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Veröffentlicht am 13.03.2021

Liebesgeschichte ohne jeden Kitsch

Roman d’amour
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„Liebesgeschichte ohne jeden Kitsch“

Diesen Roman möchte ich allen ans Herz legen, die gern ganz besondere Liebesgeschichten lesen.
Eigentlich handelt es sich nicht nur um einen Roman, sondern um einen ...

„Liebesgeschichte ohne jeden Kitsch“

Diesen Roman möchte ich allen ans Herz legen, die gern ganz besondere Liebesgeschichten lesen.
Eigentlich handelt es sich nicht nur um einen Roman, sondern um einen Roman im Roman. Sylvie Schenk gibt ein Interview einer Journalistin mit einer für ihr neuestes Werk mit einem Literaturpreis bedachten Schriftstellerin über eben diesen Liebesroman wieder. Dieser handelt von der leidenschaftlichen Affäre einer geschiedenen Schuldirektorin mit einem jüngeren, verheirateten Kollegen. Viele Passagen des Buches werden (in Kursivschrift) eingeführt und mit beharrlichen Fragen und Kommentaren der neugierigen und insistenten Interviewerin bedacht, die – richtigerweise – erkannt hat, dass es sich vorrangig um eine Autobiografie handelt. Die Autorin beharrt jedoch auf einer fiktionalen Geschichte. Während des Interviews erinnert sie sich stückchenweise an ihre tatsächlich erlebte Affäre mit einem verheirateten Literaturprofessor vor einigen Jahrzehnten.
Dieses Aufeinandertreffen der beiden Frauen während des Interviews ist sehr gelungen und verleiht dem Roman eine gewisse Lebhaftigkeit. Die Schriftstellerin wird zusehends in die Defensive gedrängt und kann bei ihren Auskünften immer weniger zwischen Werk und eigenem Leben unterscheiden. Darauf springt die Interviewerin natürlich sofort an. Ihre Rolle birgt übrigens noch ein überraschendes Geheimnis, das erst ziemlich am Ende gelüftet wird. Interessant ist auch, dass die Ehebrecherin sowohl im angeblich fiktiven Roman als auch in Gestalt der Schriftstellerin eine Sympathieträgerin ist, was darauf zurückzuführen ist, dass beide letztlich vom verheirateten Geliebten verlassen werden und sich nur durch das Niederschreiben ihrer Geschichte retten können.
Ein wirklich lesenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 09.03.2021

Interessante Geschichte zur Rolle der Frau in den 1960er Jahren

Das Fräulein mit dem karierten Koffer
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Der Roman zeichnet ein gutes und informatives Bild zur Rolle der Frau in den 1960er Jahren, insbesondere wenn sie wie die Protagonistin Sabine überhaupt nicht dem seinerzeitigen Frauenbild der Männer entspricht, ...

Der Roman zeichnet ein gutes und informatives Bild zur Rolle der Frau in den 1960er Jahren, insbesondere wenn sie wie die Protagonistin Sabine überhaupt nicht dem seinerzeitigen Frauenbild der Männer entspricht, die die Frau am liebsten mit Kindern am heimischen Herd wussten. Sabine wuchs ungeliebt auf, die noch nicht lange zurückliegende Zeit des Nationalsozialismus wurde bei ihr zu Hause wie generell totgeschwiegen. Mit 19 wird sie von ihrer großen Liebe, einem reichen Industriellensohn, schwanger, aber nicht geehelicht. Aus dem Elternhaus rausgeworfen, muss sie sich und dann auch ihr Kind, für dessen Behalten sie sich entscheidet, allein durchbringen. Dabei trifft sie auf vielfältige Schwierigkeiten der damaligen Zeit, in der ledige Mütter stigmatisiert wurden, vor allem Schwierigkeiten bei Arbeits- und Wohnungssuche hatten, der Kontrolle eines Vormunds unterstanden und sogar die Wegnahme ihres Kindes und dessen Unterbringung in ein Kinderheim hinnehmen mussten. Doch Sabine vermag sich durchzusetzen und emanzipiert sich in Beruf und auch ihren Beziehungen zu Männern, was damals sicherlich sehr modern angemutet hat.
Die Geschichte liest sich schnell und flüssig und ist für mich persönlich umso interessanter, weil ich in den 1960er Jahren aufgewachsen bin und einige der geschilderten Aspekte noch in Erinnerung habe. Nach der Lektüre bin ich froh, dass sich in den vergangenen 50 Jahren so viel zu Gunsten der Frauen und auch im Nichtehelichenrecht geändert hat, was gerade auf Vorreiterinnen wie Sabine zurückzuführen ist. Als positiv empfinde ich auch, dass sich das Buch weiterer Randgruppen wie der Homosexuellen annimmt, die damals sogar noch der Strafbarkeit unterlagen. Schließlich wird auch zu Recht der Wandel thematisiert, als die junge Generation die Sprachlosigkeit der Elterngeneration zur speziellen deutschen Vergangenheit nicht mehr hinzunehmen bereit ist.

