Profilbild von warmerSommerregen

warmerSommerregen

Lesejury Profi
offline

warmerSommerregen ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit warmerSommerregen über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.08.2017

Lässt mich schwer beeindruckt zurück!

Das ist unser Haus
0

„Einen Mieter schmeißt man raus, fünfzig nehmen sich ein Haus“

Seit den 1970er Jahren tobte in immer Städten der Häuserkampf. In diesem Buch wird der Fokus auf Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, Freiburg, ...

„Einen Mieter schmeißt man raus, fünfzig nehmen sich ein Haus“

Seit den 1970er Jahren tobte in immer Städten der Häuserkampf. In diesem Buch wird der Fokus auf Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, Freiburg, Tübingen, München, Monheim, Hannover und Göttingen gelegt, aber auch die DDR und Ostberlin sowie dem nahen Ausland in Form von Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz und Österreich wird Beachtung geschenkt.
Nachdem die von den gegen die Pantoffelrepublik ihrer Eltern fröhlichen Widerstand leistenden Studenten geforderte Revolution ausblieb, Wohnungsnot und ein Leerstand, der „nicht aubleiben [konnte], wenn die Entmietungsstrategien der Spekulanten mit dem Planungswirrwarr der Bürokratien und unsicheren Finanzierungsaussichten zusammenstießen“(S.14) prägend für die Zeit waren, verfolgte eine ganze Generation, heterogen wie sie nur sein kann, das Ziel nach Autonomie – man wollte zusammen leben und arbeiten.
„Ihr habt eure Baupläne ohne uns gemacht“ (Wandparole in Berlin, S.260) Eigentum verpflichtet und das Grundrecht auf Wohnraum besteht, so heißt es, doch fand sukzessive eine fatale Gentrifizierung statt und Spekulanten ließen wertvollen Wohnraum verfallen. Doch ihrer zahlreichen Gegner und Widersacher zum Trotz wuchs die Hausbesetzerbewegung und gewann an an Einfluss. „Im Laufe des Jahres 1981 kam es in 153 Städten zu 595 Besetzungen durch 12900 Menschen.“ (S.298) Die Taten der Besetzerszene zogen immer größere Kreise und haben ihre Auswirkungen bis in die heutige Zeit. Beispielsweise wurden viele Zweckbauten, Fabrikanlagen und öffentliche Einrichtungen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wie die Rote Flora von den Häuserkämpfern „vor der Abrissbirne bewahrt“ (S.16) – der Grundstein für den Denkmalschutz, wie wir ihn mittlerweile für selbstverständlich halten, wurde gesetzt.
„Das Private sollte als politisch verstanden werden und das Politische als Sache eines jeden.“ (S.15)
Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Beteiligten kam es zu einer großen Bandbreite von Vorstellungen und Zielsetzungen, auch die Frage nach Gewaltlegitimation kam auf. „Legal – illegal – scheißegal“ Und so entstanden verschiedene Strömungen in der Besetzerszene. Beim Engagement der Besetzter kam es dabei zu einer ständigen Spannung zwischen utopisch und praktisch, denn es gab stets viel zu organisieren oder bei Instandsetzungen zu reparieren und zu improsieren, dennoch brauchte es eine gemeinsame Utopie um Zusammenhalt zu gewähreisten. Besonders, wenn auch unpolitisch motivierte zu den Besetzern stießen oder Gegner und Widersacher gegen die Besetzerszene anzugehen versuchten. Dabei ließ sich, so überraschend dies auf den ersten Blick auch scheinen mag, ein gewisser Wertekonservativismus der Stadteroberer bezüglich Ausrufen wie „kämpfen und bleiben“ feststellen.
„Die Revolution ist großartig. Alles andere ist Quark. – Rosa Luxemburg“ (S.256)
Beeindruckenderweise haben sich einige der selbstverwalteten und autonomen, besetzten Häuser bis heute gehalten – auch wenn sie mittlerweile nicht mehr als besetzt bezeichnet werden – und gehen gemeinnützigen Zielen nach.

