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Veröffentlicht am 18.04.2020

Ein Haus mit vielen Gesichtern

Ein Lied für die Vermissten
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Der Einstieg in diesen Roman von Pierre Jarawan ist mir nicht leicht gefallen. Man braucht vorallem Zeit, Konzentration und sollte nicht parallel lesen, wenn man sein neues Buch "Ein Lied für die Vergessenen" ...

Der Einstieg in diesen Roman von Pierre Jarawan ist mir nicht leicht gefallen. Man braucht vorallem Zeit, Konzentration und sollte nicht parallel lesen, wenn man sein neues Buch "Ein Lied für die Vergessenen" zur Hand nimmt.
Pierre Jarawan erzählt in seiner wundervollen poetischen Sprache vom Schicksal des heranwachsenden Amin, der nach dem Tod seiner Eltern bei seiner Großmutter in Deutschland aufwächst. 1994 kehrt sie mit ihm in den Libanon zurück und eröffnet in Beirut ein Café. Er streift zuerst alleine durch die Straßen und Gassen der Stadt, bis er in Jafar einen Freund findet. Amin sieht sich einer Kultur und Herkunft gegenüber, die er in Europa nur teilweise kennengelernt hat. Vorallem aber fehlt ihm der Bezug zum Bürgerkrieg und der Geschichte der Besetzung des Libanons durch die Syrier. Eines weiß er aber mit der Zeit, nämlich dass es in diesem Land nie eine Gewissheit gibt - weder über die Geschichte seiner Familie, noch über die Vergangenheit seines Freundes Jafar....

Man taucht ein in die orientalische Atmosphäre und den teilweise märchenhaften Erzählungen, die oftmals an 1001 Nacht erinnern...wäre da nicht der Krieg und die andauerne Furcht der Menschen. Amins Großmutter hat fast täglich Besuch von Personen, die Amin, mit Ausnahme von Abbas, dem Raupenzüchter, nicht kennt und denen sie mehr Zeit widmet, als ihren Enkelsohn. Ganz anders als in Deutschland, wo sie ein zurückgezogenese Leben führten - die Wohnung nur spärlich eingerichtet, wie eben erst angekommen - und kaum Besuch hatten, lernt Amin eine andere Seite seiner Großmutter kennen, die einmals eine gefeierte Malerin war. Sie schickt ihn ins Nationalmuseum, wo er mehr über die Geschichte des Libanons erfahren und bei den Aufräumarbeiten des zerstörten Gebäudes helfen soll. Dort lernt er Saber Mounir kennen, dem ehemaligen Verantwortlichen der Bibliothek. Von seinen Büchern blieb nur Staub übrig....doch auch darin kann er Geschichten lesen. Amin lernt die Kunst der Hakawati, der Straßenkünstler, die Geschichten erzählen, kennen. Diese Gabe des Geschichten erzählens hat auch Jafar, der damit am Flohmarkt seine Waren verkauft.

"Unser Land ist wie ein Haus mit vielen Gesichtern" - Zitat von Amins Großmutter, Seite 200

Pierre Jarawan erzählt nicht chronologisch, sondern springt in den Zeiten hin und her. Dies macht den Roman vorallem im ersten Teil etwas schwierig zu lesen, denn die Zeitensprünge sind nicht gekenntzeichnet und erfolgen oft wie spontan. Diese Erzählweise hatte ich erst vor kurzem auch bei Saša Stanišić in seinem Roman "Herkunft", wo es mir ebensolche Probleme bereitete. Ich lese zwar viele Romane mit verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen und habe damit überhaupt keine Probleme, aber in diesen Geschichten sind sie immer gekenntzeichnet und die Zeitspannen sind länger. Hier wird oftmals auf wenigen Seiten in den Zeiten gewechselt, was ich mühsam fand.
Die Handlung entfaltet sich sehr langsam. Es werden Symbole eingeflochten und Themen angesprochen, die später wiederum aufgegrffen werden.

Wie ein roter Faden zieht sich auch ein besonderes Gemälde, das Amins Mutter während ihres Studiums in Paris gemalt hat, durch die gesamte Geschichte.
Thema ist ebenfalls immer wieder die politische Willkür, die noch immer herrscht. Das Land ist nach wie vor nicht zur Ruhe gekommen. Trotz der düsteren Grundstimmung findet man sich in einer eher märchenhaften Erzählung, die über Freundschaft, Familie und Geheimnisse erzählt.

