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Veröffentlicht am 20.06.2019

Postbotin mit Herz

Mörder unbekannt verzogen
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Sie lebt, wo andere Urlaub machen. Und sie nimmt es nicht für selbstverständlich. Wenn Daphne Penrose von ihrer Heimat Cornwall erzählt, gerät sie ins Schwärmen. Das vom Golfstrom gesegnete Klima, das ...

Sie lebt, wo andere Urlaub machen. Und sie nimmt es nicht für selbstverständlich. Wenn Daphne Penrose von ihrer Heimat Cornwall erzählt, gerät sie ins Schwärmen. Das vom Golfstrom gesegnete Klima, das die Bäume und Pflanzen gedeihen lässt. Die mal liebliche, mal raue Landschaft. Die gewachsenen und liebevoll erhaltenen Städtchen. Was will man mehr? Einen Mord auf jeden Fall nicht und zwei schon garnicht. Doch genau das passiert. Der angesehene Arzt Dr. Finch wird während einer Veranstaltung erschossen und nahezu gleichzeitig wird eine weitere Leiche entdeckt.

Auch in ihrem zweiten Fall begeben sich Daphne Penrose und ihr Mann Francis auf Verbrecherjagd. Inspektor Vincent hat vornehmlich seinen Urlaub im Kopf und dennoch mach auch er sich daran, den Mörder zu finden. Als Botin der Royal Mail mit ihrem Fahrrad unterwegs nutzt Daphne jede Gelegenheit, den Leuten auf den Zahn zu fühlen. Wer kann nur etwas gegen den Doktor gehabt haben? Nicht so einfach ist es, etwas herauszufinden, war der Arzt doch allseits beliebt, einzig in Geldangelegenheiten hat er mitunter ein strengeres Regiment geführt, als nötig gewesen wäre. Doch reicht das als Motiv? Da könnte schon eher ein Corpus Delicti, das Francis untergekommen ist, zu einer echten Spur werden.

Wenn es nach dem Autor ginge, müsste man sofort nach Cornwall reisen und sich die Schauplätze des Romans selbst anschauen. Und, wer weiß? Vielleicht würde einem Daphne irgendwo über den Weg radeln. Vielleicht sollte man sich da beeilen, denn so leicht wie heutzutage wird es später vielleicht nicht mehr sein. Doch nicht nur die Begeisterung des Autors für Cornwall ist ansteckend, auch der Enthusiasmus, mit dem er seinen Figuren Leben einhaucht, wirkt ausgesprochen sympathisch. Die liebenswürdige Neugier, mit der Daphne unterwegs ist, passt zu ihrem Beruf und auch zu ihrer Berufung. Nie verliert Daphne dabei die Balance, sie merkt, wann es zu viel würde bevor der oder die Befragte überhaupt merkt, dass er oder sie Informationen preisgibt. In technischen Details versierter steht Francis seiner Frau in nichts nach, außer, dass er hin und wieder doch den Beamten die Arbeit überlässt.

Ein vergnüglicher Kriminalroman, der Urlaubsgefühle weckt und mit einem spannenden und überraschenden Fall überzeugt.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Vom Finden

Das wilde Leben der Cheri Matzner
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Im Jahr 1962 stirbt Marilyn und Cheri Matzner wird geboren. Allerdings ist die Geschichte ihrer Herkunft nicht so einfach. Ihre leibliche Mutter bringt sie in einer kleinen Klinik in Trenton zur Welt und ...

Im Jahr 1962 stirbt Marilyn und Cheri Matzner wird geboren. Allerdings ist die Geschichte ihrer Herkunft nicht so einfach. Ihre leibliche Mutter bringt sie in einer kleinen Klinik in Trenton zur Welt und verschwindet kurz nach der Entbindung. Das junge Ehepaar Matzner erwartet ein Kind. Es ist tragisch, der kleine Junge stirbt kurz nach der Geburt. Cici Matzner fällt in eine tiefe Depression, auch weil sie keine Kinder mehr bekommen kann. Sol sieht eine Chance darin, das neugeborene Mädchen zu adoptieren. Und so wächst Cheri in einer wohlhabenden Familie auf, hat die Möglichkeit zu studieren und überhaupt auf ein glückliches Leben.

Es könnte so schön und einfach sein, ist es aber nicht. Selbst die kleine Cheri merkt bald, dass ihre Familie nicht so ist wie andere. Cici kommt aus Italien und hat ihren Akzent nie abgelegt. Sols Familie hat sich von ihm abgewandt als er seinen Willen durchsetzte und Cici heiratete. Und Cici vereinnahmt ihre Tochter etwas arg. Sie will es besonders gut machen und vergisst, dass eine Mutter auch mal loslassen muss. Auch Cheris Verhältnis zu Sol ist eher angespannt. Von ihm möchte sie unabhängig sein. Nach einigen Versuchen in verschiedenen Jobs, ist Cheri nun verheiratet.

