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Veröffentlicht am 13.02.2020

Das Problem des Gesundbetens

Ein wenig Glaube
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In diesem Roman nimmt sich der Autor in Anlehnung an einen wirklichen Vorfall aus dem Jahr 2008 eines Themas an, das in den USA offensichtlich tatsächlich praktiziert wird – dem Gesundbeten. Nach seinen ...

In diesem Roman nimmt sich der Autor in Anlehnung an einen wirklichen Vorfall aus dem Jahr 2008 eines Themas an, das in den USA offensichtlich tatsächlich praktiziert wird – dem Gesundbeten. Nach seinen Recherchen sterben jährlich Hunderte oder sogar Tausende kranke Kinder, weil ihre Eltern um ihre Gesundung beten, statt Hilfe durch Ärzte zu holen.
Das Ehepaar Lyle und Peg lebt zurückgezogen in einer Kleinstadt in Wisconsin. Ihr leiblicher Sohn starb vor vielen Jahren im Kleinkindalter und sie adoptierten später ihre Tochter Shiloh, die allein erziehende Mutter des fünfjährigen Isaac ist, den seine Großeltern über alles lieben. Shiloh verliebt sich in den Priester einer Sekte, die sehr extreme Ansichten vertritt. Er meint, Isaac habe die Gabe, Kranke durch Handauflegen zu heilen. Lyle, der selbst seinen Glauben nach dem Tode seines Sohnes verloren hat, sorgt sich sehr um das Wohl seines Enkels, umso mehr, nachdem er an Diabetes erkrankt.
Sie ist sehr berührend geschrieben. Die liebevolle Beziehung zwischen Großvater und Enkelsohn ist sehr intensiv geschildert. Der Autor wirft ernste Fragen auf wie „Gibt es einen Gott?“, „Was ist Glaube“?, die zum Nachdenken anregen. Aber irgendwie war mir persönlich das alles zu viel des Guten. Das Thema Kirche und Glaube spielt vermutlich in den USA eine sehr viel größere Rolle als bei uns. Darüber hinaus habe ich mich bei manchen Szenen gefragt, warum sie überhaupt eingearbeitet werden mussten – etwa die ausführlich geschilderte Entladung eines Apfellasters beim Supermarkt oder wie Lyles Versuch, die Apfelplantage vor der Vernichtung durch Eisregen zu retten. Das Ende hätte ich mir weniger abrupt und vor allem kompletter gewünscht.
Leser der Bücher von Kent Haruf werden dieses Buch mögen, an die es ein wenig erinnert, weil es auch in ihnen jeweils um ältere Leute aus amerikanischen Kleinstädten geht, die Herausforderungen im Leben mit Geduld und stoischer Liebe begegnen.

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Veröffentlicht am 11.02.2020

Wunderbar geschriebene Ahnenforschung

Die Bagage
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Inwieweit der Roman tatsächlich die Herkunft der Autorin wiedergibt, wie es auf dem Buchrücken heißt, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch egal, ob Autobiografie oder Fiktion oder eine Mischung aus beidem ...

Inwieweit der Roman tatsächlich die Herkunft der Autorin wiedergibt, wie es auf dem Buchrücken heißt, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch egal, ob Autobiografie oder Fiktion oder eine Mischung aus beidem – ganz wunderbar ist die Geschichte in jedem Falle. Basierend auf Erzählungen ihrer weit verzweigten Verwandtschaft, erzählt die Autorin das Leben ihrer Großmutter Maria und deren Nachkommen, die kinderreich und in Armut in der Zeit vor und während des Ersten Weltkriegs in einem österreichischen Bergdorf lebte. Ihre einzigartige Schönheit wird ihr zum Verhängnis. Die männlichen Dorfbewohner steigen ihr hinterher. Als sie dann während des Kriegsdienstes ihres Ehemannes schwanger wird, brodelt aus Neid und Missgunst heraus die Gerüchteküche um den wahren Kindsvater. Der Ehemann fühlt sich gehörnt (ob zu Recht oder zu Unrecht, muss jeder selbst lesen) und lehnt das Kind (Grete, die Mutter der Autorin) Zeit seines Lebens ab. Immer wieder schweift die Autorin bis in die Gegenwart vor und befördert zum Teil hanebüchen klingende Werdegänge ihrer Onkel und Tanten und deren Abkömmlingen zu Tage, die daher wirklich die saloppe Bezeichnung einer „Bagage“ verdienen. Eine Vokabel übrigens, die eingangs der Geschichte gut erläutert wird.
Ein wirklich besonderes Buch für jeden Leser von Familiengeschichten.

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Veröffentlicht am 11.02.2020

Folgen eines traumatischen Kindheitserlebnisses

Das Vermächtnis unsrer Väter
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Das Thema ist leider immer mal wieder aktuell – ein Familienangehöriger tötet zu Hause Angehörige und anschließend sich selbst. Doch welche Folgen hat es, wenn ein Kind als einziges überlebt und mit diesem ...

