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Veröffentlicht am 19.02.2022

Reise zur Mitte des Lebens

Weil wir träumten
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Madagaskar - wer denkt bei der Insel im Indischen Ozean nicht unwillkürlich an Palmen, Strand, Meer, sowie an Lemuren und Affenbrotbäume. Doch die Menschen auf der Insel leiden durch den Klimawandel immer ...

Madagaskar - wer denkt bei der Insel im Indischen Ozean nicht unwillkürlich an Palmen, Strand, Meer, sowie an Lemuren und Affenbrotbäume. Doch die Menschen auf der Insel leiden durch den Klimawandel immer mehr und mehr an Hunger und der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist eklatant.

Die schwer herzkranke Emma wünscht sich nichts sehnlicher, als eine Reise zur Mitte des Lebens. Für sie ist das der Urwald Madagskars. Der Wunsch geht für die 16jährige in Erfüllung, als ihre Urgroßmutter Elise sie für drei Wochen auf die Insel begleitet. Das wunderbare Setting hat mich sofort gefangen genommen. Doch die Autorin zeigt vorallem auch die andere Seite Madagaskars - ein Leben voller Armut, Hunger und Gewalt.
Als Emma die etwa gleichaltrige Fy kennenlernt, fühlen sich die beiden voneinander angezogen und eine tiefe Freundschaft entsteht.

Erzählt wird hauptsächlich aus zwei wechselnden Perspektiven, jeweils aus der Ich-Perspektive. Dabei schreibt Emma ihre Erlebnisse in eine Art Reisetagebuch, während Fy ihre Geschichte ihrem Baby Onja erzählt. Während Emma zu Beginn noch die Annehmlichkeiten der europäischen Touristen genießt, lernt sie durch Fy die andere Seite kennen. Fy lebt in Armut und kämpft täglich um ihr Leben und das ihrer Familie. Durch sie erfährt Emma von den Schattenseiten der Insel, wie Gewalt, Missbrauch und Kinderarbeit.
Mit Fy habe ich mitgelitten, besonders als sie einen Schicksalsschlag nach dem anderen erlebt und das obwohl sie kaum etwas hat, um für sich und ihr Kind zu sorgen.

Zitat von Antonia Michaelis:
„Es geht in meinem Buch darum, dass wir immer nur das sehen, was wir sehen sollen. Die malerische Armut, das romantische Drittweltland, die hübschen Afrikaner in der Wüste, die schönen fremden Kulturen. Und das, was eigentlich im Argen ist, sehen wir nicht, wollen wir nicht sehen, lassen wir einfach links liegen. Das ist ja so schön einfach.“

Emmas Handlungen konnte ich nicht immer verstehen und oftmals hätte ich sie am liebsten geschüttelt. Hier kommt sicher auch mein Alter durch, denn ihre oftmals kindischen Aktionen konnte ich nicht nachvollziehen, denn es hätten sich auch einige andere Lösungen gefunden. Auf der anderen Seite fühlt sich die immer überbehütete Emma erstmals wie ein "normaler" Mensch, ohne dass jemand von ihren gesundheitlichen Einschränkungen weiß. Ihre Kindheit hat sie großteils im Krankenhaus verbracht und konnte nie wie ein normales Kind leben. Dass sie dieses Gefühl auskosten will, kann ich wiederum sehr gut verstehen.
Emmas Gedankenwelt und Gefühle werden besonders im letzten Drittel sehr eindringlich beschrieben. Sie ist auf der Suche nach dem echten Leben, nach Intensität und Liebe - alles Dinge, die ihr bisher verwehrt blieben. Und trotzdem fand ich Emmas selbstlose und unsagbar dummen Aktionen, um Fy und ihrer Familie zu helfen, für meinen Geschmack zu übertrieben. Die Entwicklung, die sie während ihrer Zeit in Madagaskar durchmacht, ist jedoch deutlich zu erkennen.
Die Autorin überrascht uns auch mit einigen unvorhergesehenen Wendungen, die der Geschichte noch mehr Spannung gibt.

