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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 17.10.2018

Die eigene Familiengeschichte des Autors

Der Apfelbaum
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Über das schlimmste Kapitel der deutschen Geschichte, die Zeit des Nationalsozialismus, gibt es so viele Romane. Und mit dem vorliegenden tritt ein weiterer hinzu. Doch auch ihn zu lesen lohnt sich. Vielleicht ...

Über das schlimmste Kapitel der deutschen Geschichte, die Zeit des Nationalsozialismus, gibt es so viele Romane. Und mit dem vorliegenden tritt ein weiterer hinzu. Doch auch ihn zu lesen lohnt sich. Vielleicht liegt es daran, dass er aus der Feder des bekannten deutschen Schauspielers Christian Berkel stammt. Wer ihn kennt, hat gleich ein vertrautes Bild vom Erzähler vor Augen. Berkel hat für das Buch einige Jahre akribisch recherchiert, Archive und Originalschauplätze aufgesucht sowie lange Gespräche mit seiner zu der Zeit schon dementen Mutter geführt. Er erzählt, wie seine Mutter von den Nationalsozialisten wegen ihrer (halb)jüdischen Abstammung verfolgt wird und sie das aus Berlin wegführt mit Stationen in Madrid, Paris, einem Lager in den französischen Pyrenäen, Argentinien. Ähnlich dramatisch ist das Schicksal des Vaters, der als Arzt des Roten Kreuzes im Zweiten Weltkrieg dient und anschließend fünf Jahre in russische Kriegsgefangenschaft gerät, um dann endlich mit der Frau zusammenzukommen, die er schon als 17jähriger in den 30er Jahren geliebt hat. Überhaupt sind Berkels Vorfahren sind ungewöhnlich, teils schillernd. Seine Großeltern mütterlicherseits sind Anarchisten.
Berkels Motiv für dieses Buch war, seine eigene Identität zu hinterfragen, die im Alter von sechs Jahren ins Wanken geriet, als er von seiner Mutter erfuhr, „ein bisschen“ jüdisch zu sein. Resultat ist ein Beitrag für die nachfolgende Generation, die Vergangenheit besser zu verstehen.

Veröffentlicht am 13.10.2018

Weniger magisch als erwartet

Die kleinen Wunder von Mayfair
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In der Geschichte geht es um ein magisches Spielwarengeschäft in London zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Betrieben wird es von Papa Jack und seinen Söhnen, Kaspar und Emil. Papa Jacks Spielzeuge sind legendär ...

In der Geschichte geht es um ein magisches Spielwarengeschäft in London zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Betrieben wird es von Papa Jack und seinen Söhnen, Kaspar und Emil. Papa Jacks Spielzeuge sind legendär für ihren Erfindungsreichtum und ihre Magie, z.B. gibt es täuschend echte Patchworkhunde, Vögel aus Pfeifenreinigern und Bäume aus Pappmaschee. Die jährliche Eröffnung des Ladens vor Weihnachten ist immer ein Spektakel. Die junge Cathy wird als Angestellte aufgenommen, nachdem sie – schwanger – vor ihrer Familie geflüchtet ist, die sie in einem Heim für unverheiratete Mütter unterbringen will. Aus ihrer Perspektive wird erzählt. Die fortwährende Rivalität zwischen den beiden Brüdern um die Erfindung des magischsten Spielzeugs und um das Erbe des Emporiums sowie die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs stehen im Vordergrund der Geschichte.

Die anfängliche Magie, die der Geschichte innewohnt, weil sie fast ausschließlich in einem ganz besonderen Spielwarengeschäft angesiedelt ist, und die mir recht gut gefallen hat, geht irgendwann verloren, nachdem sich die von Emil geschaffenen hölzernen Spielzeugsoldaten mehr und mehr zu lebenden Soldaten verselbständigen. Das ist für mich eine negative Entwicklung. Eher gut gelungen ist die Darstellung der traumatisierenden Auswirkungen eines Krieges gerade auf die Psyche der Soldaten. Die Botschaft, die das Buch vermitteln will, ist, dass die Magie der Kindheit mit ihren Spielzeugen vor dem Hintergrund von Krieg, Armut und Traumata sehr kostbar ist.

Veröffentlicht am 09.10.2018

Lehrstück über Liebe, Schriftstellerei und Detektivarbeit

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
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Dieses Buch fesselt bis zur letzten der immerhin 725 Seiten. Es ist eine Mischung aus Kriminalgeschichte, Liebesgeschichte und Sachbuch über das Schreiben eines guten Buches.
Die Schriftstellerei steht ...

Dieses Buch fesselt bis zur letzten der immerhin 725 Seiten. Es ist eine Mischung aus Kriminalgeschichte, Liebesgeschichte und Sachbuch über das Schreiben eines guten Buches.
Die Schriftstellerei steht im Fokus, schon weil die beiden Protagonisten Autoren sind. Im Garten des berühmten Schriftstellers Harry Quebert in der amerikanischen Kleinstadt Aurora/New Hampshire wird im Jahr 2008 die Leiche der seit 33 Jahren vermissten Jugendlichen Nola gefunden. Bei sich hat das Mädchen das Manuskript des Romans, mit dem Quebert berühmt wurde. In ihm geht es um die Liebe zwischen einem älteren Mann und einem Mädchen. Quebert gerät unter Mordverdacht. Als sich herausstellt, dass er tatsächlich eine Liebesbeziehung zu Nola hatte, setzt sein beruflicher Niedergang ein. Queberts Schüler und Freund Marcus Goldman, der sich selbst mit einem ersten Buch einen Namen gemacht hat, jetzt aber unter einer Schreibblockade leidet, beginnt aufzuklären und schriftstellerisch zu verarbeiten, ob Quebert wirklich den Mord begangen hat. Dabei versetzt er den ganzen Ort in Aufruhr.
Das wirklich Raffinierte und Fesselnde an der Geschichte ist, wie die Auflösung des Kriminalfalls angegangen wird und sich verschiedene Verdächtige, die auch der Leser für solche halten muss, als unschuldig erweisen, und wie nach und nach zu Tage kommt, welches Wissen die Bewohner von Aurora tatsächlich jahrzehntelang mit sich trugen. Interessant sind die regelmäßig eingeschobenen Regeln darüber, was ein gutes Buch beim Schreiben erfordert, die Quebert seinem Schüler Goldman eintrichtert. Nicht zuletzt ist das Buch auch amüsant, z.B. die Telefonate von Goldman mit seiner Mutter, die ihren Sohn endlich unter die Haube kriegen will.