Das Thema ist leider immer mal wieder aktuell – ein Familienangehöriger tötet zu Hause Angehörige und anschließend sich selbst. Doch welche Folgen hat es, wenn ein Kind als einziges überlebt und mit diesem Trauma sein Leben fortführen muss, sich sogar mitschuldig fühlt? Diesen Fragen geht die Autorin am Beispiel von Tommy nach, dessen Familie vom eigenen Vater ausgelöscht wurde, als er acht Jahre alt war. Zwanzig Jahre später kehrt er an den Ort des Geschehens auf einer winzigen schottischen Insel zurück, wo ihm die Bewohner und sein Onkel aus unterschiedlichen Gründen reserviert gegenübertreten.
Allein die atmosphärische Darstellung von Tommys bedrückender Vergangenheit vor dem passend gewählten Hintergrund einer rauen schottischen Insel ist der Autorin gut gelungen. Der Leser wird angeleitet, sich mit verschiedenen möglichen Erklärungen des früheren Verbrechens auseinanderzusetzen – war es eine spontane Tat; liegt die kriminelle Veranlagung in der Familie begründet, weil auch schon Tommys Großvater gewalttätig gegenüber Frau und Kindern war; wieviel Mitschuld tragen die Personen aus dem Umfeld, hätten sie Vorzeichen erkennen und die Tat verhindern können? Die Romanfiguren sind allesamt psychologisch interessant. Der Protagonist Tommy ist gut dargestellt. Es wird gelungen herausgearbeitet, dass ein solch traumatisches Kindheitserlebnis einen Menschen ein Leben lang verfolgt und belastet.
Für Leser von psychologischen Spannungsromanen.

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Veröffentlicht am 08.02.2020

Rührender Liebesroman

Annika Rose und die Logik der Liebe
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Das ist wirklich ein ganz besonderer Liebesroman. Was ihn zu so etwas besonderem macht, ist die Protagonistin Annika, die von klein auf merkwürdig ist und sich anders als ihre Mitmenschen verhält, was ...

Das ist wirklich ein ganz besonderer Liebesroman. Was ihn zu so etwas besonderem macht, ist die Protagonistin Annika, die von klein auf merkwürdig ist und sich anders als ihre Mitmenschen verhält, was sie aber erst im Erwachsenenalter als Autismus diagnostizieren lässt. Aufgrund dieser Entwicklungsverzögerung wirkt sie oft kindlich und lebensuntüchtig und braucht am College ihre Freundin als Coach. Mit der Pflege von Heimtieren, dem Lesen und dem Schachclub ist sie vollauf zufrieden. Hier trifft sie auf Jonathan und zwischen beiden entwickelt sich eine zärtliche Liebe, die allerdings auf tragische Weise recht abrupt zu Ende geht, ohne dass sich beide aussprechen. Zehn Jahre später treffen sie zufällig wieder aufeinander. Obwohl ihrer beider Leben inzwischen weitergegangen sind, lieben sie einander immer noch. Doch erneut schlägt das Schicksal zu …
Es ist eine so rührende und zärtliche Liebesgeschichte, die umso schöner ist, als nichts in Kitsch ausartet. Von Autismus habe ich zwar schon gehört. Doch erst am Beispiel von Annika ist mir so richtig klar geworden, was er für die Betroffenen bedeutet und werde künftig wirklichen Respekt vor Betroffenen haben. Die Autorin hat sich dieses Themas sehr gekonnt angenommen. Gerade das Anderssein von Annika führt dann auch zu einigen komischen und deshalb gut unterhaltenden Situationen. Am Ende wird noch ein spannendes, wenngleich tragisches Ereignis eingebaut. Erst hier wird klar, warum die Geschichte in wechselnden Zeitebenen im Jahr 1991 und 2001 spielt.
Wirklich zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 05.02.2020

Sein altes Leben hinter sich lassen

Weit über das Land
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Das berühmte Klischee vom Mann, der nur kurz zum Zigaretten kaufen gehen will und dann nicht mehr nach Hause zurückkehrt, kennt wohl jeder. Ähnlich hält es vorliegend der Protagonist Thomas, der eines ...

Das berühmte Klischee vom Mann, der nur kurz zum Zigaretten kaufen gehen will und dann nicht mehr nach Hause zurückkehrt, kennt wohl jeder. Ähnlich hält es vorliegend der Protagonist Thomas, der eines Abends urplötzlich sein Zuhause verlässt, in das er erst kurz vorher von einem Familienurlaub mit Ehefrau und Kindern zurückgekehrt ist. Er begibt sich zu Fuß auf eine Wanderung durch die Schweizer Berge, findet mal hier, mal da eine Unterkunft, geht Gelegenheitsjobs nach. Seiner Frau Astrid wird irrtümlich die Nachricht von seinem Tod überbracht. Ihr Gefühl sagt ihr, dass er noch lebt. Die große Überraschung kommt zwanzig Jahre später.
Sehr detailreich und bildhaft und in ruhigem Ton gibt der Autor die Wanderung des Protagonisten durch Flora und Fauna wieder. Vermutlich hat er selbst Teile des Weges zurückgelegt. Das eigentlich Faszinierende ist, dass wir keine Analyse oder Bewertung von Thomas Verhalten bekommen, auch nicht aus den abwechselnd eingefügten Erzählsträngen aus Astrids Perspektive. Als Leser dürfen wir uns selbst einen Grund für Thomas Verschwinden suchen und über die Frage nachdenken, was wäre, wenn wir selbst unser altes Leben hinter uns lassen. Etwas zu rasch erfolgt der große Zeitsprung am Ende.
Ein schönes Buch.

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