Von Progerie hat vielleicht der eine oder andere schon einmal gehört, also der Erscheinung, dass Kinder wie im Zeitraffer altern. Der Protagonist in diesem Buch leidet unter der gegenteiligen Erscheinung „Anagerie“, bei der der Alterungsprozess stark verlangsamt ist. Tom Hazard ist über 400 Jahre alt, sieht aber wie ein Vierzigjähriger aus. Er hat eine Lebenserwartung von noch etwa 600 Jahren. Das ist selten, es gibt aber noch ähnlich Betroffene.
In unserer Gesellschaft, in der Anti-Aging-Produkte und Schönheitschirurgie eine so große Bedeutung haben, mag das wie ein Traum klingen. Tom empfindet seinen Zustand aber als große Belastung und leidet extrem. Hinzu kommt eine Gefahr von wissenschaftlichen Einrichtungen, die um die Existenz der Betroffenen wissen und ihrer als Versuchskaninchen für Experimente habhaft werden wollen. Außerdem bereitet es Tom großen Schmerz, die Menschen, die er liebt, so lange vor ihm alt werden und sterben zu sehen. Vermeintliche Hilfe bietet ihm die Gesellschaft der Albatrosse, ein Zusammenschluss gleichermaßen Betroffener. Deren oberste Regeln sind, sich niemals zu verlieben und sich alle acht Jahre an einem anderen Ort eine neue Identität zuzulegen.
Ich will nicht zu viel von der Handlung preisgeben. Nur so viel: Tom, im gegenwärtigen Leben Geschichtslehrer in London, einem Ort, der schmerzliche Erinnerungen in ihm weckt, hält einzig die Hoffnung am Leben, seine geliebte Tochter wieder zu finden, die ebenso ist wie er. Die Geschichte wechselt zwischen Toms gegenwärtigem Leben und seinem Leben in den vergangenen Jahrhunderten. Dabei sinniert er über sein Leben und die Leute, die er über die Jahrhunderte getroffen hat – Captain Cook, Shakespeare, Scott, Zelda Fitzgerald. Das ist wirklich faszinierend zu lesen ebenso wie die Thriller- und Liebesgeschichten-Elemente. Der Hauptfokus der Geschichte liegt aber in Toms etwas melancholischer Sicht auf das Leben – welchen Sinn hat es, hunderte von Jahren zu leben, wenn man dies allein tun muss; was bedeutet es zu leben; was macht das Leben lebenswert; wie kann man das Leben annehmen, ohne sich Sorgen über eine unbekannte Zukunft zu machen? Alles Aspekte, die den Leser zum Nachdenken anregen.
Ich habe diese ungewöhnliche Zeitreise wirklich genossen.