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Veröffentlicht am 19.01.2020

Zeitreise von Dürnstein nach Konstantinopel

Reliquiae - Die Konstantinopel-Mission - Mittelalter-Roman über eine Reise quer durch Europa im Jahr 1193. Nachfolgeband von "Der Troubadour"
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Was habe ich mich gefreut, als ich gesehen habe, dass Christoph Görg einen Folgeband geschrieben hat und Nikis Abenteuer weitergehen! "Troubadour" war eines meiner absoluten Lesehighlights 2017. Wie auch ...

Was habe ich mich gefreut, als ich gesehen habe, dass Christoph Görg einen Folgeband geschrieben hat und Nikis Abenteuer weitergehen! "Troubadour" war eines meiner absoluten Lesehighlights 2017. Wie auch Band 1 lässt sich die Fortsetzung nicht einem einzigen Genre zuordnen, denn hier treffen sich historischer und Abeteuerroman, sowie Fantasy - durch die Zeitreise, die unser Hauptprotagonist unternimmt.

Damals habe ich mit Niki mitgelitten, als der 19jährige von der Mauer der Burgruine Dürnstein in der Wachau gefallen ist und ins Jahr 1193 katapultiert wurde. Mittlerweile sind sechs Monate vergangen und Niki fühlt sich ganz wohl im frühesten Mittelalter. Mit Edeltrud hat er eine junge Frau an seiner Seite, die er liebt und an Abenteuer mangelt es ebenfalls nicht. Nur ab und zu bereitet ihm sein unüberlegtes Geplapper Schwierigkeiten, wie seine unvorsichtige Bemerkung betreffend eines vierten Kreuzzuges, der eigentlich erst 1202 stattfand. Damit schneidet er sich ins eigene Fleisch, denn nachdem Hadmar von Kuenring und Herzog Leopold von Österreich vom Papst exkommuniziert wurden, soll dieser mit einer ganz besonderen Reliquiae versöhnt werden. Damit beginnt ein mittelalterlicher "Roadtrip" von Dürnstein an der Donau über Wien und den Balkan nach Konstantinopel und zurück.
Gemeinsam mit dem jungen Hadmar von Kuenring, Ritter Joachim von Senftenberg und Ottokar von Pressburg begibt sich Niki auf der Via Diagonales auf den langen Weg nach Konstantinopel. Im Gefolge auch die Zwillinge Gerwald und Gottfried, Nikis Freundin Engel und ihr Bruder Bertram, sowie Bruder Severinus vom Stift Göttweig.
Interessant war die Beschreibung des mittelalterlichen Wiens, das im frühen Mittelalter noch relativ klein war und deren Straßenbenennungen nun nach der Lektüre mehr Sinn ergeben.
Auf ihren Weg durch den gefürchteten Räuberwald und die Überquerung des Balkangebirges erleben die Männer jede Menge Abenteuer, die mich oft bange umblättern und hoffen ließen, dass auch noch alle gesund und munter in Konstantinopel ankommen. Oftmals mussten sie auf die Heilkunst von Engel zurückgreifen, die trotz großem Widerstand als Mann verkleidet schließlich mit auf die Reise gehen durfte.

Christoph Görg hat historische Persönlichkeiten und fiktive Personen gekonnt miteinander verwoben. Die Charaktere sind wieder äußerst lebendig dargestellt und man schließt auch die neu hinzugekommen Figuren schnell ins Herz. Man lebt, liebt und lacht mit ihnen. Auch die Gegenden, die Niki und Co. durchqueren werden wunderbar bildhaft beschrieben. Besonders die Stadt Konstantinopel, die zu dieser Zeit ein wahrliches Juwel gewesen muss, wird sehr anschaulich und malerisch dargestellt. Die Reliquien, die sich damals noch in der Stadt befanden, bevor sie erobert und geplündert wurde und sich die religiösen Artefakte wie Sand am Meer vermehrten, müssen wahrlich etwas Besonderes gewesen sein.
Im Prolog erklärt Christoph Görg dem Leser einiges zum Thema Reliquien, deren Handel und Missbrauch.
Auch die Rückreise gestaltet sich alles andere als einfach und langweilig. Geheimnisvolle Mönche in schwarzen Kutten tauchen immer wieder auf und verfolgen die Reisenden bis nach Venedig. Was es mit ihnen auf sich hat, müsst ihr aber selbst lesen.

