Nicht der beste Fielding!
Sag, dass du mich liebstIch fühle ihn, bevor ich ihn sehe, rieche ihn, bevor ich spüre, wie er sich über mir bewegt. Ich erkenne den Geruch sofort wieder. Mundwasser mit Menthol und Minze. Unvermittelt spüre ich das volle Gewicht ...
Ich fühle ihn, bevor ich ihn sehe, rieche ihn, bevor ich spüre, wie er sich über mir bewegt. Ich erkenne den Geruch sofort wieder. Mundwasser mit Menthol und Minze. Unvermittelt spüre ich das volle Gewicht seines Körpers auf meinem, sein Ellbogen drückt auf meine Luftröhre, raubt mir den Atem und erstickt meinen Schrei im Keim. "Sag, dass du mich liebst", befiehlt er [...].
"Sag, dass du mich liebst" - Joy Fielding
[S. 40]
Inhalt:
Bailey Carpenter gehört zu den Menschen, über die man behaupten würde, dass sie ihr Leben bis zu den Fingerspitzen fest im Griff haben. Kurz: Bailey hat es im Leben zu etwas gebracht. Dies erkennt man auch an ihrem recht luxuriösen und angenehmen Lebensstil: Große Privatwohnung, in einem Wohnkomplex mit Empfangsmann, Pool, Fintenessraum und einem schnittigen Wagen in der Tiefgarage. Ihr Geld verdient sie als Privatermittlerin für eine hiesige Anwaltskanzlei in Miami.
Dann kommt der Tag, der alles verändert. Während einer verdeckten Ermittlung, wird die junge Frau auf offener Straße überfallen, brutal zugerichtet und missbraucht. Der Täter lässt ihr nur zwei Dinge zurück: Die Erinnerung an den Geruch von Menthol und Minze, sowie die Worte: „Sag, dass du mich liebst“. Nach diesem Übergriff, gleitet das Leben von Bailey aus all seinen Fugen. Überall sieht sie die Geister des Gewaltverbrechens, schließt sich voller Angst in ihrer Wohnung ein und verschanzt sich immer mehr in ihrer eigenen Gefühlswelt. Als sie eines Nachts in einem Haus gegenüber, einen Mann beobachtet, der sie nicht nur zu beschatten scheint, sondern vor ihren Augen einen kaltblütigen Mord begeht, bricht die Welt der jungen Privatermittlerin vollkommen in sich zusammen und die Geschichte nimmt eine erschreckende Wendung.
Meinung:
Ich kann mich noch ganz genau an meinen ersten Roman von Joy Fielding erinnern. Es war ein heißer Tag im Sommer, ich war um die 16 Jahre alt, lag mit dem Bauch auf der Wiese, ein Buch zwischen den Fingern und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Es war einer dieser Sommer, die mich komplett überrascht und überrollt hatten. Die Temperaturen waren beißend heiß und selbst der stündliche Sprung ins Wasser brachte kaum Linderung. Es war einer dieser Sommer, in denen man sich bestenfalls so wenig wie möglich bewegte, sich nicht anstrengte. Deshalb verschlang ich Buch um Buch und ehe ich mich versah, war meine komplette Urlauslektüre, plus die meiner besten Freundin verspeist. Eine Bekannte legte mir darauf eine für mich ganz neue Autorin ans Herz: Joy Fielding. Also begann ich: „Tanz Püppchen, tanz“ zu lesen. Das Buch nahm mich voll und ganz in seinen Bann und hielt, was mir versprochen wurde. Seitdem kommt mir Joy vor, wie eine alte Freundin, mit der ich mich ab und zu zusammensetze und an den Sommer denke, der mich positiv so sehr überraschte.
Seither kehre ich von Zeit zu Zeit in ein Abenteuer von Frau Fielding zurück. Und egal wie sehr ich mich bemühe, immer wenn ich mit dem Lesen beginne, dann ist es, als wäre ich wieder 16 Jahre alt, mit dem Bauch auf der Wiese und der Sonne im Rücken. Ich bin demnach immer mit großen Erwartungen gefüllt, wenn ich ein Buch der Autorin beginne. So war ich es also auch bei „Sag, dass du mich liebst“. Der Klappentext haute mich aus meinen Schuhen und deshalb nahm ich diesen Schatz, bezahlt mit meinem letzten Weihnachtsgeld, mit nach Hause. Ich schmiss meine Tasche in die Ecke, setzte Teewasser auf, schlüpfte in meine Lieblingssocken und verkroch mich samt Buch unter der Decke. Ich erwartete atemlose Spannung und einen, bis in kleinste Detail ausgereiften Psychothriller. Denn besonders was das Stichwort “Psycho“ betrifft, denkt sich Frau Fielding immer etwas ganz besonderes aus.
