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Veröffentlicht am 04.07.2024

Ein absolutes Highlight!

Wir waren nur Mädchen
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Diese Romanbiografie über die niederländische Widerstandskämpferin Hannie Schaft ist mir bereits in der Vorschau aufgefallen, denn die Inhaltsangabe hat sofort mein Interesse geweckt.

Obwohl ich viele ...

Diese Romanbiografie über die niederländische Widerstandskämpferin Hannie Schaft ist mir bereits in der Vorschau aufgefallen, denn die Inhaltsangabe hat sofort mein Interesse geweckt.

Obwohl ich viele Bücher über den Holocaust und den zweiten Weltkrieg gelesen habe, war mir Hannie Schaft nicht bekannt. Ich wusste auch nicht wirklich viel über den Widerstand in den Niederlanden.

Die Geschichte beginnt eher ruhig mit dem Kennenlernen von Hannie, eigentlich Johanna, die Jura in Amsterdam studiert. Sie ist eine eher schüchterne junge Frau, die in den Mitstudentinnen Philine und Sonja endlich zwei Freundinnen gefunden hat. Alle drei haben ehrgeizige Pläne, die durch den Einnmarsch der Deutschen Truppen in den Niederlanden jäh zerstört werden. Philine und Sonja sind Jüdinnen und werden der Universität verwiesen. Hannie weigert sich die Verpflichtungserklärung des Deutschen Reiches zu unterzeichen und gibt ihr Studium, wie der Großteil der niederländischen Student:innen, auf. Besorgt um die Sicherheit ihrer Freundinnen versteckt sie Philine und Sonja bei ihren Eltern in Haarlem und schließt sich der bewaffneten Widerstandsgruppe RVV (Raad van Verzet) an. Zunächst sind es Botengänge und kleinere Diebstähle, doch schon bald bekommt Hannie auch Aufträge für Anschläge und Morde an hochrangigen Nazi-Offizieren. Die jugendlichen Schwestern Truus und Freddie Oversteegen und ihr "Lehrer" Jan Bonekamp sind dabei ihre engsten Freunde und Mitstreiter. Mit Jan verbindet sie auch bald mehr und ihre Aufträge werden immer gefährlicher....

Buzzy Jackson hat sich dem Leben der leider viel zu unbekannten Widerstandskämpferin Hannie Schaft, dem Mädchen mit den roten Haaren, angenommen. Der Roman wird in vier Teilen aus der Sicht von Hannie erzählt, ist ungeschönt und auch schwere Kost. Beim Lesen kommt man Hannie sehr nahe und je weiter die Seitenzahl steigt, umso bedrückender wird es. Man fühlt die Auswegslosigkeit und die Wut, die Hannie immer wieder dazu bringt, nicht aufzugeben. Dabei greift sie auch zu radikalen Mitteln, was mir nicht immer gefallen hat. Trotzdem empfinde ich für diese junge Frau große Empathie, die sich für die Freiheit ihres Volkes eingesetzt hat.

Im Wesentlichen erinnert mich die Geschichte an einem Farbverlauf von hell zu dunkel. Der Beginn erzählt, wie Hannie, eine erfolgreiche Jurastudentin, von ihrer Zukunft träumt, die jäh zerstört wird, als die Deutschen die Niederlande einnehmen. Ganz langsam, aber stetig übernehmen sie das Land und ihre Einwohner. Zuerst mit verdeckten Mitteln, später immer offensichtlicher, werden die Einschränkungen für die Niederländer immer mehr. Tyrannei, Verfolgung, Unterdrückung, Deportation, sinnlose Tötungen - bis in den letzten Jahren der Hunger überhand nimmt und besonders im Hungerwinter 1944/45 grausam zuschägt. Es ist eine Geschichte, die viele Menschen zu dieser Zeit erfahren mussten.

Besonders das letzte Drittel des Romans ist sehr bewegend und hat mich tief berührt. Obwohl ich schon sehr viele Bücher zu diesem Thema gelesen habe, verlangt die Lektüre dem Leser einiges ab. Die Vergeltungsmaßnahmen, die im Gegenzug zu den Widerstandsaktionen durchgeführt wurden, die Grausamkeiten der deutschen Wehrmachtssoldaten und ganz besonders die Beschreibung der Folter am Ende des Buches, sind nicht einfach zu lesen.

