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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.02.2023

Tragische Lebensgeschichten

Café Leben
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Nachdem Henrietta Lockwoods letzte Arbeitsstelle ein abruptes Ende nahm, macht sie sich auf die Suche nach einem neuen Job. Empathie ist nicht gerade ihre Stärke, aber da sie gern schreibt, bewirbt sie ...

Nachdem Henrietta Lockwoods letzte Arbeitsstelle ein abruptes Ende nahm, macht sie sich auf die Suche nach einem neuen Job. Empathie ist nicht gerade ihre Stärke, aber da sie gern schreibt, bewirbt sie sich dennoch für das Projekt "Lebensbuch". Ihre Aufgabe ist, die Lebensgeschichten der krebskranken Patient*innen, denen der Tod kurz bevorsteht zu hören und in einem Buch zu verarbeiten. Ihre erste Patientin ist die 66-jährige Annie Doyle, die eine ganz eigene Vorstellung davon hat, welche Lebensgeschichte sie Henrietta erzählt. Die möchte jedoch die ganze Wahrheit hören und geht auf eigener Faust der Frage nach, was damals mit Annies Schwester - die ertrunken sein soll - tatsächlich passiert ist. Und um Annies gesamte Lebensgeschichte zu erfahren gibt es nur eine Möglichkeit: Sie muss über ihren Schatten springen, sich selbst Annie gegenüber öffnen und ihre eigene Geschichte erzählen, die Tragisches beinhaltet.

Ausgehend vom Klappentext wusste ich nicht, ob es sich um eine sehr ernste, tragische oder auch humorvolle und schöne Geschichte handelt. Ich würde sagen, es enthält alle Aspekte. Annie Doyle hatte kein leichtes Leben und auch Henrietta musste einiges durchmachen, was beide verbindet. Sie holen alte Erinnerungen hervor, verarbeiten sie und kommen sich dadurch näher.
Mich haben sowohl Annies als auch Henriettas Geschichte bewegt. Dabei mag ich sowohl den Schreibstil von Jo Leevers sowie die wechselnden Erzählperspektiven sehr gern. So erfahren wir abwechselnd immer mehr über die beiden Frauen und ihre Lebensweisen und Vergangenheiten.

Ein berührender Roman über den Tod, das Aufspüren von negativen Erinnerungen und das Reflektieren über das Leben.

Veröffentlicht am 29.01.2023

Intensiv, hat mich vollkommen in den Bann gezogen

Liebewesen
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Caroline Schmitts Schreibstil würde ich als intensiv beschreiben. Sie changiert zwischen sehr speziellem Humor, Tatkraft und Euphorie, Depression, Aufbruch und Stillstand. Und das alles geht wechselnd ...

Caroline Schmitts Schreibstil würde ich als intensiv beschreiben. Sie changiert zwischen sehr speziellem Humor, Tatkraft und Euphorie, Depression, Aufbruch und Stillstand. Und das alles geht wechselnd Hand in Hand und konnte mich von Beginn an begeistern.
Lio ist jung, hat nie eine Beziehung geführt und hat eine starke abstoßende Haltung zu Sex. Ihre Freundin und Mitbewohnerin Mariam möchte sie jedoch immer wieder zu Dates überreden und schubst Lio so in Max' Arme. Was als absurdes und komisches Date beginnt, entfaltet sich langsam zu einer ehrlichen und offenen Liebe - mit Höhen, Tiefen und immer neuen Herausforderungen, was das Zulassen und Benennen von Gefühlen angeht. Endlich fühlt Lio annährend, was wohl auch andere Menschen beim Sex fühlen, traut sich in der Beziehung aufzublühen und nimmt sich und ihren Körper an.
Bis sie ungewollt schwanger wird und sich erneut mit sich, ihrem Körper und vor allem ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und eine Entscheidung treffen muss.