Doch diesmal ist irgendetwas anders: Schon auf den ersten Seiten bemerke ich, dass irgendein Aspekt der alten Fielding-Manier hier fehlt. Die Geschichte beginnt zunächst sehr spannend. Wie lernen Bailey Carpenter kennen, eine erfolgreiche Privatermittlerin, die ihr Geld damit verdient, die Geheimnisse anderer Leute auszugraben und sie zu beschatten. So begleiten wir die junge Frau auf den ersten Seiten bei einem ihrer Aufträge, der furchtbar schief geht. Nun wird Bailey zur gejagten und zum Objekt der Überwachung. Nach dem Überfall auf sie und die Misshandlung, ist für Bailey nichts mehr wie vorher. Sie fühlt sich beobachtet, verfolgt und sieht in jedem Mann eine Gefahr. Ich habe mich wirklich sehr auf das bis Dato neuste Buch der Autorin gefreut, denn diese Idee hatte in meinen Augen viel Potential den Leser in die Irre zu führen und an dieser oder jener Stelle in Angst und Schrecken zu versetzten. Leider schöpfte Joy Fielding dieses Potential hier kaum aus – was ich so gar nicht von der kanadischen Autorin gewohnt bin.
Wie bereits erwähnt, die Geschichte beginnt spannend und brutal, nach dem Übergriff auf die Protagonistin flaut dieser Spannungsbogen jedoch auch genauso schnell wieder ab. In den folgenden Kapiteln verliert sich die Autorin in vielen Versuchen, diese Spannung wieder aufzubauen, scheitert jedoch von Mal zu Mal daran. So lässt sie die Hauptfigur an jeder Ecke den möglichen Täter sehen, lässt den Leser wiederrum aber schnell verstehen, dass dies doch nicht der wirkliche Täter ist. Dieser Aspekt ist in diesem Sinne gut gelungen, als dass wir als Leser verstehen, wie sehr die Ereignisse die junge Bailey von innen heraus zersplittert haben. Wir lernen ihre Schmerzen, ihre Ängste und ihre Verzweiflung kennen, sodass wir sie am Ende packen, schütteln, anschreien und aufwecken wollen. Von Seite zu Seite wünschen wir uns mehr, als nur Beobachter zu sein, wir wollen aktiv in die Handlung eingreifen und der Protagonistin helfen – doch wir können nicht. Was Fielding an Spannungsaufbau nicht mehr schaffen kann, macht sie durch die Buchfiguren wieder weg. Was nicht zuletzt auch ihren Schreibstil geschuldet ist, der die Leser vor Ort und Stelle abholt. Auch wenn die Story einen nicht ganz packen und mitreißen kann, holen einen die Worte der Schreiberin in der Realität ab und schaffen es trotz allem, einen nach Miami zu entführen.
Kurzum würde ich behaupten, dass hier das Wort Psycho ernster genommen wurde, als das Wort Thriller. Man bekommt einen guten Einblick in die zerbrochene Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonistin, jedoch wird der Aspekt der Spannung, des Schocks und des „Oh-mein-Gott-wer-ist-der-Täter?“ hier nicht vollends ausgenutzt und ausgebaut. Eigentlich sehr schade, da meiner Meinung nach ein Fielding nur durch das gelungene Umsetzung beider Aspekte funktioniert.
Fazit:
Laut und ungehemmt schreit mich dieser vermeintliche Psychothriller aus der Feder von Joy Fielding mit den Worten: „Sag, dass du mich liebst“, an. Doch leider kann ich seine freche Bitte nicht erwidern. Schon aus Sentimentalität würde ich gerne sagen, dass mich dieser Schmöker von sich überzeugen konnte, dass ich mich in jedes Kapitel, jeden Satz, jeden Buchstaben, jeden Punkt und jedes Komma verliebt habe, doch ich kann nicht. Zwar holt mich die Autorin durch ihren Schreibstil in der Realität ab, kann dann jedoch nicht die Spannung aufbauen, die man von einem gelungen Psychothriller erwartet. Die Protagonistin ist in gewissem Sinne gut und authentisch dargestellt, wird jedoch auch nach kurzer Lesezeit lästig. Ich kann also nicht mehr sagen als: „Ich liebe dich nicht. Ich liebe dich in gewissen Aspekten ein Wenig, doch auch nicht genug, als dass ich nach Jahren der Trennung noch einen Gedanken an dich verschwenden würde.“ Selbst für mich, als langjähriger Fielding-Fan, keine Empfehlung wert.