Trotz der erschütternden Geschichte liest sich dieser biografischer Roman, in dem die Autorin Wahrheit und Fiktion vereint hat, sehr flüssig. Die holländischen Ausdrücke und Phrasen, die verwendet werden, sind kursiv gedruckt und werden sofort übersetzt.
Buzzy Jackson hat hervorragend recherchiert und mit der kurzen Lebensgeschichte der Hannie Schaft ein weiteres Andenken an diese außergewöhnliche Frau geschaffen, die in ihrem Heimatland unvergessen ist. Auch wenn ich in vielen Situationen nicht wie Hannie hätte handeln können, ist ihr Mut und ihr starker Wille für die Freiheit zu kämpfen bemerkenswert.
Auf jeden Fall sollte man noch das Nachwort und die Anmerkung der Autorin lesen.
Unwillkürlich fragt man sich selbst: Wie weit würde ich gehen? Und was würde ich in dieser Situation tun?

Fazit:
Ein sehr bewegender Roman über das Leben der niederländischen Widerstandskämpferin Hannie Schaft - hervorragend recherchiert und grandios erzählt. Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 02.07.2024

Fuchs und Nachtigall

Eifelfrauen: Der Ruf der Nachtigall
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Altenburg 1945. Der Krieg ist zu Ende, doch die Bevölkerung leidet noch unter den Nachkriegwehen. Hunger und die Anwesenheit der Besatzer lässt die Menschen - nicht nur in der Eifel - auf bessere Zeiten ...

Altenburg 1945. Der Krieg ist zu Ende, doch die Bevölkerung leidet noch unter den Nachkriegwehen. Hunger und die Anwesenheit der Besatzer lässt die Menschen - nicht nur in der Eifel - auf bessere Zeiten hoffen.

Im zweiten Band der Dilogie "Eifelfrauen - Der Ruf der Nachtigall" stehen Klara und Mia, die Töchter von Johanna, im Fokus. Unterschiedlich wie Tag und Nacht, jedoch unzertrennlich, lieben sie das Leben auf dem Land. Die schüchterne Klara liebt die Musik und singt wie die titelgebende Nachtigall. Mia hingegen geht auf die Menschen zu, ist praktisch veranlagt und hat ein Gespür für Zahlen. Als es einen Tanzabend in Kätts Gasthaus gibt, lernen beiden den verwegenen Tschechen Pavel Vévoda kennen. Der Musiker verdreht beiden Mädchen den Kopf und überredet Klara in Köln eine Gesangskarriere zu starten. Auch Mia zieht hinaus aus Altenburg. Sie nimmt das Angebot ihres Onkel Heinrichs an, der sie in die Fuchs Tabakwerke einführt. Heinrich und Greta fehlt es an einem Nachfolger und Mia soll ausgerechnet an den Ort, vor dem Johanna damals geflüchtet ist.
Kann der Familienzwist dadurch behoben werden? Und welchen Weg werden die beiden jungen Frauen gehen?

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Mia und Klara erzählt. So erhalten wir einen perfekten Einblick in das Gefühlsleben beider Schwestern.
Die Charaktere sind sehr lebendig dargestellt und besitzen Tiefe. Auch die Nebenfiguren wirken authentisch und einige von ihnen schließt man sehr ins Herz.
Natürlich treffen wir dabei auch auf alte Bekannte, aber auch auf neue Figuren. Ein Personenregister am Beginn des zweiten Bandes hilft bei der Orientierung, denn die Anzahl der Figuren ist doch groß.

Sehr gefallen hat mir auch der Blick hinter die Kulissen der Oper und des Bühnenbildes. Klaras Wandel von der schüchternen jungen Frau hin zu einer selbstsicheren Opernsängerin ist bemerkenswert. Sie findet in der Musik ihre innere Stärke. Nur in der Liebe scheint Klara kein Glück zu haben...
Auch Mia ist verunsichert, was die Liebe betrifft. Warum interessiert sich Simon, der Leiter der Werbeabteilung der Fuchs Tabakwerke, so detailliert für ihre Familiengeschichte?

Der Schreibstil von Brigitte Riebe ist wie immer ausdrucksstark, einfühlsam und atmosphärisch. Manchmal fand ich ihn jedoch etwas zu detailliert, denn oftmals wird in Nebensächlichkeiten abgeschweift.
Die Figuren sind sehr lebendig dargestellt und man fiebert mit ihnen mit. Die historischen Begebenheiten sind wieder perfekt in die Handlung miteinbezogen.
In der Nachkriegszeit sind besonders Themen, wie die Aufteilung in Besatzungszonen, Lebensmittelmarken, der Wiederaufbau und die juristische Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen wichtig. Geschichte, die lebendig wird, ist mir bei Romanen dieser Art ganz besonders wichtig und das beherrscht die Autorin wirklich großartig!

