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Veröffentlicht am 31.10.2021

Beeindruckend und schwierig

Phon
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Dieses Buch ist beeindruckend und schwierig.
Normalerweise habe ich keine Probleme damit, so ein Buch mit zwei Sternen in die Ecke zu stellen, aber hier fällt es mir schwer. Es ist auf sehr charmante ...

Dieses Buch ist beeindruckend und schwierig.
Normalerweise habe ich keine Probleme damit, so ein Buch mit zwei Sternen in die Ecke zu stellen, aber hier fällt es mir schwer. Es ist auf sehr charmante Art klug, poetisch und eigen, dann aber auch immer wieder nervtötend weitschweifig und auch kryptisch.
Hier meint man erst, die Geschichte eines ungleichen Paares zu lesen. Nadja war Studentin als sie sich in ihren Professor verliebte, den 20 Jahre älteren Lew. Jetzt sind beide alt, nicht mehr ganz gesund, leben alleine im Wald in der hintersten Ecke Russlands und kümmern sich um ihre Tiere.
Nadja erzählt aus ihrem Leben und ist desillusioniert, verbittert und zynisch. Dabei gibt es Rätsel. Irgendwas passierte und war ein einschneidendes Erlebnis. Außerdem sind da unerklärliche, immer wiederkehrende Geräusche, ein seltsames Naturphänomen?
Das klingt spannend und unterhaltsam und ist brillant erzählt. Nadjas bissiger Humor ist köstlich. Leider kommt sie niemals auf den Punkt und strapaziert die Geduld der Leser gewaltig. Abschweifung folgt auf Abschweifung und Abschweifung. Dazwischen ist immer ein bisschen Handlung, aber selbst die wird zunehmend fragwürdig. Irgendjemand muss hier verwirrt sein, entweder Lew oder Nadja, die Leser auf jeden Fall. Man fragt sich, worum geht es überhaupt?
Die politische Situation in Russland ist speziell, war aber vor dem Umbruch in den 90er Jahren auch nicht besser. Oder doch? Kann man aussteigen und die Politik ignorieren? Sind Tiere die besseren Menschen? Wie lebt es sich in einer Fantasiewelt und ist die Flucht in Geschichten verwerflich? All das und noch viel mehr steckt in diesem Buch, wird angedeutet aber nicht wirklich verarbeitet. Hier steht alles und nichts im Raum und bleibt dort auch stehen.
Dieses Buch ist bei aller Brillanz schwer verdaulich und wirklich anstrengend. Man muss aufmerksam jedem Schlenker folgen, sonst verliert man den Faden. Und trotz aller Bemühungen bin ich mir am Ende nicht sicher, ob und was ich verstanden habe.
Ich habe länger darüber nachgedacht, wie ich ein Buch bewerten soll, bei dem ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob ich zu dumm bin es zu verstehen oder ob es zu kryptisch geschrieben ist. Aber eigentlich ist genau das nicht gerade ein Qualitätsmerkmal, oder?
Dieses Buch ist eine Erfahrung, eine Herausforderung aber auch ein bisschen eine Zumutung.

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Veröffentlicht am 27.10.2021

Traurig schön

Das Flüstern der Feigenbäume
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Dies ist ein schönes Buch, originell, zart, anrührend und wirklich schön erzählt.
Es geht um Liebe, die nicht sein darf und einen Feigenbaum, der an einem anderen Ort Wurzeln schlagen muss, weil sein Zuhause ...

