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Veröffentlicht am 29.07.2024

Leider eine Enttäuschung

Mittwochs am Meer
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Diesen Sommerroman von Alexander Oetker habe ich vor einiger Zeit bei uns im Bücherschrank gefunden. Für den Sommer passte dieses Buch von Titel und Cover her perfekt. Der Inhalt ist jedoch etwas anders, ...

Diesen Sommerroman von Alexander Oetker habe ich vor einiger Zeit bei uns im Bücherschrank gefunden. Für den Sommer passte dieses Buch von Titel und Cover her perfekt. Der Inhalt ist jedoch etwas anders, als erwartet.

Maurice ist Insolvenzverwalter und fährt für seinen neuen Auftrag jeden Mittwoch von Paris in die Bretagne. Im kleinen Ort Cancale ist ein Unternehmen Pleite gegangen, welches für die Einwohner eine maßgebliche Einnahmensquelle bedeutet hat. Die Einheimischen sind gegenüber dem stillen Pariser misstrauisch. Kann er ihre Jobs noch retten oder ist unwiederbringlich alles verloren?

Maurice checkt jedes Mal im selben Hotel ein. Doch eines Tages ist statt der alten Dame, die gewöhnlich an der Rezeption steht, eine unbekannte Frau, die Maurice sofort fasziniert. Diesmal hat es einen Buchungsfehler gegeben und das Zimmer, welches Maurice immer gebucht hat, ist nicht frei. Daher verweist sie Maurice an ein anderes Hotel und erhält am nächsten Morgen von ihr einen Gedichtband und einen Liebesbrief. Die Anziehung scheint gegenseitig gewesen zu sein und Maurice und Dominque beginnen eine leidenschaftliche Affäre. Dabei vergisst Maurice auf seine eigentliche Aufgabe und gerät bald in Schwierigkeiten...

In "Mittwochs am Meer" steht eindeutig die Liebesgeschichte im Vordergrund. Maurice hat in seiner Kindheit kaum Zuwendung und Liebe von einen Eltern erfahren. Sein Vater, ebenfalls Insolvenzverwalter, legte nur Wert auf seine Leistungen. Gefühle wurden nicht zugelassen. Durch die offenherzige Domique erfährt er plötzlich was Liebe und Leidenschaft ist und verliert sich in diesem neuen Gefühl.

Maurice plötzliche Veränderung, die neben seiner neu gefundene Liebe alles andere als unwichtig erscheinen lässt, konnte ich nicht nachvollziehen. Der kalkulierende Zahlenmensch, der für die Zukunft vieler Arbeiter der Rettungsanker sein soll, nimmt seinen Job nicht mehr wahr und verliert sich völlig in dieser Affäre. Dabei greift der Autor auch ziemlich in die Kitschkiste. Die Protagonisten blieben mir fremd. Ich konnte diese einmalige Liebe einfach nicht fühlen.
Dazu gibt es einige sehr stereotype Charaktereigenschaften und Klischees. Einzig die bildhaften Landschaftsbeschreibungen laden zum Träumen ein und man wünscht sich an die Küste der rauen Bretagne. Bei den gerade mal 176 Seiten gibt es leider auch kleine Längen. Diese Geschichte war so gar nicht meins und das Buch wandert zurück in den Bücherschrank.

Fazit:
Eine sehr klischeehafte und auch kitschige Liebesgeschichte mit Protagonisten, die mir fremd blieben. Trotz der nicht einmal 200 Seiten konnte mich "Mittwochs am Meer" nicht abholen. Sehr schade!

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Veröffentlicht am 27.07.2024

Alte Schuld

Kleine Monster
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Bei vorablesen habe ich das Buch von Jessica Lind "Kleine Monster" entdeckt. Der Klappentext hat mich angesprochen und als ich las, dass die Autorin nur 30 km von meinem Heimatort entfernt geboren wurde ...