Gemeinsam mit seiner Schwester Barbara Sichtermann besucht Kai Sichtermann, Gründungsmitglied der legendären Band Ton Steine Scherben, zahlreiche Beteiligte, sodass Hausbesetzer selber die Geschichte des Häuserkampfes beschreiben und erklären können. So handelt es sich bei „Das ist unser Haus“ um ein Lese-, Bilder- und Geschichtsbuch mit bemerkenswertem inhaltlichen Umfang. Erzählt wird auf abwechslungsreiche, informative, äußerst spannende und sehr beeindruckende Weise von verschiedenen Entwicklungen, Projekten, Ereignissen, Perspektiven und Zusammenhängen.
Beeindruckend sind nicht nur die vielen verschiedenen Textformate und Bildquellen, die einen tiefen Blick in die damalige Zeitgeschichte gewähren, sondern auch die Verknüpfung verschiedener Erfahrungen mit Theorien, Forderungen, Einstellungen, Ansichten oder Beobachtungen von Soziologen, Anwälten oder anderen Fachleuten.
Aus verschiedenen Blickwinkeln werden die Erfahrungen der Hausbesetzer gekonnt mit dem Zeitgeist und geschichtlichen Geschehen in Verbindung gesetzt, sodass man Stück für Stück an Zeitverständnis gewinnen kann.
Erwähnenswert finde ich zudem, dass viele unterschiedliche Quellen verwendet werden – so zum Besipiel Fotografien, Zeitungsausschnitte, Liedtexte oder aus Angst vor Unruhen nicht ausgestrahlte Radiobeiträge. Für mich gab es in dem Buch so viel zu entdecken – und ich bin schwer beeindruckt davon, wie viel Material in dieses Werk eingeflossen ist. Das ermöglicht auch das Weiterlesen, Recherchieren und Einlesen in verschiedene Bereiche. Auf diese Weise bin ich auf Bücher, die ich unbedingt noch lesen muss, Soziologen, mit denen ich mich nun genauer befassen möchte, Filme, welche ich anzuschauen habe und Lieder, die ich zur Zeit rauf und runter höre, gestoßen. Darüber hinaus finden derart viele Gebäude, Initiativen und Organisationen Erwähnung, dass man sich mit diesen und den von ihnen vertretenen Wertevorstellungen über das Buch hinaus noch eingänglicher zu befassen vermag.
Dennoch ist, sofern einen solche weiterführenden Recherchen nicht reizen können, genug Erklärung gegeben als das man das Gelesene auch so verstünde.
Sehr ansprechend ist für mein Empfinden darüber hinaus, dass die Thematik so umfassend behandelt wird. Es bildet sich ein stimmiges Gesamtbild und man kann sehr gut in das Buch abtauchen.
Fasziniert haben mich die vielen verschiedenen Ansatzpunkte, erwähnte Fachliteratur und sehr wissenschaftliche Argumentationsweisen. So wird der Leser ebenfalls für die Gegenwart sensibilisiert – denn das „Recht auf Stadt – Henri Lefebvre“ (S. 294) ist heute noch immer ein Thema angesichts steigender Mietpreise und Ähnlichem. Des Weiteren gibt „Das ist unser Haus“ wertvolle Denkanstöße zur Verhältnismäßigkeit der Mittel und anderen Themengebieten.

Alles in allem bin ich von diesem 300 Seiten umfassenden Buch mehr als begeistert. Es ist äußerst abwechslunsreich, informativ, spannend, anschaulich, strukturiert, gut recherchiert und verknüpft, sodass es einen tiefen Einblick in die Geschichte der Hausbesetzung – die bis heute andauert – bietet. Von mir gibt es daher eine klare Leseempfehlung und volle 5 Sterne!

Veröffentlicht am 26.08.2017

Hält für absolute Einsteiger sicherlich wertvolle Tipps bereit.

