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Veröffentlicht am 20.11.2020

#findemich

Der Fahrer
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Nach "Die Lieferung" musste ich unbedingt auch "Der Fahrer" von Andreas Winkelmann lesen. Der Einstieg ist gewohnt rasant und man wird sofort mitten in die Handlung katapultiert.
Unweit des Restaurants ...

Nach "Die Lieferung" musste ich unbedingt auch "Der Fahrer" von Andreas Winkelmann lesen. Der Einstieg ist gewohnt rasant und man wird sofort mitten in die Handlung katapultiert.
Unweit des Restaurants in dem Jens Kerner seinen Geburtstag mit seinen Kollegen feiert, wird eine junge Frau entführt. Auf dem verlassenen Auto findet man in Leuchtschrift den hashtag

findemich. Unter diesem hashtag findet man auf Instagram ein Foto der entführten Frau und die Aufforderung sie innerhalb von 24 Stunden zu finden. Kurze Zeit später sitzt sie tot im Hamburger Stadtpark auf einer Bank. Das Ungewöhnliche an der Leiche: sie leuchtet. Doch sie bleibt nicht die einzige Tote. Die Opfer sind junge Frauen, die nachts alleine unterwegs sind. Bei den Nachforschungen stößt Jens Kerner und sein Team immer wieder auf den Fahrdienst MyDriver.

Als weitere Frauen verschwinden, deuten immer mehr Hinweise auf Jens Vergangenheit. Er wird vom Täter als "leuchtendes Beispiel polizeilicher Inkompetenz" beschrieben. Jens und sein Team arbeiten auf Hochtouren, doch der Serienmörder scheint immer eine Spur voraus zu sein. Er ist sogar so frech und hinterlässt extra Spuren für die Polizei. Jens verbeißt sich jedoch in ene andere Richtung. Sein verhasster Bruder, ein Künstler, der in Hamburg eine Ausstellung vorbereitet und mit Leuchtfarben arbeitet, steht bei ihm als Tatverdächtiger an erster Stelle. Dabei vergisst er sich auch auf andere mögliche Täter zu fokussieren, was nicht sehr professionell wirkt. Bis es zur Tragödie kommt und eine seiner Teamkolleginnen verschwindet. Auf ihrem Auto befindet sich der Hastag

findemich....

Ich bin durch das Buch wieder einmal gerast, was sich im Nachhinein oftmals als gar nicht so gut herausstellt, weil ich bei Thriller nach einiger Zeit oftmals vergesse, wie sie ausgehen. Winkelmann schreibt sehr fesselnd und man kann den Thriller kaum aus der Hand legen. Er lässt den Leser kurze Einblicke in die Gedankenwelt des Täters werfen, ohne dass man weiß, wer sich dahinter verbirgt. Die Zahl der Verdächtigen ist groß und der Autor versteht es mit falschen Fährten den Leser in die Irre zu führen. Überraschenden Wendungen, sowie kurze Kapitel mit Cliffhanger erhöhen das Tempo.

Die Charaktere kennt man schon aus den Vorgängern. Diesmal steht eindeutig Jens Kerner im Mittelpunkt. Er ist kein einfacher Charakter und noch bin ich nicht ganz warm mit ihm geworden. Man erfährt diesmal so einiges aus seiner Vergangenheit. Die private Beziehung zu Becca wirft noch viele Fragen auf. Das restliche Team blieb mir aber weiterhin etwas zu oberflächlich dargestellt. Gefallen hat mir, dass auch die Opfer als individuelle Figuren wahrgenommen werden und man mit ihnen mitleidet.

Der Autor spricht mit den neuen Fahrdiensten und den sozialen Medien ein sehr aktuelles Thema an und zeigt auch die negativen Seiten auf. Der Schreibstil ist temporeich und fesselnd.

Das Ende fand ich allerdings nicht ganz rund und zu abrupt. Der Täter taucht zwar im Roman auf, ist aber schwer zu identifizieren. Man kann also sehr gut miträtseln und seine eigenen detektivischen Fähigkeiten erproben, aber die Chancen stehen eher schlecht. Für mich war am Ende das Tatmotiv etwas zu weit hergeholt bzw. die Art des Tötens mit dieser Person nicht ganz vereinbar.