Die Welt der Geister und der Träume hat bei den Madagassen eine sehr große Bedeutung und erhalten auch in der Geschichte viel Raum. Durch den poetischen und oftmals märchenhaften Schreibstil der Autorin fühlt man sich oftmals ebenfalls in einer Art Traumwelt, aus der man unsanft in die harte Wirklichkeit geschubst wird. Denn Antonia Michaelis greift viele Themen, wie das Recht auf Bildung, Zwangsprostitution, Gewalt, Armut, Hunger, Krankheit, Tod, Mord, Gefängnis, Missbrauch und Kinderarbeit auf. Diese schweren Themen gehen unter die Haut.
Die Autorin hat selbst zwei Jahre lang mit ihrer Familie auf Madagaskar gelebt. Wir bekommen durch sie hervorragende Eindrücke von der Insel und der dortigen Lebenssituation. Sie hat ihre Geschichte rund um Emma und Fy durch Erzählungen und ihrer eigenen Erfahrungen auf der Insel entstehen lassen. Diese ist so authentisch wiedergeben, dass man meinen könnte, es sei eine wahre Geschichte.
Das Ende rührt zu Tränen und ich brauchte noch einige Zeit um alles sacken zu lassen und meine Rezension schreiben zu können.

Fazit:
"Weil wir träumten" ist ein hochemtionales Jugendbuch über eine ganz besondere Freundschaft, Mut und vielen schwierigen Themen, die man sonst nicht so oft in diesem Genre findet. Ein einfühlsamer Coming-of-Age Roman, der unter die Haut geht.

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Veröffentlicht am 18.02.2022

Mord im Eislaufverein

Mord auf dem Eis
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"Mord auf dem Eis" ist der sechste Fall rund um die pensionierte Lehrerin Ernestine Kirsch und ihrem Freund Anton Böck.
Beate Maly entführt uns diesmal zum Wiener Eislaufverein. Wir schreiben das Jahr ...

"Mord auf dem Eis" ist der sechste Fall rund um die pensionierte Lehrerin Ernestine Kirsch und ihrem Freund Anton Böck.
Beate Maly entführt uns diesmal zum Wiener Eislaufverein. Wir schreiben das Jahr 1924. Die Vorweihnachtszeit lässt die Menschen ein bisschen die Sorgen der Nachkriegszeit vergessen und sie strömen zur Eisbahn in der Wiener Innenstadt. Auch die kleine Rosa, Antons Enkelin, lernt mit großer Begeisterung Schlittschulaufen. Ernestine überredet ihren Anton beim Rundttanz mitzumachen, wo sie auch die neuen Hoffnungsträger für die nächsten Winter-Olympiade kennenlernen. Anton lockt allerdings nur das Versprechen sich nach dem Rundtanz eine gute Nachspeise in der Kantine einzuverleiben. Während er genüßlich seine Kuchen und Torten verspeist, beobachtet Ernestine die Menschen um sich herum. Die winterliche Idylle wird jäh zerstört, als eine junge Eiskunstläuferin ermordet wird. Ernestines Neugier ist geweckt und sie versucht hinter den Kulissen mehr über die junge Frau zu erfahren. Diese scheint sich jede Menge Feinde gemacht zu haben. Ihre eigenen Interessen standen dabei immer im Vordergrund, wenn sie Vortele für sich, wie gute Trainingsstunden, herausholen konnte.
Kommissar Erich Felsberg, Heide's Freund und "Bald-Schwiegersohn" von Anton, ist nicht begeistert, dass Ernestine herumschnüffelt, auch wenn sie ihm schon bei anderen Fällen entscheidende Tipps gegeben hat. Im Kommissariat greift in letzter Zeit der Antisemitismus um sich und Erich werden von einem Kollegen immer mehr Steine in den Weg gelegt. Aber Ernestine wäre nicht Ernestine, würde sie aufgeben und so steckt sie wieder einmal ihre Nase in Angelegenheiten, die sie nichts angehen und kommt dabei den Mörder immer näher. Da passiert ein weiterer Mord....