Dies ist wieder mal eines der Bücher, die sich möglicherweise erst dann erschließen, wenn man das letzte Kapitel beendet hat. Zunächst wirken die Handlungsstränge etwas zusammenhanglos und man fragt sich manchmal, weshalb einiges so angelegt ist, wie es ist. Je weiter man liest, desto mehr fügt sich alles zusammen. Cheris Persönlichkeit gewinnt mehr Kontur und man kann für die meisten ihrer Handlungen viel Verständnis entwickeln. Sie schafft vieles selbst und manchmal erhält sie Hilfe von ganz unerwarteter Seite. Cheri Matzner ist ein ungewöhnlicher Charakter, dem man außerordentlich gönnt, in sich selbst zu ruhen. Ein durchaus lebensbejahender Roman, in dem tragische Momente mit großer Authentizität geschildert sind.

Veröffentlicht am 13.06.2019

Der Bär

Die stille Tochter
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Vor vielen Jahren hat sich eine junge Frau aus einer Sportmannschaft bei einem Aufenthalt in Oslo in den Westen abgesetzt. Sie ist am Ziel ihrer Träume und wird doch nicht glücklich. Und irgendwann ist ...

Vor vielen Jahren hat sich eine junge Frau aus einer Sportmannschaft bei einem Aufenthalt in Oslo in den Westen abgesetzt. Sie ist am Ziel ihrer Träume und wird doch nicht glücklich. Und irgendwann ist sie nur noch eine vermisste Person. Als im Jahr 2016 in einem See eine Frauenleiche gefunden wird, ist es Tommy Bergmann, der versucht etwas über die Identität der Toten herauszufinden. Noch nach der langen Zeit ist erkennbar, dass die Frau keines natürlichen Todes gestorben ist. Und so wird aus einem Leichenfund unversehens eine Mordermittlung, in die bald auch der Geheimdienst eingreift.

Der kalte Krieg, lange vorbei, so glaubt man wenigstens, und doch bietet er einen fesselnden Hintergrund zu diesem packenden Kriminalroman. Tommy Bergmann hat sich gefangen, bleibt aber doch er selbst. Mit Ecken und Kanten und nicht immer im Sinne seines Vorgesetzten handelnd, so kennt man ihn. Zum Teil wird seine Art genutzt, um zweifelhafte Aktionen auszuführen, dann wieder wird sie ihm vorgehalten, um ihm mit Jobverlust zu drohen. Gerade so wie es passt. Tommy Bergmann bleibt am Ball, ihm geht es um die Wahrheit und nicht um die Produktion eines Ergebnisses, das manchen gut in den Kram passen würde.

Ist der kalte Krieg überhaupt jemals zu Ende gewesen? Jedenfalls wirkt er in die Gegenwart nach und hat manche Menschen nie losgelassen. In den 1970ern und 80ern war manchmal nicht mehr klar, wer Freund und wer Feind ist. Jeder spionierte gegen jeden und eine junge Frau gerät zwischen die Fronten. Durch die Flucht hat sie jeglichen Kontakt zu ihrer Familie verloren, allein muss sie ihre Entscheidungen treffen. Man könnte meinen Tommy Bergmann ist in einer ähnlichen Situation, ein Einzelgänger, der manchmal keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Mit fein ziselierten Worten schildert der Autor wie Bergmann bei seinen Ermittlungen vorgeht. Stück für Stück deckt er die Strukturen auf, die die junge Frau damals umgaben und letztlich zu ihrem Tod führten. Durch den Wechsel zwischen Rückblende und Gegenwart wird der Leser langsam in immer größer werdende Anspannung versetzt. Welches Bild wird sich am Ende ergeben. Die gekonnte Mischung aus Politthriller und Mordermittlung ist sehr überzeugend. In diesem Fall ist nichts so wie es scheint.


Veröffentlicht am 11.06.2019

Florida Industrial

Die Nickel Boys
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Elwood scheint vom Leben begünstigt zu sein. Er lebt bei seiner Großmutter, die ihrem Enkel ein besseres Leben wünscht. Sie hält ihn an fürs College zu sparen, obwohl farbige Jugendliche in den 1960ern ...

Elwood scheint vom Leben begünstigt zu sein. Er lebt bei seiner Großmutter, die ihrem Enkel ein besseres Leben wünscht. Sie hält ihn an fürs College zu sparen, obwohl farbige Jugendliche in den 1960ern kaum eine Chance haben, eine höhere Schule zu erreichen. Ruhig, mit großem Gerechtigkeitssinn, beseelt von Dr. Martin Luther King ergreift Elwood die Möglichkeit, an einem Kurs am College teilnehmen zu können. Doch gerade in seinem glücklichsten Moment schlägt das Unheil zu. Obwohl er nur zur Schule trampen wollte, wird er als sich herausstellt, dass das Fahrzeug, in dem er nur Beifahrer ist, gestohlen war, zu einem Aufenthalt in einer Besserungsanstalt verurteilt.