Fazit:
Ein Pageturner, der sich gut lesen lässt und auch aktuelle Themen, wie die sozialen Medien, miteinbezieht. Dramatisch, temporeich und spannend, jedoch mit kleinen Schwächen.

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Veröffentlicht am 18.11.2020

1000 Seiten Spannung

Kingsbridge - Der Morgen einer neuen Zeit
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So, die letzte Seite ist zugeschlagen und ich bin wieder zurück aus Dreng's Ferry bzw. Kingsbridge und in der Gegenwart gelandet.
Das neue Buch von Ken Follett ist ein Prequel und beginnt 200 Jahre vor ...

So, die letzte Seite ist zugeschlagen und ich bin wieder zurück aus Dreng's Ferry bzw. Kingsbridge und in der Gegenwart gelandet.
Das neue Buch von Ken Follett ist ein Prequel und beginnt 200 Jahre vor dem ersten Band um Kingsbridge "Die Säulen der Erde". Deshalb wollte ich ihn auch unbedingt lesen, denn ich muss beschämend zugeben, dass ich kein Buch von Ken Follett bisher gelesen habe, aber "Die Säulen der Erde" als Film gesehen habe. In "Der Morgen einer neuen Zeit" geht es um die Vorgeschichte und diese kann man mühelos ohne Vorwissen lesen.

Die Zeit von der Ken Follett hier erzählt ist eine dunkle Zeit, über die wir nicht wirklich viel wissen. Das gibt Raum für Interpretationen und das beherrscht der Autor wiederum perfekt.
Wir starten im Jahre 997. Der junge Bootsbauer Edgar schleicht sich frühmorgens aus dem Haus, denn er möchte sich mit seiner verheiraten Geliebten treffen. Plötzlich erblickt er am Horizont Drachenboote. Edgar kann noch kurz die Kirchenglocken läuten um die Einwohner zu warnen, als die Wikinger auch schon über die Stadt herfallen, brandschatzen und töten. Die Familie verliert ihr Zuhause, der Vater wird ermordet. Als einziger Ausweg bleibt seiner Mutter und seinen beiden Brüdern Eadbald und Erwan ein ihnen zugeteilter Landstrich abseits der Küste: ein kleiner Weiler genannt Dreng's Ferry. Der Ort besteht aus einer Schenke und einer Kirche, sowie ein paar vereinzelten Katen. Zusätzlich gibt es eine Fähre über den Fluss. Ein Überleben ist beim sehr unwirtlichen Boden ein schwieriges Unterfangen, vorallem sind Edgar und seine Brüder keine Bauern, sondern Bootsbauer.

Dreng's Ferry gehört zum Herrschaftsgebiet von Shiring und wird von den Machthabern verwaltet. Das Leben für die einfachen Leute ist schwer. Sie stehen total unter der Herrschaft des Aldermannes und der Kirche. Es wird oftmals brutal und grausam. Abenteuer, Kämpfe, Intrigen und Machtgier bestimmen die Handlung des Schmökers. Wir bekommen Einblicke in das einfache Leben der armen Leute, der Sklaven, die unrechtmäßg gehalten werden, erfahren aber auch mehr über Adelige und Kleriker. Verbrechen gibt es auf jeder Seite und so fliegt man durch die vielen Seiten, die immer wieder überraschende Wendungen bieten. Der Spannungsbogen baut sich kontinuierlich auf und so hat man beim Lesen oftmals gar nicht das Gefühl einen dicken Schmöker in der Hand zu halten.