Eine besondere Stimme gibt der Autor den tausenden Vermissten, dessen Verschwinden nie aufgeklärt wurde. Seit dem Bürgerkrieg sind 17.000 Menschen bis heute spurlos verschunden.

Schreibstil:
Der Schreibstil ist poetisch, erfordert aber höchste Konzentration. Trotz der etwas düsteren Grundstimmung ist die Geschichte vorallem durch ihre märchenhaften Erzählungen stimmig und voller Geheimnisse. Die Freundschaft zwischen Jafar und Amin gibt den Rahmen rund um die Geschichte.
Der Roman ist in drei Teile geteilt, die der Autor bezugnehmend auf den Titel "Ein Lied für die Vermissten" in die erste, zweite und dritte Strophe nennt.

Noch ein Wort zum wunderschönen Cover. Klappt man das Buch auf, kann man erahnen, dass das Gesicht auf dem Titelbild ein Gemälde auf einem Haus ist, das in Beirut steht.

Fazit:
Ein anspruchsvoller Roman über das Finden seiner eigenen Herkunft, von Geheimnissen, Freundschaft und ein Erinnern an die vergessenen Menschen des Bürgerkrieges im Libanon. Man benötigt Zeit und Konzentration für diese Geschichte, damit sie sich richtig entfalten kann. Auch wenn ich ab und zu meine Schwierigkeiten hatte, ist es ein Roman, der durch seine Besonderheit im Gedächtnis bleibt und den ich gerne gelesen habe.

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Veröffentlicht am 15.04.2020

Spuren der Kindheit

Ein halbes Herz
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Elin ist eine erfolgreiche Starfotografin, die mit Ehemann Sam und Tochter Alice in New York lebt. Sie ist ein Workaholic und lebt für ihre Arbeit. High-Society, Wohlstand und Karriere sind ihre einzigen ...

Elin ist eine erfolgreiche Starfotografin, die mit Ehemann Sam und Tochter Alice in New York lebt. Sie ist ein Workaholic und lebt für ihre Arbeit. High-Society, Wohlstand und Karriere sind ihre einzigen Lebensinhalte. Dabei distanziert sie sich von ihrer Familie und entfremdet sich schlussendlich völlig. Eines Tages erhält sie einen Brief aus Schweden. Darin befindet sich eine Sternenkarte mit der Botschaft: Heute wurde ein Stern auf den Namen Elin getauft. Diese kommt aus Visby in Gotland und von ihrem damaligen besten Freund Fredrik. Lange verdrängte Erinnerungen brechen auf und Elin kann sich immer weniger hinter ihrer Kamera verstecken. Sie vergisst Termine, ist mit den Gedanken in Gotland und macht Fehler. Erst als sie ihrer Tochter verrät, dass sie eigentlich in Schweden geboren wurde, fasst sie den Mut sich ihrer Vergangenheit zu stellen.

Die Handlung wird abwechselnd auf zwei Zeitebenen erzählt. Über den Kapiteln aus der Vergangenheit steht "Damals", Ort und Datum zur besseren Zuordnung. Die Elin, die wir als Kind und Teenager kennen lernen, ist so ganz anders als die heutige Elin. Diese lebte in Armut, die Mutter ist völlig überfordert und depressiv, der Vater Alkoholiker, der schlussendlich im Gefängnis landet. Elin kümmert sich um ihre beiden kleinen Brüder und versucht es ihrer Mutter immer recht machen, die sich jdoch kaum um ihre Kinder kümmert und völlig lieblos agiert. Die einzigen Lichtblicke in Elins Leben sind die Treffen mit Fredrik, der für sie wie ein großer Bruder ist und bei dem sie sich geborgen und behütet fühlt oder die Besuche bei der alten Aina, die immer Kekse für die Kinder übrig hat und sich ihre Sorgen anhört.
Wir erfahren nach und nach, wie sich dieses verängstigte Mädchen, das sich verzweifelt nach Liebe sehnt und sich zum Ziel setzt eines Tages reich und berühmt zu werden, wandelt und zur heutigen kühlen Elin wird, die noch immer einsam, aber erfolgreich ist. Von ihrer Vergangenheit hat sie ihrem Mann und ihrer Tochter nie erzählt. Die Beiden wissen nicht einmal, dass sie Schwedin ist...ein Umstand, der mich kurz sprachlos gemacht hat.

