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Veröffentlicht am 23.09.2018

Makabre Geschichte über fehlgeschlagene Suizidversuche

Man muss auch mal loslassen können
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Die Beschreibung des Buchs auf dem Buchrücken, in der der urkomische schwarze Humor der Geschichte in den Vordergrund gestellt wird, trifft so zwar nicht zu. Denn um eine satirische Abhandlung des ernsten ...

Die Beschreibung des Buchs auf dem Buchrücken, in der der urkomische schwarze Humor der Geschichte in den Vordergrund gestellt wird, trifft so zwar nicht zu. Denn um eine satirische Abhandlung des ernsten Themas Tod handelt es sich nicht. Eher würde ich sagen, dass auf makabre Weise über fehlgeschlagene Suizidversuche geschrieben wird. Von diesen gibt es in der Tat eine ganze Reihe, unternommen von den drei sich zufällig begegnenden Protagonistinnen Charlotte, Wilma und Jessy, die aus ganz unterschiedlichen Gründen ihres Lebens überdrüssig sind – Krankheit, berufliches Scheitern, Existenzangst, Liebeskummer. Sie treffen auf Ralle und Moritz, die aus einer Bierlaune heraus einen dilettantischen Raubüberfall begehen und derer sich die Frauen bedienen wollen, um ihr Ziel endlich zu erreichen.

Die Romanfiguren sind sehr unterschiedlich. Eine schöne charakterisierende Kurzbeschreibung ist auf dem Klappeninnendeckel zu finden. Nicht jede wird jedem Leser gleichermaßen gefallen. Ich für meinen Teil hatte etwa Schwierigkeiten, mit Jessy warm zu werden, deren „prollige“ Sprechweise gewöhnungsbedürftig ist. Und auch Moritz mit seinen „linken“ politischen Ansichten blieb mir eher fern. Weitaus näher standen mir da schon die bodenständigen Ralle und Wilma, die sich vor dem Aus ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage sehen. Und dann gibt es noch die schöngeistige Charlotte. Alle Figuren vermitteln sehr schöne Lebensweisheiten und Ratschläge, über die sich wirklich nachzudenken lohnt. Daher würde ich das Buch auch nicht bloß als unterhaltende Lektüre für zwischendurch bezeichnen. Ins Buch eingearbeitete wunderbare Zitate sind noch einmal gesammelt mit Quellenangaben im Anhang zu finden, z.B. der mir am besten erinnerliche Satz „Man macht andere nur glücklich, wenn man selbst glücklich ist“. Dass die Geschichte mit einem Happy End schließt, versteht sich eigentlich von selbst.

Ein lesenswertes Buch.

Veröffentlicht am 18.09.2018

Suizid an einer Eliteuniversität

Ein Winter in Paris
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Der Lehrer und Schriftsteller Victor findet nach der Rückkehr aus dem Urlaub in seiner Post einen Brief, der ihn in seine Erinnerungen an einen Winter in Paris im Jahr 1984 eintauchen lässt. Damals studierte ...

Der Lehrer und Schriftsteller Victor findet nach der Rückkehr aus dem Urlaub in seiner Post einen Brief, der ihn in seine Erinnerungen an einen Winter in Paris im Jahr 1984 eintauchen lässt. Damals studierte er im zweiten Jahr in einer Vorbereitungsklasse einer Eliteuniversität. Aus der Provinz und aus einer unteren sozialen Schicht kommend, fristet er ein Außenseiterdasein neben seinen privilegierten Kommilitonen. Er ist ohne Freunde und sonstige soziale Kontakte und lebt ausschließlich für das Lernen, um den harten Anforderungen der Einrichtung zu genügen und im gnadenlosen Konkurrenzkampf zu bestehen. Er entschließt sich, zu seinem Geburtstag einen Kommilitonen (Mathieu) aus dem ersten Studienjahr ins Restaurant einzuladen, mit dem er neuerdings gelegentlich eine Zigarette raucht. Dazu kommt es jedoch nicht mehr, weil sich Mathieu in der Universität in den Tod stürzt, wovon Victor Zeuge wird. Dieses tragische Ereignis verändert Victors Leben. Auf einmal suchen seine Kommilitonen seinen Kontakt, ebenso wie Mathieus Vater, zu dem Victor eine seltsame Beziehung entwickelt.
Der Autor prangert in diesem Roman die unmenschlichen Bedingungen der elitären Vorbereitungsklassen an mit dem zwischen den Studenten bestehenden gnadenlosen Wettbewerb und selbstherrlichen, erniedrigenden Lehrern, die zukünftige elitäre Politiker und Journalisten heranziehen wollen. Daneben werden viele weitere Themen angesprochen: Die Beziehungen zur Familie, die Berührung mit einem anderen sozialen Milieu, der Wettbewerb an der Universität, Freundschaft. Die psychischen Befindlichkeiten von Victor und den anderen Personen seines Umfelds werden sehr schön in einer einfachen, doch wirkungsvollen Sprache beschrieben.
Ein sehr lesenswertes Buch.

Veröffentlicht am 16.09.2018

Typisch japanisch - handlungsarm, melancholisch

Zärtliche Klagen
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Die Kalligrafin Ruriko flüchtet aus Tokio in das im einsamen Wald gelegene Ferienhaus ihrer Eltern, wo sie einst glückliche Kindheitstage verlebt hat. Sie und ihre Nachbarn, der Cembalo-Bauer Nitta und ...