Auch in seinem neuesten Werk greift der Autor die Thematik des Rassismus in Amerika auf. An einem Beispiel, dass einem fast das Herz rausreißen muss, stellt er die Situation zu Beginn der 1960er Jahre vor. In die gleichen Restaurants wie die Weißen dürfen sie nicht, allenfalls als Bedienstete, aber in Besserungsanstalten können die Farbigen schnell mal landen. Ein beinahe schon lächerlich nichtiges Vergehen reicht. Es ist als wolle die so genannte vorherrschende Schicht auch noch jede kleinste Chance zerstören, das sich etwas ändern kann. Gleichberechtigung bedeutet schließlich auch, dass die mal abgeben und zurückstecken, die es noch nicht gewöhnt sind. Möglicherweise eine lehrreiche Erfahrung.

Ein wenig Zeit braucht man, um in diesen Roman hineinzufinden. Doch spätestens, wenn man sich über die Ungerechtigkeit aufregt, die Elwood seiner Chancen beraubt, ist man angekommen. Auch an diesem fürchterlichen Ort bleibt Elwood ein ruhiger Vertreter, der versucht, seinen Weg möglichst schnell hinaus zu finden. Man ist dabei, die Daumen für eine Art Gelingen zu drücken und weiß doch, dass an solchen Orten der widerwärtigen Machtausübung, Daumen drücken meist nicht nützt. Elwoods Schicksal berührt, er ist ein so geradliniger Charakter, der eine gute Zukunft verdient. Mit unnachahmlicher Kunst schafft der Autor einen stillen Helden, den man so schnell nicht vergisst. Auf diesen fesselnden und nachdenklich machenden Roman will man sich gerne einlassen, auch wenn die innewohnende Tragik machmal das Herz beklemmt.

„Hier drin ist es genauso wie draußen, nur muss hier keiner mehr so tun als ob.“


Veröffentlicht am 10.06.2019

Das schöne Zimmer

Der dunkle Bote
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November 1920 in Wien, die wirtschaftliche Lage ist schlecht, das Wetter ebenfalls. Die Menschen leiden unter Hunger, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Auch Kriminalinspektor August Emmerich lebt nicht ...

November 1920 in Wien, die wirtschaftliche Lage ist schlecht, das Wetter ebenfalls. Die Menschen leiden unter Hunger, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Auch Kriminalinspektor August Emmerich lebt nicht auf großem Fuß. Immer noch ist er auf der Suche nach seiner Lebensgefährtin Luise, die von ihrem Mann entführt wurde, der eigentlich im Krieg als vermisst gegolten hatte. Als die Nachricht hereinkommt, eine Leiche sei gefunden worden, machen sich Emmerich und sein Assistent Winter sofort auf den Weg. Ein Mann wurde eigenartig drapiert und ein später auftauchender Bekennerbrief gibt weitere Rätsel auf.

Ein wenig erinnert die Schilderung des Lebens und des Verbrechens in Wien an Berlin zu eben jener Zeit. Es gibt Banden, die die Stadt unter sich aufteilen wollen. Schieber und Schmuggler sind allenthalben unterwegs, um ihren Vorteil aus der schlecht laufenden Wirtschaft und der wachsenden Geldentwertung zu ziehen. Der verlorene Krieg bringt unterschiedliche politische Strömungen hervor, die das Land und die Stadt verändern wollen, wobei ihnen jedes Mittel recht ist auch das der Gewalt. Die normalen Menschen leben häufig im Elend, Kinder werden allein gelassen und müssen zusehen, wie sie zurechtkommen. Es ist eine dunkle kalte Zeit, in der der dunkle Bote umgeht. August Emmerich unternimmt alles, um den Mörder zu stoppen.

In seinem dritten und wohl persönlichsten Fall will August Emmerich sowohl das Rätsel um den sogenannten dunklen Boten lösen als auch seine Lebensgefährtin wieder zurück an seine Seite bringen. Manchmal ist er garnicht so sicher, wie er seine Prioritäten setzen soll.

Die Schilderungen über den Beginn des Winters 1920 in Wien treffen wirklich ins Mark. Der Krieg hat das Land ausgelaugt, es ist nichts mehr wie es war. Anscheinend gibt es nur noch Verbrechen, Not und Elend. Man fragt sich tatsächlich, wieso Menschen schon so relativ kurze Zeit später Menschen wieder in den Krieg zogen. Auch August Emmerich ist verwundet heimgekehrt, doch unverzagt geht er seiner Arbeit nach, um die Welt wenigstens etwas besser zu machen. Nicht immer kann ihm das vollständig gelingen, doch gerade das macht seine Figur umso authentischer. Auch wenn hier die Kriminalistik manchmal eher zur Nebensache gerät, brilliert dieser spannende Roman mit einem detaillierten Sittengemälde seiner Zeit.