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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2022

Winterküste

Nebenan
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Es ist kurz nach Weihnachten, müssten die Ferien nicht langsam vorbei sein? Julia fällt auf, dass sie die Nachbarn schon länger nicht gesehen hat. Sie selbst und ihr Mann wohnen noch nicht lange in dem ...

Es ist kurz nach Weihnachten, müssten die Ferien nicht langsam vorbei sein? Julia fällt auf, dass sie die Nachbarn schon länger nicht gesehen hat. Sie selbst und ihr Mann wohnen noch nicht lange in dem kleinen Ort am Nord-Ostsee-Kanal. So gut kennt sie die Familie nebenan auch nicht. Dann taucht jedoch ein fremder Junge auf dem Grundstück auf, der jemanden zu suchen scheint. In der Kreisstadt betreibt Astrid eine Arztpraxis, schon seit einiger Zeit überlegt sie, die Praxis abzugeben. Allerdings ist ein Nachfolger nicht leicht zu finden. Schwimmen ist ihr großes Hobby und gerne kümmert sie sich um ihre Tante Elsa.

Wieder kann man froh sein über die Auswahl, die die Jury für die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2022 getroffen hat. Beim Erscheinen ist dieser kleine Roman nicht so aufgefallen. Umso schöner, dass das Leben in einer Nachbarschaft auf dem Land nun doch noch mehr Aufmerksamkeit bekommt. Es findet ein Wechsel im Ort statt, Alteingessene sterben, ihre Kinder hat es in die Welt gezogen und die Neuen bleiben häufig für sich oder unter sich. Und dennoch gibt es Begegnungen und Begebenheiten. Menschen versuchen, ihre Träume zu erfüllen, ihr Leben zu leben oder sich Neuem zu öffnen.

Ruhig und melancholisch kann der Roman auf den Leser oder die Leserin wirken. Dennoch wird man gefangen genommen von dem kleinen Ort in Norddeutschland. Man spürt die Veränderungen, die die Zeit gebracht hat. Besonders die Kreisstadt ist wohl mit vielen Kreisstädten vergleichbar, Leerstand und Tristesse herrschen vor und wenig kann getan werden, um dies zu ändern. Und doch strahlt die Handlung eine gewisse Wärme aus, nach der Vereinzelung ein langsames Herantasten an den Nächsten. So Mittendrin hört es auf, dass man geneigt ist, sich die Entwicklungen in dem kleinen Dorf selbst weiterzudenken. Und so ist es wohl das Leben, es fließt dahin immer weiter. Man kann nichts bis zum Schluss erzählen, weil es einen Schluss in dem Sinne garnicht gibt.

Veröffentlicht am 14.09.2022

Kurts Brandenburg

Kurt
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Lena und ihr Lebensgefährte Kurt haben ein Haus in Brandenburg gekauft. Sie wollen es Kurts sechsjährigen Sohn Kurt leichter machen zwischen seinem Vater und seiner Mutter Jana hin und her zu pendeln. ...

Lena und ihr Lebensgefährte Kurt haben ein Haus in Brandenburg gekauft. Sie wollen es Kurts sechsjährigen Sohn Kurt leichter machen zwischen seinem Vater und seiner Mutter Jana hin und her zu pendeln. Als Stadtkind fällt es Lena nicht ganz leicht sich einzuleben, doch ihre beiden Kurts sind so liebenswert, dass sie die Veränderung gerne in Kauf nimmt. Gerade hat der kleine Kurt seinen zweiten Milchzahn verloren, da stürzt er auf dem Spielplatz so unglücklich, dass er stirbt. Die Welt des großen Kurt bricht zusammen und plötzlich sind er und Jana wieder Eltern. Lena fühlt sich allein gelassen.

Es ist das Schlimmste, was passieren kann. Ein Kind stirbt. So falsch fühlt es sich an und nicht einmal jemand kann beschuldigt werden. Ein tragischer Unfall, der einfach so geschieht. Und der kleine Kurt hat drei Hinterbliebene. Nur seine leiblichen Eltern vergessen Lena irgendwie, verständlich zwar, aber auch verständlich, dass sie unter der Situation leidet. Sie trauert um Kurt und traut sich nicht es zu zeigen, um es dem großen Kurt nicht noch schwerer zu machen. Mit der Zeit bekommt Lena Angst um ihre Beziehung. Sie beginnt heimlich zu trauern und die Sorge um ihre Beziehung wird immer größer.