Schreibstil:
Christoph Görg erzählt temporeich, wunderbar humorvoll, detailliert und bildhaft. Die mittelalterlich angepasste Sprache und der jugendliche Sprachgebrauch der Gegenwart, der bei Niki's Flashbacks eingesetzt wird, ergeben einen wunderbaren Mix.
Gefallen haben mir wieder die Austro-Pop Lieder von Wolfgang Ambros, Reinhard Fendrich oder STS, die Niki auf seiner Laute trällert, wie auch Filmzitate oder Anspielungen des Autors auf Asterix.

Im Inneren des Buchrückens befindet sich eine Karte vom Deutsch Römischen Reich bis zum Byzantinischen Reich. Unter "Historische Anmerkungen" erzählt der Autor noch über historische Fakten und Fiktion.

Fazit:
Auch "Reliquiae" ist wieder ein kurzweiliger Lesespaß, der mich begeistert hat. Ein etwas anderer historischer Roman, der mich immer wieder schmunzeln hat lassen und trotzdem jede Menge Geschichte spielerisch vermittelt. Ich finde es großartig, dass der Autor nun auch an einem dritten Band schreibt und kann es kaum abwarten mit Niki wieder neue Abenteuer zu erleben. Von mir gibt es eine Leseempfehlung für Historienfans, aber auch für alle, die einmal einen etwas anderen historischen Roman lesen wollen. Aber...zuerst "Troubadour" lesen!!

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Veröffentlicht am 17.01.2020

Großartiger Debütroman über die erste erfolgreiche Buchdruckerin

Die Herrin der Lettern
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Schon in der Vorschau hat mich der historische Roman rund um die Buchdruckkunst von Sophia Langner sehr angesprochen und ist sofort auf meine Wunscloste gewandert.
Der Knaur Verlag hat mir netter Weise ...

Schon in der Vorschau hat mich der historische Roman rund um die Buchdruckkunst von Sophia Langner sehr angesprochen und ist sofort auf meine Wunscloste gewandert.
Der Knaur Verlag hat mir netter Weise ein Rezensionsexemplar zukommen lassen. Fast zur selben Zeit hat die Autorin auch eine Leserunde auf Lovelybooks gestellt, an der ich teilgenommen habe. Gemeinsame Leserunden mit den Buchautoren sind oftmals sehr spannend und aufschlussreich - so auch dieser um die erste erfolgreiche weibliche Buchdruckerin.

Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten und wurde mit fiktiven Elementen vermischt. Wir schreiben das Jahr 1554. Ulrich Monhardt betreibt in Tübingen die einzige Buchdruckerei des Landes. Gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Magdalena führt er den Betrieb, als er plötzlich und unerwartet stirbt. Auf seinem Totenbett vermacht er die Druckerei zu gleichen Teilen seinem ältesten Sohn Ulrich aus erster Ehe und seiner Frau Magdalena. Doch eine Frau als Geschäftsführerin eines Betriebes ist zu dieser Zeit undenkbar und Ulrich versucht mit allen Mitteln seine Stiefmutter zu verdrängen. Auch einige der Gesellen wollen sich einer Frau nicht unterordnen und rebellieren offen gegen Magdalena als Chefin. Immer wieder werden ihr Steine in den Weg gelegt, böse Gerüchte verbreitet bis hin zu tätlichen Angriffen. Und auch die Konkurrenz schläft nicht....
Ich habe mit ihr gezittert und gebangt, vor Zorn geweint und immer wieder aufs Neue gehofft, dass Magdalena nicht aufgibt. Zu ihrer Zeit war es für Buchdruckerwitwen nur möglich sich neu zu verheiraten oder die Druckerei zu verkaufen. Doch Magdalena möchte selbst die Buchdruckerei führen...