Meine Mini-Farm
0

Den Traum, Selbstversorger zu werden, können nur die wenigsten realisieren. Dennoch gibt es viele Möglichkeiten, auch in der Stadt seinen eigenen Kleinstbauernhof zu gestalten. Ob städtischer Gemeinschaftsgarten, ...

Den Traum, Selbstversorger zu werden, können nur die wenigsten realisieren. Dennoch gibt es viele Möglichkeiten, auch in der Stadt seinen eigenen Kleinstbauernhof zu gestalten. Ob städtischer Gemeinschaftsgarten, Vorgarten, Balkone, Hinterhöfe oder Flachdächer eignen sich beispielsweise erstaunlich gut zm Bepflanzen. Und gut geplant, lassen sich selbst in einem mittelgroßen Garten glückliche Nutztiere halten – so beispielsweise kleine Geflügelrassen wie das Bantamhuhn oder die Zwergente. In diesem Buch sollen 25 wertvolle Tipps geliefert werden, wie man jeden Quadratzentimeter Fläche bestmöglich nutzt und so zum Mini-Farmer wird.
Zu Beginn befasst sich eine kurze Einführung damit, was man beim Erwerben von einem Stück Land beachten sollte, welche groben Ideen es zur Bewirtschaftung kleiner Flächen gibt oder wie sich Gärtner und Garten verändert haben.
Im Anschluss daran folgen verschiedene Praxistipps und Berichte mehrerer Mini-Farmer, wie sie sich ein Stückchen weit selbst versorgen. Ob vom Weg vom Banker zum Kleinbauern, davon, eine Pflanzentreppe zu bauen, seinen eigenen Obstgarten anzulegen, oder eine Brennesseljauche anzusetzen – in den Kapiteln „Weltweites Wachstum“, „Nicht alltäglich“, „Reiche Ernte“, „Landwirtschaft im Kleinformat“ sowie „Magische Verwandlung“ finden sich interessante Denkanstöße. Manches, wie die „Kartoffeln im Kübel“, wenn auch als Kartoffelkiste, oder eine „Pflanzentreppe“ aus dem Bereich des vertikalen Gärtnerns oder das Herstellen von Fruchtleder, sollten einem jeden, der sich bloß kurz mit dem Selbermachen, Urban Gardening oder Nutzgärten auseinandergesetzt hat, bereits ein Begriff sein. Sieht man dieses Buch allerdings als Werk für absolute Einsteiger, so finden sich sicherlich viele hilfreiche Anregungen, um die einem zur Verfügung stehende Fläche besser nutzen und bewirtschaften zu können.
Wenn man sich einen ersten Eindruck darüber verschaffen möchte, was so alles möglich ist, dürften die Ideen wie ein Vorgarten mit essbaren Blüten oder die Hühnerhaltung inspirierend sein und die Neugierde auf das Losgärtnern wecken.
Durch die Beispiele von Mini-Farmern wird dem Buch eine persönliche Note gegeben und man hat nicht das Gefühl, eine Sammlung von Ratschlägen durchzublättern. Zudem wird das Buch durch diese Passagen aufgelockert und zeigt dem Leser sehr viel anschaulicher als ausschließlich durch die Tipps möglich gewesen wäre, wie man seinen eigenen Weg gehen und seinen Traum von der (teilweisen) Selbstversorgung leben kann. Darüber hinaus wird das Vorgestellte für denjenigen, der zum ersten Mal nach Inspirationen sucht, so denke ich, greifbarer.
Ansprechend ist die Gestaltung des 160 Seiten umfassenden Buches, nicht zuletzt durch die 200 farbigen Abbildungen, die es einem ermöglichen, den Anleitungen besser zu folgen oder sich ein Bild von den Gärten, Dächern oder Containern, welche bewirtschaftet werden, zu machen. Außerdem hat man auf diese Weise stets etwas zu schauen und selbst beim Durchblättern bereits einen guten Überblick.