Der historische Krimi lebt vorallem durch das sympathische Seniorenpärchen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Wiener "Miss Marple" und ihr eher schüchterner Apothekerfreund bekennen sich öffentlich noch immer nicht als Paar, obwohl sie das ehemalige Kutscherhäuschen neben der Apotheke renovieren. Anton wird in Zukunft dort mit Ernestine wohnen, während Heide und Erich mit Rosa nach der geplanten Hochzeit das Obergeschoß übernehmen. Doch Ernestine ist sich nicht sicher, ob sie wirklich ihre Eigenständigkeit aufgeben soll...

Während das Verbrechen bei dieser Reihe eher im Hintergrund steht, ist dieser Fall trotzdem spannend geschrieben und ich hatte die 257 Seiten sehr schnell gelesen. Beate Maly schreibt flüssig und sehr bildhaft.
Sie schafft es wieder ganz wunderbar die historische Stimmung und das Wiener Lokalkolorit einzufangen. Der Humor kommt ebenfalls nicht zu kurz. Die Sprache ist der Zeit angepasst. Die Kapitel sind kurz gehalten.

Besonders hervorheben möchte ich das wunderschöne Cover vom Emons Verlag, das wieder im Jugendstil gehalten ist und hervorragend zu den Vorgängerbänden passt. Für mich ist es bisher das schönste Cover der Reihe.

Fazit:
Ich mag das rüstige Schnüfflerpärchen und die Reihe sehr, wobei die einzelnen Teile doch sehr unterschiedlich sind. Diesen Teil fand ich wirklich gelungen und spannend und die Atmosphäre auf der Wiener Kunsteislaufbahn wurde fantastisch eingefangen. Für mich der bisher beste Teil der Reihe.

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Veröffentlicht am 16.02.2022

Familiengeschichte mit vielen Themen

Der Friesenhof
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Ostfriesland - für mich ein unbeschriebenes Blatt. Bisher habe ich diese Gegend nur buchtechnisch bereist, aber leider nicht im richtigen Leben. Marschland ist mir bergverwöhnte Österreicherin völlig unbekannt.
Fenja ...

Ostfriesland - für mich ein unbeschriebenes Blatt. Bisher habe ich diese Gegend nur buchtechnisch bereist, aber leider nicht im richtigen Leben. Marschland ist mir bergverwöhnte Österreicherin völlig unbekannt.
Fenja Lüders bringt mir mit ihrem neuen Roman "Der Friesenhof - Auf neuen Wegen" diese Gegend näher.

Leider haben wir hier wieder einen Klappentext, der nicht wirklich zum Inhalt des Buches passt. Das Thema Tee ist kaum oder nur wenig behandelt. Vielmehr geht es um den titelgebenden Friesenhof und das bäuerliche Leben nach dem Krieg. Und es steht auch nicht Gesa im Mittelpunkt, sondern viel mehr ihre jüngere Schwester Hanna.
Die Geschichte beginnt mit dem Tod des Vaters, Onno de Vries, der plötzlich und unerwartet an einer Blutvergiftung stirbt. Es bleiben seine Ehefrau und die gemeinsamen Töchter Gesa und Hanna, sowie die alte Tanti übrig. Der einzige Sohn blieb im Krieg. Zu dieser Zeit ist es üblich, dass nur ein männliches Oberhaupt den Hof weiterführen soll und der Streit ums Erbe beginnt. Günther, der Mann der dritten Schwester Helga, beansprucht den Hof für sich. Sollten die Familie sein Ansinnen ablehnen, besteht er auf die Auszahlung des Erbes von Helga, welches Günther bei der Hochzeit als unzureichend fand. Hanna und Gesa sind empört und versuchen alles, damit ihr Schwager den Hof nicht bekommt. Während Hanna gemeinsam mit den Knechten und Flüchtlingsfrauen den Hof so gut es geht bewirtschaftet, versucht Gesa auswärts zusätzlich Geld zu verdienen. Doch die Vorurteile sind groß und die eingefahrenen Ansichten der Dörfler nur schwer zu vertreiben. Können sie den Hof retten?

