Ein großer Roman zu einem wichtigen, viel zu wenig besprochenem Thema, bildgewaltig und emotionsgeladen erzählt.
Ein mögliches LebenHannes Köhlers „Ein mögliches Leben“ hat mich aus der Frühjahrsvorschau des Ullstein Verlags heraus direkt angelacht. Die unverbrauchte Thematik, über die bisher kaum geschrieben wurde, und ein Schritt ...
Hannes Köhlers „Ein mögliches Leben“ hat mich aus der Frühjahrsvorschau des Ullstein Verlags heraus direkt angelacht. Die unverbrauchte Thematik, über die bisher kaum geschrieben wurde, und ein Schritt aus meiner Komfortzone heraus waren die Punkte, die mich zu dem Entschluss brachten: Muss ich lesen! Denn Bücher über den Krieg, speziell den zweiten Weltkrieg, sind in meinem Lese-Repertoire noch Mangelware. Und nun habe ich es beendet und kann das Gelesene kaum in Worte fassen. So vielschichtig, so emotional: Martin kennt seinen Großvater eigentlich nur aus von Bitterkeit geprägten Geschichten seiner Mutter, denn für sie war er zwar physisch vorhanden als Vater, mehr aber auch nicht. Und trotzdem willigt Martin ein, mit Franz die Stationen seiner Kriegsgefangenschaft in Amerika zu besuchen. Für Martin beginnt eine Reise, die er nie wieder vergessen wird, denn unter der sengenden Sonne beginnt sein Großvater endlich, sich zu öffnen.
„Ein mögliches Leben“ wird in mehreren ineinander verflochtenen Handlungssträngen erzählt. Zum einen ist da die Reise in die Vereinigten Staaten, Martin, der seinem Großvater beim Erinnern zusieht und im Endeffekt sein eigenes Leben mit seinem Kind von einer Frau, mit dem ihm nicht so wirklich etwas verbindet, klarer sieht. Ein weiterer Erzählstrang wird von Sicht Barbaras erzählt, Franz‘ Tochter und Martins Mutter, Monate nach der Reise. Den größten Platz in „Ein mögliches Leben“ nimmt aber die Rückschau auf Franz‘ Leben in Kriegsgefangenschaft ein, wie er von einem Lager zum nächsten kommt und Arbeiten in der Hitze verrichten muss, wie er Kameradschaftlichkeit in seinen Mitgefangenen entdeckt, einen Freund findet und sich schließlich als Dolmetscher und Übersetzer nützlich macht. Das Leben im Lager ist nie leicht für Franz, obwohl er einigen Komfort erlebt, den es nicht überall gibt in den Lagern: fließendes Wasser, geregelte Mahlzeiten, ein eigenes Bett und den Luxus, Sprachkurse zu besuchen. In Nachbarlager gibt es Radios, und Franz und seine Kameraden, wenn man das so sagen kann, versuchen alles, um einen Fetzen aufzuschnappen, welche Stadt gefallen ist und ob der Krieg ein Ende erreicht. Tägliches Bangen um die Familie in Deutschland ist an der Tagesordnung. Als Paul, Franz‘ bester Freund in der Gefangenschaft, stirbt, wendet er sich an dessen Schwester, und die beiden schreiben sich Briefe voller Trauer und Einsamkeit. Franz spürt, dass sich ihm eine Möglichkeit eröffnet; eine Möglichkeit, nach der Gefangenschaft in dem Land zu bleiben, in das er sich trotz aller Widrigkeiten verliebt hat. Doch wie der Leser schon an der Tatsache erkennen kann, dass Franz Jahrzehnte später mit seinem Enkel nach Amerika reist, ist klar, dass Franz sich gegen das mögliche Leben entschieden hat und nach seiner Gefangenschaft zurück nach Deutschland gereist ist, wo nichts mehr ist, wie es einmal war.
Die vollständige Rezension findet ihr auf meinem Blog: https://killmonotony.de/rezension/hannes-koehler-ein-moegliches-leben