Die Charaktere sind sehr lebendig, aber manchmals etwas zu schwarz-weiß gezeichnet. Edgar ist zwar der Hauptprotagonist, doch er blieb gegenüber von Ragna blasser. Er ist ein schlaues Köpfchen und hat exzellente räumliche Vorstellungen, die er auch umsetzen kann. Doch auf den 1026 Seiten gelang ihm alles, was er in die Hand nahm und das fand ich nicht ganz glaubwürdig. Nur in der Liebe - da hat er kein Glück.
Ragna hingegen ist eine sehr starke Frau, die strategisch denken kann und gerecht ist. Sie ist eine normannische Adelstochter und heiratet den englischen Aldermann Wilwulf. Sie ist in ihn verliebt, erkennt aber zu spät, dass sie nicht die einzige Frau ist. Zusätzlich machen ihr ihre Stiefschwiegermutter Gytha und deren beiden Söhne Wynstan und Wigelm das Leben schwer. Sie intregieren gegen sie, wo es nur geht.
Bischof Wynstan spielt dabei eine große Rolle. Der skrupellose Kirchenmann will die Macht und kennt dabei keine Grenzen. Jeder, der ihm in den Weg tritt, wird vernichtet. Einer seiner Widersacher ist der Mönch Aldred, der nach Dreng's Ferry strafversetzt wurde. Er träumt von einer großen Bibliothek - einem Zentrum der Gelehrigkeit, doch Dreng's Ferry ist ein Ort ohne große Zukunft. Aldred gibt nicht so schnell auf und in Edgar findet er einen schlauen Freund. Gemeinsam bauen sie den unscheinbaren Ort zu einem wohlhabenden Fleckchen auf....

Zahlreiche Nebenfiguren tummeln sich auf den vielen Seiten, die mir allesamt sehr gut gefallen haben. Hervorzuheben sind dabei Blod, das walisische Sklavenmädchen, das in Dreng's Schenke jeden Mann angeboten wird; Agnes, die Ragna als Dienerin nach England begleitet oder Wigelm, der zum Ende hin immer mehr Raum bekommt.

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, aber ich habe auch einige Kritikpunkte. Wie bereits oben erwähnt fand ich die Figuren zu schwarz-weiß gezeichnet. Ein paar Grauschattierungen hätten gut getan. Ebenso war mir das Ende zu schnell abgefertigt. Das klingt jetzt etwas komisch bei einem historischen Roman über tausend Seiten, aber irgendwie überschlugen sich zum Ende hin die Ereignisse und die Auflösung war mir zu einfach. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau...Ken Follett zählt neben Rebecca Gablé zu den größten Autoren historischer Romane.

Schreibstil:
Follett schreibt sehr eingängig und fesselnd, wenn auch einfacher als ich mir vorgestellt hatte. Manchmal wird es sogar etwas derb. Der Autor hat gut recherchiert und gekonnt die Lücken in der Geschichte mit einfallreichen und spannenden Ideen gefüllt.
In zwei Handlungssträngen erzählt Follett abwechselnd die Geschichte über Edgar oder Ragna.

Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt: Teil 1 - Die Hochzeit (997 na. Chr.), Teil 2 - Der Prozess (998), Teil 3 - Der Mord (1001-1003), Teil 4 - Die Stadt (1005-1007). Jeder Teilabschnitt ist mit einer zweiseitigen Illustration versehen.
Vermisst habe ich ein Personenverzeichnis. Vorallem die sehr ähnlich klingenden Namen verwirren manchmal etwas. Im Inneren gibt es eine Karte von England und Teilen Frankreichs. Die Ausstattung mit Lesebändchen ist hochwertig, das Papier fest. Auch hinter dem abnehmbaren Cover ist das Buch ein Schmuckstück.

Fazit:
Ein historischer Schmöker, den ich sehr gerne gelesen habe und bei dem die Seiten nur so dahin geflogen sind. Einige Kritikpunkte gibt es jedoch, die für meine Bewertung keine fünf Sterne erlauben. Das Prequel kann auch ohne Vorkenntnisse der Trilogie um Kingsbrideg gelesen werden. Gerne empfehle ich das Buch für lange Wintertage oder im Lockdown...man hat genug Lesetoff, der gut unterhält!

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Veröffentlicht am 15.11.2020

Die Anfänge der Kriminalistik

Der falsche Preuße
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Als Liebhaber von historischen Krimis ist mir der Roman von Uta Seeburg vorallem durch Titel und Cover aufgefallen. Die Autorin war mir noch unbekannt und trotzdem sprach mich die Inhaltsangabe gleich ...