Fenja Lüders erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Gesa und Hanna, wobei nicht die im Klappentext erwähnte Gesa im Vordergrund steht, sondern Hanna. Das hat mich bereits bei der Leseprobe etwas verwirrt, ist aber eigentlich egal.
Was mich viel mehr störte, war der Tee, der nur am Rande vorkam. Der Untertitel "Die Teehändler-Saga" lässt einen anderen Inhalt erwarten, wobei wieder der Titel "Der Friesenhof" perfekt zur Geschichte passt. Irgendetwas ist da beim Verlag schief gelaufen, denn der Leser hat andere Erwartungen an die Geschichte. Das ist schade, denn die Handlung lässt sich sehr flüssig lesen und wir erleben einige interessante und spannende Vorfälle, die mich das Buch kaum aus der Hand legen ließ.

Die Autorin greift in ihrer Geschichte eine Vielzahl von Themen auf. Dies sind vorallem die gesellschaftlichen Rollenbilder der damaligen Zeit, aber auch das Schicksal von Fremdarbeitern, die Nachwirkungen des Nationalsozialismuses bis hin zu sexuellem Missbrauch.
Hingegen vermisst habe ich die Einblicke in den Teehandel. Die Abschnitte rund um Gesa im Teekontor greifen zwar das Thema auf, aber schon bald rückt die Liebesgeschichte in den Vordergrund. Diese konnte mich leider nicht richtig abholen. Der bereits verheiratete Keno war mir nicht wirklich sympathisch. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass Gesa innerhalb weniger Wochen die richtige Ostfriesenmischung beherrscht, womit andere Jahre benötigen.

Besonders gut umgesetzt fand ich hingegen die anhaltende Feindlichkeit und die Vorurteile gegenüber den ehemaligen Fremdarbeitern. Wie tief diese Vorurteile verwurzelt sind erleben wir an Tomek, der Knecht auf dem Friesenhof ist. Nach Kriegsende kehrt er nicht nach Polen zurück, sondern er sieht seine Zukunft in Deutschland. Dies liegt nicht nur daran, dass alle seine Familienangehörigen tot sind, sondern auch an Hanna. Doch eine Beziehung zwischen einen Fremdarbeiter und einer Bauerntochter ist unmöglich.

Wenn ich auch einige Kritikpunkte habe - die Autorin konnte trotzallem mit ihrem wunderbaren Schreibstil punkten. Die Geschichte liest sich flüssig und bildhaft. Ebenso hat Fenja Lüders viel Lokalkolorit einfließen lassen. Die Nachkriegszeit wurde sehr treffend dargestellt und man muss hier oftmals kräftig schlucken, wenn die Auswüchse des braunen Mobs noch immer vorhanden sind.
Die zahlreichen Charaktere wurden authentisch dargestellt, obwohl manche etwas eindimensional und schwarz-weiß gezeichnet wurden.

Fazit:
Der Auftakt der neuen Teehändler-Saga von Fenja Lüders lässt mich etwas zwiegespalten zurück. Der Klappentext verspricht eine andere Geschichte, als wir sie tatsächlich erhalten. Wer sich darauf einlässt nur wenig Tee zu finden, bekommt eine turbulente, teils tragische Familiengeschichte präsentiert, die viele andere Themen aufzeigt und von einer schwierigen Zeit erzählt. Die Geschichte rund um Gesa konnte mich allerdings trotzdem nicht wirklich begeistern, während ich Hanna ins Herz geschlossen habe.

