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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.03.2018

Opulente Belletristik - zwischen Leidenschaft und (Größen-)Wahn

Orchis
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Der Roman „Orchis“ von Verena Stauffer ist 2018 im Verlag Kremayr & Scheriau in Wien erschienen.
Der Botaniker Anselm ist leidenschaftlicher Orchideensammler und neigt zur Selbstüberschätzung. Mitte des ...

Der Roman „Orchis“ von Verena Stauffer ist 2018 im Verlag Kremayr & Scheriau in Wien erschienen.
Der Botaniker Anselm ist leidenschaftlicher Orchideensammler und neigt zur Selbstüberschätzung. Mitte des 19. Jahrhunderts begibt er sich auf eine Expedition zu Forschungszwecken nach Madagaskar. Auf der Rückfahrt in die Heimat nach Europa scheint plötzlich eine Orchidee aus Anselms Schulter zu wachsen, was den Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt zur Folge hat. Fortan lebt Anselm zwischen Leidenschaft und Wahn. Die politischen Umbrüche im 19. Jahrhundert scheinen in kaum zu interessieren, die These Darwins hält er für reinen Schwachsinn und dann bricht er hektisch auf seine letzte Reise auf.
Die österreichische Autorin besticht durch Schreibgewalt. Ihr Schreibstil ist fast schon opulent, nahezu surreal und ich bin gespannt, was nach diesem gewaltigen Debutroman noch auf uns LeserInnen zukommt. „Orchis“ ist mit Sicherheit ein belletristisches Erlebnis und die Beschreibungen der einzelnen Handlungsorte haben mich mehr als beeindruckt. Die überbordende Sprache muss man aber mögen und ich kann mir gut und gerne vorstellen, dass Bücher von Verena Stauffer nicht nur FreundInnen finden werden.

Veröffentlicht am 28.03.2018

Gesellschaftskritik auf hohem Niveau

Der Lügenpresser
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Der Roman „Der Lügenpresser“ von Livia Klingl ist 2018 im Verlag Kremayr & Scheriau in Wien erschienen und kann als aktuelle Gesellschaftskritik verstanden werden.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht ...