Alles in allem waren für mich leider nicht mehr sonderlich viele Ideen in diesem Buch neu, doch bin ich der Auffassung, dass man, sofern man sich der Thematik zum ersten Mal nähert, in diesem Buch kurz und bündig einige Denkanstöße erhält und zum Aktivwerden und Gärtnern ermutigt wird. Durch das Einbeziehen verschiedener Angehensweisen in Form von vorgestellten Mini-Farmern, erhält man ein Gespür dafür, dass man letztendlich genau seinen eigenen Weg finden und gehen kann, was einen motiviert, so viel wie nur eben möglich auszuprobieren und zu übernehmen zu versuchen. Das Buch ist angenehm zu lesen, da es immer wieder durch kleine Berichte zu den besuchten Kleinstbauernhöfen aufgelockert wird. Schön ist die Gestaltung mit zahlreichen Farbfotografien.

Somit kann ich „Meine Mini-Farm“ als ganz leichten Einstieg in die Thematik weiterempfehlen, für jeden, der sich mit dieser jedoch bereits etwas beschäftigt hat, dürfte nicht viel Neues vorgestellt werden. Allenfalls das Beschreiben der Kleinstbauernhöfen würde dann noch reizen.

Veröffentlicht am 26.08.2017

Ich hatte etwas anderes erwartet.

Kritik der Vögel
0

„In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte.“ – Franz Kafka
In Zeiten, in denen von „fiesen Enten“ oder den „Ratten der Lüfte“ zu hören ist, bedarf es einer Richtigstellung. ...

„In den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte.“ – Franz Kafka
In Zeiten, in denen von „fiesen Enten“ oder den „Ratten der Lüfte“ zu hören ist, bedarf es einer Richtigstellung. Diese soll in „Kritik der Vögel“ geliefert werden, indem verschiedene Fragestellungen rund um die besonderen Tiere beantwortet und ihre Besonderheiten erläutert werden. Klare und deutliche Antworten sind gefragt – und Jürgen und Thomas Roth versuchen sie zu geben.
Harpyie, Habicht, Nachtigall, Hühner, Adler, Pinguine, Zilpzalp, Dodo und viele Arten mehr werden in das Blickfeld gerückt, sodass aus den ca. 11.000 existierenden Vogelarten sehr unterschiedliche Exemplare ausgewählt worden sind.
Aus den unterschiedlichsten Bereichen werden Bezüge zur jeweiligen Vogelart hergestellt – beim Huhn beispielsweise zum Verrat an Jesus durch Judas, zu Cicero oder dem Gallischen Hahn. So erhält man viele Informationen aus Gebieten, die augenscheinlich zunächst wenig bis gar nichts mit Vögeln gemein haben. Allerdings, so muss ich gestehen, verlieren sich die Autoren hier eher in Belanglosigkeiten, welche mit der Thematik nur schwerlich vereinbar sind.

Der Klappentext hat mich sehr angesprochen, da er versprach, dass auf viele Fragestellungen, die sofort mein Interesse weckten, im Buch eingegangen würde. Darunter sowohl Fragen, die das Bild eines gewissen Vogels innerhalb der Gesellschaft, den Ursprung von Ausdrücken und Sprichwörtern oder das Verhalten der Vögel behandeln. „Dass nicht einmal Kant dazu etwas gesagt hat, unterstreicht die Dringlichkeit einer transzendentalbiologischen Kritik der Vögel, die mit klaren Urteilen und zugleich mit einem Größtmaß an Empathie nicht spart, was auch stille, andächtige Betrachtungen einschließt.“ Erwartet habe ich ein gleichermaßen unterhaltsames wie auch informatives Buch, welches mich den gefiederten Freunden ein Stückchen näherzubringen vermag.
Leider zog sich das Buch für mein Empfinden arg in die Länge und gab eher weniger Antworten auf naheliegende Fragen, als von mir erhofft. So musste ich das Werk immer wieder aus der Hand legen, da es mir andernfalls viel zu anstrengend und ermüdend geworden wäre. Viele der präsentierten Kenntnisse über Vögel dürfte der Leser bereits haben, andere, vornehmlich die Bezüge zu anderen Themengebieten, sind eher gekünzelt als gekonnt, was den Lesefluss sehr hemmt. Darüber hinaus vermag der Schreibstil nicht gerade Spannung aufzubauen oder aufrecht zu erhalten; ganz im Gegenteil ist das Buch sehr holprig und unzusammenhängend geschrieben, was spürbar anstrengt.
Ansprechend sind hingegen die Illustrationen F.W. Bernsteins, welche sich dem Stil der „Neuen Frankfurter Schule“ zuordnen lassen.