Als Liebhaber von historischen Krimis ist mir der Roman von Uta Seeburg vorallem durch Titel und Cover aufgefallen. Die Autorin war mir noch unbekannt und trotzdem sprach mich die Inhaltsangabe gleich an.
Wilhelm Freihherr von Gryszinski, gebürtiger Preuße, wird nach seiner Ausbildung beim Wiener Hans Groß nach München versetzt. Er wurde dem hiesigen Polizeidirektor Ludwig von Welser empfohlen und bekommt bald seinen ersten außergewöhnlichen Fall.

Ein nackter Mann mit einem zerschossenen Gesicht und einem Umhang aus Federn wird im Grünland nahe der Isar gefunden. Nicht nur die Aufmachung des Toten verwirrt die Polizei, sondern auch der Abdruck eines Elefantenfußes. Wo gibt es Elefanten in München und vorallem wo sind die Abdrücke der drei anderen Füße?
Bald ist bekannt, dass der Tote ein stadtbekannter Bierbeschauer ist. Hat dieser etwa einen der Bierbrauer verärgert? Der Mann soll aber sehr beliebt gewesen sein...auch bei den Frauen.
Es sind die Anfänge der Ermittlungsarbeit und Gryszinski bringt als Sonderermittler der Königlich Bayrischen Polizeidirektion die neuen Methoden mit zu seinem Arbeitsplatz. Gryszinksi wird bei seinem ersten Mordfall von Wachtmeister Vogelmaier, genannt Spatzl, der eine große Bandbreite an Vernetzungen (vorallem in diversene Gasthäusern) hat und von Eberle, einen gebürtigen Schwaben, unterstützt.
Bald schon wird der Geschäftsmann Eduard Lemke, mit dubioser Herkunft und Ehemann der Brauerei-Erbin Betti, verdächtig. Doch auch die Preußen haben ein Auge auf Lemke geworfen und setzen Gryszinksi auf den Mann an. Dieser befindet sich daraufhin in einem persönlichen Konflikt. Soll er für die Bayern den Mord aufklären, was eigentlich seine Pflicht ist, oder soll er der preußischen Tradition folgen und seiner Heimat einen angeblichen Dieb übergeben, der in Ostafrika einen Edelstein gestohlen und eine 30-köpfige Exkursion wissentlich in den Tod geschickt hat?

Der Fall ist skurill und wir haben es teilweise auch mit genau solchen Figuren zu tun. Die Charaktere sind gut gezeichnet. Sie sind mit viel Liebe gestaltet und erdacht. Besonders gefallen hat mir die kluge und belesene Sophie, Gryszinskis Ehefrau. Mit ihr fühlt man sich sofort verbunden, wenn man selbst eine Bücherwurm ist. Die preußische Steifheit wird durch Gryszinski senior sehr gut dargestellt. Selten hatte ich in einem Krimi einen Jungvater als Ermittller, denn Wilhelm und Sophie sind Eltern eines kleinesn Sohnes.

Uta Seeburg schreibt sehr detailliert. Die Sprache ist der Zeit angepasst. Die langen schachteligen Sätze sind leicht poetisch, aber vorallem fängt die Autorin die Atmosphäre und das Lebensgefühl der damaligen Zeit perfekt ein. Man ist umgeben von Pferdetramways und Kutschen, genießt das bayrische Essen, hält noch an Duellen fest, die die Ehre der Offiziere wieder herstellen soll und erlebt die gesellschaftlichen Unterschiede der Bewohner Münchens, aber auch zwischen den Preußen und den Bayern. Diese kleinen und größeren Gegensätze bringt die Autorin mit einem Augenzwinkern auf den Punkt. Der technische Umschwung zur Jahrhundertwende ist eine sehr innovative Zeit, die mich immer wieder begeistert und die hier sehr bildhaft beschrieben wurde.

An manchen Stellen fehlte es mir allerdings etwas an Spannung. Der historische Krimi hat einige kleinen Längen, die er mit seinen ganz besonderen skurillen Wendungen und Humor wieder gut macht. Meiner Meinung hat er den Hauch eines historischen "Cosy Krimis", wie man manche "leichteren" Krimis in diesem Genre neuerdings nennt. "Der falsche Preuße" soll der Auftakt einer Krimireihe werden und ich werde sicherlich auch den Folgeband lesen.

