die der Großmutter. Oma Ehmi hat auch eine Zwillingsschwester, aber Greetje und Ehmi sind seit ewigen Zeiten zerstritten. Noch ein Rätsel, das macht aber nichts, weil tatsächlich jeder Handlungsstrang gleichermaßen interessant ist.

Im Grunde liest man hier einen mysteriösen Thriller, eine dramatische Familiengeschichte und einen spannenden historischen Roman gleichzeitig. Aus Ennas Sicht hat das Buch sogar noch Jugendbuchcharakter. Ihr Freund Luca Lemke ist supersüß und betreibt einen TikTok-Kanal mit feministischen Inhalten. Das wäre dann der Märchenaspekt. 😊

So weit ist das Buch großartig. Leider kippt es irgendwann. Irgendwann ist es vielleicht ein Drama zu viel, die schicksalhaften Parallelen im Verlauf der Zeit fangen an, konstruiert zu wirken. Immer wieder handelt jemand impulsiv und löst Katastrophen aus. Dauernd nimmt jemand edelmütig die Schuld auf sich, um andere zu schonen. Und Enna rennt weg statt das Hirn einzuschalten. Sie ist 17 und nicht 7, sie soll unsere Heldin sein und ihre Schwester finden, rennt aber immerzu weg. Zum Glück findet Luca das attraktiv.

Trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen. Es ist mitreißend und ungewöhnlich und hat so großen Unterhaltungswert, dass ich ihm mach überbordenden Ausreißer verzeihe, jedenfalls fast. 😊

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