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Veröffentlicht am 28.12.2019

Madeline Miller macht die griechischen Mythen wieder lebendig

Das Lied des Achill
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Nachdem ich von "Ich bin Circe" so begeistert war, musste ich natürlich auch ihren vorher erschienenen Roman über den Helden Achill lesen.

Patroklos ist ein junger griechischer Prinz. Im Alter von zehn ...

Nachdem ich von "Ich bin Circe" so begeistert war, musste ich natürlich auch ihren vorher erschienenen Roman über den Helden Achill lesen.

Patroklos ist ein junger griechischer Prinz. Im Alter von zehn Jahren wird er von seinem Vater verstoßen und nach Phthia verbannt - ein kleines Land im Norden zwischen Meeresküste und Othrys-Gebirge.
Patroklos erzählt davon, wie er dort den gleichaltrigen Prinz Achill kennenlernt. Achill wurde vorhergesagt, dass er einst ein großer Held werden würde.
Achill wählt den Verstoßenen als seinen Gefährten aus, doch Achills Mutter Thetis - eine furchterregende Nymphe - versucht die beiden mit aller Macht zu trennen.
Als Achill ins Gebirge geht, um sich dort vom Zentauren Cheiron ausbilden zu lassen, folgt Patroklos ihm heimlich.

Wer die griechische Mythologie kennt, weiß, dass Helena nach Troja entführt werden wird und König Agamemnon daraufhin mit einem gigantischen Heer loszieht, um sie zurückzuholen. Die Stadt mit den riesigen, unbezwingbaren Mauern wird jahrelang belagert werden.

»Wenn du nach Troja gehst, wirst du nicht zurückkehren, sondern als junger Mann dort sterben.«
Achill erbleichte. »Ist das gewiss?«

Madeline Miller hat Altphilologie studiert und kennt sich daher mit der Antike aus.
Wie ich es aus "Ich bin Circe" kenne, macht die Autorin mit ihrer zauberhaften Sprache, die damaligen Göttinnen und Helden wieder lebendig. Man riecht förmlich den herben Duft der Zypressen und spürt die Sonne auf der Haut.

In einigen Überlieferungen werden Achill und Patroklos als Freunde bezeichnet. Aischylos dagegen beschreibt sie als Liebespaar. Auf letzteren stützt sich Miller scheinbar, als sie schildert, wie die beiden jungen Männer ihre Liebe zueinander entdecken.

Die erste Hälfte des Buches hat mir sehr gut gefallen. Die beiden Hauptfiguren sind sympathisch. Achilles wird als selbstbewusst, friedliebend und gerecht dargestellt. Die Liebeszenen zwischen den beiden Männern sind äußerst sinnlich beschrieben.

Ein Problem waren für mich jedoch die überwiegend negativen Frauenfiguren: die grausame, kalte Mutter; eine berechnende Ehefrau; Frauen, die wie Eigentum behandelt werden.
In "Ich bin Circe" war Circe der Gegenpol zu der patriarchalischen, sexistischen Kultur der damaligen Zeit. Mit ihr konnte man mitfiebern, wenn sie sich gegen gewalttätige Männer zu Wehr setzte.
Bei "Das Lied des Achill" fehlt solch ein ausgleichender Charakter. Die negativen Emotionen blieben daher bei mir, statt aufgelöst und in Genugtuung verwandelt zu werden. Als Leserin habe ich mich hier weniger wohlgefühlt als beim Lesen von "Ich bin Circe".

In der zweiten Hälfte des Buches wird die Belagerung und der Kampf um Troja beschrieben. Achill trifft aus Zorn und Stolz eine falsche Entscheidung.

»Dann wird er sterben. Alle werden sterben. Erst wenn er mich auf Knien bittet, werde ich den Kampf wieder aufnehmen.«

Verständlich, dass die Autorin an den Ablauf des ursprünglichen Mythos gebunden war. Für mich war jedoch der Sinnesumschwung Achills nicht plausibel geschildert.
Die Entscheidung Patroklos als Erzähler zu wählen, die ich sehr geschickt fand, wirkte am Ende für einen Moment sehr merkwürdig. (Patroklos stirbt vor Achill). Dies sind jedoch nur kleine Kritikpunkte.