Fazit:
Eine tolle Fortsetzung der Eifelfrauen Dilogie, die mich sehr gut unterhalten hat und nun einen würdigen und atmosphärischen Abschluss bildet. Ich empfehle den ersten Band unbedingt vor "Der Ruf der Nachtigall" zu lesen, damit man das "Komplettpaket" noch mehr genießen kann.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Back in Grenn Valley

New Horizons
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Nun sind wir bei Band vier der Green Valley Reihe von Lilly Lucas angelangt. Natürlich kann man die Bücher auch unabhängig voneinander lesen, aber wenn man die Reihenfolge einhält, lernt man nach und nach ...

Nun sind wir bei Band vier der Green Valley Reihe von Lilly Lucas angelangt. Natürlich kann man die Bücher auch unabhängig voneinander lesen, aber wenn man die Reihenfolge einhält, lernt man nach und nach die ganze Truppe richtig kennen und man wird auch nicht gespoilert. Man bekommt nämlich immer wieder Hinweise über Vorfälle, die sich in den ersten drei Bänden ereignet haben.

Auch diesmal kennen wir bereits die Figur, die wir im vierten Band besser kennenlernen dürfen. Annie, die nach ihrem schweren Unfall im Koma lag, ist erwacht und versucht sich nun in ihrem Leben neu zu orientieren. Sie muss nicht nur wieder laufen lernen, sondern auch sprechen und essen. Natürlich möchte sie so schnell wie möglich wieder in der Autowerkstatt ihres Vaters arbeiten, doch sie muss es langsam angehen. Eine Reha soll ihr helfen, ihre Muskeln wieder aufzubauen und fit zu werden.

Netflix Serienstar Cole Jacobs kann sich nach einer peinlichen Aktion nicht mehr in LA blicken lassen und flüchtet nach Green Valley. Im Luxushotel von Wills Mutter in Vail quartiert sich der "gefallene Star" ein und trifft dort im Fitnessbereich auf Annie, die die Übungen ihrer Physiotherapeutin abarbeitet. Annie ist furchtbar genervt von diesem Typen, der immer dann im Fitnessraum trainiert, wenn sie dort ihre Ruhe haben möchte. Und Cole ist überrascht, dass er jemanden gegenübersteht, der ihn nicht erkennt. Immer wieder laufen sich die Beiden über den Weg und treffen beim alljährlichen Weihnachtskrippenspiel wieder aufeinander. Trotz einiger Meinungsverschiedenheiten sprühen trotzdem bald die Funken zwischen Annie und Cole...

Ich muss zugeben, dass mir dieser Teil der Reihe nicht so gut gefallen hat, wie die Vorgänger. Warum kann ich nicht genau sagen, aber irgendwie bin ich beiden Figuren nicht so nahe gekommen, wie den Protagonisten der ersten drei Teile. Ich finde aber, dass jeder seine eigenen Lieblingsteile der Reihe hat und diese auch unterschiedlich empfindet. Es trägt sicher auch viel dazu bei, womit man sich am besten selbst identifizieren kann oder wie sympathisch einem die Protagonisten sind.
Neben Annie und Cole treffen wir natürlich auch wieder auf altbekannte Charaktere, wobei diesmal Lena aus dem ersten Band etwas mehr im Vordergrund steht, die sich mit Annie anfreundet.

Der Charme und der Flair der Kleinstadt hat mich hingegen wieder richtig verzaubert. Genossen habe ich auch die Wortgefechte der beiden Protas, die Lilly Lucas mit einem Augenzwinkern perfekt beherrscht. Ich mag einfach ihren Humor.
Die Entwicklung der Charaktere und der Geschehnisse im Roman haben mir ebenfalls wieder gut gefallen. Und nun wird es Zeit für den fünften Band! ;)

Fazit:
Obwohl mir dieser vierte Band der Reihe nicht so gut, wie die Vorgänger gefallen hat, liebe ich diese Reihe und verbringe immer wieder gerne Zeit in Green Valley.

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Veröffentlicht am 27.06.2024

Bewegender Roman über das Artensterben

Zugvögel
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In diesem Roman befinden wir uns in einer Zukunft, die leider gar nicht mehr weit entfernt scheint, wenn wir die Klimakrise nicht unter Kontrolle bekommen. Das Artensterben ist bereits in vollem Gange. ...