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Veröffentlicht am 15.02.2022

Mordsfreunde

In ewiger Freundschaft (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 10)
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Nach etwas längerer Zeit ist endlich wieder ein Taunus-Krimi von Nele Neuhaus erschienen. Es ist der bereits zehnte Fall von Pia Sander, ehemalige Kirchhoff, und Oliver von Bodenstein. Ehrlich gesagt habe ...

Nach etwas längerer Zeit ist endlich wieder ein Taunus-Krimi von Nele Neuhaus erschienen. Es ist der bereits zehnte Fall von Pia Sander, ehemalige Kirchhoff, und Oliver von Bodenstein. Ehrlich gesagt habe ich das sympathische Team schon sehr vermisst.

Vermisst wird auch die bekannte Agentin Heike Wersch, die seit Jahrzehnten beim Winterscheid Verlag arbeitet. Als Pia sich zum Haus von Heike Wersch begibt, findet sie einen alten angeketteten Mann im Obergeschoß und Blutspuren in der Küche. Die Frau bleibt allerdings zuerst verschwunden und Pia und Oliver suchen verzweifelt nach der Gefangenen oder ihrer Leiche.
Heike Wersch war keine sehr beliebte Zeitgenossin. Als die langjährige Mitarbeiterin des Verlages gekündigt wird, wirft sie ihrem Autor Severin Velten ein Plagiatsvergehen vor. Somit fällt der erste Verdacht auf den Erfolgsautor, der untergetaucht zu sein scheint. Er war jedoch nicht der Einzige, den sie beleidigt oder Steine vor die Füße geworfen hat. Daher gibt es mehr als genug Verdächtige, die Heike Wersch am liebsten eine Lektion erteilt hätten. Als die Leiche der Frau gefunden wird und ein weiterer Mord geschieht, stoßen Pia und Oliver auf ein gut gehütetes Geheimnis...

Auch diesmal haben wir wieder einen Strang aus der Vergangenheit, der in den Achziger Jahren spielt. Carl Winterscheid, der neue Chef des Verlages, wird ein Manuskript zugespielt, das angeblich seine verstorbene Mutter geschrieben hat. Dieses ist allerdings unvollständig und scheint eine wahre Geschichte zu erzählen - eine, bei der es um Mord geht. Eine fest verbandelte Jugend-Clique verbringt jedes Jahr die Sommerferien in einem Haus in Frankreich. 1983 kommt jedoch einer von ihnen, Götz Winterscheid, zu Tode. Einige wenige Seiten dieses Manuskriptes, das wie ein Tagebuch geschrieben ist, erhalten auch andere Verlagsmitarbeiter, die Mitglieder dieser Freundesclique waren. Doch warum? Und wer hatte dieses Manuskript jahrelang bei sich?

Nele Neuhaus lässt den Leser mit ihrem neuen Kriminalfall etwas tiefer in die Verlagsbranche blicken. Vergeistigte Autoren, deren Zenit schon lange überschritten ist und die denken ohne sie geht der Verlag zugrunde, werden ebenso thematisiert, wie der Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Anspruch. Das fand ich ziemlich spannend. Außerdem greift die Autorin eine witzige Idee auf. Sie lässt Henning Kirchhoff, Pias Exmann und Pathologe, als neuen Stern am Autorenhimmel aufsteigen. Er veröffentlicht im Winterfeld Verlag gerade seinen zweiten Krimi, der denselben Titel trägt wie das Buch aus der Taunusreihe der Autorin. Eine witzige Idee.