Madeline Miller schreibt mitreißend, lebendig und spannend. Ein sehr guter, lesenswerter Roman, der mir die Geschichte Achills und das Leben in der damaligen Zeit nähergebracht hat.

Veröffentlicht am 28.12.2019

Madeline Miller macht die griechischen Mythen wieder lebendig

Das Lied des Achill
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Nachdem ich von "Ich bin Circe" so begeistert war, musste ich natürlich auch ihren vorher erschienenen Roman über den Helden Achill lesen.

Patroklos ist ein junger griechischer Prinz. Im Alter von zehn ...

Nachdem ich von "Ich bin Circe" so begeistert war, musste ich natürlich auch ihren vorher erschienenen Roman über den Helden Achill lesen.

Patroklos ist ein junger griechischer Prinz. Im Alter von zehn Jahren wird er von seinem Vater verstoßen und nach Phthia verbannt - ein kleines Land im Norden zwischen Meeresküste und Othrys-Gebirge.
Patroklos erzählt davon, wie er dort den gleichaltrigen Prinz Achill kennenlernt. Achill wurde vorhergesagt, dass er einst ein großer Held werden würde.
Achill wählt den Verstoßenen als seinen Gefährten aus, doch Achills Mutter Thetis - eine furchterregende Nymphe - versucht die beiden mit aller Macht zu trennen.
Als Achill ins Gebirge geht, um sich dort vom Zentauren Cheiron ausbilden zu lassen, folgt Patroklos ihm heimlich.

Wer die griechische Mythologie kennt, weiß, dass Helena nach Troja entführt werden wird und König Agamemnon daraufhin mit einem gigantischen Heer loszieht, um sie zurückzuholen. Die Stadt mit den riesigen, unbezwingbaren Mauern wird jahrelang belagert werden.

»Wenn du nach Troja gehst, wirst du nicht zurückkehren, sondern als junger Mann dort sterben.«
Achill erbleichte. »Ist das gewiss?«

Madeline Miller hat Altphilologie studiert und kennt sich daher mit der Antike aus.
Wie ich es aus "Ich bin Circe" kenne, macht die Autorin mit ihrer zauberhaften Sprache, die damaligen Göttinnen und Helden wieder lebendig. Man riecht förmlich den herben Duft der Zypressen und spürt die Sonne auf der Haut.

In einigen Überlieferungen werden Achill und Patroklos als Freunde bezeichnet. Aischylos dagegen beschreibt sie als Liebespaar. Auf letzteren stützt sich Miller scheinbar, als sie schildert, wie die beiden jungen Männer ihre Liebe zueinander entdecken.

Die erste Hälfte des Buches hat mir sehr gut gefallen. Die beiden Hauptfiguren sind sympathisch. Achilles wird als selbstbewusst, friedliebend und gerecht dargestellt. Die Liebeszenen zwischen den beiden Männern sind äußerst sinnlich beschrieben.

Ein Problem waren für mich jedoch die überwiegend negativen Frauenfiguren: die grausame, kalte Mutter; eine berechnende Ehefrau; Frauen, die wie Eigentum behandelt werden.
In "Ich bin Circe" war Circe der Gegenpol zu der patriarchalischen, sexistischen Kultur der damaligen Zeit. Mit ihr konnte man mitfiebern, wenn sie sich gegen gewalttätige Männer zu Wehr setzte.
Bei "Das Lied des Achill" fehlt solch ein ausgleichender Charakter. Die negativen Emotionen blieben daher bei mir, statt aufgelöst und in Genugtuung verwandelt zu werden. Als Leserin habe ich mich hier weniger wohlgefühlt als beim Lesen von "Ich bin Circe".

In der zweiten Hälfte des Buches wird die Belagerung und der Kampf um Troja beschrieben. Achill trifft aus Zorn und Stolz eine falsche Entscheidung.