Die Mischung aus historischen Fakten und Fiktion ist Sophia Langner wirklich gelungen. Die Autorin hat mit viel Liebe und Engagement die damalige Zeit und die Kunst der Buchdruckerei dargestellt und in ihrem historischen Roman aufleben lassen. Ich habe selbst zwölf Jahre in einer Druckerei gearbeitetet - zwar im Sekretariat und in der Vorstufe - aber der Wandel seit damals ist in diesem Berufszweig einfach unvorstellbar. Wie arbeitsaufwendig, mühsam und schwierig der Buchdruck zu dieser Zeit war, ist unbeschreiblich.
Magdalena muss sich nicht nur gegen ihren Stiefsohn wehren und sich als Frau durchsetzen, sondern sie muss auch den strengen Zeitplan für einen Druckauftrag der Regierung einhalten, um überhaupt die Möglichkeit zu erhalten, angehört zu werden. Die Kunst des Buchdruckes und der enorme Arbeitsaufwand zu dieser Zeit wird von der Autorin verständlich erläutert. Ebenfalls spielt der weitverbreitete Aberglaube und generell die Glaubensfrage eine wichtige Rolle. Anhänger der katholischen Kirche und die neuen Reformer kämpften um ihren Stellenwert, genauso wie Herzöge um ihre Ländereien.
Die Spannung steigt kontinuierlich auf den mehr als 500 Seiten an. Am Ende gibt es noch Luft für eine eventuelle Fortsetzung.

Auch die Charaktere sind liebevoll gezeichnet, vielschichtig und detailreich. Magdalena ist eine sehr starke und couragierte Persönlichkeit, die sich in der Männerwelt behaupten und für ihre Kinder sorgen muss. Neben Magdalena und ihren Kindern Oswald, Jakob, Georg, Moritz und Magda, ihren Stiefsohn Ulrich und deren scharfzüngige Frau Katharina, lernen wir noch Nikodemus, einen Professor an der Universität Tübingen, Franz Kartz, Kammersekretär von Herzog Christoph von Würtemberg und viele andere Figuren kennen, die großteils historische belegt sind.

Schreibstil:
Sophia Langner schreibt bildhaft, detailliert und fesselnd. Sie versteht es Geschichte lebendig werden zu lassen und den Leser in die damalige Zeit zu versetzen. Ich bin durch die Seiten nur so gerast.
Jedes Kapitel beginnt mit einer hängenen Fraktur-Initiale. Zu Beginn gibt es ein Personenregister, am Ende ein Nachwort, historische Hintergrundinformationen und eine Glossar.

Fazit:
Eine spannende und faszinierende Geschichte rund um die erste erfolgreiche Buchdruckerin Deutschlands und ihren langen Weg zur Anerkennung. Ein tolles Debüt der Autorin, die hervorragend recherchiert hat und historische Fakten mit Fiktion vermischt hat. Von mir gibt es eine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 15.01.2020

Mord im Puppentheater

Marionettenverschwörung
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Im siebenten Fall von Kommissar Martin Merana haben wir es mit einem Mordfall im Salzburger Marionettentheater zu tun.
Nach dem schweren Schicksalsschlag am Ende des fünften Bandes und der eher düsteren ...