Alles in allem bin ich von dem 332 Seiten umfassenden Buch enttäuscht, da es nach meiner Auffassung nicht das eigentlich versprochene Thema behandelt und sich nur äußerst schwierig lesen lässt. Die Gestaltung hingegen ist gut und gelegentlich stößt man auf interessante und unterhaltsame Passagen.

Veröffentlicht am 26.08.2017

Sehr schön

Frische Gedichte
0

F.W. Bernsteins Lyrik, Grafik und Satire wird zur sogenannten »Neuen Frankfurter Schule« gezählt. Mit Heiterkeit werden in seinen Gedichten unter anderem politische, alltägliche, absurde, philosophische ...

F.W. Bernsteins Lyrik, Grafik und Satire wird zur sogenannten »Neuen Frankfurter Schule« gezählt. Mit Heiterkeit werden in seinen Gedichten unter anderem politische, alltägliche, absurde, philosophische oder auch humorvolle Themen behandelt ebenso; finden aber Dichter und ihre Werke – beispielsweise Rilke – Beachtung.
Unterteilt in die Kapitel „Drinnen und draußen“, „Das Tier und wir“, „Vom Dichten, Sport und Mord“, „Die letzten Dinge“, „Historisches und Politisches“, „Kunst, Kulinarik und Musik“, „Huldigungen und Gelegenheitsgedichte“, „Zu Zeichnungen von Chlodwig Poth“ und „Kleinkram und lyrische Störanfälle“ finden sich höchst unterhaltsame Gedichte für jede Gelegenheit. Selbst wenn seine Lyrik gute Laune verbreitet und vor Satire, Unbeschwertheit und Übermut strotzt, wagt sich Bernstein ebenso an ernstere Inhalte.
Gedichte wie „Baum, hast im Wald nix verloren“ (S.26), „Das Veilchen schreit“ (S.195), „Dem Lyrikfreunde“ (S. 53), „Die Karikatur-Kathedrale“ (S. 146) oder „Der Wasserrohrbruch“ (S.202) sorgen durch reichlich Abwechslung für großen Lese- und Lyrikgenuss. Was alle Gedichte gemein haben, ist ihr ganz eigener Rhythmus und ihre Melodie. Vieles wirkt wie ein Singsang, ein Loblied, eine Treibjagd oder ein freudiger Tanz. Darüber hinaus gelingt es dem Dichter vortrefflich eine ganz eigene Atmosphäre schon beim kürzesten Gedicht aufzubauen.

So ist dieses „Spätwerk“ von 208 Seiten wärmstens an alle Freunde heiterer und vielschichtiger Lyrik zu empfehlen. Ob der Amtsantritt von Angela Merkel oder eine Kaninchenjagd – mit Bernsteins lebendigen Gedichten vermag man über das Unterschiedlichste zu schmunzeln. Dank des großen Einfallsreichtums konnte ich den Gedichtband Stück für Stück mit Freude lesen und wurde der Lyrik nicht müde.

Veröffentlicht am 24.07.2017

Ein wichtiges Werk!

Anschlag von rechts
0

Lauter Rechtsrock dröhnt, es wird mitgegröhlt und reichlich Alkohol fließt. Immer später wird es, während eine Flasche nach der anderen geleert wird und sich die Freunde in Rage reden. Über die inkompetenten ...