»Dann wird er sterben. Alle werden sterben. Erst wenn er mich auf Knien bittet, werde ich den Kampf wieder aufnehmen.«

Verständlich, dass die Autorin an den Ablauf des ursprünglichen Mythos gebunden war. Für mich war jedoch der Sinnesumschwung Achills nicht plausibel geschildert.
Die Entscheidung Patroklos als Erzähler zu wählen, die ich sehr geschickt fand, wirkte am Ende für einen Moment sehr merkwürdig. (Patroklos stirbt vor Achill). Dies sind jedoch nur kleine Kritikpunkte.

Madeline Miller schreibt mitreißend, lebendig und spannend. Ein sehr guter, lesenswerter Roman, der mir die Geschichte Achills und das Leben in der damaligen Zeit nähergebracht hat.

Veröffentlicht am 23.12.2019

Die Träume der Frauen

Die Zeit der Erbin
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England, 1935. Als Cassia Tallow eine sehr große Summe Geld erbt, beginnt es in ihrer Ehe zu brodeln. Es bricht alles hervor, was lange Zeit unterdrückt wurde.
Cassia schloss ihr Medizinstudium mit einer ...

England, 1935. Als Cassia Tallow eine sehr große Summe Geld erbt, beginnt es in ihrer Ehe zu brodeln. Es bricht alles hervor, was lange Zeit unterdrückt wurde.
Cassia schloss ihr Medizinstudium mit einer hervorragenden Note ab. Doch als sie schwanger wurde, heiratete sie den langweiligen Edward.
Durch den unverhofften Geldsegen kann Cassia sich Freiheiten gönnen und sich wieder ihren Träumen zuwenden, die sie für die Ehe zurückgestellt hat. Edward dagegen fühlt sich in seiner Rolle als Haushaltsvorstand bedroht und beginnt Cassia unterschwellig zu sabotieren, bis sogar ihre Kinder unter der Situation leiden müssen.

Neben Cassia folgen wir weiteren Paaren, deren Ehe wenig Erfüllung bietet. Die Autorin Penny Vincenzi spricht Themen wie Homosexualität, Eifersucht, Macht und Geschlechterrollen an. In ihrer Tätigkeit als Ärztin in einer Klinik für Familienplanung wird Cassia mit den Schwierigkeiten von Frauen konfrontiert, die keinen Zugang zu Verhütungsmitteln haben.

Vincenzi schreibt sehr ausführlich. Die Handlung fließt dahin und man kann sich gemütlich hineinsinken lassen wie in ein warmes Bad. Die Protagonisten leben in großen Häusern, speisen vorzüglich und nippen an Champagner. Es gibt Affären und erotische Szenen. Gelegentlich hat die Autorin Zeitgeschichtliches in die Handlung eingefügt wie die Affäre von Prinz Edward mit Wallis Simpson oder eine Ansprache der Königin.

Der über 800 Seiten dicke Schmöker erinnert mich wegen des Arztumfeldes leicht an “Call the Midwife”. Es spielt jedoch früher und in einer eleganteren Umgebung und konzentriert sich auf drei Ehepaare.
Zu Beginn hatte ich etwas Schwierigkeiten, mich auf dem Roman einzulassen. Cassia erschien mir nicht sonderlich interessant, da sie sehr angepasst war. Und ihr Mann Edward war mir extrem unsympathisch. Er übt emotionale Druck auf Cassia aus, indem er sich als hilflos darstellt und behauptet, dass er seinen Beruf als Landarzt ohne ihre emotionale Unterstützung nicht ausüben könne. Cassia achtet daher immer darauf, sein schwaches männliches Selbstbewusstsein zu schützen und verzichtet darauf als Ärztin tätig zu sein.

»Ohne dich würde ich das nicht schaffen«, sagte er, beugte sich vor und küsste sie. »Wirklich nicht, ich liebe dich so sehr.«
Sie brachte es einfach nicht über sich, ihm das Weihnachsfest zu verderben.