Die Kalligrafin Ruriko flüchtet aus Tokio in das im einsamen Wald gelegene Ferienhaus ihrer Eltern, wo sie einst glückliche Kindheitstage verlebt hat. Sie und ihre Nachbarn, der Cembalo-Bauer Nitta und seine junge Assistentin Kaoru, haben seelische Verletzungen aufzuarbeiten - Ruriko die Misshandlungen ihres untreuen Ehemannes, Nitta den Fehlschlag seiner Karriere als Pianist (er kann nicht vor Dritten spielen), Kaoru die Tötung ihres Verlobten. Ruriko verliebt sich in Nitta, kommt aber nicht gegen die tiefe Verbundenheit zwischen Nitta und Kaoru an.

Dieser Roman ist schon 1996 in Japan erschienen und ein früher Roman der Autorin. Er ist sehr handlungsarm und völlig unaufgeregt. Im Fokus stehen eher die Stimmungen der Romanfiguren, das Leben in der Stille, die Musik (Kaoru spielt immer wieder das titelgebende Stück "Les tendres plaintes" des Komponisten Rameau auf dem Cembalo; Ruriko will erreichen, dass Nitta es für sie spielt) und die Schrift (Ruriko transkripiert Auftragsarbeiten).

Für mich ein typischer japanischer, lesenswerter Roman.

Veröffentlicht am 16.09.2018

Die furchtbaren Folgen einer Scheidung für das Kind

Loyalitäten
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Ein absolut lesenswerter Roman der Autorin, die ich bereits durch ihr ebenso lesenswertes Buch „Nach einer wahren Geschichte“ kannte.

Protagonist ist der zwölfjährige Théo. Er ist Scheidungskind und lebt ...

Ein absolut lesenswerter Roman der Autorin, die ich bereits durch ihr ebenso lesenswertes Buch „Nach einer wahren Geschichte“ kannte.

Protagonist ist der zwölfjährige Théo. Er ist Scheidungskind und lebt im wöchentlichen Wechsel bei seinem verarmten, depressiven Vater und seiner Mutter, die nur noch Hass für ihren Ex-Mann verspürt. Théo trinkt regelmäßig hochprozentigen Alkohol bis zur Besinnungslosigkeit. Im Wechsel mit drei weiteren Romanfiguren kommt er zu Wort. Sein einziger Freund Mathis trinkt zunächst aus Solidarität mit, bis ihm Bedenken kommen. Ihre Lehrerin Hélène hat in ihrer eigenen Kindheit Gewalt erfahren und hat nun eine feine Antenne dafür, dass mit Théo irgendetwas nicht stimmt. Sie vermutet Misshandlungen und ist schon fast besessen davon, die Sache aufzuklären. Cécile ist die Mutter von Mathis, Tochter eines Alkoholikers. Sie entdeckt ein Geheimnis ihres Mannes.

Der Buchtitel „Loyalitäten“ ist passend gewählt. Alle Romanfiguren wollen sich auf irgendeine Weise loyal gegenüber anderen verhalten. Théo will es beiden Elternteilen recht machen; Mathis will gegenüber seinem Freund loyal sein und geht sogar so weit, dass er noch schweigt, als Théo in eine lebensbedrohliche Situation gerät; Cécile will sich selbst und Hélène ihren Schülern gegenüber loyal sein. Das behandelte Thema eines an der Scheidung seiner Eltern zerbrechenden Kindes, das sich in den Alkohol flüchtet, macht betroffen und nachdenklich. Die Erzählsprache ist dem Thema entsprechend angemessen.

Veröffentlicht am 07.09.2018

Etwas ernster als die bisherigen Bücher der Autorin

Drei Frauen am See
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Bislang kenne ich von der Autorin ihre Bücher rund um Papa Heinz. Während diese einen oft schmunzeln lassen, ist der vorliegende Roman, den als Hörbuch die Schauspielerin Anneke Kim Sarnau vorliest, von ...

Bislang kenne ich von der Autorin ihre Bücher rund um Papa Heinz. Während diese einen oft schmunzeln lassen, ist der vorliegende Roman, den als Hörbuch die Schauspielerin Anneke Kim Sarnau vorliest, von eher ernsterem Grundton. Vier Frauen um die 50 verbindet seit ihrer Jugend eine besondere Freundschaft, die sie in Maries Ferienhaus am See bei regelmäßigen Treffen ausleben. Das hat 10 Jahre aufgrund eines Streits ein Ende. Als Marie stirbt (das weiß der Leser/Hörer von Anfang an), hinterlässt sie den anderen drei das Haus unter der Bedingung, dass sie das bevorstehende Pfingstfest dort gemeinsam verbringen, wozu es schließlich auch kommt und was für die Frauen zu einer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit wird.
Anfänglich hatte ich erwartet, die vier Freundinnen nur schwer auseinanderhalten zu können, was schließlich doch nicht so war, da sie alle sehr unterschiedlich sind. Als einen Umstand, der das Zuhören dann aber doch erschwerte, erwies sich, dass immer wieder in die Vergangenheit zurück geblendet wird, und zwar auf verschiedene Jahre in nicht chronologischer Ordnung. Das geschieht in der Weise, dass aus Maries Tagebuchaufzeichnungen gelesen wird oder die Freundinnen eine gegenwärtige Begebenheit zum Anlass nehmen, sich an Vergangenes zu erinnern. Irgendwann fing ich an, zeitlich durcheinander zu geraten. Bei einer Druckversion hätte ich zurückblättern können, hier nicht.
Die Geschichte als solche ist ganz schön, wirkt besinnlich. Das Drumherum um den Streit erweist sich allerdings als etwas banal.
Die Sprecherin hat sehr gute Arbeit geleistet. Sie hat eine angenehme Stimme, der sich gut folgen lässt, und sie macht durch stimmliche Veränderungen und Betonungen deutlich, welche Romanfigur gerade spricht.