Von der Autorin selbst vorgetragen wird der Inhalt dieses berührenden Romans sehr lebendig vorgetragen. Zum Start der Verfilmung am 15.September diesen Jahres ist dies eine gute Gelegenheit, sich auch dem Roman zu widmen. Wohl niemand möchte erleben, dass ein Kind vor den Eltern stirbt. Dass sich die Autorin dem Thema trotzdem gewidmet hat, zeugt von Mut. Mit großem Einfühlungsvermögen erzählt sie vom kleinen Kurt und der Familie, die er hinterlassen hat. Schön, dass dabei die Sicht von Lena gewählt wird. Als Freundin des Vaters steht sie schon etwas außen, aber auch sie hat mit dem kleinen Kurt zusammengewohnt, auch sie hat einen kleinen Jungen verloren. Durch diese gewisse Distanz wird man nicht von der Tragik übermannt und dennoch ist man angerührt von dem Schicksal der Hinterbliebenen, die erst lernen müssen, dass das Leben weitergeht, auch wenn sie erst nach und nach lernen, es wieder zu ertragen.

Veröffentlicht am 13.09.2022

Die blaue Schachtel

Ein simpler Eingriff
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In ihrem Beruf als Krankenschwester ist Meret zufrieden. Sie betreut die Patientinnen, für deren Leiden der Doktor eine neue Operationsmethode entwickelt hat. Es handelt sich um einen Eingriff am Gehirn, ...

In ihrem Beruf als Krankenschwester ist Meret zufrieden. Sie betreut die Patientinnen, für deren Leiden der Doktor eine neue Operationsmethode entwickelt hat. Es handelt sich um einen Eingriff am Gehirn, mit dem überbordende Gefühle oder abweichendes Verhalten gedämpft werden sollen. Merets Assistenz bei den Operationen ist wichtig, da die Patientinnen wach bleiben müssen. Und nun kommt eine herausgehobene Patientin ins Krankenhaus. Marianne, die von der Wut geplagt wird, entstammt einer wohlhabenden Familie, was sich für die Forschungen des Doktors als wichtig erweisen könnte. Zu Meret findet Marianne schnell eine Verbindung. Die Gegenwart der Krankenschwester scheint die Angst zu nehmen.

Wenn man durch die Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 scrollt, fällt einem bei diesem Buch sofort das berührendeTitelbild von einer Krankenschwester vor einem Gebäude auf. Sie wirkt kontemplativ und etwas einsam. Zum Inhalt des Buches hätte das Bild kaum besser gewählt werden können. Auch Merets Geschichte berührt. Von einer Krankenschwester, die ihren Aufgaben nachkommt wie es ihr gesagt wird, entwickelt sie sich zu einer Persönlichkeit, die anfängt Fragen zu stellen und die der Liebe begegnet. Nicht ganz klar wird, wann die Erzählung spielt. Vielleicht sollte man sich mit Vermutungen zurückhalten, es wird jedoch nach dem zweiten Weltkrieg sein.

Dieser ansprechende Roman versteht es zu fesseln und regt gleichzeitig zum Nachdenken an. Es scheint eine Zeit gewesen zu sein, in der den Frauen noch bestimmte Rollen zugewiesen wurden, von denen sie kaum abweichen durften. Meret fügt sich zunächst mit Freude darein. Als Mitglied einer besonderen Abteilung genießt sie ein gewisses Privileg und sie genießt es wirklich. Doch sie beginnt zu zweifeln und mit dem Zweifel beginnt die Veränderung, die auch Schwierigkeiten bringt. Beim Lesen kann man Merets Weg sehr gut nachvollziehen, auch wenn Einiges im Ungewissen bleibt. Während der gesamten Lektüre bleibt man gefesselt, von der Entwicklung, die Meret durchmacht, wie sie immer mehr zu sich selbst und ihren Überzeugungen steht. Die Zukunft mag erst sacht im Nebel auftauchen, doch sie sollte einen Schritt vorwärts bezeugen.

Veröffentlicht am 12.09.2022

Kreuzwirt

Der Wanderer
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Wer hat Sybille das Foto überbracht? Sie ist stinksauer? Wieso lacht der tumbe Journalist, der neben der Leiche ihrer Mutter kniet? Gut Zwanzig Jahre ist es her, dass ihre Mutter Erika tot am See gefunden ...

Wer hat Sybille das Foto überbracht? Sie ist stinksauer? Wieso lacht der tumbe Journalist, der neben der Leiche ihrer Mutter kniet? Gut Zwanzig Jahre ist es her, dass ihre Mutter Erika tot am See gefunden wurde. Sybille ist überzeugt, dass damals nicht alles geklärt wurde. Der ehemalige Journalist und nunmehr erfolgreiche Romanschriftsteller Tony Carcano muss ihr Recht geben. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der Wahrheit. Sie ahnen nicht, was auf sie zukommt. Erika hatte einen Ruf in Kreuzwirt, doch warum soll sie sich umgebracht haben? Kreuzwirt ist ein spezieller Ort, wie eine strenge Gemeinschaft unter der Herrschaft nur einer Familie.