Allmählich macht sich Cassia jedoch frei, trifft ihre eigenen Entscheidungen und konfrontiert ihren Mann offen mit ihren Gedanken und Erwartungen. Da sie sich über die Herkunft des großen Erbes wundert, stellt sie Nachforschungen an, die sie bis nach Paris und Marokko führen. Und dann sind da noch zwei Verehrer, die Cassia schon seit ihrer Jugend kennt...
Die Autorin schildert die Charaktere mit großer psychologischer Kenntnis. Leserinnen werden sich sicherlich in einigen Situationen wiedererkennen, die die Protagonistinnen erleben. Durch das große Erbe verschiebt sich die Macht in der Ehe von Cassia und Edward und ermöglicht der Autorin zu zeigen, nach welchen Mechanismen manche Partnerschaften funktionieren.
Ich würde sehr gern weitere Bücher der Autorin lesen.

Ein unterhaltsamer, gesellschaftskritischer Roman in einem glamourösen Setting mit großem Identifikationspotential.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.12.2019

Die Träume der Frauen

Die Zeit der Erbin
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England, 1935. Als Cassia Tallow eine sehr große Summe Geld erbt, beginnt es in ihrer Ehe zu brodeln. Es bricht alles hervor, was lange Zeit unterdrückt wurde.
Cassia schloss ihr Medizinstudium mit einer ...

England, 1935. Als Cassia Tallow eine sehr große Summe Geld erbt, beginnt es in ihrer Ehe zu brodeln. Es bricht alles hervor, was lange Zeit unterdrückt wurde.
Cassia schloss ihr Medizinstudium mit einer hervorragenden Note ab. Doch als sie schwanger wurde, heiratete sie den langweiligen Edward.
Durch den unverhofften Geldsegen kann Cassia sich Freiheiten gönnen und sich wieder ihren Träumen zuwenden, die sie für die Ehe zurückgestellt hat. Edward dagegen fühlt sich in seiner Rolle als Haushaltsvorstand bedroht und beginnt Cassia unterschwellig zu sabotieren, bis sogar ihre Kinder unter der Situation leiden müssen.

Neben Cassia folgen wir weiteren Paaren, deren Ehe wenig Erfüllung bietet. Die Autorin Penny Vincenzi spricht Themen wie Homosexualität, Eifersucht, Macht und Geschlechterrollen an. In ihrer Tätigkeit als Ärztin in einer Klinik für Familienplanung wird Cassia mit den Schwierigkeiten von Frauen konfrontiert, die keinen Zugang zu Verhütungsmitteln haben.

Vincenzi schreibt sehr ausführlich. Die Handlung fließt dahin und man kann sich gemütlich hineinsinken lassen wie in ein warmes Bad. Die Protagonisten leben in großen Häusern, speisen vorzüglich und nippen an Champagner. Es gibt Affären und erotische Szenen. Gelegentlich hat die Autorin Zeitgeschichtliches in die Handlung eingefügt wie die Affäre von Prinz Edward mit Wallis Simpson oder eine Ansprache der Königin.

Der über 800 Seiten dicke Schmöker erinnert mich wegen des Arztumfeldes leicht an “Call the Midwife”. Es spielt jedoch früher und in einer eleganteren Umgebung und konzentriert sich auf drei Ehepaare.
Zu Beginn hatte ich etwas Schwierigkeiten, mich auf dem Roman einzulassen. Cassia erschien mir nicht sonderlich interessant, da sie sehr angepasst war. Und ihr Mann Edward war mir extrem unsympathisch. Er übt emotionale Druck auf Cassia aus, indem er sich als hilflos darstellt und behauptet, dass er seinen Beruf als Landarzt ohne ihre emotionale Unterstützung nicht ausüben könne. Cassia achtet daher immer darauf, sein schwaches männliches Selbstbewusstsein zu schützen und verzichtet darauf als Ärztin tätig zu sein.

»Ohne dich würde ich das nicht schaffen«, sagte er, beugte sich vor und küsste sie. »Wirklich nicht, ich liebe dich so sehr.«
Sie brachte es einfach nicht über sich, ihm das Weihnachsfest zu verderben.