Zur Ausführung des Buches noch ein paar Worte. Ich finde das Cover richtig gelungen und mag auch die Farbgebung. Ein Lesebändchen und eine Karte von München im Inneren des Hardcovers veredeln das Buch noch zusätzlich.
Über den einzelnen Kapitel gibt es Auszüge und passende Passage aus dem Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamten und Gendarmen von Hans Groß aus dem Jahr 1893.

Fazit:
Ein historischer Krimi, der vom besonderen Flair dieser Zeit und dem Gegensatz zwischen Preußen und Bayern lebt. Auch die Anfänge der Kriminalistik werden gut dargestellt. Durch den sehr ausschweifenden Schreibstil hat der Krimi aber auch ein paar kleine Längen. Ein interessantes Debüt, das ich gerne gelesen habe und mir auch den nächsten Band zu Gemüte führen werde.

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Veröffentlicht am 13.11.2020

Kampf um ein Weingut

Ada, das Mädchen aus Berlin
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Nachdem ich Ronald H. Balsons "Hannah und ihre Brüder" und "Karolines Töchter" gelesen habe, habe ich mit "Ada, das Mädchen aus Berlin" noch einen Versuch gestartet. "Hannah und ihre Brüder" konnte mich ...

Nachdem ich Ronald H. Balsons "Hannah und ihre Brüder" und "Karolines Töchter" gelesen habe, habe ich mit "Ada, das Mädchen aus Berlin" noch einen Versuch gestartet. "Hannah und ihre Brüder" konnte mich ja nicht wirklich überzeugen und bei "Karolines Töchter" fand ich einige historische Fehler, die ich nicht ignorieren konnte. Mit dem dritten auf Deutsch übersetzen Band, der im englischen Orginal bereits der Fünfte rund um die Anwälte Catherine Lockhart und Liam Taggert ist, hat mich der Autor mich wieder versöhnt.

Catherine und Liam werden bei einem Besuch beim Lieblingsitaliener vom Eigentümer gebeten sich den Fall seiner Tante Gabriella näher anzusehen. Die alte Frau wird von einem Großkonzern und seinen Anwälten bedrängt, ihnen ihr Haus und Grund in der Toskana zu übergeben. Angeblich gehört ihr das Land rechtlich nicht, auf dem sie seit Jahrzehnten wohnt. Nun droht ihr die Zwangsräumung. Catherine verspricht sich die Sache näher anzusehen. Auf dem Flug von Chicago in die Toskana lesen sich Liam und Catherine in das Manuskript einer gewissen Ada Baumgarten ein, welches ihnen Gabriella zugeschickt hat. Doch was hat das Schicksal dieser Ada mit Gabriella und dem Weingut gemein?

Der Autor wechselt ab diesem Zeitpunkt zwischen Gegenwart und Vergangenheit bis sich die Sache am Ende aufklärt. Bis dahin ist es aber ein sehr schwieriges Unterfangen, denn die italienischen Anwälte, die hinter dem Konzern VinCo stehen, scheinen über Leichen zu gehen. Catherine strengt sich allerdings daraufhin noch mehr an, denn ihr Bauchgefühl sagt ihr, dass hier etwas mächtig faul ist.

In der Vergangenheit lernen wir Ada kennen, die bereits in sehr jungen Jahren eine begnadete Geigerin ist. Ihr Vater ist Konzertmeister im Philharmonischen Orchester unter Wilhelm Furtwängler, der Ada begünstigt und sie trotz ihrer Jugend in seinem Orchester mitspielen lässt. Ihr bester Freund ist Kurt, der ebenfalls Geige spielt. Doch sein Vater verbietet ihm den Geigenunterricht und schickt ihn stattdessen zur Hitlerjugend. Kurt und Ada werden ein Liebespaar, doch eine Liebe zwischen einem Deutschen und einer Jüdin ist nicht erwünscht. Mit Beginn des immer stärker aufkommenden Judenhasses, kommt es auch zu ansteigenden Denunzierungen von jüdischen Künstlern. Furtwängler hält so lange wie möglich die Hand über seine jüdischen Musiker. Auf einer Konzertreise nach Mailand bleiben Ada und ihre Mutter in Italien, während Adas Vater nochmals zurück nach Deutschland fährt. Ada fühlt sich in Mailand sicher, bis Mussolini zum Verbündeten von Hitler wird...