Lauter Rechtsrock dröhnt, es wird mitgegröhlt und reichlich Alkohol fließt. Immer später wird es, während eine Flasche nach der anderen geleert wird und sich die Freunde in Rage reden. Über die inkompetenten Politiker, die der Flüchtlingsschwemme nicht Herr werden. Darüber, dass dies unter einem starken Führer nicht passiert wäre. Darüber, dass jetzt auch in dieser Kleinstadt P. eine Flüchtlingsunterkunft entstanden ist. Dass die Flüchtlinge quasi gratis in einer eigenen Wohnung leben dürfen, während man selbst bei der eigenen schwierigen (finanziellen) Situation nicht unterstützt wird. Und das, obwohl man doch hier gebürtig ist.
Weitere Lieder von Landser und Störkraft laufen und heitzen Stimmung weiter an. Man müsste doch etwas unternehmen; ein Zeichen setzen. Damit die wissen, dass sie hier nicht willkommen sind. Bald schon werkeln zwei vollkommen Betrunkene an einem Molotov-Cocktail. Danach, nun, da er schon so schön fertig ist, soll er auch zum Einsatz kommen.
Robert erklärt Beate, sie solle Matze und ihn zu der Flüchtlingsunterkunft bringen. Diese folgt - Robert widerspricht man einfach nicht. Unter Alkoholeinfluss schon gar nicht. Und außerdem ist ja auch sie besorgte Mutter und blickt der Flüchtlingswelle mit Schrecken und Entsetzen entgegen.
Kurze Zeit später brennt das Haus in P. und nur durch großes Glück kommt dabei niemand zu Schaden; zumindest körperlich nicht...