Der Roman „Der Lügenpresser“ von Livia Klingl ist 2018 im Verlag Kremayr & Scheriau in Wien erschienen und kann als aktuelle Gesellschaftskritik verstanden werden.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des Hauptprotagonisten Dr. Karl Schmied. Der 62-jährige Boulevard-Journalist lässt die LeserInnen teilhaben an einer Woche voller innerer Monologe seiner selbst. Beginnend mit Montag in der früh, zuhause im Bett begleiten die LeserInnen Karl bis Freitag im Büro des Online-Chefs seiner Zeitung.
Nach „Lauter Fremde!“ war es bereits mein zweites Buch der Autorin, die ganz nebenbei auch noch Journalistin der österreichischen Qualitätszeitung „Kurier“ ist. Aus der Sicht eines Konkurrenzjournalisten erzählt Livia Klingl ein Sittenbild unserer Zeit. Themen wie EU, Migranten, Flüchtlinge, Roboterisierung, Social Media, die Krise der Politik und der Zeitungen behandelt sie ganz nebenbei und doch eindringlich.
Dr. Karl Schmied findet die Zukunft verheißungsvoll und schaut deshalb gerne in die Vergangenheit zurück. Da besingt er die Urlaube mit seiner Mutter in Grado und würde zu gerne auch mit seiner Geliebten Sonja aus Moldawien einen Urlaub im italienischen Küstenort verbringen. Nur schade, dass sich im Hotel seiner Kindheit mittlerweile ein Bankinstitut befindet. Dass die „Jungen“ die typisch wienerische Sprache mit den vielen Synonymen fürs Sterben nicht mehr schätzen können, findet er schade: „Mittlerweile kenne ich diese Englisch-Schmähs, aber am Anfang war das eine Fremdsprache für mich. Nicht das Englische, mein Englisch ist ganz passabel, sondern seine vertrottelte Invasion ins Deutsche.“, aber auch die deutsche Sprache findet er gewöhnungsbedürftig: „Diese deutsche Sprache mit ihren Zehntausenden Wörtern, hat schon seltsame Eigenheiten!“. In seinen inneren Monologen kann sich Dr. Karl Schmied auch nicht entscheiden, ob früher wirklich alles besser war und ob die Stammtischparolen nun stimmen oder nicht, denn zu gerne verfällt auch er in diese Denkmuster. An anderer Stelle kritisiert er dann aber auch wieder die Vorgängergenerationen und zeigt eine Denkweise, die so an Stammtischen sicher nicht zu finden ist: „Hätten’s es nicht zusammengehauen, hätten`s es nicht wieder aufbauen müssen, unsere Eltern und Großeltern!“
Dr. Karl Schmied sieht aber auch die Rolle seines Berufsstands im Weltgeschehen kritisch. So gibt er sehr wohl den amtierenden PolitikerInnen Schuld an der Flüchtlingswelle, die sie ja nicht kommen sehen wollten. Beschwört auch Klimaflüchtlinge durch den Klimawandel, der wie ein Damokles Schwert über unseren Köpfen schwebt, aber im Boulevard keine Erwähnung findet, weil die LeserInnen wissenschaftliche Berichte nicht verstehen würden und die Zeitungen „Klicks!“ brauchen und deshalb die Wahrheit überspitzen oder nur die Sichtweise der Mehrheit wiedergeben immer mit dem Anhimmeln eines Politikers bzw. dessen Verteufelung.
„Der Lügenpresser“ ist ein wirklich lesenswertes Zeit- und Sittenbild, das mich nicht nur einmal den Kopf schütteln lies. Alle handelnden Personen sind frei erfunden, könnten aber genauso gut in der Realität existieren. Dr. Karl Schmied zeigt die typische Mitte-Rechts Stimmung in unserem Land wieder und spielt auch mit einigen Klischees. So trinkt er beispielsweise ohne natürlich ein Alkoholproblem zu haben und seine Freundin Sonja aus Moldawien arbeitet in einem ganz besonderen Milieu. Einmal werden sogar Boulevard-Zeitungen (und österreichische LeserInnen wissen, von welcher Zeitung gesprochen wird) als „seriös“ bezeichnet, welch blanker Hohn, der dann doch Satire ist.
„Von mir aus könnte einfach wieder Vernunft einkehren, besser heute als morgen, von mir aus könnte die Welt einfach wieder geordnet sein und die Leute friedlich und zufrieden.“

Veröffentlicht am 24.03.2018

Vom Altern und der Lebenslust

Die Farben des Lebens
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Der Roman „Die Farben des Lebens“ von Lorraine Fouchet ist 2018 als deutschsprachige Ausgabe im Hoffmann und Campe Verlag erschienen. Die französische Originalausgabe ist bereits 2017 unter dem Titel „Les ...

Der Roman „Die Farben des Lebens“ von Lorraine Fouchet ist 2018 als deutschsprachige Ausgabe im Hoffmann und Campe Verlag erschienen. Die französische Originalausgabe ist bereits 2017 unter dem Titel „Les couleurs de la vie“ erschienen.
Kims Großmutter hat beschlossen, genug gelebt zu haben. Sie stirbt in einer Klinik in der Schweiz und für ihre Enkelin scheint darauf hin alles zu zerbrechen. Kim, die bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist, braucht Zeit zum Nachdenken, um mit dem Verlust zurechtzukommen. Sie beschließt aus ihrem gewohnten Leben auszubrechen, ihre große Liebe Clovis zurückzulassen und an der Cote d’Azur eine ältere Dame zu betreuen. Diese ältere Dame, Gilonne, zeigt der jungen Protagonistin, was es heißt zu leben. Und das Altern nicht dem Verlust der Lebensfreude gleichzusetzen ist. Neben Kim kümmert sich auch noch Gilonnes Sohn um die ältere Dame, doch bald lernt Kim, dass nicht alles so ist, wie es zu sein scheint und ein Familiengeheimnis möchte aufgedeckt werden.
Lorraine Fouchet besticht mit einem malerischen Schreibstil, verwebt gekonnt zwei Erzählstränge miteinander und schafft es, ihre Charaktere liebevoll zu zeichnen. Neben den handelnden Personen erzählt sie die Geschichte auch aus der Sicht von Gegenständen, so lässt sie beispielsweise den Kühlschrank zu Wort kommen und bezaubert durch eine ungewohnte Erzählweise. Das Buch erzählt Altern und zeigt auf, das Leben auch im Alter noch lebenswert ist.
„Die Farben des Lebens“ ist ein Roman mit Tiefgang, der zum Nachdenken anregt.