Allmählich macht sich Cassia jedoch frei, trifft ihre eigenen Entscheidungen und konfrontiert ihren Mann offen mit ihren Gedanken und Erwartungen. Da sie sich über die Herkunft des großen Erbes wundert, stellt sie Nachforschungen an, die sie bis nach Paris und Marokko führen. Und dann sind da noch zwei Verehrer, die Cassia schon seit ihrer Jugend kennt...
Die Autorin schildert die Charaktere mit großer psychologischer Kenntnis. Leserinnen werden sich sicherlich in einigen Situationen wiedererkennen, die die Protagonistinnen erleben. Durch das große Erbe verschiebt sich die Macht in der Ehe von Cassia und Edward und ermöglicht der Autorin zu zeigen, nach welchen Mechanismen manche Partnerschaften funktionieren.
Ich würde sehr gern weitere Bücher der Autorin lesen.

Ein unterhaltsamer, gesellschaftskritischer Roman in einem glamourösen Setting mit großem Identifikationspotential.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.12.2019

Wahlwerbung der Republikaner

Warnung aus dem Weißen Haus
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“Der mächtigste Mann der Welt ist nicht steuerbar.”

Bei diesem Zitat aus dem Klappentext fällt mir direkt auf:
Wieso sollte er steuerbar sein? Eine Marionette wäre steuerbar. Der Präsident hat das Recht, ...

“Der mächtigste Mann der Welt ist nicht steuerbar.”

Bei diesem Zitat aus dem Klappentext fällt mir direkt auf:
Wieso sollte er steuerbar sein? Eine Marionette wäre steuerbar. Der Präsident hat das Recht, gegen die Empfehlungen seiner Mitarbeiter zu handeln. Sollte das nicht mehr erwünscht sein, muss das Gesetz geändert werden.

Ein anonymer Autor berichtet vom täglichen Wahnsinn im Weißen Haus. Er beschreibt, wie die Mitarbeiter ihre schriftlichen Ausarbeitungen immer stärker kürzen und auf Powerpoint-Präsentationen zusammendampfen, um der kurzen Aufmerksamkeitsspanne Trumps entgegenzukommen. Er berichtet von unangekündigten Entscheidungen und nicht abgesprochen Tweets Trumps, die zu großen, auch internationalen, Verwicklungen führten.

“Gut ein Drittel der Dinge, die der Präsident von uns will, ist einfach nur dumm. Ein weiteres Drittel ist unmöglich umzusetzen und würde das Problem auch nicht lösen. Und ein Drittel ist schlicht illegal.”

Die Schilderungen von Trumps Ausfällen sind zwar ganz interessant, lesen sich mit der Zeit jedoch eher wie ein Klatschblatt. Ich empfand es zunehmend als langweilig, da es immer wieder das Gleiche war.
“Ja, ich habe verstanden, dass Sie Trump für impulsiv, unmoralisch, widerlich, gleichgültig und von Emotionen getrieben halten; dass er verspottet, bestraft und andere fertig macht”, dachte ich während der Lektüre.

Der Autor behauptet, dass er die Meinung der meisten Regierungsmitglieder vertritt, diese sich jedoch nicht äußern möchten. Denn Trump werde jeden los, der ihm widerspreche. Daher sei er jetzt nur noch von wenigen vernunftbegabten Beratern umgeben, die seine Schäden begrenzen könnten.

Angelehnt an die Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß, beurteilt der Autor, wie einst Cicero, den Charakter des Staatsmannes und kommt zu dem Schluss, dass Donald Trump keinen Charakter hat.

Der Autor geht auch auf die Vorwürfe einer Verschwörung ein:
“Um es klar zu sagen: Es gibt keine Verschwörung in der Regierung, die sich gegen den Präsidenten richtet.”
Sie hätten sich nicht in “schummrigen, verrauchten Hinterzimmern” getroffen, sondern wöchentliche Telefonate geführt oder seien sich kurz am Rand eines Meetings begegnet.
Wie würde man das bezeichnen, wenn nicht als Verschwörung?
Eine Verschwörung setzt kein schummriges Hinterzimmer voraus.