Dies ist ein schönes Buch, originell, zart, anrührend und wirklich schön erzählt.
Es geht um Liebe, die nicht sein darf und einen Feigenbaum, der an einem anderen Ort Wurzeln schlagen muss, weil sein Zuhause zerstört ist.
Defne und Kostas leben auf Zypern, als sie sich 1974 verlieben und immer heimlich beim Feigenbaum einer Taverne treffen. Sie ist Türkin und er Grieche, eine unmögliche Kombination kurz vor dem Bürgerkrieg, eine Muslimin und ein Christ? Niemals.
Und in der Gegenwart hat Ada damit zu kämpfen, den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten. Dass plötzlich ihre Tante Meryem aus Zypern zu Besuch kommt, hilft ihr auch nicht. Noch nie ist sie nach London gekommen, dann kann sie jetzt auch wegbleiben.
Hier werden sehr geschickt Handlungsstränge aus Vergangenheit und Gegenwart verwoben. Sie gehen elegant ineinander über, man merkt es kaum. Und nach und nach bekommt man eine besondere Liebesgeschichte erzählt, aber auch eine Familiengeschichte voller Schicksalsschläge und die Geschichte des schrecklichen Bürgerkriegs in Zypern.
Zwischendurch berichtet sogar der Feigenbaum persönlich. Es ist ein weiblicher Feigenbaum, der viel gesehen und gehört hat. Was sie nicht selbst miterlebt hat, erfährt sie gelegentlich von einer Maus oder anderen Tieren. Manchmal erzählt sogar der Wind. Sie hat eine ganz eigene Art, die Welt wahrzunehmen, ist erfahren, weise und poetisch und gehört auch irgendwie zur Familie.
Das Hörbuch dauert 11 Stunden, 56 Minuten und wird einfühlsam gelesen von Eva Mattes und Joachim Schönfeld. Es ist ein Buch zum Abtauchen und Fallenlassen, anrührend, nachdenklich, melancholisch mit einem Hauch Orient und vielen frischen Feigen.

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Veröffentlicht am 21.10.2021

Eine gute Idee, kein gutes Buch

Eine Seuche in der Stadt
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Natürlich beschäftigt uns heute das Thema „Epidemie“ so sehr, wie schon lange nicht mehr. Und natürlich ist es hoch interessant zu sehen, wie ein stalinistisches Regime mit so einer Situation umging.
Dieses ...

Natürlich beschäftigt uns heute das Thema „Epidemie“ so sehr, wie schon lange nicht mehr. Und natürlich ist es hoch interessant zu sehen, wie ein stalinistisches Regime mit so einer Situation umging.
Dieses Drehbuch basiert auf Tatsachen. 1939 drohte tatsächlich in Moskau die Lungenpest auszubrechen, was durch radikales Durchgreifen des Geheimdienstes verhindert werden konnte. Allerdings dachten die Menschen, sie würden verhaftet, niemand kam auf die Idee einer Quarantäne. Ljudmila Ulitzkaja sagt im Nachwort: „Das ist das Subtile an der geschilderten Situation: Die Pest zu Zeiten der politischen „Pest“.“
So weit ist die Idee dieses 1978 geschriebenen Szenarios hoch interessant. Leider macht eine interessante Idee allein noch kein gutes Buch und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob dieser Text einen guten Film abgeben würde.
In einem Wust an Personal auf den gut 100 Seiten kann man nur schwer Hauptprotagonisten ausmachen, das macht sich auch im Film nicht gut. Die Handlung ist unterm Strich sparsam und besteht zu großen Teilen aus Verhaftungen. Die Tragweite des Geschehens wird eigentlich erst durch das Nachwort der Autorin richtig klar. Um daraus eine gute Geschichte zu machen, müsste man es noch ordentlich mit Hintergründen unterfüttern.
Dieses Buch ist kein Buch sondern ein Entwurf, der ein tolles Buch werden könnte. Schade, dass die Autorin es nicht überarbeitet hat. So ist es weder stilistisch noch dramaturgisch ein großer Wurf, sondern einfach nur eine gute Idee.

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Veröffentlicht am 17.10.2021

Unterhaltsam, erhellend, aber kein Highlight

Every
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„Every“ ist die Fortsetzung von „The Circle“. Dave Eggers erledigt das hier mit Konsequenz, Ideenreichtum und Ausdauer.
Das Überwachungssystem vom Circle hat sich weiterentwickelt. Every überwacht nicht ...