Dieses Buch ist wirklich lesenswert.

Veröffentlicht am 01.10.2018

Die unglückliche Liebe zwischen einer Deutschen und einem britischen Besatzungssoldaten

Der englische Liebhaber
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Einen Namen hat sich die Autorin vor allem durch Kinder- und Jugendbücher gemacht, Unterhaltungsromane für Erwachsene folgten und jetzt dieser historische Roman, in dem sie die wahre Liebesgeschichte ihrer ...

Einen Namen hat sich die Autorin vor allem durch Kinder- und Jugendbücher gemacht, Unterhaltungsromane für Erwachsene folgten und jetzt dieser historische Roman, in dem sie die wahre Liebesgeschichte ihrer Tante verarbeitet.
Die deutsche Übersetzerin Anna und der verheiratete englische Spionageoffizier Jeremy lernen sich 1947 in Münster kennen und lieben. Zu der versprochenen Ehe kommt es nicht mehr, weil Jeremy in seine Heimat zurückgerufen wird und der Kontakt seither vollständig abbricht. Anna ist allerdings schwanger von ihm und zieht als unverheiratete und für die Deutschen verächtlich als Britenschlampe geltende Frau ihre unehelich geborene Tochter mit allen nur ersichtlichen Schwierigkeiten alleine groß. Erst ein Vierteljahrhundert später sucht sie wieder Kontakt zu dem damaligen Geliebten und die alte Liebe flammt erneut auf.
Der geschichtliche Hintergrund, in den diese Geschichte gebettet ist, gefällt mir wirklich gut. Wie Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs am Boden lag und in welchem Elend die Bevölkerung lebte, ist realistisch dargestellt. Interessant ist insbesondere der Aspekt, welche Rolle deutsche Frauen einnahmen, die sich mit „feindlichen“ Soldaten einließen. Das war mir bis dato gar nicht bewusst. Im Gegensatz dazu hat mich der unterhaltende Teil der Geschichte enttäuscht, er ist zu sehr überfrachtet mit Klischees. Am meisten habe ich mich daran gestoßen, dass eine doch gebildete junge Frau wie Anna sich naiv und urplötzlich in einen verheirateten Mann verliebt und nach Erkennen der Schwangerschaft nicht alle Hebel in Bewegung setzt, um diesen aufzuspüren. Das Tüpfelchen auf dem i ist dann gar, dass sie ihren Geliebten 25 Jahre lang nicht vergessen kann und gleich beim ersten Treffen erneut das Eheversprechen des wieder verheirateten Geliebten annimmt und dieser für die gemeinsame Tochter sofort der liebende„Daddy“ ist. Wirklich viel Handlung bietet das immerhin 358 Seiten umfassende Buch nicht auf.

Ein Buch, das man durchaus lesen kann, aber nicht muss.

Veröffentlicht am 26.09.2018

Ein zum Leben ermutigendes Buch

Ich komme mit
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Wer zu diesem Buch greift, sollte wissen, dass es sich nicht mal so eben zwischendurch lesen lässt, wozu man aufgrund seines geringen Umfangs von nur 209 Seiten vielleicht verleitet sein könnte. Denn es ...

Wer zu diesem Buch greift, sollte wissen, dass es sich nicht mal so eben zwischendurch lesen lässt, wozu man aufgrund seines geringen Umfangs von nur 209 Seiten vielleicht verleitet sein könnte. Denn es ist ein Buch, das es thematisch in sich hat – es geht um Krankheit, Tod, Alterseinsamkeit und immer wieder um die philosophische, zum Nachdenken anregende Frage, was Leben ist.

Der 20jährige Student Lazy und die verwitwete, vereinsamte Vita, Anfang 70, wohnen im selben Mehrfamilienhaus. Vita kennt Lazy schon von seiner Kindheit an und mochte ihn nie. Das ändert sich, als Lazy fast hoffnungslos an Leukämie erkrankt. Vita nimmt ihn bei sich auf. Sie freunden sich an, unternehmen eine gemeinsame Reise und beschließen den gemeinschaftlichen Freitod.

So besonders wie die Freundschaft zwischen einem jungen Mann und einer alten Frau ist, so ist auch das gesamte Buch. Die Autorin nimmt sich der ernsten Themen mit einer Art Galgenhumor an und lässt die beiden Protagonisten mit schönen Sprachspielen kommunizieren. Faszinierend ist auch das Spiel, das Lazy und Vita irgendwann aufnehmen. Sie tauschen immer wieder– philosophisch anmutende – Sätze darüber aus, was Leben für sie ist, z.B. „Leben ist Melodie erkennen im Summen des Kühlschranks“ oder „Leben ist lachen beim Kitzeln“.

Ein absolut lesenswertes Buch.