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Veröffentlicht am 12.11.2024

Ein Fanal für Diversität

When Women were Dragons – Unterdrückt. Entfesselt. Wiedergeboren: Eine feurige, feministische Fabel für Fans von Die Unbändigen
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Beinahe hätte ich dieses Buch nicht beachtet. Das harmlose Blümchencover ist eigentlich nicht mein Beuteschema und tarnt dieses wunderbare Buch als nette Sonntagslektüre, dabei ist es noch ganz viel mehr.

Wir ...

Beinahe hätte ich dieses Buch nicht beachtet. Das harmlose Blümchencover ist eigentlich nicht mein Beuteschema und tarnt dieses wunderbare Buch als nette Sonntagslektüre, dabei ist es noch ganz viel mehr.

Wir sind in einer absonderlichen Welt. Eigentlich ist es das brave Amerika der 60er Jahre, wo alles wohlgeordnet ist, der Mann die Familie versorgt und die Gemahlin um Punkt 18.00 mit frischer Dauerwelle das Essen serviert. Es gab Vorfälle, ja, aber die passen nicht ins Bild und werden unter den Teppich gekehrt. Selbst das große Drachenwandeln, bei dem die halbe Stadt in Brand geriet und Frauen zu Hunderten verschwanden, bleibt offiziell ein Gerücht.

Alex wächst damit auf, dass man nicht über Drachinnen spricht, am besten nicht darüber nachdenkt, dabei gab es selbst in ihrer Familie merkwürdige Vorkommnisse und Alex hat Fragen, die sie nicht stellen darf. Sie ist zu klug und zu neugierig für eine Welt, in der Frauen nichts zu sagen haben und Intelligenz unnötig ist.

Die Atmosphäre ist cosy amerikanisch mit geheimnisvollem Zauber, aber auch Kritik und bissiger Ironie. Später kommt noch ein bisschen Dickens-Flair dazu. Es wirkt beinahe märchenhaft, die Bösen sind wirklich böse und die Guten herzallerliebst, hat aber auch interessante Grautöne. Alex Mutter zum Beispiel fordert von ihr gnadenlose Disziplin in allen Lebenslagen und knüpft gleichzeitig kunstvolle Amulette und webt geheimnisvolle Knotenmuster in alle ihre Kleidungsstücke. Es scheint kein rein dekorativer Spleen zu sein, warum macht sie das?

Der Erzählstil ist wundervoll, eine schöne, originelle Sprache, sanft, aber mit Biss und Humor, wie eine kuschelige Decke mit Weckfunktion, die einen ein bisschen zwickt, wenn es zu nett ist.

„Der Himmel war geradezu herzzerreißend blau und die Welt roch, als hätte etwas Neues begonnen.“

Solche Sätze sind einfach nur schön und gehen mitten ins Herz. Dieses Buch packt einen und nimmt mit. Es ist ganz viel auf einmal, wunderschön, tieftraurig, märchenhaft, humorvoll, originell, herzergreifend und ein Fanal für Diversität. Am Ende denkt man voller Überzeugung: Jaaaaaa, ich will auch eine Drachin sein.

Dieses Buch hat kein Blümchencover verdient, es bräuchte es ein Regenbogenfeuerwerk.

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Beinahe genial

Die Entflammten
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Dieses Buch ist beinahe genial. Es erzählt die Geschichte von Vincent van Gogh indirekt, aus der Sicht seiner Schwägerin Jo van Gogh-Bonger, die mit seinem Bruder Theo verheiratet war.

Das ist insofern ...

Dieses Buch ist beinahe genial. Es erzählt die Geschichte von Vincent van Gogh indirekt, aus der Sicht seiner Schwägerin Jo van Gogh-Bonger, die mit seinem Bruder Theo verheiratet war.

