Ein großartiges, sehr berührendes Buch
Mit "Kurt" hat Saran Kuttner ein wirklich besonderes Buch geschrieben: Sie hat sich eines gleich in mehrerer Hinsicht komplizierten Themas angenommen, eine interessante, weil frische Erzählperspektive ...
Mit "Kurt" hat Saran Kuttner ein wirklich besonderes Buch geschrieben: Sie hat sich eines gleich in mehrerer Hinsicht komplizierten Themas angenommen, eine interessante, weil frische Erzählperspektive gewählt und dann ihre Geschichte erzählt, die ich am liebsten als "echt" beschrieben möchte. Weil alles so nahbar, authentisch und wirklichkeitsnah wirkt und wirklich sehr gut beobachtet und feinfühlig erzählt ist. Hier braucht es keinen übertriebenen Kitsch oder überzeichnetes Drama für die ganz großen und vielen kleinen Gefühle - Respekt.
Erzählt wird die Geschichte von Lena, die mit ihrem Partner (Kurt) aus Berlin in den Brandenburger Speckgürtel zieht. Statt komödiantischem Kulturschock eines hippen Großstadtpaares auf dem Land gibt es hier ganz viel Offenheit für das Ländliche und die Natur. Die Aufgaben, die so ein Umzug mit sich bringt, wie Heimwerken, Gärtnern und Co. werden nicht als lästige Pflichaufgabe in der neuen Dorfheimat, sondern - vor allem das Gärtnern - als neue Leidenschaft entdeckt. Das Landleben komplettiert ein zweiter Kurt, der kleine: Kurts Sohn aus erster Ehe, für den er sich das Sorgerecht mit seiner Ex teilt. Lenas Perspektive ist also nicht nur die einer Großstädterin in Brandenburg, sondern auch die einer quasi-Stiefmutter - spannend.
Lena und die beiden Kurts konnten mich unfassbar schnell für sich gewinnen: alle drei für sich, Kurt und Lena als Paar, Kurt und Kurt als Vater-Sohn-Gespann, Lena und Kurt als vielleicht-irgendwann-Stiefmutter und -sohn und alle drei als lebhafte und liebenswerte Patchworkfamilie. Bonuspunkte für Jana, Kurts Ex, weil sie zwar nicht unbedingt einfach ist, aber das nicht anklagend dargestellt wird und sie vor allem keine keifende, nachtragende Ex oder Ähnliches ist - danke dafür.
Doch das Hauptthema dieses Buches ist ja eigentlich ein ganz anderes. Es geht um Trauer, um den Verlust eines geliebten Menschen, um den Umgang mit der Welt ohne die geliebte Person und um den Umgang der Hinterbliebenen untereinander. Für Lena nach "die Neue im Dorf" und "die Neue in unserer Familie" schon wieder eine neue Rolle - doch eine, in die es sich besonders schwer hineinfinden lässt.
Jeder Mensch trauert anders. Jeder Mensch liebt anders. Jede Beziehung - ob zwischen Liebenden oder Eltern und Kindern - ist anders. Und dennoch: So, wie Sarah Kuttner es erzählt, ergibt es alles Sinn und ist schlüssig. Ich kann es nicht besser beschreiben, aber ich habe irgendwie alles nachvollziehen, mitfühlen, verstehen können, auch wenn ich aus einer ganz anderen Lebensrealität komme.
Ein großartiges, sehr berührendes Buch, das mich vor allem als Hörbuch sehr begeistert hat. Zwar klingt Sarah Kuttner hier und da wie kurz vorm Lungenkollaps, aber sie trägt ihre Geschichte genau richtig vor. Was für ein schönes (aber natürlich sehr melancholisches) Hörerlebnis!