Die Erzählungen aus Elins Kindheit in Visby fand ich sehr interessant. Sie konnten mich mitnehmen und ich fühlte die tiefe Sehnsucht und den Schmerz in ihrem Inneren. Sie sind mitreißend und gefühlvoll. Die erwachsene Elin hat mein Herz allerdings nicht wirklich berührt. Sie ist unnahbar und hat eine wahrlich dicke Mauer um sich herum aufgebaut, die keiner einzureißen vermag. Niemand dringt richtig zu ihr durch, doch am Härtesten geht sie mit sich selbst ins Gericht.
Erst die Reise mit ihrer Tochter Alice in die Vergangenheit - zurück nach Gotland - lässt Elins Herz langsam auftauen und Dinge erkennen, die sie lange in sich verschlossen hatte.

Die einzelnenen Charaktere sind gut gezeichnet und lassen dem Leser auch hinter die Fassade blicken. Oberflächlich bleiben nur die Figuren, die in New York Elins Leben begleiten - ein Leben, das genauso oberflächlich ist, wie es auch Elin lebt. So kann man auch bei den Figuren einen guten Vergleich ziehen.
Für mich war die Geschichte spannend zu lesen, auch wenn mich der Teil, der in Schweden spielt, mehr interessiert und mitgenommen hat. Die schwedischen Landschaftsbeschreibungen sind authentisch und bildhaft. Ich konnte mir die weite Ebene, die Wälder und das Meer wunderbar vorstellen.
Die melancholische Grundstimmung passt perfekt zum Inhalt und spiegelt das Gefühlsleben der Protagonistin wider.

Ein Roman, der nachdenklich stimmt und aufzeigt, wie sehr unsere Kindheit unser Leben bestimmen kann.


Fazit:
Eine Geschichte über das Leben, seine Wurzeln und welche Spuren die Kindheit hinterlassen kann. Trotz der melancholischen Grundstimmung habe ich den Roman gerne gelesen und mochte vorallem die Erzählung in der Vergangenheit.

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Veröffentlicht am 13.04.2020

Überzeugende Familiensaga mit italienischem Flair

Belmonte
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Zuerst eine Warnung in eigener Sache:
Wenn ihr das Buch lesen möchtet, seht euch NICHT den Stammbaum am Beginn des Buches an!! Er verrät zu viel und spoilert ungemein!

Simona, deutsch-italienisches Gastarbeiterkind ...

Zuerst eine Warnung in eigener Sache:
Wenn ihr das Buch lesen möchtet, seht euch NICHT den Stammbaum am Beginn des Buches an!! Er verrät zu viel und spoilert ungemein!

Simona, deutsch-italienisches Gastarbeiterkind in 3. Generation, wuchs bei ihrer Großmutter Franca im Allgäu auf. Als diese stirbt, erbt sie das Elternhaus ihrer Nonna im verschlafenden Dorf Belmonte bei Ancona in Italien. Eine Überraschung für Simona, die keine Ahnung von diesem Besitz hatte und eben erst ihren Job als Landschaftsgärtnerin verloren hat. Auch die Beziehung zu ihrem langjährigen Freund fühlt sich nicht mehr so an, wie es sein sollte. Dieser Umstand und die Kündigung lässt Simona Richtung Süden nach Belmonte in die italienische Marken in Mittelitalien aufbrechen. Im kleinen mittelalterlichen Dorf wartet aber nicht nur ein altes Haus mit einem großen Garten, der ihr Gärtnerherz höher schlagen lässt, sondern auch ihre unbekannte italienische Familie. Eines Tages hat sie eine von Franca besprochene Kassette im Briefkasten, auf der sie ihre Lebensgeschichte erzählt....