Bei vorablesen habe ich das Buch von Jessica Lind "Kleine Monster" entdeckt. Der Klappentext hat mich angesprochen und als ich las, dass die Autorin nur 30 km von meinem Heimatort entfernt geboren wurde und im Buch auch Sankt Pöltens als Setting gewählt wurde, wusste ich, dass ich meine Punkte einlösen und diesen Roman lesen muss.
Gestern, nach Beenden des Buches, habe ich auch noch Teile eines Interviews mit Mareike Fallwickl und Jessica Lind auf Instagram gesehen, welches sehr interessant war.

In "Kleine Monster" geht es um Pia und Jakob, die von der Lehrerin ihres Sohnes in die Schule beordert werden. Ihr siebenjähriger Sohn Luca soll mit einer Mitschülerin alleine im Klassenzimmer gewesen sein und es soll etwas passiert sein. Näheres erfahren wir als Leser:innen nicht. Pia und Jakob werden aus dem Elternchat der Klasse entfernt. Sie sind sprach- und hilflos, denn auch Luca schweigt zum Vorkommnis.
Durch diesen Vorfall, der vorallem Pia sehr beunruhigt, werden Erinnerungen aus ihrer Kindheit wieder lebendig. Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass das Verhalten von Kindern widersprüchlich sein kann. Mit immer größer werdender Distanz beobachtet sie ihren Sohn und fühlt sich dabei immer schuldiger. Immer öfters erinnert sie sich an Szenen aus ihrer Kindheit. Gemeinsam mit ihrer Adoptivschwester Romi und ihrer kleinen Schwester Linda, die bei einem Unglück ums Leben gekommen ist, waren sie die "Wir drei sind eins" Mädchen. Durch das bis heute anhaltende Schweigen der Eltern über den Unfall von Linda, kommt in Pia wieder vieles hoch, was sie nicht los lässts. Doch wie zuverlässig sind Pias Erinnerungen?
Keiner der Familienmitglieder hat das Unglück richtig verarbeitet. Was ist an diesem Tag genau passiert, als Linda verunglückt ist? Warum wollte ihre Mutter nie darüber sprechen? Und wieso hat ihre Schwester Romi das Elternhaus so bald wie möglich verlassen und den Kontakt zu allen abgebrochen?

Viele dieser Fragen werden beantwortet, aber nicht alle bzw. nicht vollständig. Wer hier öfters mitliest weiß, dass ich offene Enden hasse. Trotz mancher nicht auserzählten Handlung war für mich die Geschichte trotzdem rund und passend.

Der Roman wechselt zwischen Gegenwart und der Kindheit Pias, die aus ihrer Sicht erzählt wird. In Rückblenden erleben wir Pias Gefühlswelt und die Sprachlosigkeit, die damals zwischen ihr und den Eltern herrschte. Die belastende Situation in der Gegenwart und Pias Misstrauen sind dadurch jederzeit greifbar.
Die Figuren sind lebendig und facettenreich gezeichnet. Mit Pias Handlungen war ich zum Ende hin immer weniger einverstanden, auch wenn ich ihre Unruhe verstand, ihre Handlungen aber nicht nur auf ihre traumatische Kindheit zurückführen konnte.

Jessica Lind erzählt in gefühlvoller und klarer Sprache, wie die eigene Kindheit in der neuen Familie, die man gründet, Raum einnehmen kann. Verhaltensweisen der Eltern werden übernommen oder ins Gegenteil umgekehrt. Es geht um Trauer, Schuld, fehlendes Vertrauen, Ausgrenzung, Mutter-Kind-Beziehung, zwischenmenschliche Beziehungen, Gerüchte und Verhaltensweisen. Manche Szenen sind düster und bereiten Gänsehaut.
Das Hauptaugenmerk liegt nicht, wie durch den Klappentext vermutet, in der Gegenwart, sondern eher im Vergangenheitsstrang. Dieser nimmt aber immer wieder Bezug zur aktuellen Handlung.