In diesem Roman befinden wir uns in einer Zukunft, die leider gar nicht mehr weit entfernt scheint, wenn wir die Klimakrise nicht unter Kontrolle bekommen. Das Artensterben ist bereits in vollem Gange. Die Küstenseeschwalben sind eine der letzten Vogelarten, die noch nicht ausgestorben sind. Sie haben die längste Flugstrecke, denn sie sind der einzige Zugvogel, der in der Nordpolarregion brütet und in der Südpolarregion überwintert.

Ornithologin Franny Stones größter Wunsch ist es, diese Vögel zu begleiten. Sie schafft es Peilsender bei drei Küstenseeschwalben anzubringen. Obwohl ihr der Artenschutz sehr am Herzen liegt, kann sie nur mit einem Hochseefischerboot diese Reise starten.
"Ich erforsche die Flugrouten der Küstenseeschwalbe, unter besonderer Berücksichtigung der Frage, wie der Klimawandel ihre Fluggewohnheiten verändert." (S. 41/42)

In Ennie Malone, Kapitän eines dieser Boote, scheint sie endlich jemand gefunden zu haben, der genauso verrückt zu sein scheint, wie sie selbst. Bis sie ihn jedoch dazu überreden kann, seine Route zu ändern, dauert es. Die Fischerei liegt darnieder und es gibt nur noch wenige aktive Fischerboote. Franny weist sie deshalb darauf hin, dass die Küstenseeschwalben wissen, wo sich noch Fischschwärme aufhalten, denn sie sind auch ihre Futterquelle. Dies ist der ausschlaggebende Punkt für Kapitän Ennie Malone und seiner Crew, die Franny äußerst misstrauisch gegenüber sind. Eine gefährliche Reise Richtung Antarktis wartet auf sie....

Der Einstieg ist mir nicht sehr leicht gefallen. Nur schwer konnte ich mich mit Franny, geboren in Australien mit irischen Wurzeln, vaterlos und vom anderen Ende der Welt zurück auf die grüne Insel gebracht, identifizieren. Wie ihre Mutter ist Franny rastlos und "leidet an Wanderfüssen". Sie kann nicht allzu lange an einem Ort verweilen und ergreift eher früher als später die Flucht. Franny verspürt außerdem eine tiefe Liebe zum Meer, die ich als eher wasserscheue Person nicht wirklich nachempfinden kann. Trotzdem habe ich ihre Sehnsucht, Verzweiflung und ihren Mut immer durch die Zeilen erkennen können.

Der Weg vom Nord- zum Südpol ist die Rahmenhandlung des Romans. Während wir in der Gegenwart auf engem Raum an Bord der "Saghani" sind, erfahren wir in Rückblenden nach und nach Einzelheiten aus Frannys Leben. Sie ist jedoch eine unzuverlässige Erzählerin und führt den Leser manchmal in die Irre.
In diesen Abschnitten erfahren wir mehr über Frannys Kindheit, den Beginn einer außergewöhnlichen Liebe und einem Geheimnis, welches sie mit sich trägt.
Neben Franny sind auch die weiteren Figuren, wie Niall, Ennis und der Rest der Crew, so lebendig dargestellt, dass man das Gefühl hat, dabeizusein. Ganz besonders mochte ich den kurzen Aufenthalt am Leuchtturm in Neufundland, wo die Familie von Crew Mitglied Samuel, wohnt.

Charlotte McConaghy hat mit ihrem Debüt einen Roman erschaffen, der unter die Haut geht und nachdenklich macht. Man spürt immer wieder Frannys Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt und auch ihren eigenen, der sie schier zerreißen möchte. Man erlebt ihrem Schmerz und ihre selbstzerstörerischen Kräfte "hautnah" mit. Die Naturbeschreibungen, das Leben auf dem Schiff und die Kälte in den Eismeeren sind sehr bildhaft dargestellt. Das Artensterben ist allgegenwärtig und macht beim Lesen sehr nachdenklich. Es bleibt ein tragisches und schmerzhaftes Gefühl beim Lesen, welches mit einem kleinen Hoffnungsschimmer am Ende dann doch noch versöhnlich ist.


Fazit:
Eine bewegende und intensive Geschichte, die beim Lesen sehr starke Gefühle hervorruft. Für Natur- und Meerliebhaber ein solutes MUSS!

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Veröffentlicht am 25.06.2024

Französische Küche

Mademoiselle Marthe und die Küche der Freiheit
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Von Ulrike Renk habe ich bereits einige großartige Romane gelesen, darum war ich auf ihre neue Geschichte über Marthe Distel, der Journalistin und Gründerin der renommiertesten Kochschule, neugierig. Ich ...