Ronald H. Balson hat die beiden Zeitstränge diesmal sehr gut verwoben. Bis sich diese zum Ende hin verbinden und der Leser gemeinsam mit Catherine und Liam herausfindet, in welcher Verbindung Ada und Gabriella stehen, forschen wir mit den Anwälten nach alten Urkunden und Verträgen. Aus der Ich-Perspektive begleiten wir Ada von ihrer frühesten Kindheit an und erleben umso intensiver ihre Leidenschaft für die Musik. Aber auch Kurt und Ada laufen sich in Mailand über den Weg...

Natürlich hat mir neben dem Holocaust das Thema Musik wieder besonders gut gefallen. Der Vergangenheitsstrang ist fast immer mein Lieblingsteil einer Geschichte auf zwei Zeitebenen. Doch diesmal konnte mich auch der Part in der Gegenwarts um Liam und Catherine fesseln, was bei den anderen beiden Büchern der Reihe nicht der Fall war. Man erkennt bei den Anwälten eine Weiterentwicklung, die sich positiv auswirkt. Trotzdem bin ich nun etwas skeptisch, weil es im Original bereits der fünfte Band der Reihe ist und wenn Band 3 und 4 erst übersetzt werden müssen (wer kommt eigentlich auf diese komische Idee? Band 2 "Karolines Töchter" wurde ja auch als Erster auf deutsch übersetzt und Band eins erst danach) habe ich die Vermutung, dass diese wieder schächer sein werden.

Der Autor bleibt auf jeden Fall seinem Schema treu und erzählt immer auf zwei Zeitebenen zum Thema #gegendasvergessen. Dabei wechselt er bisher in jedem Buch das europäische Land, welches im Vergangenheitsstrang als Location dient. Die Toskana und das Weingut, sowie die Menschen, die sich rund um Gabriella scharren, sind sehr bildhaft und lebendig beschrieben.
Am Ende des Romans erklärt der Autor welche Figuren historisch belegt sind, was fakt und was Fiktion ist.


Fazit:
Für mich der bisher beste Teil der Reihe. Langsam freunde ich mich mit Lockhart und Taggert an, aber wie gewohnt hat mich vorallem der Vergangenheitsstrang und das Schicksal Adas besonders berührt. Das Thema Musik ist genau meins und ich konnte diesmal auch keine Recherchefehler finden. Gegenwart und Vergangenheit werden am Ende gekonnt zu einem Ganzen verknüpft. Ich werde auch dem nächsten Roman aus der Reihe eine weitere Chance geben...

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Veröffentlicht am 11.11.2020

Spannendes Stück Zeitgeschichte

Die vergessene Heimat
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Deana Zinßmeister ist Leserinnen, die wie ich historische Romane lieben, wohl bekannt. Normaler Weise schreibt sie Bücher, die im 16. oder 17. Jahrhundert spielen. In ihrem neuen Buch ist sie allerdings ...

Deana Zinßmeister ist Leserinnen, die wie ich historische Romane lieben, wohl bekannt. Normaler Weise schreibt sie Bücher, die im 16. oder 17. Jahrhundert spielen. In ihrem neuen Buch ist sie allerdings neue Wege gegangen. In ihrem halbbiografischen Roman hat sie die Geschichte ihrer Eltern Ernst und Leni aufgeschrieben, die im damaligen Ostberlin gelebt haben und als eine der Letzten während des Mauerbaus flüchten konnten.
Der Roman basiert auf zwei Zeitebenen: einmal der oben beschriebene Zeitpunkt im Jahr 1961 und in der Gegenwart in den Jahren 2013-2016.
Die Kapitel wechseln zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Während wir im Jahr 1961 gebannt die Vorbereitungen zur Flucht von Leni und Ernst verfolgen, erlebt man in der Gegenwart die fortlaufende Demenz von Ernst mit. Selten fesseln mich beide Erzählstränge gleich stark, doch Deana Zinßmeister hat es mit "Die vergessene Heimat" problemlos geschafft.
Im Jahr 1961 leben Leni und Ernst im Grenzgebiet. Während Leni als Friseurin in der sowjetischen Zone arbeitet, pendelt Ernst jeden Tag nach Westberlin. Er ist ein Grenzgänger und sieht die Differenz zwischen Ost- und West sehr genau. Er überlegt relativ früh sich nach Westberlin abzusetzen, denn die vermehrte Überwachung setzt ihm zu. Als ein Freund verhaftet wird, weil er öffentlich Kritik am System äußerst, ist für ihn die Zeit gekommen. Nicht zu früh, denn es wird bereits mit dem Aufziehen des Stacheldrahtes begonnen. Der Leser erlebt die folgenden Wochen sehr intensiv mit. Die Planung, die ständige Angst und der Fluchtversuch selbst, sind wahnsinig spannend geschrieben. Gänsehaut garantiert!