Das Setting war für mich spannend, weil ich selbst einige Jahre in Sankt Pölten gewohnt und auch gearbeitet habe. Viele Plätze waren für mich deshalb nicht fremd und ich hatte immer ein Bild vor Augen.

Erwähnenswert ist auch das interessante Cover mit dem Waldpanorama und dem See, der eine größere Rolle in der Geschichte spielt. Dazu ist das Bild wie ein Fenster geteilt, wo eine kleine Hand sich nach vorne schiebt. Man bekommt das Gefühl, dass dieses Kind das Fenster zu öffnen versucht.

Fazit:
Eine außergewöhnliche Geschichte auf nur 256 Seiten über Kindheitstraumata, Sprachlosigkeit und Selbstzweifel. Ich habe das Gefühl, dass dieser Roman noch lange nachhallen wird.
Die Autorin werde ich auf jeden Fall im Auge behalten und hoffen, dass sie bald in ihrer Heimatstadt eine Lesung abhalten wird.

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Veröffentlicht am 24.07.2024

Über Renaturierung und das Leben der Wölfe

Wo die Wölfe sind
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Ich muss zugeben, dass mir das Thema Wölfe mehr liegt, als die Seevögel und das Meer des ersten Romans der Autorin. Außerdem ist das Thema zur Zeit auch sehr präsent. Erst vor ein paar Tagen habe ich wieder ...

Ich muss zugeben, dass mir das Thema Wölfe mehr liegt, als die Seevögel und das Meer des ersten Romans der Autorin. Außerdem ist das Thema zur Zeit auch sehr präsent. Erst vor ein paar Tagen habe ich wieder von einer Wolfssichtung im angrenzenden Bundesland gelesen und die Meinungen dazu sind noch immer zwiegespalten und ähneln dem im Roman sehr. Denn auch in "Wo die Wölfe sind" geht es um die Wiederansiedlung dieser wunderschönen Wesen, die jedoch auch gefahren für Weidetiere bringen.

In den schottischen Highlands, den Cairngorms, sollen Wölfe wieder angesiedelt werden, um den Rothwildbestand zu regulieren und die Renaturierung der Natur und das Ökosystem wiederzustellen. Die Wolfsbiologin Inti Flynn und ihr Team statten die Wölfe mit Halsbändern und einer Nummer aus, damit sie deren Bewegungen in den umliegenden Wäldern überwachen können. Die einzelnen Rudel sollen sich entwickeln und die neue Heimat annehmen. Doch dann wird ein Farmer tot aufgefunden und die Einwohner fühlen sich noch mehr von den Wölfen bedroht. Es beginnt eine Jagd, die nicht nur die Wölfe, sondern auch das Team der Wissenschaftler und ganz besonders Inti umfasst.

Wie schon in ihrem ersten Roman ist auch diesmal die Protagonistin eine Einzelgängerin und hat ein schweres Schicksal hinter sich. Schon als Kind war Inti von Wölfen fasziniert. Von ihrem Vater hat sie gelernt die Natur zu schätzen und mit ihr zu leben. Doch Inti ist auch eigenwillig, aufbrausend und sie verhält sich nicht wirklich diplomatisch gegenüber den Schafbauern der Gegend, die gegen die Wiederansidlung der Wölfe sind.
Inti misstraut den Menschen und fühlt sich zu Tieren mehr hingezogen - was ich selbst gut nachvollziehen kann. Zu Inti fand ich eher Zugang, als zu Franny aus "Zugvögel".
Durch jede Zeile konnte ich die Liebe und ihr Verständnis für die Lebensart der Wölfe fühlen. Die Natur- und Landschaftsbeschreibungen sind sehr gelungen und man begleitet Inti durch die Schottischen Highlands und auf den Wegen ihrer Schützlinge.
Trotzallem versteht es die Autorin den Leser immer wieder darauf hinzuweisen, dass es sich um Raubtiere und keine Kuscheltiere handelt.
Inti hat zusätzlich die "Mirror-Touch-Synästhesie, eine seltene "Krankheit" oder Gabe, bei der man die Schmerzen anderer Menschen am eigenen Leib spürt.