Das ist insofern genial, weil Jo zum einen deutlich länger gelebt hat und wir noch erfahren, wie sie es geschafft hat, Vincents Vermächtnis posthum berühmt zu machen. Und zum anderen war Vincent wohl psychisch schwer verstört. Ein Buch aus seiner Sicht ist wahrscheinlich unerträglich.

Geradezu ärgerlich fand ich den Handlungsstrang in der Gegenwart, wo die Kunsthistorikerin Gina ihre Lebensgeschichte erzählt, die sich hauptsächlich um ihren Vater dreht, der es nicht geschafft hat, berühmter Schriftsteller zu werden. Soll das eine sinnige Parallele darstellen?

Es könnte sein, dass er autobiographisch gemeint ist und die Entstehung dieses Buches beschreibt. Das würde ihn interessant machen, aber das müsste man dem Leser auch vermitteln. So wirkt er wie ein vergleichsweise läppisches Anhängsel, dass das Buch unnötig streckt und von der eigentlichen Handlung ablenkt.

Die Geschichte um Vincent herum ist ganz wunderbar. Liebevoll gestaltet, in einem grandiosen Erzählstil, erfährt man ganz viel über das Leben von Vincent und seiner Familie, über die Zeit und den Zeitgeist, Holland, Paris, die Kunstwelt, den Impressionismus und sogar die Syphilis.

Ohne den Handlungsstrang in der Gegenwart hätte das Buch fünf Sterne verdient. Was hätte es für ein toller historischer Roman werden können. Ein Jammer.

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Veröffentlicht am 19.10.2024

Originell und speziell

Im Morgenlicht
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Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer ...

Ich habe ein bisschen gebraucht, bis ich in dem Buch angekommen bin. Das ist eine seltsame Geschichte. Man hat nichts, woran man sich orientieren könnte. Wir sind in einer unbestimmten Zukunft mit einer englischsprechenden zerstörten Welt und einem Wiederaufbauprogramm.

Im entvölkerten Island City sollen Menschen angesiedelt werden, die anderswo ihr Zuhause verloren haben. Sil und ihre Mutter haben Glück gehabt. Sie dürfen in die Wohnanlage „Morgenlicht“ zu Tante Ena ziehen, die dort arbeitet. Ihre Vergangenheit ist genauso undurchsichtig, wie die Gegenwart. Sie kommen aus dem „Alten Land“ und sprechen „Unser“. Das und die märchenhaften Geschichten, die Tante Ena erzählt, lassen an ein unbestimmtes Balkanland denken. Und von Ena hat Sil auch den Hang dazu, nach magisch Mystischem in ihrer Umgebung zu suchen. Kann Bezi Duras aus dem 34.Stock eine Vila sein, ein Zauberwesen aus alten Geschichten?

Dieses Buch ist wirklich besonderes. Es verknüpft alte Mythen mit einer düsteren Zukunft, verspinnt vergangene Balkankriege mit aktueller Flüchtlingsproblematik und der Klimakrise, nimmt von allem ein bisschen und macht daraus eine schicksalhafte Familiengeschichte mit märchenhaften Vibes. Das ist neu und irritierend, aber auch spannend.

Wenn man sich davon verabschiedet hat, das Gelesene einsortieren zu wollen, macht das Lesen Spaß. Es ist toll geschrieben in wunderbarer Sprache, mit feinem Humor und jeder Menge Rätsel, ist auf skurrile Art geheimnisvoll, tanzt leichtfüßig hin und her zwischen den Genres, immer mit einem Augenzwinkern.

Das Ende löst dann etwas geballt alle Fragen auf, die wir hatten. Ich hätte das gerne auf weitere hundert Seiten ausgedehnt gelesen, aber gut, immerhin gibt es Ideen, beinahe Antworten.

Ein schönes Buch.

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Veröffentlicht am 12.10.2024

Dramatik allein macht keine gute Geschichte

Juli, August, September
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Ich habe dieses Buch gehört, bis zum Ende, und weiß trotzdem nicht so recht, was ich dazu sagen soll. Es ist weitgehend an mir vorbeigerauscht ohne Höhen und Tiefen, ja, sogar ohne echtes Ende. Die Buchbeschreibung ...

