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Veröffentlicht am 06.01.2020

Die tragische Geschichte einer schönen Frau

Jesabel
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»O Marie-Thérèse, versprich mir, dass du mich an dem Tag, an dem du mich alt, wirklich alt siehst, im Schlaf töten wirst.«

Paris in den 30ern, die immer noch attraktive, reiche Gladys Eysenach wird beschuldigt, ...

»O Marie-Thérèse, versprich mir, dass du mich an dem Tag, an dem du mich alt, wirklich alt siehst, im Schlaf töten wirst.«

Paris in den 30ern, die immer noch attraktive, reiche Gladys Eysenach wird beschuldigt, einen jungen Mann erschossen zu haben.
Der Roman beginnt mit dem Verhör der Angeklagten. Schnell sind sich die Zuschauer einig, dass der Ermordete Glayds’ Liebhaber gewesen sein muss. Denn sie brauchte die Bewunderung der Männer, wie die Luft zum Atmen.

Irene Nemirovsky erzählt von der Jugend der Protagonistin, der alle Männer zu Füßen lagen. Sie beschreibt das Älterwerden und die damit aufkeimende Angst allein zu enden.

»Im Grunde gibt es nur ein einziges Glück auf der Welt, nämlich die Jugend.«

Glayds hat keine Arbeit, der sie nachgeht, sie betätigt sich nicht karitativ. Alle Befriedigung zieht sie aus den Blicken und Huldigungen der Männer. Selbst für ihre Tochter empfindet sie keine Zuneigung. Denn sie sieht diese als Konkurrentin.

Zum Ende des Buches löst sich das Rätsel, und wir erfahren warum Gladys den Mann erschossen hat. Doch vorher konfrontierte er sie mit sich selbst.

Es war teilweise anstrengend, den weinerlichen Ausführungen der Protagonistin zu lauschen, die sich klein macht und um Anerkennung bettelt und nicht sieht, wie gut es ihr im Vergleich zu anderen geht. Die Figuren fand ich durchweg unsympathisch - oberflächlich, nur auf sich bedacht, Verantwortung von sich weisend.

Die Autorin Irene Nemirovsky wuchs selbst in sehr behüteten und luxuriösen Verhältnissen auf. Ihre Eltern interessierten sich nicht für sie. Während der Russischen Revolution floh die Familie nach Paris. 1942 wurde Nemirovsky nach Auschwitz deportiert.
Den vorliegenden Roman wurde 1936 veröffentlicht. Ich könnte mir vorstellen, dass die Autorin darin das Aufwachsen in der Oberschicht Russlands schildert, wenn nicht sogar in ihrer eigenen Familie.

Heute, 80 Jahre später, lese ich aus diesem Roman die starke Abhängigkeit der Frauen von den Männern ab. Dazu erzogen, zu gefallen, ohne berufliche Tätigkeit, die Befriedigung schenkt, sinkt der Wert der Frau mit ihrer schwindenden Jugend. Des Weiteren wird ein Kulturwandel, die Frustration der jungen Menschen über fehlende Zukunftsperspektiven und die Macht des Geldes thematisiert.

Für mich zeigt der Roman nur die dunkle Seite der Medaille: Neid, Rache, Ohnmacht, Sexismus, Doppelmoral. Alle sind ausnahmslos von der Schönheit fasziniert. Nur darf sie eine Frau nicht für sich nutzen, darf ihre Lust nicht ausleben, sonst wird sie als Verführerin, als Jesabel angesehen. So wie Isebel aus dem Alten Testament, die den falschen Gott anbetete und mit vielen Männern schlief. Die Männer im Roman dagegen wählten immer neue, immer jüngere Frauen, und wurden dafür nicht verurteilt.

Ich frage mich, warum die Autorin nicht auch die helle Seite, die Konzentration auf etwas Dauerhaftes, die Unabhängigkeit von oberflächlicher Anerkennung und Vergnügen geschildert hat. Hat Nemirovsky diese selbst nicht gesehen, nicht erlebt?

Eine Anklage, ohne Erlösung.
Der Roman hat mich persönlich wenig positiv berührt, da ich keine Identifikationsfiguren gefunden habe und auch das Thema sehr weit von meiner Lebenswelt entfernt ist. Bei den Protagonisten hat keine Erkenntnis, keine Weiterentwicklung stattgefunden.
Ein tragisches Zeitdokument mit einem befriedigenden Spannungsbogen.