„Every“ ist die Fortsetzung von „The Circle“. Dave Eggers erledigt das hier mit Konsequenz, Ideenreichtum und Ausdauer.
Das Überwachungssystem vom Circle hat sich weiterentwickelt. Every überwacht nicht nur alles sondern dirigiert dich auch. Die Everyones werden z.B. bei jeder Tätigkeit von OwnSelf begleitet, dem persönlichen Manager, der körperliche, ethische oder auch logistische Befindlichkeiten des Users begleitet, überwacht und berät. Kannst du nicht einschlafen? Auf, auf, lauf eine Runde um dem Block. Du willst nicht? OwnSelf weiß, was gut für dich ist.

So geht es weiter, immer absurder werden die Neuerungen, es wird alles durchgenommen, womit uns Technik terrorisieren könnte, Augenscannen, Schlafverhalten, Wasserkonsum, sogar der Toilletteninhalt wird analysiert, bist du wirklich ehrlich, ökologisch achtsam, interessiert genug, aufmerksam, anteilnehmend, ein echter Freund oder jemand, der nur so tut?
In allerbester Shitstormmanier verbannen die Everyones nach und nach alles, was irgendwo Anstoß erregen könnte, entwerfen markige Parolen, folgen dem Strom, werden immer beliebiger, weil das sicherer ist.
Das liest sich nett, ist sogar oft witzig, nur wirklich überraschend ist es auch nicht. Es wirkt ein bisschen wie eine Generalabrechnung mit allen socialmedialen Verirrungen, die trotzdem im Grunde vorhersehbar ist. Wundert es irgendjemanden, wenn Siri uns tatsächlich abhören würde? Solche Ideen sind befremdlich, aber nicht neu, müssen hier aber dennoch behandelt werden, der Vollständigkeit halber.
Auch der Hang zum Dozieren, dem hier einfach alle Protagonisten nur zu gern verfallen, ist erhellend, aber auch etwas zäh und moralinsauer.
Dieses Buch behandelt wichtige Themen, führt unterhaltsam moderne Trends ad absurdum, schafft es aber nicht, ein gesundes Gleichgewicht von Moralpredigt zu spannender Romanhandlung herzustellen.
Es macht Spaß, dieses Hörbuch zu hören, aber es hat auch ein paar Längen. Ein echtes Highlight ist es nicht.

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Veröffentlicht am 16.10.2021

Zwischen Wissenschaft, Historie und Geisterwelt

Das Leuchten am Rand der Welt
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Dieses Buch ist besonders in vielerlei Hinsicht.
Es ist ein historischer Roman, der origineller nicht sein könnte, der Bericht einer nahezu unmöglichen Reise, ein spannender Abenteuerroman, eine ungewöhnliche ...

Dieses Buch ist besonders in vielerlei Hinsicht.
Es ist ein historischer Roman, der origineller nicht sein könnte, der Bericht einer nahezu unmöglichen Reise, ein spannender Abenteuerroman, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, eine Sammlung historischer Dokumente, die einem das Alaska um 1885 herum nahebringen.

Es geht um eine Expedition durch Alaska. Allen Forrester soll unbekanntes Terrain erkunden und herausfinden, wer die Einheimischen sind und wie sie auf Fremde reagieren. Ein Selbstmordkommando durch Eis und Schnee? Sie haben viel zu erleiden und lernen Phänomene kennen, die eigentlich nur noch durch Geisterglaube erklärbar sind. Die Ureinwohner Alaskas haben ein anderes Weltbild, nah an der Natur und einer geheimnisvollen Geisterwelt.

Forresters Frau Sophie, eine Vogelkundlerin, muss derweil in Vancouver ausharren und auf Briefe warten. Anrührend erzählt sie, wie sie diese schwierige Zeit erlebt.

Obwohl dieses Buch fiktional ist, wirkt es wie ein authentischer historischer Bericht, der sogar noch mit Fotos, Briefen und Artefakten ausgeschmückt wird. Es erzählt von Alaska, von ungewöhnlichen Menschen, von Geistern und Vögeln, ist spannend, abwechslungsreich, toll erzählt und ein einziges Lesevergnügen.

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