Ich mag Lios Sichtweise, ihre Perspektive und ihren Ton sehr gern. Es wird schnell klar, dass sie sich selbst als verkorkst sieht und auf der Suche ist. Ihre Kindheit und Jugend ist geprägt durch ihre kalte, gewaltvolle Mutter, ihren gleichgültigen Vater und ein traumatisches Erlebnis, das sie lange nicht aufgearbeitet hat. Max hingegen kämpft gegen seine Depressionen an, bringt Buntes in Lios und seine Beziehung und tänzelt trotzdem immer wieder am Abgrund.
Mit "Liebewesen" hat Caroline Schmitt nicht nur einen fantastischen Neologismus geschaffen, sondern auch ein brillantes Debüt vorgelegt. Sie thematisiert queere Liebe, Missbrauch, Beziehungsängste, -sorgen und -sehnsüchte sowie Identitätsfragen und Kinder(nicht)wunsch.
Bereits nach den ersten Seiten hat sie mich vollständig in ihren Sog gezogen, ich habe Lios und Max' gemeinsame Zeit wie im Rausch verfolgt und wurde mit vielen Gedanken und Gefühlen zurückgelassen.

Ein fantastisches Buch, das eine wichtige Stimme für unsere Gesellschaft und all die immer noch tabuisierten Themen sind.

Veröffentlicht am 29.01.2023

Eingeschlossen in Eis und Dunkelheit

The Dark
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Nach einem schrecklichen Unfall, das ein schweres Trauma bei der Notärtzin Kate North hinterlassen hat, zögert sie bei einem neuen Jobangebot nicht lange: In der UN-Forschungsstation in der Antarktis ist ...

Nach einem schrecklichen Unfall, das ein schweres Trauma bei der Notärtzin Kate North hinterlassen hat, zögert sie bei einem neuen Jobangebot nicht lange: In der UN-Forschungsstation in der Antarktis ist der Stationsartz Jean-Luc beim Klettern im Eis verunglückt und die Station braucht dringenden Ersatz. Nahezu sofort sagt Kate zu. Sie lebt sich langsam in der Station und der eisigen Kälte und Dunkelheit der Antarktis ein und lernt die anderen Crewmitglieder kennen. Als ein Crewmitglied tot aufgefunden wird und aus medizinischer Sicht offensichtlich ermordet wurde, ist für Kate ganz klar: Der Tod von Jean-Luc war kein Unfall, sondern ebenso ein Mord und unter ihnen befindet sich derdie Mörderin von mindestens zwei Personen.

Emma Haughton hat mit "The Dark" einen spannenden Locked-Room-Thriller in der Antarktis geschrieben. Das Setting des ewigen Eises, der Dunkelheit und der Isolation während des Winters bilden das ideale Setting für die Dramatik und die aufreibende Suche nach demder Mörderin und den Zusammenhängen. Denn jedes Crewmitglied kam mit Geheimnissen in die Antarktis und versteckt diese sorgfältig vor den anderen. Die monatelange Dunkelheit und die Eingeschlossenheit in der Forschungsstation bringt die Crew an ihre Grenzen. Das zusätzliche Misstrauen und die Angst, jeder könnte derdie Mörder*in sein, erwschwert die Situation eklatant.
Dabei sind die psychische Belastung sowie die Landschaft der Antarktis sehr anschaulich beschrieben und die Spannungskurve nimmt zunächst langsam zu, steigt jedoch zum letzten Drittel massiv an.
Emma Haughton überzeugte mich mit starken Figuren, einem spannenden Plot und einem finalen Showdown am Ende, der alles entblättert und die schlimmen Zusammenhänge offenlegt.

Wer Locked-Room-Settings mag, kann sehr gern zu "The Dark" greifen und mitbibbern und mitfiebern.

Veröffentlicht am 25.01.2023

Jugendbuch mit aktueller und wichtiger Thematik

Auf der Tonnenseite des Lebens
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Als in Joels Nachbarwohnung die Studentin Merle einzieht, bekommt er Einblick in eine für ihn bis dahin völlig unbekannte Welt. Denn Merle ist Bloggerin und schreibt über Themen wie Nachhaltigkeit und ...