Den vermeintlichen Deep State (Schattenstaat) benennt er in “Stabiler Staat” um. Es sei eine Gruppe von Menschen, die das Schlimmste verhindern wollten.

“Sofort aktivierte jemand das Bat-Signal, und ein Meeting oder eine Telefonkonferenz wird einberufen. ‘Er hat etwas vor”, warnt jemand die Gruppe und erklärt, was der Präsident verkünden will.”

Sie ermutigten ihn Wahlkampfauftritte zu machen.
“Die Events hatten gleich zwei Vorteile: Trump hatte etwas ‘Spaßiges ‘ zu tun, und sie brachten ihn aus der Stadt, sodass er nicht so viel Schaden anrichten konnte (...).”

Ich persönlich halte nichts von Trump. Aber er wurde von einem Teil des Volkes gewählt. Und solange er legal handelt, muss er akzeptiert und respektvoll behandelt werden. Sonst ist man nicht viel besser als er.
Angemessene Formen des Widerstandes sind Kündigung, Protest oder offene Kritik.

Wie konnte es dazu kommen?
“‘Warum bleiben die Leute’, fragte mich damals ein Freund. ‘Ihr solltet alle kündigen. Der Mann ist eine Katastrophe.’
‘Wir bleiben, weil er eine Katastrophe ist.’ Wir glaubten, die Regierung zusammenhalten zu können.”

Viele Mitarbeiter hätten von sich aus gekündigt oder wären rausgeworfen worden. Andere sähen weg oder entschuldigten sein Verhalten.
Er schreibt von Persönlichkeitskult und Gehirnwäsche.

“Als Folge davon rückten die Leute, die vorher nichts mit Trumps Welt zu tun gehabt hatten, näher zusammen und entwickelten ein bizarres Gefühl von Brüderlichkeit, wie die Geiseln von Bankräubern, die am Boden liegen und nicht an den Alarmknopf kommen (...).”

Er nennt es das “Trumpsche Verwirrungssyndrom”, TVS, als habe die Mitarbeiter eine Krankheit befallen, gegen die sich nicht hätten wehren können.
Damit schiebt der Autor die Verantwortung weg.

Wenn alle diese Politiker von Trump so leicht einer Gehirnwäsche unterzogen werden konnten, dann sollten sie wirklich nicht weiter Teil der Regierung bleiben.
Der Autor erscheint mir wie ein Co-Abhängiger, der den Alkoholkonsum oder das ausfallende Verhalten des Partners vertuscht oder entschuldigt: “Das meint das nicht so. Das war ein Scherz.”
Nur, dass diese Ausreden immer Lügen waren. Denn es waren keine Scherze. Und der Autor wusste es.

Statt Schäden zu begrenzen, unterstützt er damit Trumps Verhalten. Oder klammert er sich an diesen Posten und hofft, dass es nach der nächsten Wahl vorbei ist?
Das ist aber nicht das heldenmütige Verhalten, das er so in den Himmel lobt.
Kein Ding.
Aber für mich ist der Autor damit nicht glaubwürdig.

Seine republikanische Haltung kann ich dem Autor nicht vorwerfen. Das ist seine private Meinung. Was mich jedoch sehr gestört hat, ist, dass er recht plump und auffällig die republikanischen Gedanken in seinem Buch unterbrachte, statt sachlich und neutral zu bleiben. Er nutzt den Text zur Manipulation.

Zum Beispiel “Zölle”:
Republikanische Position: Zölle verteuern die Waren für die Menschen.

Demokratische Position: Zölle schaffen Arbeitsplätze.
Die Republikaner dagegen wollen eine hohe Arbeitslosigkeit, damit sie viele willige Menschen haben, die zu niedrigen Löhnen aus Mangel an Alternativen unwürdige Jobs annehmen müssen.
Es ist außerdem wichtig, dass ein Staat Schlüsselindustrien im Land behält, damit unabhängig von anderen ist und gewisse Dinge selbst produzieren kann. Auch wenn es mit höheren Kosten verbunden ist.

Die Demokraten sind für fairen Handel. Die Republikaner dagegen sind für freien Handel, in dem jeder den anderen übervorteilen kann.