Charlotte McConaghy hat neben dem Thema der Wolfsansiedlung und deren Probleme und Tücken, weitere Handlungsstränge miteingeführt. Dabei kommt es auch zu Rückblicken in die Kindheit von Inti und ihrer Zwillingsschwester Aggy und Intis Synästhesie spielt ebenfalls eine größere Rolle. Es gibt einige überraschende und auch dramatische Wendungen und als Leserin von Krimis und Thrillern war ich zusätzlich gespannt, welche Bestie hinter dem Tod des Farmers steckt - Mensch oder Tier?

Man bemerkt, dass sich die Autorin mit dem Thema wirklich stark auseinandergesetzt hat und uns unwissenden Leser:innen sehr viel vermitteln kann. Sie versteht es großartig, ihre Figuren lebendig werden zu lassen und ein Thema, welches ihr am Herzen liegt, zu transportieren. Zusätzlich lassen die Landschafts- und Naturbeschreibungen lebendige Bilder vor meinem inneren Auge entstehen. Der Schreibstil der Autorin ist einfach unverwechselbar und hat mir schon in ihrem Debüt sehr gut gefallen.

Zum Ende hin wird es richtig spannend, jedoch war ich mit der Auflösung nicht ganz zufrieden. Sie war mir nicht plausibel genug.


Fazit:
Ein weiterer Roman von Charloette McConaghy über "Climate Fiction", wobei vieles davon schon zur Realität wird. Eine Ode an die Wölfe und an die Renaturierung der Natur. Ich empfehle den Roman sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 21.07.2024

Ich habe aufgehört ein Kind zu sein

Solito
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Gleich vorab möchte ich sagen, dass Geschichten, wie diese von Javier Zamora sehr, sehr wichtig sind. Ich bin froh, dass ich seinen mühevollen Weg von El Salvador bis in die USA in Buchform miterleben ...

Gleich vorab möchte ich sagen, dass Geschichten, wie diese von Javier Zamora sehr, sehr wichtig sind. Ich bin froh, dass ich seinen mühevollen Weg von El Salvador bis in die USA in Buchform miterleben durfte. Meine eher mittelmäßige Bewertung bezieht sich auf die leider etwas mühsam lesbare Umsetzung, den trockenen Schreibstil und die Übersetzung bzw. die nicht vorhandene Übersetzung vieler spanischer Sätze und Phrasen.

Bereits der Einstieg gestaltete sich schwierig. Der autobiografische Roman wird aus der Sicht des erst neunjährigen Javier in sehr einfacher Sprache erzählt. Behütet wächst er bei seinen Großeltern auf. Seine Eltern sind bereits vor längerer Zeit aus El Salvador in die USA geflüchtet. An seinen Vater kann sich Javier nicht erinnern und doch fiebert er den Tag entgegen, an dem er sich selbst auf den Weg nach "la USA" machen darf. Bis Guatemala begleitet ihn sein Großvater, danach ist er auf sich alleine gestellt. Marcelo aus seinem Dorf soll sich dem Jungen annehmen, doch dieser hat keinerlei Interesse daran. So werden Cheno, Patricia und ihre Tochter Carla zur Javiers Ersatzfamilie, die ihn über Wochen begleiten, während seine eigene Familie nicht weiß, wo er sich gerade aufhält und ob er es schaffen wird.