Im siebenten Fall von Kommissar Martin Merana haben wir es mit einem Mordfall im Salzburger Marionettentheater zu tun.
Nach dem schweren Schicksalsschlag am Ende des fünften Bandes und der eher düsteren Atmosphäre im letzten Teil, hat Merana wieder ein neues Glück gefunden. Mit seiner neuen Liebe Jennifer verbringt er ein paar schöne Tage in Hamburg, die jedoch schneller vorüber sind, als ihm lieb ist. Merana wird nach Salzburg zurückgerufen. Im Marionettentheater wurde die junge und äußerst beliebte Puppenspielerin Lucy Salmira zwischen ihren geliebten Puppen tot aufgefunden - aufgehängt an einem Seil. Kurze Zeit später wird ihre Kollegin Sibylle Lercher ebenfalls ermordet. Wer hat es auf die Frauen abgesehen? Oder will jemand dem Marionettentheater schaden, das nur eine begrenzte Zahl an Puppenspieler hat?
Während Kommissar Merana im Umfeld des Theaters ermittel, wird Lucys Bruder tot aus der Salzach geborgen. Kaum hat sich der Kommissar überlegt, wie der Tod des jungen Mannes mit den Morden an den beiden Frauen zusammenhängen könnte, werden ihm die Ermittlungen durch das BVT, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, abgenommen. Lucys Bruder war verdeckter Ermittler und Martin Merana werden weitere Auskünfte zu seinem Tod verweigert. Sehr schnell ist ihm klar, dass es sich hier um ein explosives politischen Thema handelt...doch was haben Lucy und Sibylle damit zu tun?

Die erste Hälfte hat mich von Beginn an gefangen genommen. Martin Baumann erzählt seine Geschichte im Präsens und verwebt seinen fiktiven Mordfall geschickt mit der Geschichte des Salzburger Marionettentheaters. Dabei schildert er sehr atmosphärisch über die Arbeit der Puppenspieler und den musikalischen Darbietungen. Obwohl ich selbst aus Österreich komme, kannte ich das Salzburger Marionettentheater bisher nicht und war fasziniert von der Beschreibung hinter den Kulissen. Man rätselt mit, wer hinter den beiden Morden stecken könnte und hat seine Favoriten, die durch geschickte Wendungen des Autors rasch wechseln können. Doch durch den Mord an Lucys Bruder schlägt der Krimi eine neue Richtung ein und wird etwas zu politisch. Er driftet weg vom gemütlichen Flair der Marionetten und verbleibt mir allzu lange bei der österreichischen Innenpolitik, die beim Lesen des Krimis bereits teilweise überholt ist. Die angesprochenen Themen sind zwar gut gewählt und zeigen auf, wie wichtig das richtige Parteibuch in Österreich noch immer ist, jedoch hatte ich mit der Zeit das Gefühl, dass Baumann den eigentlich roten Faden verliert.

Die Charaktere sind facettenreich und Baumann bringt wieder sehr viel Lokalkolorit in seinem Krimi. Man schlendert durch die Innenstadt Salzburgs und begleitet den Kommissar durch den Mirabellgarten oder entlang der Salzach. Man bemerkt in jeder Zeile die Liebe des Autors zu Salzburg, der Musik und dessen Kultur. Der Krimi liest sich flüssig und ist spannend geschrieben, jedoch hat mir die zweite Hälfte nicht mehr so gut gefallen.
Hingegen fand ich die Idee, die Figur der Marionette Leandro, die von Lucy erschaffen wurde, eine wichtige Rolle bei der Aufklärung des Falles spielen zu lassen, großartig.

Auf das Cover möchte ich noch kurz eingehen, denn es zeigt eine der Original Marionetten aus dem "Sommernachtstraum" des Salzburger Marionettentheater.

Fazit:
Der siebente Fall von Kommissar Martin Merana ist nicht mehr so melancholisch und düster, wie sein letzter und hat etwas mehr Biss. Den Blick hinter die Kulissen des Marionettentheaters und das gewohnte Salzburger Lokalkolorit fand ich äußerst gelungen, jedoch wurde mir die zweite Hälfte zu politisch. Ich hatte das Gefühl, dass der Fall von den eigentlichn Morden im Puppentheater wegdriftet und der Autor zwischenzeitlich den Faden verloren hat. Erste Hälfte top, zweite Hälfte okay.

