Übertrieben romantisiert und unrealistisch
Die Hofreiterin – Der Traum von FreiheitWer mich kennt, weiß, dass Pferde ein sehr wichtiger Teil meines Lebens sind. Die Spanische Hofreitschule mit ihren tanzenden Hengsten ist eine Einrichtung, die mich absolut begeistert und mit der ich ...
Wer mich kennt, weiß, dass Pferde ein sehr wichtiger Teil meines Lebens sind. Die Spanische Hofreitschule mit ihren tanzenden Hengsten ist eine Einrichtung, die mich absolut begeistert und mit der ich mich bereits ausführlich befasst habe. Nicht nur, dass die akademische Reitweise in den vergangenen Jahren mein besonderes Interesse geweckt hat, ich liebe auch die Geschichte des Kaiserlichen Pferdes, die Namensgebung der Lipizzaner und habe mich bereits mit der dortigen Ausbildung zum Bereiter befasst.
Als ich gesehen habe, dass es ein Buch über die Spanische Hofreitschule gibt, musste ich es somit natürlich lesen.
Die Handlung klang spannend. Es ist bekannt, dass die Hofreitschule noch nicht seit langem Frauen in die Bereiter-Ausbildung aufnimmt und ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie unfair die vorherige Regelung für interessierte Reiterinnen war. Irma verkleidet sich allerdings als Mann und schleust sich in die Ausbildung ein, um bei ihrem Pferd bleiben zu können. Das verspricht eine sehr interessante Handlung über die Geschichte der Hofreitschule und die harte Bereiterausbildung mit einem feministischen Twist. Ich habe erwartet, dass Irma darunter leidet, ihre Identität verbergen zu müssen, sich schweigend an andere Frauen gerichtete sexistische Kommentare anhören muss, aber die Zähne zusammen beißt, um sich selbst zu beweisen, dass sie ihren Platz verdient hat.
Es kommt aber ganz anders. Irmas größtes Problem ist ihre einfache Herkunft. Allerdings gibt es auch nur genau zwei Personen an der Hofreitschule, die ihr deswegen Probleme bereiten und ganz offensichtlich die Antagonisten darstellen. Irma hat überhaupt keine Schwierigkeiten damit, einzige Frau unter Männern zu sein und kann ihre Identität auch ohne Probleme verbergen, verschwendet kaum mehr einen zweiten Gedanken daran. Feministisch ist dieses Buch wirklich nicht.
Auch über die Hofreitschule selbst wird kaum berichtet und was erzählt wurde, hat mich nicht überzeugt. Es gibt nur wenige Szenen in denen Irma reitet – viel lieber wird ihre Vergangenheit, ihr Liebesleben und die Probleme des Gestüts ihrer Mutter diskutiert. Und was man sieht, ist problematisch.
Die Grundlagen stimmen – es wird über die Haltung der Hengste gesprochen, auf welchen Grundsätzen die Reitlehre beruht und wie die Eleven ausgebildet werden. Aber es kann doch nicht sein, dass Irma, die ach so tierfreundlich ist und angeblich in einigen Punkten weiter ist als die anderen Eleven, mit ihrem fünfjährigen Hengst bereits piaffiert und der Ausbilder sie dafür auch noch lobt. Das entspricht überhaupt nicht der Ausbildungsskala und der Herangehensweise der Hofreitschule, den Pferden Zeit für physische und geistige Entwicklung zu lassen. Mit fünf Jahren piaffieren an der Hand beginnen - meinetwegen. Aber schon eine perfekte Piaffe unter dem Reiter verlangen? Gerade mit dem heutigen Problem von zu jung eingerittenen Pferden sollte anders an so ein Thema herangegangen werden.
Es wird auch betont, dass Irma die Grundlagen fehlen, aber natürlich muss sie bereits von Anfang an die schwersten Lektionen perfekt zeigen können. Da fehlt mir der reiterliche Hintergrund. Kritisch finde ich auch den Punkt über Tierquälerei in der Hofreitschule. Das ist ein Thema, was durchaus thematisiert werden könnte, da die hohe Schule nicht nur von manchen Nichtreitern als Tierquälerei angesehen wird. Aber so, wie hier damit umgegangen wurde, halte ich es nicht für sinnvoll. Die tatsächlich interessanten Aspekte wurden mit keinem Wort angesprochen, die vorliegende Situation war unrealistisch und einfach unglaublich gestellt.