Veröffentlicht am 06.01.2020

Die tragische Geschichte einer schönen Frau

Jesabel
0

»O Marie-Thérèse, versprich mir, dass du mich an dem Tag, an dem du mich alt, wirklich alt siehst, im Schlaf töten wirst.«

Paris in den 30ern, die immer noch attraktive, reiche Gladys Eysenach wird beschuldigt, ...

»O Marie-Thérèse, versprich mir, dass du mich an dem Tag, an dem du mich alt, wirklich alt siehst, im Schlaf töten wirst.«

Paris in den 30ern, die immer noch attraktive, reiche Gladys Eysenach wird beschuldigt, einen jungen Mann erschossen zu haben.
Der Roman beginnt mit dem Verhör der Angeklagten. Schnell sind sich die Zuschauer einig, dass der Ermordete Glayds’ Liebhaber gewesen sein muss. Denn sie brauchte die Bewunderung der Männer, wie die Luft zum Atmen.

Irene Nemirovsky erzählt von der Jugend der Protagonistin, der alle Männer zu Füßen lagen. Sie beschreibt das Älterwerden und die damit aufkeimende Angst allein zu enden.

»Im Grunde gibt es nur ein einziges Glück auf der Welt, nämlich die Jugend.«

Glayds hat keine Arbeit, der sie nachgeht, sie betätigt sich nicht karitativ. Alle Befriedigung zieht sie aus den Blicken und Huldigungen der Männer. Selbst für ihre Tochter empfindet sie keine Zuneigung. Denn sie sieht diese als Konkurrentin.

Zum Ende des Buches löst sich das Rätsel, und wir erfahren warum Gladys den Mann erschossen hat. Doch vorher konfrontierte er sie mit sich selbst.

Es war teilweise anstrengend, den weinerlichen Ausführungen der Protagonistin zu lauschen, die sich klein macht und um Anerkennung bettelt und nicht sieht, wie gut es ihr im Vergleich zu anderen geht. Die Figuren fand ich durchweg unsympathisch - oberflächlich, nur auf sich bedacht, Verantwortung von sich weisend.

Die Autorin Irene Nemirovsky wuchs selbst in sehr behüteten und luxuriösen Verhältnissen auf. Ihre Eltern interessierten sich nicht für sie. Während der Russischen Revolution floh die Familie nach Paris. 1942 wurde Nemirovsky nach Auschwitz deportiert.
Den vorliegenden Roman wurde 1936 veröffentlicht. Ich könnte mir vorstellen, dass die Autorin darin das Aufwachsen in der Oberschicht Russlands schildert, wenn nicht sogar in ihrer eigenen Familie.

Heute, 80 Jahre später, lese ich aus diesem Roman die starke Abhängigkeit der Frauen von den Männern ab. Dazu erzogen, zu gefallen, ohne berufliche Tätigkeit, die Befriedigung schenkt, sinkt der Wert der Frau mit ihrer schwindenden Jugend. Des Weiteren wird ein Kulturwandel, die Frustration der jungen Menschen über fehlende Zukunftsperspektiven und die Macht des Geldes thematisiert.

Für mich zeigt der Roman nur die dunkle Seite der Medaille: Neid, Rache, Ohnmacht, Sexismus, Doppelmoral. Alle sind ausnahmslos von der Schönheit fasziniert. Nur darf sie eine Frau nicht für sich nutzen, darf ihre Lust nicht ausleben, sonst wird sie als Verführerin, als Jesabel angesehen. So wie Isebel aus dem Alten Testament, die den falschen Gott anbetete und mit vielen Männern schlief. Die Männer im Roman dagegen wählten immer neue, immer jüngere Frauen, und wurden dafür nicht verurteilt.

Ich frage mich, warum die Autorin nicht auch die helle Seite, die Konzentration auf etwas Dauerhaftes, die Unabhängigkeit von oberflächlicher Anerkennung und Vergnügen geschildert hat. Hat Nemirovsky diese selbst nicht gesehen, nicht erlebt?

Eine Anklage, ohne Erlösung.
Der Roman hat mich persönlich wenig positiv berührt, da ich keine Identifikationsfiguren gefunden habe und auch das Thema sehr weit von meiner Lebenswelt entfernt ist. Bei den Protagonisten hat keine Erkenntnis, keine Weiterentwicklung stattgefunden.
Ein tragisches Zeitdokument mit einem befriedigenden Spannungsbogen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.01.2020

Ein desillusionierender Einblick in die japanische Kultur der Liebe

Liebe und Sinnlichkeit
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Tanizaki Jun’ichirō, 1886 in Japan geboren, veröffentlichte eine Vielzahl von Werken und war sogar im Gespräch für den Literaturnobelpreis.