Antonia Riepp erzählt in diesem bezaubernden Roman über vier Generationen von Frauen einer Familie. Auf unterschiedlichen Zeitebenen berichten Teresa und Franca in der 3. Person aus der Vergangenheit, sowie Simona in der Gegenwart aus der Ich-Perspektive aus ihren Leben.
Das hört sich kompliziert an - ist es aber nicht. Während man im ersten Kapitel mit Teresa im Jahr 1944 in die Berge geht, um Partisanen zu unterstützen, lernen wir später ihre Tochter Franca kennen, die als Gastarbeiterin in Deutschlandein neues Leben beginnen möchte.
Die Lebensgeschichten von Simona und ihren Vorfahren wird abwechselnd erzählt. Über jedem Kapitel steht der Name der Protagonistin, die wir begleiten. Normaler Weise begeistert mich der Handlungsstrang in der Vergangenheit immer mehr, doch dieser Roman hat mich auf allen Ebenen gleichermaßen überzeugt. Ich zitterte mit Teresa, die an ihrer erzwungenen Ehe zerbricht, hoffte mit Franca, dem "Bastard", auf eine bessere Zukunft, schüttelte den Kopf über die verzogene Marina und erlebte mit Simona die Herzlichkeit ihrer italienischen Familie. Sie lernt die fast hundertjährige Marta kennen, die Teresas beste Freundin und Francas Ersatzmutter war und die noch immer ein Geheimnis hütet, sowie Irma, Francas Freundin und Ersatzschwester.

Während Simona auf der Suche nach ihren Wurzeln ist und sich in Belmonte auf die Spuren ihrer Ur- und Großmutter macht, erzählt Antonia Riepp in wunderbar lebendigen und sehr bildhaften Beschreibungen über diese Gegend in Italien und lässt uns teilhaben am Leben im beschaulichen Dorf und ihren temperamentvollen Bewohnern. Die Geschichte ist nicht vorhersehbar und beinhaltet einige überraschende Wendungen.
Die Charaktere sind vielschichtig und lebendig. Einige wachsen uns ans Herz, andere haben mich aufgeregt und wiederum ein Teil blieb zuerst undurchschaubar. Alle haben Ecken und Kanten und sind Menschen, wie du und ich.
Wir erfahren mehr über den Kampf der Partisanen während des zweiten Weltkrieges, schütteln den Kopf über die streng konservatibven Moralvorstellungen dieser Zeit im erzkatholischen Italien, erleben die Wirtschaftskrise und Not der Nachkriegszeit, die viele Italiener als Gastarbeiter nach Deutschland führten und Simonas Sinnkrise, die durch die Suche nach ihre Wurzeln ein Ende findet. Besonders die Schicksale von Teresa und Franka haben mich sehr berührt.

Schreibstil:
Der Schreibstil von Antonia Riepp ist einfühlsam und mitreißend. Ich habe mit allen drei Frauenfiguren mitgefiebert und mitgelitten.
Die Landschaftsbeschreibungen der italienischen Marken ist lebendig und sehr bildhaft und auch die typischen italienischen Lebensgewohnheiten werden wunderbar vermittelt. Belmonte ist ein fiktiver Ort. Die Autorin hat sich das Dorf Castiglioni di Arcevia in den Marken als Vorbild genommen.

Fazit:
Eine großartige und bezaubernde Familiengeschichte, die mich auf allen Zeitebenen begeistern konnte. Hätte ich diesen bewegenden Roman nicht bei Lovelybooks gewonnen, wäre mir eine wunderbare Geschichte entgangen. Den Roman kann ich zu 100% weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Spannender dritter Fall für Tom Perlinger

Karl Valentin ist tot
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"Karl Valentin ist tot" ist der dritte Band der Reihe rund um den Münchner Hauptkommissar Tom Perlinger und sein Team. Obwohl ich selbst bei Band 2 eingestiegen bin, empfehle ich diese Reihe von Beginn ...

"Karl Valentin ist tot" ist der dritte Band der Reihe rund um den Münchner Hauptkommissar Tom Perlinger und sein Team. Obwohl ich selbst bei Band 2 eingestiegen bin, empfehle ich diese Reihe von Beginn an zu lesen, denn die Krimis sind etwas komplex und der Familien- und Bekanntenkreis unseres Hauptkommissars groß. Zusätzlich gibt es immer wieder Verbindungen zu den Vorgängerbänden.