Veröffentlicht am 21.03.2018

Es ist nicht alles so, wie es scheint

Brüder und Schwestern
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Der realitätsnahe Roman „Brüder und Schwestern“ von Claudia Lekondra ist im Henkeverlag Berlin erschienen.

Die Hauptprotagonistin Anna, die als 20-Jährige im Sommer 1984 als Bürgerin der DDR unter mysteriösen ...

Der realitätsnahe Roman „Brüder und Schwestern“ von Claudia Lekondra ist im Henkeverlag Berlin erschienen.

Die Hauptprotagonistin Anna, die als 20-Jährige im Sommer 1984 als Bürgerin der DDR unter mysteriösen Umständen in die Bundesrepublik Deutschland ausreist und im Westen ein Leben voller Schuldgefühle lebt, habe ich sofort ins Herz geschlossen. Im Laufe der Geschichte muss Anna einiges ertragen und ich habe mich mehrmals dabei erwischt zu denken, dass ich sie am liebsten in den Arm nehmen würde. Die Autorin hat es wirklich geschafft mich emotional zu berühren und mich durch ihre Schreibweise zu fesseln.
Da ich erst nach dem Mauerfall geboren wurde, kenne ich die Geschehnisse der damaligen Zeit nur aus den Geschichtsbüchern und Fernsehdokumentationen. Die Angst vor Überwachung und Bespitzelung durch die Stasi, die staats- und regimekonforme Erziehung, Staatsflucht und Zwang hat Claudia Lekondra eindeutig geschildert und mir lief es nicht nur einmal kalt über den Rücken. Annas Geschichte wirkt so nah, dass ich bei allen Wendungen und Geschehnissen nicht anders konnte, als mit Anna mitzufiebern.

„Brüder und Schwestern“ ist ein wirklich lesenswertes Buch das aufzeigt, dass in der DDR nicht alles so war, wie es schien.

Veröffentlicht am 18.03.2018

Simons steiniger Weg mit Morbus Still

Die Stille, die im Schatten blüht
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Das Buch „Die Stille die im Schatten blüht“ von Christina Feiersinger ist 2017 im Verlag Anthesia mit dem Untertitel „Das Leben des Simon Mayr mit Morbus Still“ erschienen.
Das Buch erzählt nach wahren ...

Das Buch „Die Stille die im Schatten blüht“ von Christina Feiersinger ist 2017 im Verlag Anthesia mit dem Untertitel „Das Leben des Simon Mayr mit Morbus Still“ erschienen.
Das Buch erzählt nach wahren Begebenheiten die Geschichte des Südtirolers Simon Mayr, der an der seltenen, hoch fieberhaften rheumatischen Systemerkrankung Morbus Still erkrankt ist. Auf einfühlsame Weise und mit einer fabelhaften Sprachgewalt erzählt Christina Feiersinger von seinem Leben und seinem unbeugbaren Willen. Am Ende haben die LeserInnen nicht nur Bewusstsein für die seltene Systemerkrankung Morbus Still gewonnen, sondern auch Sympathien für den Hauptprotagonisten gewonnen. Die ständigen Höhen und Tiefen seines steinigen Wegs, haben mich beim Lesen mit Simon richtig mitfühlen gelassen und ich hoffe, dass das Buch auch in der Öffentlichkeit Gehör finden wird. Wir alle sollten empathisch mit den Lebenswegen unserer Mitmenschen umgehen.