In diesem dritten Buch entführt uns der Autor wieder in eine abgelegene Bergwelt. Kreuzwirt scheint ein Kaff zu sein, dass weder der Moderne noch Fremden gegenüber offen ist. Menschen wie Erika fallen dort einfach auf, aber auch sie schafft es nicht, den Ort hinter sich zu lassen. Kreuzwirt wird ihr zum Verhängnis. Auch Sybille lebt mit zwanzig noch im Haus ihrer Mutter und geht einem Job als Kellnerin nach. Doch sie hat Pläne, sie will etwas aus ihrem Leben machen. Doch vorher will sie wissen, was damals am See wirklich passiert ist.

Hier handelt es sich um einen Roman, auf den man sich etwas einlassen muss. Vielleicht hat man keinen literarischen Thriller, aber dennoch einen fesselnden Krimi, in dem nach einer zwanzig Jahre alten Wahrheit gesucht wird. Das ungleiche Paar Tony und Sybille, dazu Bernhardiner Freddy werden durch das unrühmliche Foto zusammengeführt. Mit ihrer aufgeweckten und wissbegierigen Art entdecken sie immer mehr Hinweise. Gut dabei, die Art und Weise, welche Form der Autor gewählt hat. Kurze Kapitel mit gelegentlichen Ausflügen in die Vergangenheit fesseln beim Lesen, so dass man durch die Seiten fliegt. Möglicherweise könnte die Auslösung als etwas übertrieben empfunden werden, aber spannend ist es allemal. Man fragt sich, wieso man das Buch beim Erscheinen verpasst hat und ist froh, dass man ihm Zeit geschenkt hat.

Veröffentlicht am 10.09.2022

Seestatt

Auf See
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Bevor die Katastrophe eintrat, wollte der Vater der jungen Yada einen Zufluchtsort haben. Einen Ort, der autark ist, sich selbst erhält, eigene Regeln hat und fast so etwas wie eine Staatsfunktion hat. ...

Bevor die Katastrophe eintrat, wollte der Vater der jungen Yada einen Zufluchtsort haben. Einen Ort, der autark ist, sich selbst erhält, eigene Regeln hat und fast so etwas wie eine Staatsfunktion hat. Inzwischen ist Yada siebzehn Jahre alt und nicht alle Ziele ihres Vaters sind erreicht worden. Die Seestatt ist immer noch abhängig von Lieferungen von außen und auch nicht alle Wohneinheiten sind besetzt. Nun beinahe erwachsen beginnt Yada, sich zu fragen, ob nicht doch noch ein Versuch gestartet werden sollte, die hehren Ziele zu erreichen. Viel mehr noch aber fragt sie, was mit ihrer Mutter geschehen ist, die soweit sie weiß, vor ihrer Ankunft hier gestorben ist.

Mit ihrem zweiten Roman ist die Autorin auf die Longlist zum deutschen Buchpreis 2022 genommen worden. Zurecht kann man sicher sagen. Ihr Werk um die junge Yada und ihre Familie ist in einer dystopischen Welt angesiedelt. Die Seestadt liegt in der Ostsee und Yada, die seit zehn Jahren dort lebt, erinnert sich an nichts aus der Zeit davor. Einige wenige Momente mit ihrer Mutter sind ihr noch erinnerlich und sie sehnt sich nach diesen Zeit. Ihr Leben ist sehr von einer kühlen Wissenschaftlichkeit geprägt. Sie soll vorbereitet werden, eine wichtige Rolle in der Seestatt einzunehmen.

Zwischen mehreren Schauplätzen wechselt die Handlung. Aus diesem Szenario erfährt der Leser Bits and Pieces und daraus kann er sich eine erstaunliche Geschichte zusammensetzen, die fast wie bei einem Kriminalroman zum Rätseln einlädt, gleichzeitig aber auch aufwühlt, über die Art wie Menschen miteinander umgehen, wie blöd sie oft sind und sehenden Auges in die Irre gehen. Wie sooft gibt es die, die dies ausnutzen, manchmal sogar eher unfreiwillig. Es werden Schäden angerichtet, die nicht rückgängig zu machen sind. Und doch die Welt als solche besteht. Auch Yada muss mit den Schwächen ihrer Mitmenschen leben. Sie erfährt, dass der Eintritt ins Erwachsenenleben alles andere als einfach ist. Im weiteren Verlauf ändert sich die Komposition zu einer gewissen Kühle, einer Reportage, die dem Roman Lebendigkeit nimmt. Doch der Gesamteindruck, der bleibt, ist der von einem packenden Roman, der ein Bild unserer Zeit zeichnet, das zum einen doch deprimieren kann, das aber gleichzeitig die Hoffnung weckt, dass die Welt nicht so leicht kleinzukriegen ist.