Im Gegenwartsstrang ist Ernst fast achzig Jahre alt und leidet an beginnender Demenz. Die Autorin schlüpft in die Rolle als Britta Hofmeister, Kochbuchautorin, und schreibt in der Ich-Form über die Krankheit des Vaters. Bis seine Frau Leni, Britta und ihre Geschwister sich endlich eingestehen, dass dieser krank ist, ist die Demenz bereits fortgeschritten. In all den Jahren haben die Eltern nie über die dramatische Flucht aus der Deutschen Demokratischen Republik aus Furcht von der Stasi gesprochen. Britta erlebt nun diese Zeitspanne im Leben ihrer Eltern bei den Besuchen mit und erfährt dabei Unglaubliches.

Äußerst lebendig und gefühlvoll erzählt die Autorin von dieser furchtbaren Krankheit, die vorallem die Familie an ihre Grenzen bringt. Auch meine Mutter litt die letzten Jahre ihres Lebens daran und oftmals erkannte ich bei einigen Begebenheiten und Zwischenfällen einige typische Reaktionen wieder. Gott sei Dank kam es nicht mehr so weit, dass sie uns nicht mehr erkannte oder vergaß wie man isst und trinkt. Ich habe tiefstes Verständnis für alle Familienmitglieder, die einfach nicht mehr weiter wissen und Vater oder Mutter in eine Pflegeeinrichtung bringen. Die Spannungen und zusätzliche Belastung werden mit dem unaufhörlichen Fortschritt der Demenz immer mehr. Die Alten werden wieder zu Kinder und verlernen mit der Zeit alles. Manche werden agressiv und handgreiflich, was noch schwerer zu ertragen ist. Man reibt sich zwischen der eigenen Familie und den Eltern auf und erfährt keinerlei Dank. Diese Situation muss man mal jahrelang verkraften können! Genauso schlimm finde ich den Beginn der Krankheit beim Patienten, wenn er erkennt, dass er laufend Dinge vergisst und langsam sein Gedächnis verliert. Ein furchtbarer Gedanke!

Der Schreibstil der Autorin ist hier etwas einfacher gehalten, als bei ihren historischen Romanen. Die Kapitel sind eher kurz und wechseln zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Deana Zinßmeister schreibt fesselnd und gefühlvoll. Ich bin durch die Seiten geflogen und war tief in dieser spannenden Geschichte versunken, die wohl die persönlichste der Autorin ist.
Deana Zinßmeister weist im Nachwort die Leser darauf hin, dass Demenz nicht einfach nur "Honig im Kopf" ist. Sie zeigt völlig ungeschönt auf, wie diese Krankheit Familien zerstören kann.
Die Autorin hat mit dem persönlichen Einverständis ihrer Mutter und Geschwister die Geschichte aufgeschrieben und uns ein Stückchen Zeitgeschichte näher gebracht. Ich danke ihr herzlich dafür!

Fazit:
Ein spannendes Stück Zeitgeschichte aus ganz persönlicher Sicht der Autorin. Der halbbiografische Roman konnte mich fesseln und hat mich sehr bewegt. Die Geschichte wird sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. Vielen Dank, dass du uns an deiner Geschichte hast teilhaben lassen!

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