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Veröffentlicht am 02.03.2021

Ironisch und bissig

Der Graben
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Psychologisch ist dieser Roman äußerst interessant. Alles dreht sich um den so beliebten Amsterdamer Bürgermeister Robert Walter, der zunächst als sehr smart und narzisstisch geschildert wird. Wie er über ...

Psychologisch ist dieser Roman äußerst interessant. Alles dreht sich um den so beliebten Amsterdamer Bürgermeister Robert Walter, der zunächst als sehr smart und narzisstisch geschildert wird. Wie er über sich erzählt, ist einfach amüsant und herrlich zu lesen. Allmählich aber wendet sich das Blatt, als er zu glauben meint, seine Ehefrau betrüge ihn mit seinem ihm unsympathischen Mitarbeiter. Fast manisch sucht er fortan nach Beweisen der Untreue seiner Frau und steigert sich in seinen Wahn hinein. Daneben tun sich noch weitere Gräben auf, wie etwa dass seine betagten Eltern Suizid begehen wollen. Roberts Überforderung nimmt zu.
Für den Leser bleibt letztendlich unklar, was real ist und was nur der Fantasie bzw. der Vorstellung Roberts entspringt. Schade, dass das Geheimnis, aus welchem Land die Ehefrau stammt, nicht gelöst wird, um das Robert ein ziemliches Gewese macht. Die Geschichte ist typisch Koch, ironisch und bissig.
Ein gut unterhaltender Roman.

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Veröffentlicht am 27.02.2021

Schöne Mischung zwischen Generationenroman und Geschichte Deutschlands

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Schon der ungewöhnlich lange Buchtitel deutet an, dass es sich um einen besonderen Roman handelt, der für die Autorin ihr Debüt ist. Der Titel bezieht sich auf ein verschollenes Bild des holländischen ...

Schon der ungewöhnlich lange Buchtitel deutet an, dass es sich um einen besonderen Roman handelt, der für die Autorin ihr Debüt ist. Der Titel bezieht sich auf ein verschollenes Bild des holländischen Malers Vermeer, das in der Geschichte eine wichtige Rolle spielt. Es soll sich nämlich zur Zeit des Nationalsozialismus im Besitz eines jüdischen Berliner Kunsthändlers befunden haben, der es zwecks Rettung vor dem Raub durch die Nationalsozialisten seiner Schwiegertochter, der Urgroßmutter der Erzählerin Hannah, anvertraut hat. Hannah will es nun aufspüren, weil sie bzw. ihre Großmutter als einzige Erben ermittelt wurden. Schon daraus wird ersichtlich, dass die Geschichte Deutschlands einen wesentlichen Platz in dem Roman einnimmt. Ebenso wichtig ist der zweite Erzählstrang, der sich der Familiengeschichte Hannahs über vier Generationen widmet, vor allem aber den Frauen in der Familie, die allesamt zu ihren jeweiligen Töchtern ein kompliziertes Verhältnis hatten. Eine zentrale Frage stellt sich, die zum Nachdenken anregt: Darf heute jemand ein Erbe annehmen, in dessen Familie es Täter und Opfer gab, d.h. linientreue Nationalsozialisten und Juden?
Ein fesselnder Roman, der den Leser mitfiebern lässt, ob das Rätsel um die Raubkunst ein gutes Ende findet.

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Veröffentlicht am 15.02.2021

Mit Ehrgeiz die Ausgrenzung aufgrund der Herkunft überwinden

Streulicht
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Die Autorin lässt die namenlos bleibende Ich-Erzählerin über ihre Kindheit in den 1990er Jahren in einem Frankfurter Vorort erzählen. Wegen ihrer Herkunft trifft sie immer wieder auf Ausgrenzung und Benachteiligung. ...

Die Autorin lässt die namenlos bleibende Ich-Erzählerin über ihre Kindheit in den 1990er Jahren in einem Frankfurter Vorort erzählen. Wegen ihrer Herkunft trifft sie immer wieder auf Ausgrenzung und Benachteiligung. Der deutsche Vater ist Arbeiter in einer Chemiefabrik, Alkoholiker, Messie, gewalttätig gegenüber der aus der Türkei stammenden Ehefrau. Der Haushalt ist bildungsfern. Mit der türkischen Abstammung will die Erzählerin partout nichts zu tun haben, weil sie sich durch sie nur rassistischen Anfeindungen gegenübersieht. Aber ehrgeizig ist sie und will genau wie ihre Freunde aus der Einfamilienhaussiedlung das Abitur machen und studieren. Doch die fehlende Unterstützung durch die Eltern, ihre eigene Schüchternheit und die „aussiebenden“ Lehrer lassen sie im normalen Schulsystem scheitern und erst auf der Abendschule das schaffen, was sie schon immer wollte: Abitur machen und studieren, um sich aus ihrem Milieu zu befreien.
Der Roman stellt gelungen dar, dass es in unserem Gesellschaftssystem nach wie vor an Bildungs- und Chancengleichheit fehlt. Die Autorin stellt hierzu genügend Erlebnisse ihrer Protagonistin zusammen, die an Dramatik gewinnen. Den Leser lassen sie wütend zurück.

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