Während sich die Ermittlungen zuerst mangels Anhaltspunkten schwierig gestalten, werden sie zum Ende hin richtig spannend. Ab der Mitte werden die familiären Verwicklungen immer komplizierter und gehen langsam in die Richtung, die uns aufzeigt, worum es hier eigentlich geht. Liebe, Neid und Enttäuschungen sind zentrale Themen im Buch. Der Spruch "Der Feind meines Feindes ist mein Freund " gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Besonders gut gefallen haben mir Carl Winterscheid, der neue Verlagschef, der aber auch durchaus zu den Verdächtigen zählt, sowie Hennings Lektorin, Julia Bremora. Sie teilt so manche Erkenntnisse mit dem Leser, auf die die Ermittler erst noch kommen müssen. Nele Neuhaus erzählt nämlich nicht nur aus der Sicht von Pia und Oliver, sondern auch aus der Julias, was die Spannung deutlich erhöht.
Allerdings greift die Autorin auch auf einen alten Fehler zurück, der besonders in ihren ersten Werken auftritt: zu viele Figuren. Trotzdem hatte ich diesmal kaum Probleme die Charaktere zuzuordnen. Das Personenverzeichnis zu Beginn des Romans ist ebenfalls hilfreich.

Es gibt auch wieder viele Einblicke ins Privatleben der Ermittler, wobei es diesmal fast ausschließlich um Oliver von Bodenstein geht. Seine zweite Ehe scheint ebenfalls zu scheitern und seine erste Frau Cosima ist schwer erkrankt.

Der Schreibstil war wie gewohnt flüssig und detailliert. Der Fall ist ziemlich komplex. Man spürt die vielen Seiten kaum, auch wenn in der Mitte einige Längen aufkommen. Das äußerst rasante Ende hat mich an die Seiten gefesselt und gipfelt in einem Showdown, der mir sehr gut gefallen hat.

Fazit:
Der komplexe Jubiläumskrimi spielt diesmal in der Verlagsbranche. Als langjährige Leserin der Autorin hatte ich wieder viel Freude mit ihrem neuen Krimi und den sympathischen Ermitllern. Trotz kleiner Längen in der Mitte ist die Geschichte allen Pia Sander und Oliver von Bodenstein Fans zu empfehlen - und allen, die es noch werden wollen.

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Veröffentlicht am 12.02.2022

Anfänge der Klinik Waldfriede

Sternstunde
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Nachdem ich die letzte Reihe von Corina Bomann noch nicht gelesen habe, freute ich mich sehr auf ihre neue Tetralogie rund um die Waldfriede Klinik in Berlin. Inspiriert von ihrem eigenem Aufenthalt und ...

Nachdem ich die letzte Reihe von Corina Bomann noch nicht gelesen habe, freute ich mich sehr auf ihre neue Tetralogie rund um die Waldfriede Klinik in Berlin. Inspiriert von ihrem eigenem Aufenthalt und den teilweise sehr gut erhaltenen und großzügigen Niederschriften über die Anfänge der Klinik, hat Carina Bomann sich das Waldfriede als Setting für ihre Reihe vorgenommen.

Die junge Adventistin Hanna arbeitet als Krankenschwester im Sanatorium Friedensau. Erst vor kurzem hat sie ihren Verlobten Martin an den Krieg verloren und leidet seitdem an einem Trauma. Bei jedem schwerverletzten Mann bekommt sie Panikattacken und sieht wieder Martin vor sich, was für eine Krankenschwester nicht wirklich hilfreich ist. Doch dann bekommt Hanna ein Angebot von Doktor Conradi, der in Zehlendorf eine neue Klinik aufbauen möchte. Er bietet ihr einen Platz im Klinikum Waldfriede und einen Kurs zur Röntgenassistentin an. Sie käme nicht mit schwerverletzten Männern zusammen und Doktor Conradi hätte eine fähige Schwester in seiner neuen Klinik. Doch als Hanna nach Waldfriede kommt, ist das ehemalige Kriegslazarett in einem schlimmen Zustand. Schimmel und Dreck, sowie verfallene Gemäuer sind nicht gerade einladend. Es gibt noch jede Menge zu tun bis das Haus überhaupt eröffnen kann. Hanna muss Böden und Schränke schrubben und Betten reparieren. Zusätzlich muss Dr. Conradi gegen so einige Intrigen ankämpfen und der Gemeinde innerhalb von zwei Jahren einen gut laufenden Betrieb prasentieren. Trotz der harten Arbeit und den kärglichen Mahlzeiten, strengen moralischen Regeln und kaum Freizeit fühlt sich Hanna in Waldfriede wie zuhause. Sie wird Sprechstundenhilfe von Doktor Conradi und Röntgenschwester auf den neuen Röntgengeräten, die damals erst in wenigen Kliniken vorhanden sind. Beiden liegt das Wohl der Patienten sehr am Herzen, beide leben für ihre Arbeit und für das Krankenhaus. Hanna genießt das gute Verhältnis und Vertrauen zu ihrem Chef, das ihr allerdings nicht nur Sympathie bei den Kolleginnen einbringt.
Mit der Zeit verblasst das Bild ihres Verlobten immer mehr. Als der sympathische neue Arzt Alexander im Haus Waldfriede anfängt, steht Hanna bald vor der Wahl: Beruf oder Liebe. Als Adventistin gibt es nur die Möglichkeit Oberschwester und unverheiratet zu sein oder durch die Heirat den Beruf aufzugeben. Aber Hannas Herz hängt auch noch am attraktiven, aber verheirateten Dr. Conradi.....