Am Karl Valentin Gymnasium im Zentrum Münchens bricht spätnachts ein Feuer aus. Der Kellerbrand kann dank der Aufmerksamkeit des Hausmeisters, der die Feuerwehr alamiert, bald gelöscht werden. Doch für eine der Lehrerinnen kommt jede Hilfe zu spät. Hauptkommissar Tom Perlinger wird zur Fundstätte gerufen. Bald stellt er fest, dass eine weitere Lehrerin vermisst wird und die Tote, die stellvertretende Direktorin Marianne Eichstädt, nicht durch das Feuer umgekommen ist. Je länger Tom und Jessica ermitteln, umso durchsichtiger wird der Fall. Außerdem stoßen die beiden auf enormen Leistungsdruck am Vorzeige-Gymnasum, der bereits zwei Selbstmordversuche unter den Schüler ausgelöst haben dürfte. Einer davon ist Fabian Brühl. Am Beispiel seines Vaters und einer weiteren Familie wird klar dargestellt, wie der Leistungsdruck sowohl Kinder, als auch deren Eltern zerstören kann.
Während Tom und Jessica das Umfeld der Lehrer und Schüler durchleuchten, scheint auch ein alter Bekannter von Tom seine Finger im Spiel zu haben. Der russische Oligarch und Immobilienspekulant Ivan Maslov, sein schlimmster Gegner, hat ebenfalls wieder mitzumischen. Zusätzlich taucht Toms ehemaliger Freund Class wieder auf.
Die Münchner Polizei hat es mit einem äußerst ausgeklügelten Kriminalfall zu tun. Geschickt eingebunden sind die Hintergrundinformationen zum titelgebenden Karl Valentin: Münchner Original, Komiker, Volkssänger, Autor und Filmproduzent. Seine Zitate werden immer wieder mit dem Geschehen verflochten und erinnern an das Münchner Urgestein.

Die zahlreichen Figuren haben Wiedererkennungswert und besitzen oftmals unverwechselbare Charakterzüge. Einige davon sind auch Tatverdächtig. Das Privatleben der Ermittler wird perfekt in die Krimihandlung miteingebaut. Für mich ist das Gleichgewicht zwischen dem Kriminalfall und dem Privatleben ausgewogen. Zusätzlich zeigt die Autorin auch das Problem des heutigen Leistungsdrucks bei Kindern auf, sowie Pädagogen, die sich zwar so nennen, aber keinerlei Empathie haben und nur nach Macht und Anerkennung streben. Als es eine weitere vermisste Person gibt, kommt Tom an seine Grenzen.
Der Spannungsbogen bleibt durchgehend hoch und man kann den Krimi nur sehr schwer aus der Hand legen.

Die Münchner Altstadt ist wieder eine perfekte Krimikulisse, die Sabine Vöhringfer sehr lebendig und bildhaft in Szene gesetzt hat. Kein Wunder! Lebt sie doch selbst in der bayrischen Metropole. Trotzdem muss die Umsetzung funktionieren und diese hat Sabine Vöhringer großartig gemeistert. Ich freue mich schon auf den Folgeband!

Schreibstil:
Sabine Vöhringer schreibt sehr bildhaft, detailliert und mit einem Schuss Humor. Besonders gefallen haben mir ihre Beschreibungen der unverwechselbaren Charaktere. Lokalkolorit wird hochgehalten und trotzdem tritt dabei der Kriminalfall nicht in den Hintergrund.
Am Ende des Buches gibt es ein Personenregister und einen skizzierten Stadtplan von München.

Fazit:
Ein komplexer und vielschichtiger Münchenkrimi, der sowohl Spannung, als auch Lokalkolorit bietet. Vielschichtige Charaktere, eine bildhafte und lebendige Beschreibung des Settings und ein spannender Fall runden diesen dritten Band der Reihe perfekt ab. Ich freue mich schon auf den nächsten Kriminalfall.

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Veröffentlicht am 08.04.2020

Die doch nicht so goldenen Zwanziger

Das Grand Hotel - Die nach den Sternen greifen
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Das Grand Hotel ist Caren Benedikts neuester Roman und hat mich wirklich mehr als überzeugt! Ich habe schon viele Familiensagen und ähnliche Geschichten gelesen, aber Caren Benedict gelang es, mich mit ...

Das Grand Hotel ist Caren Benedikts neuester Roman und hat mich wirklich mehr als überzeugt! Ich habe schon viele Familiensagen und ähnliche Geschichten gelesen, aber Caren Benedict gelang es, mich mit ihrer Erzählung immer wieder neu zu überraschen, sowie mich bei einigen Wendungen fassungslos zurückzulassen.
Sie bringt in diese Familiensaga etwas mehr Kriminalität und Brutalität hinein, als ich bei Romanen dieser Art gewohnt bin. Dies fand ich aber richtig gut und mochte auch das zwielichtige Flair von Berlin in den 1920iger Jahren.