Das Buch gliedert sich nachdem die Vorboten geschildert wurden in drei Teile: "Flucht aus...", "Die Tat" sowie "Im Namen des Volkes". So begleitet der Leser zunächst die Flüchtlinge aus Afghanistan, Somalia, Syrien, Pakistan und Simbabwe auf ihrem schweren Weg nach Deutschland, den sie sich zuvor auch so nicht ausgemalt hatten. Bei ihnen handelt es sich um die Opfer des im Vordergrund stehenden Anschlags.
Danach wird die Tat an sich geschildert, wobei bereits das Treffen auf ein Feierabendbier der drei Freunde sehr unter die Haut geht. Nicht zuletzt aufgrund der Zitate aus dem dort gespielten Rechtsrock. Mir persönlich fiel es unbeschreibbar schwer, zu glauben, dass tatsächlich solche Lieder gehört und derartige Texte mitgesungen werden. Es ist mir unbegreiflich, dass sich Bands mit Stücken wie "Hura, das Asylheim brennt" eines gar nicht mal so kleinen Hörerkreises erfreuen. Songtextpassagen, in denen der Rassenkampf und rechte Gewalt verherrlicht werden und zu Anschlägen aufgerufen wird, waren für mich wie Hiebe in die Magengegend. Da mir etwas solches derart fern ist und es sich hierbei auch um Gebiete handelt, über die man sich sonst gut informieren könnte und möchte, hätte ich davon sogar gerne noch mehr Auszüge in dem Buch gelesen. Für mich war das eine ganz neue Welt...
Der letzte Teil befasst sich dann mit den Gerichtsverhandlungen - bedenkt man, dass im Jahr 2015 von 222 begangenen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte 169 ohne Ermittlungserfolg blieben, in 41 Fällen Tatverdächtige ermittelt, in acht Fällen Anklage erhoben und in lediglich vier Fällen Urteile gesprochen worden sind, ist dies mehr als alamierend.
Im Anhang findet sich ein ausführliches Glossar zu Symbolen, Grüßen, Kleidungsmarken, Musik und Abkürzungen, die der rechten Szene zugeordnet und teilweise sogar verboten sind. Dabei muss ich gestehen, dass ich bei einigen Symbolen und Zahlencodes doch überrascht war, dass dieses Symbol auch in dieser Art interpretiert werden kann. Die Triskele beispielsweise würde ich als harmloses Symbol der keltischen Mythologie deuten. Bei ihr fallen mir eher Dreifaltigkeit, und Kombinationen wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder Körper, Seele, Geist ein anstatt dass ich mich an ein "dreiarmiges Hakenkreuz" (S.173) denken würde. Als Irland-Freund war dieses Symbol für mich immer positiv konnotiert - sowohl optisch als auch von der mir geläufigen Bedeutung. Daher stellt sich mir die Frage, ob für das Buch nicht so ziemlich jedes mögliche Symbol gesucht und aufgelistet worden ist, auch wenn es nicht gänzlich in die rechte Szene gehört.
Bei den Zahlencodes geht es mir ähnlich: Einige, wie 18 oder 88, kennt man zwangsläufig und kann sie auch selber in die rechte Szene einordnen. Dass auch 28, 74, 124, 444, 1919 (meine erste Assoziation war nicht SS, sondern ging vielmehr in Richtung der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts oder die der demokratisch-parlamentarischen Verfassung...), 146 und weitere auf diese Art behaftet sind, war mir meist neu. Nachvollziehbar, aber dennoch teilweise etwas weit hergeholt... Vielleicht bin ich bloß sehr naiv, wenn ich bei diesen Zahlen noch nicht rechtes Gedankengut unterstelle.
Bei den Kleidermarken war dies dann schon eindeutiger, zumal ich einige von ihnen auch vom Namen her bereits kannte. Bei Doc Martens blieb ich allerdings bereits zwiegespalten zurück, denn, auch wenn Skinheads zu den "Stammkunden" zählen, verbinde ich die Marke auch mit der Punkerszene oder generell arbeiterverbundenen Menschen. In meinem Umfeld kenne ich genügend linksorientierte, die sich für die Produkte dieser Firma begeistern können...
Der Schreibstil des Buches ist sehr einfach und verständlich gehalten, weswegen ich vom bloßen Sprachgebrauch bereits sagen würde, dass dieses Werk auch für jüngere Leser als die empfohlenen 13jährigen geeignet wäre. Vom Inhalt her ist das natürlich eine ganz andere und sehr individuelle Frage, denn wenn Protagonisten Aussagen wie "Wenn der Neger brennt, dann werde ich richtig feiern." (S.62) tätigen oder Lieder mit kinderleicht zu merkenden Reimen zitiert werden, ist das schon nicht ohne.
Was ich allerdings sehr schade finde ist, dass ich beim Lesen immer wieder auf Rechtschreib-, Wort-, oder ähnliche Fehler gestoßen bin; das hat ein so wichtiges Buch nicht verdient...
Sehr ansprechend ist meines Erachtens das Hinterfragen des Begriffes der "Flüchtlingswelle" und das Aufzeigen rechter Tendenzen bei Aussagen von Politikern am Beispiel von den durch die Presse gegangenen Worten des CSU Generalsekretärs.

Alles in allem bin ich der Meinung, dass es nicht geschadet hätte, wenn dieses Werk noch etwas ausführlicher und "erwachsener" gewesen wäre, denn mir als 13jährige wäre es schätzungsweise noch etwas zu kindlich gewesen. Zwar ermöglicht dies ein schnelles und lockeres Lesen, allerdings frage ich mich, ob das bei dieser Thematik so nötig ist oder ob dass doch nicht so ganz zum Inhalt passt. Immerhin könnte ein Mittelweg zwischen verständlich und anspruchsvoll gefunden werden, da der Schreibstil meines Erachtens die Recherchearbeiten des Autors runterspielt und weniger als Tatsachen greifbar macht. Gerade in Verbindung mit den von mir bereits erwähnten Fehlern wirkt es so, als wäre dem Buch beim Entstehen nicht so viel Zeit, Mühe und Achtung geschenkt worden als es tatsächlich der Fall gewesen sein dürfte. Denn, dass Engelmann für dieses Buch nicht wenig Recherchen angestellt hat, dürfte außer Frage stehen.

So vergebe ich 4 von 5 Sternen, da mich das Buch trotz des Schreibstils zu erschüttern vermochte, den Leser nah an Rechtsextreme führt und sensibel für Symbole und Ähnliches macht.