Es gibt sehr viele Wiederholungen, die vorallem alltägliche Dinge bis ins kleinste Detail nacherzählen. Diese sind mit der Zeit ermüdend. Doch am meisten haben mich die vielen spanische Phrasen, Sätze und Wörter gestört. Sie werfen einem beim Lesen völlig aus dem Lesefluss. Es gibt kaum ein Kapitel ohne spanische Ausdrücke, die oftmals auch mit schulspanisch nicht ganz verständlich sind. Am Ende gibt es ein 17-seitiges Glossar, welches aber nicht alphabetisch geordnet ist, sondern nach Kapitel. Kommt ein Wort später erneut vor, findet es man deshalb kaum mehr. Sehr mühsam!
Diese unterschiedlichen spanischen Wörter (es werden landestypische Wörter, Redewendungen und Slang verwendet) werden auch in der Geschichte angesprochen, denn Javier und die anderen Menschen aus El Salvador sollen sich als Mexikaner ausgeben, haben falsche Pässe und müssen aufpassen mexikanisches Spanisch zu sprechen, wobei sie oftmals die Wörter gar nicht kennen.

Gerne hätte ich zu Beginn auch etwas über die politische Lage in El Salvador zu dieser Zeit erfahren und warum Javiers Eltern geflüchtet sind. Ein bisschen Vorahnung hatte ich durch den Roman von Isabel Allende "Der Wind kennt meinen Namen", die in ihrem letzten Roman in einem der drei Handlungsstränge ebenfalls eine Flucht aus El Salvador beschreibt.
Gefehlt hat mir auch eine Landkarte, die den langen Fluchtweg von El Salvador über Guatemala und Mexiko in die USA aufzeigt.

Der Roman lädt trotzallem sehr zum Nachdenken ein und erzählt ein Schicksal, welches viel zu viele Menschen am eigenen Leib erfahren müssen. Es ist schwierig dieses Buch zu rezensieren, denn es ist die wahre Fluchtgeschichte eines Kindes, welches von unzuverlässigen Schleppern illegal in die USA gebracht wird. Es zeigt die Strapazen und die Gerissenheit der Schlepper, die hier Kojoten genannt werden, sehr detailliert auf. Vorallem die Flucht durch die Sonora-Wüste, der ewige Durst und die wiederholten Versuche endlich über die mexikanische Grenze zu gelangen und auch im ersehnten "Gringoland" bleiben zu dürfen, bleiben haften und nehmen den Leser mit.

Für den Autor war "Solito" eine therapeutische Aufarbeitung.
Diesen Satz gebe ich euch noch mit: "Ich habe aufgehört ein Kind zu sein, als ich ging."


Fazit:
Ein sehr wichtiges Thema und umso aktueller, denn je. Trotzdem konnte mich das autobiografische Werk des mittlerweile 34jährigen Javier Zamora nicht so bewegen, wie erhofft. Durch die vielen Längen alltäglicher Dinge, aber vorallem die spanischen, oft landestypischen Sätze, die einem aus dem Lesefluss reißen, bleibt man schwer im Lesefluss.
Ein ganz wundervolles Buch zum Thema Flüchtlingsproblematik ist zum Beispiel "Vor uns das Meer" von Alan Gratz. Es ist zwar ein Jugendbuch und ebenfalls aus der Sicht von Kindern oder Jugendlichen geschrieben, aber diese Geschichten über Flucht zu unterschiedlichen Jahrzehnten berühren und bleiben in Erinnerung.

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Veröffentlicht am 17.07.2024

Berührender Roman mit Tiefgang

Und vor uns das Meer
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Mette ist Anfang Fünfzig, geschieden, hat vor Jahren ein erfolgreiches All-Age-Fantasy-Buch geschrieben und arbeitete als Lehrerin. Seit jedoch ihre Mutter auf fremde Hilfe angewiesen ist, hat sie alles ...