Was mich richtig gestört hat, ist der romantische Aspekt. Irma ist eine Frau unter vielen Männern (auch wenn diese davon nichts wissen). Aus rein dramaturgischen Gründen musste sie sich natürlich in jemanden verlieben. Aber die ganze Umsetzung… nein. Abgesehen von der Verschiebung des Machtverhältnisses spürt der entsprechende Herr natürlich auch eine ganz besondere Verbindung zu diesem jungen Mann, nutzt jede Gelegenheit, ihn unauffällig zu berühren – aber natürlich wird betont, dass er nicht homosexuell und diese Verbindung auf keinen Fall romantischer Art ist. Jedenfalls, bis dann doch rauskommt, dass Irma eine Frau ist, da wird es plötzlich ganz schnell doch romantisch. Dieser Punkt wird sehr gerne bei solchen Geschichten angesprochen. In den meisten Fällen finde ich die Kritik etwas übertrieben. Aber in diesem Buch war es lächerlich auffällig.
Was ich für keinen großen Spoiler halte, ist, dass Irmas Identität natürlich irgendwann doch öffentlich wird. Aber die Art und Weise wie das geschieht, halte ich einfach für dumm. Und wie dann damit umgegangen wird – zu dem Punkt hat die Geschichte mich endgültig verloren. Einerseits in Bezug auf die Romantik – man sollte ja meinen, dass man nach langer gemeinsamer Zusammenarbeit ein gewisses Vertrauen aufgebaut hat und bereit wäre, ein gewisses Risiko einzugehen. Aber der Entdecker des Geheimnisses verschwendet kaum einen zweiten Gedanken daran, was Irma für Gründe gehabt haben könnte und hat offensichtlich weniger Gefühle als ein Stein. Aber wenn dann auch noch Sissi auftaucht, wird es einfach nur lächerlich.
Apropos. Ja, wir befinden uns in der Hofreitschule. Aber das heißt wirklich nicht, dass plötzlich an jeder Ecke Sissi auftauchen und mitmischen muss. Eine kleine Szene hätte ich akzeptiert – aber sie hat eine tatsächliche Rolle gespielt und das hat mich nicht überzeugt.
Insgesamt hat mir aber gerade die Aufdeckung von Irmas Geheimnis gezeigt, wie wenig feministisch das Buch eigentlich ist. Niemand hinterfragt die bestehenden Strukturen oder überlegt wenigstens, ob man das Geheimnis einfach unter den Tisch kehren und vergessen könnte. Charaktere, die vorher als so großherzig und modern dargestellt wurden, akzeptieren die Situation mit einem Schulterzucken und sind vollkommen bereit, Irma rauszuschmeißen. Es ergibt einfach überhaupt keinen Sinn.
Wenn man das so gewollt hätte, gäbe es einige andere Charaktere, die das Geheimnis besser herausgefunden hätten, so dass es auch tatsächlich zusammenpasst.
Wen ich aber mochte, waren Johann und Mizzi. Beide waren richtig sympathisch. Mizzi war dazu auch noch ein recht interessanter Charakter, aber ich konnte sie bis zum Ende nicht wirklich einschätzen. Ihre Ausdrucksweise hat nicht ganz in die Zeit gepasst, aber dann wiederum weiß ich nicht genug über diese Persönlichkeit, um zu kritisieren, wie die Autorin sie vorgestellt hat.
Das Ende vom Buch hat mich einfach nur noch richtig geärgert. Sowohl in Bezug auf Irmas Dasein an der Hofreitschule und ihre Bereiterausbildung, als auch in Bezug auf ihre persönlichen Hintergründe. Bei beidem hatte das Ende überhaupt keinen Mehrwert und ein großer Anteil des Buches wurde für mich dadurch ganz einfach ruiniert. Es hat keinen Sinn ergeben, hat nicht die vorherigen Charakterisierungen der einzelnen Personen widergespiegelt, sondern einfach was völlig neues und unpassendes eingebracht.
Dazu war mir das Ende zu sehr Friede, Freude, Eierkuchen. Sämtliche Probleme wurden mit einem Fingerschnipsen gelöst, alle haben sich vertragen. Irma hat nichts dafür getan, alles wurde ihr geschenkt. Pures Glück. Mit solchen Büchern kann ich wenig anfangen, das ist mir schlichtweg zu unrealistisch.
Insgesamt kann ich also sagen – das Buch war komplett anders, als erwartet. Wer eine überdramatisierte historisch angehauchte Romanze möchte, könnte damit seine Freude haben, aber wer das Buch wegen des Settings und den tatsächlichen geschichtlichen Hintergründen liest, könnte enttäuscht werden.
Leider hat es mich nicht überzeugt.
Vielen Dank an NetGalley und den dtv-Verlag für ein Rezensionsexemplar im Gegenzug zu einer ehrlichen Rezension.