Ich habe dieses Buch gehört, bis zum Ende, und weiß trotzdem nicht so recht, was ich dazu sagen soll. Es ist weitgehend an mir vorbeigerauscht ohne Höhen und Tiefen, ja, sogar ohne echtes Ende. Die Buchbeschreibung klingt so gut, leider ist davon nur wenig bei mir angekommen.

Es erzählt von vielen wichtigen und interessanten Themen ein bisschen, aber nichts richtig. Da ist Lou im Babyblues, sie hat ihre Karriere auf Eis gelegt, um ihre Tochter aufzuziehen, ihr Mann hat ein Burnout und Tante Maya Geburtstag. Sie sind Juden, ohne gläubig zu sein, warum leben sie denn dann nach jüdischen Regeln?

Auf der Geburtstagsfeier trifft sich die ganze Sippe aus diversen Ländern. Es gibt alte Geschichten und Differenzen, eine Prise jüdische Identität in Variationen, traurige Holocaust-Vergangenheit, russische Wurzeln über die Welt verstreut, eine Ehekrise und keiner weiß warum und sogar Sex mit dem Ex.

Während Lou von Berlin nach Gran Canaria und dann nach Tel Aviv reist, um ihre Familiengeschichte zu erkunden, hat ihr Mann zu Hause einen Nervenzusammenbruch und geht einfach nicht ans Telefon, wie blöd. Spätestens an dieser Stelle denkt man: Kein Wunder, dass diese Ehe wackelt.

Am Ende hört es einfach auf und ich habe keine Ahnung, was man mir hier vermitteln wollte.

Die Sprecherin des Hörbuchs gibt alles und versucht, dem Ganzen Gewicht und Betroffenheit zu verleihen, leider hilft das nicht viel, wirkt sogar eher deplatziert. Immerhin haben wir gelernt, dass Dramatik allein keine gute Geschichte macht.

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Veröffentlicht am 08.10.2024

Historientrash

Bevelstoke – Das geheime Tagebuch der Miss Miranda
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„Liebt er mich, oder liebt er mich nicht?“ Das ist die Kernfrage dieses Werks und damit, wenn auch in einem historischen Roman zur Zeit des kleidsamen Empires gestellt, doch auch für uns heute noch von ...

„Liebt er mich, oder liebt er mich nicht?“ Das ist die Kernfrage dieses Werks und damit, wenn auch in einem historischen Roman zur Zeit des kleidsamen Empires gestellt, doch auch für uns heute noch von elementarer Bedeutung und damit absolut zeitlos und wichtig.

Die Autorin geht sogar noch weiter: Liebt er mich wohl, wenn er sagt, er hat mich gern? Oder sagt er, er hätte mich gern, damit er nicht sagen muss, er würde mich lieben, obwohl er es nicht tut? Kann ich ihn gar lieben, obwohl er mich nicht liebt, oder es vielleicht auch nur nicht sagt?

All das bewegt die junge Lady Miranda, die zu klug ist, um die Männerwelt zu bewegen, die aber eine beste Freundin mit attraktiven Brüdern hat, das hilft, wenn man ein blaustrümpfiges Mauerblümchen ist, allerdings mit reizender Nase.

Mich bewegt nach der Lektüre dieses Buches höchstens die Frage: Wer liebt solche Bücher? Nichts gegen seichte Romantik, aber hier gibt es nicht den Hauch einer Handlung. Mirandas Ringen, seine blauen Augen und ausführlichen Sex vor der Ehe, mehr bekommt man hier nicht geboten. Ich denke, die weiteren Teile der Saga lasse ich aus.

Den zweiten Stern gibt es für gelegentlich gute Gags und die Tapferkeit der Sprecherin des Hörbuchs. Das war sicher schmerzhaft.

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