Mette ist Anfang Fünfzig, geschieden, hat vor Jahren ein erfolgreiches All-Age-Fantasy-Buch geschrieben und arbeitete als Lehrerin. Seit jedoch ihre Mutter auf fremde Hilfe angewiesen ist, hat sie alles hinter sich gelassen, um sie in ihrer Villa in Berlin zu pflegen. Ihr Tagesablauf ist stets derselbe und ziemlich eintönig. Ein Anruf von Ole, ihrem Jugendschwarm und der Ex-Freund ihrer früheren besten Freundin Josefa, bringt jedoch ihr Leben durcheinander. Josefa ist an Krebs verstorben. Die letzten Jahre hatte Mette keinen Kontakt mehr zu ihrer ehemaligen besten Freundin aus Kindheitstagen. Nun gibt es keine Möglichkeit mehr sich mit ihr zu versöhnen. Doch Josefa hat einen Brief mit ihrem letzten Wunsch hinterlassen. Mette und Ole sollen ihre Asche ins Meer auf Sylt verstreuen. Doch dazu muss ihre Urne erst ausgegraben und nach Sylt gebracht werden. Da Mette ihre Mutter pflegt, kann sie diese nicht alleine lassen. Außerdem hat sie keine guten Kindheitserinnerungen an Sylt. Josefa hat jedoch bereits alles geplant und eine Ferienwohnung für Ole und Mette angemietet. Ihre Mutter entscheidet sich während dieser Zeit bei einer Freundin unterzukommen und Mette sieht sich gezwungen den letzten Wunsch ihrer Freundin zu erfüllen. Zusätzlicher Fahrgast ist Mia, die 16-jährige Tochter von Mettes Freundin Alexandra, deren Vater auf Sylt lebt. Sie soll einen Teil der Sommerferien bei ihm verbringen, was Mia so überhaupt nicht schmeckt.
Für Mette ist außerdem klar, dass sie nach der Erfüllung von Josefas letztem Wunsch wieder abreisen wird. Doch durch eine zufällige Begegnung kommen traumatische Kindheitserinnerungen an die Oberfläche. Ängste, die Mette in ihrem Inneren verschlossen hatte, werden plötzlich real. Sie wird immer häufiger von ihren Erinnerungen als Verschickungskind eingeholt und bekommt Panikattacken. Mette muss sich nicht nur mit dem Tod ihrer besten Freundin, sondern auch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen....

Mir hat dieser gefühlvolle Roman sehr gut gefallen, denn er ist mitten aus dem Leben gegriffen. Er behandelt Themen wie Trauer, Freundschaft, Verlust, Pflege und die Aufarbeitung der Vergangenheit. Dabei wird auf alle diese Bereiche eingegangen.
Weil ich zurzeit keine Bücher lese, bei denen es um Krebs und Tod geht, hat die Autorin in ihrem Anfrage-Mail an mich besonders darauf hingewiesen, dass die Kinderverschickung ein zentrales Thema des Romans sein wird. Diese war ab den frühen Fünfziger Jahren bis in die späten Achziger Jahre gang und gäbe. Kinder wurden als Maßnahme der Gesundheitshilfe "auf Kur" geschickt und in Heimen oder Heilstätten untergebracht. Dabei kam psychische und körperliche Gewalt sehr oft zur Anwendung.
Meiner Meinung nach kam das Thema aber zu kurz, denn es wurde erst im letzten Drittel näher darauf eingegangen.

Der Schreibstil ist einfühlsam, bildhaft und lässt sich sehr gut lesen. Die Charaktere wirken authentisch und sind mitten aus dem Leben gegriffen. Es sind alle Generationen vertreten - von der 16jährigen Mia, über Mette, Ole und der Mutter von Mette.

Neben der Trauer, den Verlustängsten und dem Thema Pflege im Alter, war der Roman durchsetzt von wunderschönen und bildhaften Beschreibungen der Insel, einer langsam wachsenden Verbindung zwischen Ole und Mette, sowie einer Prise Humor. Der Roman ist emotional, aber nicht bedrückend. Er erzählt vom Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Nicht umsonst heißt es "Leben ist das was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen."

Fazit:
Ein berührender Roman mit Tiefgang, den ich sehr gerne gelesen habe und den ich eher der Generation 45+ empfehle!

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