1931 schrieb er den Essay "Liebe und Sinnlichkeit".
Der Autor ...

Tanizaki Jun’ichirō, 1886 in Japan geboren, veröffentlichte eine Vielzahl von Werken und war sogar im Gespräch für den Literaturnobelpreis.

1931 schrieb er den Essay "Liebe und Sinnlichkeit".
Der Autor war mir vorher nicht bekannt. Allerdings sprach mich gleich der Klappentext an: "Japanerinnen waren lange von einer Aura des Mysteriösen umgeben: blass wie der Mondschein (...) und sanft wie die Tautropfen auf den Gräsern - so wurden sie in der Literatur ihres Landes idealisiert."

Inhalt
Jun’ichirō stellt die japanischer Kunst der westlichen gegenüber. Die Themen von Büchern, Gedichten und Theaterstücken konzentrierten sich früher auf das rechte Leben, Tradition und gute Staatsführung.
Erst mit Einzug der westlichen Literatur, in der scheinbar jedes Werk nur auf Liebe oder Beziehungen beruhte, habe sich in Japan ein Wandel vollzogen.

Er nennt Beispiele verschiedener japanischer Autoren aus unterschiedlicher Zeiten und erläutert das jeweiligen Bild der Frau und der Liebe, die dem zugrunde lag.
Die Frau wurde einst zwar als Eigentum betrachtet, aber verehrt. Demgegenüber setzt er das westliche Ideal des Rittertums.

Außerdem schreibt der Autor über den Einfluss des Klimas, der körperlichen Ertüchtigung und des Essens auf die Libido des japanischen Mannes, der im Vergleich zum Westler viel träger sei und mehr Distanz zur Frau benötige.

Die Frauen lebten früher tief verborgen im Herzen der Häuser, hinter Wandschirmen und Vorhängen. Für den Mann sei die Frau kein Individuum gewesen, sondern habe "die Frau" verkörpert. Ihr Duft, das Rascheln der Kleidung und die Weichheit der Haut habe seine Vorstellung "der Frau" geprägt.

In seinem Vergleicht der Körper japanischer und westlicher Frauen, schneiden die japanischen Frauen schlecht ab. Die Anziehungskraft der japanischen Frauen dagegen beruhe auf ihrer zarten Haut.

Fazit
Ich hatte mir einen Text über Liebe und Sinnlichkeit erhofft. Erhalten habe ich den Vergleich westlicher mit japanischen Frauen. Es liest sich, als schreibe ein Weintester über verschiedene Trauben, die er probiert hat. Die Frauen sind für ihn scheinbar ohne Seele und konstituieren sich nur aus Aussehen und Haptik und Duft.
Für mich war des Text stellenweise emotional sehr unangenehm zu lesen. Wie könnte dies Liebe sein? Wenn man keinen Menschen mit Eigenarten und Wünschen sieht, sondern nur etwas, das man konsumiert?

Der einzige sinnliche und ansprechende Teil war der Absatz über die Prinzessin hinter dem Wandschirm. Über Berührungen in der Dunkelheit, über Sandelholzduft und raschelnden Stoff.

In der Moderne ist vieles auf maximalen Reiz ausgelegt: Schlauchbootlippen, riesige Hintern, strahlende Zähne. Der visuelle Overkill, der jegliche Spannung und Neugier sofort erschlägt.

Unsere Sinne wie das Fühlen, das Gehör und der Geruchssinn werden durch die glatten, grellen Bilder nicht angesprochen.
Alles ist zu viel, zu laut, zu schnell, zu intensiv.

Wie berührend dagegen seine Definition von ''ikoe'. Der Zurückhaltung, wenn die Schwiegereltern der Frau anwesend sind und sie nur sehr subtil ihre Zuneigung für ihn ausdrückt.

Ein Buch aus der rein männlichen Perspektive geschrieben, das mich desillusioniert zurücklässt.

Mich interessiert, was japanische Dichterinnen und Autorinnen geschrieben haben. Was dachten sie über die Liebe, was fühlten sie? Fügten sie sich gern in die ihnen zugedachte Rolle?
fyi
Übrigens schätzen auch manche Frauen, den zurückhaltenden öffentlichen Ausdruck von Männern. Frauen denen Intimität wichtiger ist als instagramwürdige public displays of affection.
Aber diese Frauen wollen auch in ihrer Individualität und als Mensch gesehen werden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 11.11.2019

Interessant. Im Zentrum steht jedoch Pasternak und der Roman, nicht Olga/Lara

LARA
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Die meisten kennen sicher den Film “Dr. Schiwago” mit Omar Sharif und Julie Christie.
Unter welch dramatischen Umständen der Roman, für den Boris Pasternak später den Nobelpreis erhalten sollte, veröffentlicht ...