Der erste Band spielt von 1916 bis 1929. Corina Bomann erzählt ihre Geschichte aus zwei Perspektiven und zwar aus der von Hanna und der von Dr. Louis Conradi, den tatsächlichen Gründer der Waldfriede Klinik. Die beiden Erzählperspektiven geben einen guten Einblick auf die Sicht des Arztes und seinen Bestrebungen eine Klinik zu betreiben, die ihresgleichen sucht. Zusätzlich erfahren wir mehr aus der Perspektive von Hanna Richter, die zwar eine fiktive Figur ist, aber an die Krankenschwester Hanna Rinder angelehnt ist. Diese hat in ihren Aufzeichnungen viele Informationen hinterlassen, die den Alltag und den Ablauf in der Klinik beschreiben.

Corina Bomann hat diese schwere Zeit des Aufbaus sehr gut dargestellt. Durch die Inflation verschwand der Wert des Geldes in Rekordtempo und die Adventisten waren oftmals auf die Hilfe ihres "Mutterhauses" angwiesen. Die Schwestern bekamen als Bezahlung Kost und Logis und konnten sich nicht einmal neue Schuhe oder Kleider kaufen. Gegessen und geschlafen wurde ebenfalls in der Klinik. Der medizinische Fortschritt dieser Zeit zeigt sich besonders durch einen Aufenthalt von Dr. Conradi in Amerika.

Der Schreibstil lässt sich wie immer flüssig und angenehm lesen. Man fliegt nur so durch die 600 Seiten. Die Charaktere sind sehr lebendig dargestellt und ich hatte von allen ein richtiges Bild im Kopf. An manchen Stellen hätte ich mir allerdings noch ein bisschen mehr Spannung gewünscht. Der Klappentext erwähnt viele Hindernisse, die Dr. Conradi beim Aufbau der Klinik bewältigen muss. Die gibt es auch, doch lösten sich diese für meine Begriffe zu schnell auf oder verliefen im Sand. Erst direkt durch die Nachfrage bei der Autorin bei der Leserunde habe ich dann erfahren, dass es dazu noch einige weiterführende Handlungen in den kommenden Teilen geben wird. Wenn man das nicht weiß, fehlen einem einige Informationen....

Noch heute ist der Träger der Klinik die evangelische Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten. Mir war diese Glaubensgemeinschaft bis heute unbekannt, die in Amerika von einer Frau gegründet wurde. Die Mitglieder sind sehr gläubig und halten wie die Juden am Samstag Sabbat ab.

Fazit:
Vier Sterne für diesen interessanten Auftaktband. Das Datum der Veröffentlichung des zweiten Bandes habe ich mir bereits notiert, denn ich möchte natürlich auch über die Kinderschwester Lilly, sowie über die weiteren Jahre im Haus Waldfriede erfahren.

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