Von Ulrike Renk habe ich bereits einige großartige Romane gelesen, darum war ich auf ihre neue Geschichte über Marthe Distel, der Journalistin und Gründerin der renommiertesten Kochschule, neugierig. Ich muss zugeben, dass ich selbst keine gute Köchin bin und ich habe auch noch nie von Le Cordon Bleu gehört. Umso neugieriger war ich nun mehr über Marthe Distel zu erfahren.

Marthe lebt, gemeinsam mit ihrer Mutter Julie, bei ihrer Großmutter Joséphine in den Vogesen. Der kleine Hof wird von den Frauen bewirtschaftet und so lernt Marthe bereits von klein auf zu kochen. Die Nahrungsmittel werden nach den Jahreszeiten verbraucht und die Frauen erzeugen selbst aus wenigen Zutaten ein leckeres Essen. Marthe lernt, wie man mit Rohstoffen und Lebensmittel umgeht, Vorräte anlegt und haltbar macht. Fleißig notiert sie alles in ihr Notizheft.
Julie möchte jedoch, dass Marthe eine ordentliche Schulausbildung erhält. Sie nimmt deshalb eine Stelle als Hauswirtschafterin bei einer großbürgerlichen Familie in Paris an. Marthe bekommt die Möglichkeit gemeinsam mit Florence, der Tochter des Hauses, das Lyzeum zu besuchen. Die beiden Mädchen werden - trotz des Standesunterschiedes - gute Freundinnen. Marthe möchte später unbedingt Journalistin werden, auch wenn sie weiß, dass es für Frauen besonders schwer ist, in diesem Beruf Fuß zu fassen.
Aber auch hervorragende Köchinnen, wie Julie, haben es im Paris des späten neunzehnten Jahrhunderts schwer, denn in der Stadt war der Beruf des Kochs nur Männern vorbehalten. Bald erkennt aber die Familie, welche Perle sie sich ins Haus geholt haben und Julie erhält im Haushalt eine Sonderstellung.

Der Roman erzählt lange über das Leben von Marthe als junge Frau und auch über ihre Fertigkeiten in der Küche, die sie von ihrer Mutter und Großmutter gelernt hat. Bildreich werden die einfachsten Handgriffe, wie Kartoffel schälen, Gemüse putzen oder Zwiebel schneiden beschrieben. Ohne Kühlschrank und elektrischen Herd war es damals nicht so einfach. Umso interessanter liest sich ist die Zubereitung einfacher, aber auch raffinierter Speisen, die sehr detailreich beschrieben werden. Hunger sollte man beim Lesen auf keinen Fall haben!

Die Schauplätze in Paris und in den Vogesen sind sehr bildhaft beschrieben und ich hatte das Gefühl immer mit dabei gewesen zu sein. Sehr spannend ist auch das Thema rund um die Pariser Weltausstellung und der Ablehnung des Eisenturmes von Gustav Eifel. Mit einem Schmunzeln habe ich gelesen, das geplant war den Eifelturm wieder zu entfernen.

Das Verhältnis der drei Frauen, Marthe, Julie und Joséphine, zueinander empfand ich als sehr eng - vorallem zur Großmutter. Die wechselnden Perspektiven geben dabei einen besonders guten Einblick. Allerdings dauert es relativ lange, bis wir an den Punkt kommen, der Marthe berühmt gemacht und sie ihr Wissen aus der Küche und den Journalismus miteinander verbunden hat.
Die Gründung der Kochschule kommt erst im letzten Drittel zu Sprache, was ich etwas schade fand. Dabei erfahren wir auch mehr über Marthes Vorbild, Auguste Escoffier, der die Küche und Ausbildung der männlichen Köche revolutioniert hat.

Ulrike Renk hat ihren Roman in fünf Abschnitte, benannt nach einem 5-Gänge-Menü aufgeteilt. Wir beginnen mit einem Amuse-Gueule, es folgt das Entrée und die warme Vorspeise, danach die Hauptspeise und dem anschließenden Dessert. Bon appétit!

Fazit:
Eine gelungene Erzählung über Marthe Distel, die für mich unbekannte Gründerin der berühmtesten Kochschule Le Cordon Bleu und ihr Leben. Ulrike Renk erzählt dieses in einer packenden Geschichte rund um die französische Kochkunst, die damals nur den Männern offen stand.

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