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Veröffentlicht am 13.01.2020

Kommt nicht an die Wien Krimis heran

Unter Wölfen
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Die historischen Wien-Krimis von Alex Beer sind ein absolutes Muss für mich, denn die Reihe um August Emmerich gehört zu meinen Lieblingen. Deswegen war ich schon sehr auf den neuen Stand-alone (?) der ...

Die historischen Wien-Krimis von Alex Beer sind ein absolutes Muss für mich, denn die Reihe um August Emmerich gehört zu meinen Lieblingen. Deswegen war ich schon sehr auf den neuen Stand-alone (?) der Autorin gespannt, der in Nürnberg während des Zweiten Weltkrieges spielt. Gleich vorweg - der Krimi ist ein absoluter Pageturner, aber ich habe auch einige Kritikpunkte.

Wir befinden uns in Nürnberg im März 1942. Isaak Rubinstein, ehemaliger Antiquar, erhält für sich und seine Familie den Deportationsbescheid. Nachdem ihnen bereits alles genommen wurde, fürchtet Isaak nun um das Leben seiner Eltern und Schwestern. Deshalb bittet er seine arische Ex-Freundin Clara um Hilfe. Sie hat Verbindungen zum Widerstand und es gelingt ihr tatsächlich die Familie zu verstecken. Für Isaak hat sie jedoch eine neue Identät besorgt. Er, der belesene Jude, soll in die Rolle des SS-Sonderermittlers Adolf Weissmann schlüpfen und für Clara die Gestapo infiltriren und wichtige Unterlagen für den Widerstand beschaffen. Ein unmögliches Unterfangen! Clara übergibt ihm einen SS-Siegelring, einen gefälschten Ausweis und eine passende Uniform. Um am Leben bleiben zu können, versucht Isaak über seinen Schatten zu springen. Er sieht nicht mehr auf den Boden, sondern blickt seinem Gegenüber in die Augen, tritt selbstbewusst auf und bemerkt sehr schnell, wie sehr Macht korrumpieren kann. So befindet er sich, schneller als ihm lieb ist, im Gestapo-Hauptquartier, mitten unter Wölfen und gibt sich als Adolf Weissmann aus. Der Sonderermittler wurde für die Ermittlungen am Mord an der beliebten Schauspielerin Lotte Lanner angefordert, deren Leiche im Quartier des Sturmführers Gerhard Bade gefunden wurde. Ein Opfer muss her, denn ein Sturmführer der SS kann natürlich nicht der Mörder einer der beliebtesten Schauspielerinnnen des Reiches sein...

Und so begleiten wir Isaak Rubinstein, wie er in die Rolle von Adolf Weissmann schlüpfen muss und einen Mord aufklären soll. Obwohl man durch die Seiten fliegt und wirklich Spannung herrscht, hatte ich vorallem in der zweiten Hälfte das Gefühl in einer sehr unglaubwürdigen Geschichte zu stecken. Man zittert zwar mit Isaak bei jeder brenzligen Situation mit, aber davon sind die eine oder andere doch etwas zu dick aufgetragen. Sicherlich gab es Juden, die sich als Arier ausgaben und sich dahinter verstecken konnten. Der Film "Die Unsichtbaren", der über wahre Schicksale von untergetauchten Juden berichtet, zeigt auf, dass es möglich war den Nazis zu entgehen. Deswegen will ich diese Möglichkeit auch nicht ausschließen. Oftmals spielen auch wir nach außen hin eine Rolle und so wahrt auch Isaak den Schein, immer mit dem Wissen, dass er jederzeit aufzliegen kann. Dieses Gefühl hat Alex Beer tatsächlich sehr gut transportiert. Weissmann und Rubinstein sehen sich zwar ähnlich, sind aber charakterlich sehr verschieden. Und dann gibt es auch noch Bekannte und Freunde von Weissmann, die plötzlich autauchen und Rubinstein in arge Bedrängnis bringen....