Der Roman spielt nicht nur in Binz auf Rügen, wo das Grand Hotel der Familie von Plesow steht, sondern auch in Berlin. Dort führt Constantin, der jüngere Sohn der von Plesow's, sein eigenes Hotel, das Astor, sowie ein Varieté. Die Schauplätze könnten gegensätzlicher nicht sein. Das sündige und verruchte Berlin und Binz auf Rügen, ein Ort für Erholungssuchende und gut betuchte Hotelgäste.
Das Grand Hotel wird nach dem Tod ihres Mannes von Bernadette von Plesow mit strenger Hand geführt. Ihr ältester Sohn Alexander ist Geschäftsführer, hat aber nicht wirklich viel zu sagen.
Die Geschichte hat mich von Anfang an in den Bann gezogen und nicht mehr losgelassen. Bernadette trägt ein Geheimnis mit sich, das ihre Existenz und die der ganzen Familie zerstören könnte. Dieses schwebt die ganzen 528 Seiten wie ein Damoklesschwert über der Geschichte und nimmt mal mehr und mal weniger Platz ein.

Auch die Folgen des Ersten Weltkrieges werden ungeschönt dargestellt. Die Klassenunterschiede, Armut, Ausbeutung und Bandenkriege sind ebenso Teil des Romans, wie Familiengeheimnisse, Intrigen und das Streben nach Macht. Einzig die politischen Hintergründe kommen etwas zu kurz, werden aber angerissen.

Bernadette ist ein äußerst vielschichtiger und faszinierender Charakter. Sie ist zielstrebig und setzt ihre Macht ein, wo sie nur kann. Das Hotel ist für sie das Wichtigste und dafür tut sie alles. Sie war mir anfangs nicht wirklich sympathisch, aber mit der Zeit entdeckte ich auch ihre guten Seiten und verstand einige ihrer Handlungen - wenn auch nicht alle.
Alexander war mir hingegen zu still und angepasst, zu snobistisch und wankelmütig. Gemeinsam mit seiner snobistischen Frau Mathilde und den Zwillingen, lebt er im Nebenhaus.
Constantin hat Charme, aber hinter seiner freundlichen Maske steckt ein unbarmherziger Mann, der keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Einzig für seine Schwester Josephine scheint er ein Herz zu haben und beschützt sie vor der Unterwelt in Berlin, wo er zu den ganz Großen gehört.
Josephine selbst ist verzogen und fühlt sich alleingelassen. Sie kann nicht wirklich etwas mit sich anfangen und sucht nach sich selbst. Ihren Weg muss sie allerdings erst finden.
Einen größeren Anteil in der Story nimmt auch Marie, eines der Zimmermädchen im Grand Hotel, ein. Sie stellt die untere Schicht dar. Durch eine schlimme Erfahrung entwickelt sich Marie vom schüchternen Zimmermädchen zu einer selbstbewussten Frau, die weiß was sie will.

Das Flair dieser Zeit und die Unterschiede zwischen Binz und Berlin werden sehr gut dargestellt. Die Figuren kommen mehr oder weniger aus allen Schichten. Es gibt überraschende Wendungen, schockierende Ereignisse, sowie Mord, Bandenkriminalität und Korruption.
Dieser erste Band des Grand Hotels mit dem Untertitel "Die nach den Sternen greifen" konnte mich mit einer wirklich vielschichtigen Geschichte überraschen. Ich warte sehnsüchtig auf den Folgeband.

Schreibstil:
Caren Benedict schreibt sehr bildhaft, detailliert und der Zeit angepasst. Die Autorin bringt so einige Überraschungen und viel Abwechslung in den Roman.
Die Geschichte wird aus der Sicht mehrerer Personen erzählt, auch aus der von Nebencharakteren. Die Figuren sind vielschichtig angelegt und manche durchschaut man nicht gleich auf den ersten Blick. Der Großteil entwickelt sich weiter und zeigt auch andere Seiten von sich.
Am Anfang jedes Kapitels stehen Zitate der einzelenen Charaktere.

Fazit:
Ein vielschichtiger historischer Roman, der einige Elemente eines Krimis mitbringt, sowie ein spannendenes Familiengeheimnis beinhaltet. Ein gelungener Auftakt dieser neuen Reihe mit viel Spannung und Dramatik. Leider dauert es noch ein ganzes Jahr bis der zweite Band erscheint.

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