Die letzten 24 Stunden im Leben von Will
Mercy SeatWir sind in den Südstaaten in den 1940iger Jahren. Eine Gleichstellung zwischen Schwarz und Weiß ist Zukunftsmusik. Noch immer verbergen sich weiße Männer hinter spitzen weißen Kapuzen um gegen Schwarze ...
Wir sind in den Südstaaten in den 1940iger Jahren. Eine Gleichstellung zwischen Schwarz und Weiß ist Zukunftsmusik. Noch immer verbergen sich weiße Männer hinter spitzen weißen Kapuzen um gegen Schwarze oder "Niggerfreunde" vorzugehen. Der Klu-Klux-Clan ist allgegenwärtig. Zu dieser Zeit wird ein junger schwarzer Mann wegen Vergwaltigung einer jungen weißen Frau zum Tode verurteilt. Die Beiden sind ein Liebespaar, doch der Vater des Mädchens ist Mitglied im Clan. Während Will festgenommen wird, erschießt sich Claire und kann somit nicht für ihn aussagen...was aber egal ist, denn dass er zum Tode verurteilt wird ist zu dieser Zeit in den USA einfach nur klar...
Die Geschichte erzählt die letzten 24 Stunden vor Wills Hinrichtung aus der Sicht mehrerer Personen. Die kurzen Kapitel und der rasche Perspektivwechsel hat mich zu Beginn etwas verwirrt. Ich konnte nicht alle Figuren sofort zuordnen und die vielen Namen taten ihr Übriges. Doch nach und nach waren diese Probleme vergessen und ich war tief in die Geschichte eingetaucht.
Zuerst begegnen wir Lane und den Captain, die den elektrischen Stuhl nach St. Martinsville kutschieren. Lane ist selbst Häftling und hat seinen ersten Tag Freigang, um den Captain zu begleiten. Als sie an einer Tankstelle kurz halten, lernen wir auch den Tankstellenbesitzer Dale und seine Frau Ora kennen. Ihr gemeinsamer Sohn Tobias ist einberufen worden und kämpft in Japan. Dale und Ora spielen auch in der fortlaufenden Handlung eine Rolle.
Eine weitere Perspektive erhalten wir von Polly, dem Staatsanwalt, der das Strafmaß von Will festgesetzt hat. Seine Frau Nell, die im Norden geboren wurde, findet keinen Gefallen an der Rechtssprechung im Süden. Gabe, ihr gemeinsamer Sohn, erkennt die Zweifel seines Vaters. Frank, der Vater von Will, ist ebenfalls auf dem Weg nach St. Martinsville. Mit seinem altersschwachen Maultier Bess transportiert er den Grabstein für seinen Sohn, den er noch kurz vor der Hinrichtng sehen möchte. Und zu guter Letzt lernen wir noch Hannigan, einen Priester kennen, der Will die letzten Monate begleitet hat und ihm auch kurz vor seinem Tod beizustehen versucht. Er zweifelt am Glauben und an der Gerechtigkeit. Und natürlich Will selbst, der sich dem Urteil ergeben hat und nun seiner Hinrichtung um Mitternacht entgegensieht.
Feinfühlig erzählt Elizabeth H. Winthorp wie die oben genannten Personen mit dem Urteil umgehen und welche Gedanken, Emotionen oder auch Schuldgefühle sie spüren. Dabei gibt uns die Autorin einen schonugslosen Einblick in das letzten Jahrhundert in die Südstaaten der USA. Leider muss man sagen, dass sich in manchen Dingen - trotz der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 1960igern - noch immer viel zu wenig geändert hat. Schwarze werden noch immer benachteiligt, sowie oftmals willkürlich und ungerecht angegriffen oder sogar getötet.
Die intensive Erzählung hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Man spürt die Emotionen der einzelnen Figuren, die drückende Hitze und das langsame Aufkommen von Zweifel und im Gegenzug den Mob, der der Hinrichtung entgegenfiebert. Manche Antworten überlässt Winthorp dem Leser. Dabei hätte ich bei einem Strang gerne noch etwas mehr erfahren.
Die Autorin hat sich an einem wahren Fall orientiert, die sie zu dieser Geschichte inspiriert hat. Ein Roman, der einem nicht so schnell loslässt und niemand kalt lässt.
Schreibstil:
Die Autorin hat einen wahnsinnig eindringlichen und intensiven Schreibstil. Man spürt die beklemmende Stimmung mit jeder Faser beim Lesen, ebenso wie die sengende Hitze und die Emotionen der einzelnen Charaktere. Die kurzen Kapitel mit wechselnden Perspektiven verleiten zum "Ich muss unbedingt noch ein bissche weiterlesen", denn man hat den Wunsch mehr von dieser Figur zu lesen, die wir gerade begleiten, obwohl bereits aus der Sicht der Nächsten erzählt wird. Und so ergeht es einem bei jedem Perspektivwechsel.
Fazit:
Eine beklemmende Geschichte über Rassismus und der Willkür der Menschen, die Menschleben unterschiedlich werten. Eindringlich und schonungslos - eine echte Leseempfehlung!