Durch den jungen Unterscharführer Rudolf Schmitt, der Isaak als Assistent zur Seite steht, zeigt die Autorin auf, wie gut die braune Maschinerie gearbeitet hat, um junge Menschen zu manipulieren. Rudolf, der noch in der Schule mit einem Juden bestens befreundet war, glaubt anstandslos die Hetze der Nationalsozialisten, obwohl er es doch besser wissen sollte...
Auch heute funktioniert die Manipulation bei jungen Leute genauso, egal ob von der Terrormiliz IS oder bei diversen Sekten.

Vermisst habe ich die grandiose Atmosphäre, die Alex Beer in ihren Wien Krimis wirklich erstklassig wiedergibt. Allerdings ist "Unter Wölfen" nicht so düster, wie ihre August Emmerich Reihe. In diesem Krimi schreibt Beer direkter und nicht so detailliert. Dadurch ist die Handlung temporeicher, die Figuren jedoch nicht ganz so vielschichtig und die Atmosphäre nicht so dicht. Im Mittelpunkt steht das Katz und Maus Spiel der "beiden Parteien". Der Spannungsbogen ist dabei sehr hoch und lässt einem den Krimi kaum aus der Hand legen. Das Ende lässt darauf schließen, dass auch Isaak Rubinstein in Serie gehen könnte...

Fazit:
Alex Beer schreibt in ihrem neuen Roman weniger düster, als in ihren Wien-Krimis aus den 1920-iger Jahren, jedoch sehr temporeich und fesselnd. Trotzdem konnte mich "Unter Wölfen" nicht ganz überzeugen und lässt vorallem in der zweiten Hälfte des Buches etwas vermissen, nämlich Authentizität. Trotzdem hatte ich vorallem fesselnde Lesestunden und bin gespannt, ob Isaak Rubinstein in Serie gehen wird.

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Veröffentlicht am 11.01.2020

Die letzten sieben Tage bis zum Attentat - spannend erzählt

Der Attentäter
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Der Autor schreibt seinen neuen Roman im Präsens. So erlebt man das Geschehen direkt und hautnah mit. "Der Attentäter" ist weder Sachbuch, noch ein biografischer Roman, sondern Ulf Schiewe mischt reale ...

Der Autor schreibt seinen neuen Roman im Präsens. So erlebt man das Geschehen direkt und hautnah mit. "Der Attentäter" ist weder Sachbuch, noch ein biografischer Roman, sondern Ulf Schiewe mischt reale Historie und Fiktion.
In drei verschiedenen Handlungssträngen begleiten wir eine Woche lang den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Familie, wie auch die jungen Attentäter Gravrilo Princip, Nedeljko Čabrinović und Trifun „Trifko“ Grabež, sowie den vom Autor fiktiven Major Rudolf Marković, der beim k. und k. Geheimdienst arbeitet. Obwohl man natürlich weiß, wie der Anschlag auf den Thronfolger und seiner Frau in Sarejevo ausgehen wird, verfolgt man voller Spannung die letzten sieben Tage im Leben von Franz Ferdinand und seiner Sophie. Trotzallem hat man die Hoffnung, dass hier die Geschichte neu geschrieben wird, was natürlich nicht der Fall ist. Man bangt mit den Opfern und hat auch teilweise Mitgefühl mit den Tätern. Diese haben sich seit Monaten auf diesen Tag vorbereitet und trotzdem waren sie mehr oder weniger eher Werkzeuge der "Schwarzen Hand" (nationalistisch-irredentistischer serbischer Geheimbund des frühen 20. Jahrhunderts, der auch mit terroristischen Mitteln für ein Großserbien kämpfte). Dazu kamen noch weitere Umstände, die dem Leser die Charaktere und die Beweggründe etwas näher bringen. Trotzdem darf man dabei nicht vergessen, dass alle Attentäter sich gegen die Habsburger auflehnten und für ein vereintes Großserbien kämpften. Mit dem darauffolgenden Ersten Weltkrieg haben sie sicher nicht gerechnet. Ulf Schiewe bewertet nicht oder zeigt mit den Fingern auf die Attentäter, sondern zeigt auch ihre menschliche Seite, die jugendliche Verblendung und die Hoffnung als Helden in die Geschichte einzugehen.