Die meisten kennen sicher den Film “Dr. Schiwago” mit Omar Sharif und Julie Christie.
Unter welch dramatischen Umständen der Roman, für den Boris Pasternak später den Nobelpreis erhalten sollte, veröffentlicht wurde, ist sicher den wenigsten bekannt.

Die versuche Stalins, den Romans zu unterdrücken, zeigt die Grausamkeit des damaligen Regimes und welchen Repressalien u.a. Schriftsteller und andere Künstler ausgesetzt waren.
Durch verschlungene Wege gelangte “Dr. Schiwago” schließlich ins Ausland.

Anna Pasternak hat ihr Buch nach der zentralen weiblichen Figur des Romans benannt - Lara. Als Inspiration für diese Protagonistin diente Boris Pasternak beim Schreiben seine Geliebte Olga Iwinskaja.

Olga hatte sich unermüdlich für die Veröffentlichung eingesetzt und musste schließlich dafür büßen. Statt Pasternak anzugreifen, wurde seine Geliebte zweimal für mehrere Jahre in ein Umerziehungslager gesteckt und dadurch von ihren beiden Kindern Mitja und Irina getrennt.
Pasternak hat Olga nicht geheiratet und nicht geschützt.

Der Klappentext verspricht: “Basierend auf Archivmaterial und Quellen aus Familienbesitz erzählt die Großnichte des Literaturnobelpreiträgers die Lebensgeschichte der Frau, die Pasternak zu Lara in Doktor Schiwago inspirierte.”

Leider konzentriert sich der Hauptteil des Buches stattdessen auf Boris Pasternak und die Veröffentlichung seines Romans. Ebenso wird seine lange Krankheit und seine Beerdigung beschrieben.

Mehrere Passagen unterlegt die Autorin mit Zitaten aus “Dr.Schiwago”, um die Gefühle, die Boris Pasternak gegenüber seiner Geliebten Olga empfand, zu illustrieren.

Für die Lebensgeschichte Olgas bleibt wenig Platz. Wir lernen sie kennen, als sie im Alter von 34 Jahren Boris Pasternak trifft. Auch ihr Aufenthalt im Gulag und die Verhöre werden beschrieben. Doch in welchen Punkten unterscheidet sich sich von Lara?

Eine verschenkte Chance.
Mich interessiert die Frau, die als Geliebte leben musste, während Pasternak mit seiner Frau und seinen Kindern zusammenwohnte.

Wie empfand Olga den fünfjährigen Aufenthalt im Gulag? Hat sie je daran gedacht, Pasternak zu verraten, um zu ihren Kindern zurückzukommen?

Anna interviewtel auch Irina, Olgas Tochter, in Paris.

Hier hätte mich interessiert: Was fühlte Irina, als sie ihre Mutter wiedersah? War sie wütend, dass ihre Mutter Pasternak “vorzog”?

Woran glaubte Olga? Warum blieb sie mit Pasternak zusammen, obwohl er seine Frau nicht verließ? Selbst dann nicht, als sie fünf Jahre für ihn im Gulag abgesessen hatte?

Wie überstand sie die harte Zeit im Arbeitslager?
Hat sie jemals an Selbstmord gedacht?
Was dachte sie über Männer und Frauen und die Ehe?

Einen Großteil der Geschichte um die Veröffentlichung des Buches und Olgas Inhaftierung kannte ich bereits, da ich kurz vorher den Roman “Alles was wir sind” gelesen hatte. Die Handlung, die sich auf Pasternak und Olga bezieht, stimmt in beiden Bücher sehr stark überein.

Eine interessante Geschichte, wenn auch nicht die Lebensgeschichte Olgas.
Leider blieben viele Fragen für mich unbeantwortet.

Wer Fan des Romans und Pasternaks ist, der wird dieses Buch sicher interessant finden. Anna Pasternak schildert sehr sachlich, detailreich und mit zahlreichen Verweisen und Zitaten.

Wer gern unterhalten werden möchte, dem lege ich den Roman “Alles was wir sind” ans Herz. Dort erfährt man zum großen Teil auch das, was in diesem Buch steht. Und in einem zweiten Handlungsstrang geht es um eine junge Frau in den 50ern, die als Spionin bei der CIA ausgebildet wird und mit der Veröffentlichung von “Dr. Schiwago” zu tun hat.