Als in Joels Nachbarwohnung die Studentin Merle einzieht, bekommt er Einblick in eine für ihn bis dahin völlig unbekannte Welt. Denn Merle ist Bloggerin und schreibt über Themen wie Nachhaltigkeit und Konsum. Sie nutzt die Gelegenheit, Joel für sich recherchieren zu lassen und schickt ihn zu Steff und Sina. Sie leben in einer Jurte und gehen regelmäßig containern - sie retten also Lebensmittel aus Mülltonnen von Supermärkten, verzehren diese selbst oder verschenken sie weiter. Joel macht diese Welt sehr neugierig, sodass er sich der Container-Gruppe anschließt und dort Kira trifft, die sein Interesse weckt.

Antje Leser schreibt sehr flüssig, locker und schafft mit Joel einen sympathischen Protagonisten. Während er zu Beginn noch sehr um Merles Gunst buhlt und sie um jeden Preis beeindrucken und unterstützen möchte, taucht er immer mehr in die Welt des Containers ein und setzt sich kritisch mit Konsum, Nachhaltigkeit, Umwelt und Ressourcen auseinander. Seine Erkenntnisse weden nachvollziehbar und greifbar an die Leserinnen vermittelt, was ein sehr gutes Stilmittel ist. Auch die anderen Figuren sind liebenswert gestaltet und verkörpern diverse Probleme und stigmatisierte Aspekte unserer Gesellschaft. So öffnet die Autorin hoffentlich auch die Augen der Leserinnen und thematisiert wichtige aktuelle Themen.

Ein guter sozialkritischer Jugendroman, der niedrigschwellig und kurzweilig ist.

Veröffentlicht am 25.01.2023

Generationenroman in Zeiten des Bergbaus

Die Sehnsucht nach Licht
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Seit Luisa denken kann, ist der Berbau fester Bestandteil ihres Alltags und ihres Familienlebens. Denn seit Generationen arbeiten die Mitglieder der Familie Steiner im Bergbau. Während ihre Vorfahren als ...

Seit Luisa denken kann, ist der Berbau fester Bestandteil ihres Alltags und ihres Familienlebens. Denn seit Generationen arbeiten die Mitglieder der Familie Steiner im Bergbau. Während ihre Vorfahren als Bergarbeiter unter Tage schufteten, ist Luisa nun im Besucherbergwerk im Schlematal im Erzgebirge tätig und möchte ihre Leidenschaft und ihr Interesse am Bergbau an die Besucher*innen weitergeben. Als ein Junge sie bei einer Führung nach Verschollenen fragt, muss Luisa an ihre Vorfahren denken - denn nicht alle der Steiners sind aus dem Berg zurückgekehrt. Der Verbleib ihres Großonkels, der vor Jahrzehnten verschollen ist, ist bis heute unklar. Und mit den Nachforschungen nach ihrem Großonkel kommen auch andere Teile der Familiengeschichte ans Licht.

Kati Naumann hat mit "Die Sehnsucht nach Licht" einen schönen Generationenroman in Zeiten des Bergbaus geschaffen. Während Luisas Erlebnisse und Recherchen im Jahr 2019 stattfinden, setzt die Erzählung über Wilhelm Steiner im Jahr 1908 ein, thematisiert seine Kindheit, seine Jugend und seine Ehe bis zum Tod 1989 - das Jahr, in dem die Berliner Mauer fällt und Luisa geboren wird. Da auf wechselnden Zeitebenen - Gegenwart und Vergangenheit - sowie aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, bekommen wir die einzelnen Schicksale, Beziehungen und Entwicklungen der Steiners-Familienmitglieder detailliert geschildert. Durchzogen sind die Erzählungen von gut recherchierten historischen Daten und Ereignissen. So thematisiert Naumann auch die Entwicklung des Bergbaus, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen durch den Krieg, die Entwicklung des Kurgeschäfts und des Radonwassers sowie die Zeit der sowjetischen Besatzung.
Ihr Schreibstil ist sehr flüssig und ich konnte leicht in die Familiengeschichte und die einzelnen Figurengeschichten eintauchen. Einige Figuren blieben etwas oberflächlicher oder weniger greifbar als andere, die Geschehnisse und Familiengeheimnisse jedoch jederzeit interessant und gut zu verfolgen.

Wer historisch untermauerte Gesellschaftsromane mag und sich für Bergbau im Erzgebirge interessiert, ist mit "Die Sehnsucht nach Licht" sicherlich gut bedient.