Fehlende Selbstkritik:
Die Probleme dieser Regierung seien nicht vorübergehend, sondern systemisch und hätten ihren Ursprung ganz oben, schreibt der Autor.

Ich halte Trump nun wirklich nicht für einen guten Politiker, aber zu behaupten, dass das amerikanische Regierungssystem keine Fehler habe und Trump allein Schuld sei, finde ich sehr gewagt.

Der Autor berichtet selbst, dass die Mehrheit (75%) der Amerikaner der Arbeit des Kongresses nicht vertrauen, zieht aber keine Schlüsse daraus.
Wer hat Trump gewählt? Was wollen die Menschen, die ihn gewählt haben?
Die Nation ist gespalten auf Grund der großen ökonomischen Unterschiede. Das scheint Anonymus nicht wahrnehmen zu wollen.

Republikanisch gefärbt
Im gesamten Text wird durchgehend das typische Vokabular der Republikaner verwendet.
“Tradition”, “konservativ”, “Vergangenheit”, “Erbgut der Partei”,
Trump sei von der National Rifle Association “belehrt” worden. Man könnte stattdessen auch sagen: “beeinflusst”.

Ein Vokabular, das in Selbstbeweihräucherung gipfelt:
“Imperium der Freiheit”,
“Amerika ist der Führer der freien Welt”
“Stattdessen haben wir eine aktive Rolle in der Welt gespielt, die sich dank unserer Anstrengungen nicht mehr fast völlig aus Diktaturen und Monarchien zusammensetzt, sondern hauptsächlich aus Demokratien.”
“Die Welt ist darauf angewiesen, dass die Vereinigten Staaten die Geschichte gestalten.”

Fehlende Selbstkritik
Ein Republikaner sagte, er habe Trump nur aus Antipathie gegenüber Hillary Clinton unterstützt. “Ich tue das, obwohl ich ihn für einen schrecklichen Menschen halte.”

Die Homeland Security opfert der Autor wie einen Bauern beim Schach, um CIA und FBI sauber aussehen zu lassen. Wer glaubt, dass es dort keine Verfehlungen geben könnte, ist blind gegenüber möglichen Problemen.

Er kritisiert die Amerikaner, die Zombies gleich vor dem Fernseher säßen und politisch ungebildet seien.
Doch wer ist Schuld, dass die Bürger keine durchdachten politischen Entscheidungen treffen können? Könnte es am Schulsystem liegen? Welchem Wert haben die Republikaner dem Schulsystem bisher beigemessen?

Zum Schluß beschwört der Autor Einigkeit und dass man sich den Problemen von Angesicht zu Angesicht stellen solle.
Das empfand ich als höhnisch, da er sich selbst erlaubt anonym zu schreiben.

Zur Wahl 2020
“Zu dem Zeitpunkt werden alle Leitplanken vollends verschwunden sein, und von der Gefahr einer Niederlage befreit, wird dieser Präsident sich ermutigt fühlen, seinen schlimmsten Instinkten zu folgen.”
Anonymus stellt an verschiedenen Stellen dramatische Spekulationen über die Zukunft an, lässt es aber so klingen, als würde es tatsächlich so eintreten.

Den Demokraten dagegen gibt er den Rat, Klugheit und Zurückhaltung zu beweisen und einen Kandidaten zu nominieren, der nicht von der politischen Mitte abweicht.

Impeachment
Am 18.12. 2019 wurde gegen Trump ein Amtsenthebungsverfahren wegen Fehlverhaltens eingeleitet.
Bei der Abstimmung der Abgeordneten stimmte jeder einzelne Republikaner gegen die Amtsenthebung.

Kann ich die Lektüre empfehlen?
Ich fand es teilweise sehr erhellend zu lesen. Die meiste Zeit war ich jedoch damit beschäftigt, die manipulativen Aussagen des Autors gedanklich auseinanderzunehmen.
Interessant für Leser, die sich mit den USA, Politik, Sprachwissenschaften und Propaganda beschäftigen möchten.