Veröffentlicht am 11.11.2019

Interessant. Im Zentrum steht jedoch Pasternak und der Roman, nicht Olga/Lara

LARA
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Die meisten kennen sicher den Film “Dr. Schiwago” mit Omar Sharif und Julie Christie.
Unter welch dramatischen Umständen der Roman, für den Boris Pasternak später den Nobelpreis erhalten sollte, veröffentlicht ...

Die meisten kennen sicher den Film “Dr. Schiwago” mit Omar Sharif und Julie Christie.
Unter welch dramatischen Umständen der Roman, für den Boris Pasternak später den Nobelpreis erhalten sollte, veröffentlicht wurde, ist sicher den wenigsten bekannt.

Die versuche Stalins, den Romans zu unterdrücken, zeigt die Grausamkeit des damaligen Regimes und welchen Repressalien u.a. Schriftsteller und andere Künstler ausgesetzt waren.
Durch verschlungene Wege gelangte “Dr. Schiwago” schließlich ins Ausland.

Anna Pasternak hat ihr Buch nach der zentralen weiblichen Figur des Romans benannt - Lara. Als Inspiration für diese Protagonistin diente Boris Pasternak beim Schreiben seine Geliebte Olga Iwinskaja.

Olga hatte sich unermüdlich für die Veröffentlichung eingesetzt und musste schließlich dafür büßen. Statt Pasternak anzugreifen, wurde seine Geliebte zweimal für mehrere Jahre in ein Umerziehungslager gesteckt und dadurch von ihren beiden Kindern Mitja und Irina getrennt.
Pasternak hat Olga nicht geheiratet und nicht geschützt.

Der Klappentext verspricht: “Basierend auf Archivmaterial und Quellen aus Familienbesitz erzählt die Großnichte des Literaturnobelpreiträgers die Lebensgeschichte der Frau, die Pasternak zu Lara in Doktor Schiwago inspirierte.”

Leider konzentriert sich der Hauptteil des Buches stattdessen auf Boris Pasternak und die Veröffentlichung seines Romans. Ebenso wird seine lange Krankheit und seine Beerdigung beschrieben.

Mehrere Passagen unterlegt die Autorin mit Zitaten aus “Dr.Schiwago”, um die Gefühle, die Boris Pasternak gegenüber seiner Geliebten Olga empfand, zu illustrieren.

Für die Lebensgeschichte Olgas bleibt wenig Platz. Wir lernen sie kennen, als sie im Alter von 34 Jahren Boris Pasternak trifft. Auch ihr Aufenthalt im Gulag und die Verhöre werden beschrieben. Doch in welchen Punkten unterscheidet sich sich von Lara?

Eine verschenkte Chance.
Mich interessiert die Frau, die als Geliebte leben musste, während Pasternak mit seiner Frau und seinen Kindern zusammenwohnte.

Wie empfand Olga den fünfjährigen Aufenthalt im Gulag? Hat sie je daran gedacht, Pasternak zu verraten, um zu ihren Kindern zurückzukommen?

Anna interviewtel auch Irina, Olgas Tochter, in Paris.

Hier hätte mich interessiert: Was fühlte Irina, als sie ihre Mutter wiedersah? War sie wütend, dass ihre Mutter Pasternak “vorzog”?

Woran glaubte Olga? Warum blieb sie mit Pasternak zusammen, obwohl er seine Frau nicht verließ? Selbst dann nicht, als sie fünf Jahre für ihn im Gulag abgesessen hatte?

Wie überstand sie die harte Zeit im Arbeitslager?
Hat sie jemals an Selbstmord gedacht?
Was dachte sie über Männer und Frauen und die Ehe?

Einen Großteil der Geschichte um die Veröffentlichung des Buches und Olgas Inhaftierung kannte ich bereits, da ich kurz vorher den Roman “Alles was wir sind” gelesen hatte. Die Handlung, die sich auf Pasternak und Olga bezieht, stimmt in beiden Bücher sehr stark überein.

Eine interessante Geschichte, wenn auch nicht die Lebensgeschichte Olgas.
Leider blieben viele Fragen für mich unbeantwortet.

Wer Fan des Romans und Pasternaks ist, der wird dieses Buch sicher interessant finden. Anna Pasternak schildert sehr sachlich, detailreich und mit zahlreichen Verweisen und Zitaten.

Wer gern unterhalten werden möchte, dem lege ich den Roman “Alles was wir sind” ans Herz. Dort erfährt man zum großen Teil auch das, was in diesem Buch steht. Und in einem zweiten Handlungsstrang geht es um eine junge Frau in den 50ern, die als Spionin bei der CIA ausgebildet wird und mit der Veröffentlichung von “Dr. Schiwago” zu tun hat.