Krasses Unvermögen war hingegen jede Handlung des Feldzeugmeisters Oskar Potiorek, dem Militär- und Landeschef von Bosnien-Herzegowina. Wie einfach hätte man das Attentat verhindern können! Doch dieser arrogante und inkompetente Mann lernte nicht einmal aus dem Tod des Thronfolgers etwas, sondern gab die Schuld anderen und verursachte in seinem weiteren Leben noch mehr Fehlentscheidungen. Manche historischen Fakten machten mich sprachlos, vorallem weil es in der heutigen Zeit einfach undenkbar wäre so ungeschützt durch die Straßen zu fahren.

Der fiktive Major Rudolf Marković bringt in die Geschichte noch zusätzlich Spannung, da er - leider weitab von der Realität - eine Spur zu den Attentätern aufnimmt und diesen auf den Fersen ist. Mit aller Kraft versucht er die Katastrophe zu verhindern, scheitert jedoch kläglich.

Franz Ferdinand erscheint als Thronfolger kühl und oftmals cholerisch. Das macht ihn bei den Menschen nicht gerade beliebt. Er hat jedoch politisches Gespür und ahnt bereits einen Krieg gegen Serbien. Zu seiner Frau Sophie von Hohenberg und den Kindern ist er jedoch liebevoll und aufgeschlossen. Es war eine Liebesheirat, die Kaiser Franz Joseph nicht wirklich akzeptieren wollte und Sophie als "nicht standesgemäß" abstempelte, obwol sie aus böhmischen Adel stammte. Sophie durfte am Wiener Hof keinerlei repräsentative Auftritte absolvieren und wurde gemieden. In der heutigen Zeit ebenso unverständlich, wo Könige und Prinzen bereits Bürgerliche heiraten dürfen. Doch der alte Kaiser war konservativ und bemerkte auch den aufkommenden Hass zwischen den Menschen im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn nicht....ein wahres Pulverfass.
Im Schloss Artstetten, unweit meiner Heimat, haben Franz Ferdinand und Sophie ihre letzte Ruhestätte in der Familiengruft gefunden.

Schreibstil:
Ulf Schiewe hat hier akribisch recherchiert und sich mit seinen Figuren auseinandergesetzt. Er gibt ihnen ein Gesicht und verleiht ihnen Leben. Er schreibt sehr detailliert und bildhaft.
Das Buch wird als historischer Thriller angepriesen, was ich als Thrillerleser nicht so empfinde. Trotzdem erhöhen rasante Szenenwechsel die Spannung.
Über jeden Kapitel stehen Datum, Zeit und Ort. Im Nachwort erklärt der Autor wie es zum Attentat kommen konnte und was danach passierte. Besonders das Schicksal der Kinder von Franz Ferdinand und Sophie fand ich einfach nur traurig und für Österreich beschämend.
Am Beginn des Romans findet man eine Karte von Sarejevo, am Ende gibt es ein Glossar und ein Personenverzeichnis der historisch belegten und der fiktiven Personen der Geschichte.

Fazit:
Ein packender historischer Roman, der obwohl man den Ausgang kennt, zu fesseln weiß. Die letzten sieben Tage bis zum Attentat am österreichischen Thronfolgerpaar werden aus einer Mischung realer Begebenheiten und einem fiktiven Anteil erzählt und sind eine Geschichtsstunde vom Feinsten.

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