intensiv, spannend, schockierend, sensibilisierend
You are (not) safe hereMeine Meinung:
You Are Not Safe Here erzählt von häuslicher Gewalt. Von einem Vater, der seine Familie liebt wie er Liebe von seinem Vater erlernt hat. Von seiner Familie, die ihn liebt. Und deshalb Stillschweigen ...
Meine Meinung:
You Are Not Safe Here erzählt von häuslicher Gewalt. Von einem Vater, der seine Familie liebt wie er Liebe von seinem Vater erlernt hat. Von seiner Familie, die ihn liebt. Und deshalb Stillschweigen bewahrt über die Momente, in denen er die Fassung verliert. In denen er seine Frau und Kinder psychischem und physischem Terror aussetzt. Erzählt wird die Geschichte aus Sicht von Leighton, seiner ältesten Tochter, die sich gegenüber ihren jüngeren Schwestern verpflichtet fühlt. Sonst hätte sie vermutlich schon längst das Weite gesucht.
Zu dem Zeitpunkt, an dem die Geschichte beginnt, lassen sich mehr und mehr Krähen in Auburn nieder. Die Einwohner der Stadt sind verzweifelt und fühlen sich von den Tieren bedroht. Alle außer Leighton und ihre Schwestern, die wissen, dass die wahre Gefahr ganz woanders lauert.
Die Autorin bringt einem die Situation nahe und erklärt sehr anschaulich, dass ebenjene Gefahr nicht bloß von dem Täter selbst ausgeht, sondern von allen geschürt wird, die wegsehen. Allen Nachbarn, Freunden, entfernten Bekannten, die merken, dass etwas nicht stimmt und dennoch nicht nachhorchen. Sie zeigt, dass diese Gewalt über Generationen hinweg praktiziert wurde und dass sie von Individuum zu Individuum als unterschiedlich gefährlich eingestuft wird. Die Älteren halten sie offenbar für normal. Die Opfer suchen nach Entschuldigungen und geben sich selbst die Schuld für die Gewalt, die ihnen widerfährt. Ein Teufelskreis, aus dem die Familie nicht entkommen kann bis es völlig eskaliert oder einer spricht.
McCauley schafft den perfekten und typischen Kleinstadtflair. Jeder kennt jeden. Es wird geredet. Aber jeder kümmert sich nur um seine eigenen Angelegenheiten. „Mind your own business!“ Das habe ich in meiner Zeit in den Staaten oft gehört und ich fühlte mich durch die Geschichte wie zurückversetzt. Nicht nur Leighton und ihre Familie leiden unter der Gleichgültigkeit der Freunde und Nachbarn. Auch Liam, ein Freund von Leighton, und einer der sehr wenigen Schwarzen in Auburn hat mit dem allgemeinen Konservativismus zu kämpfen.
Besonders schön fand ich, wie die Entwicklung von Identität thematisiert wird. Die Protagonisten müssen ihre finden zwischen den Erwartungen, die an sie gestellt werden und den eigenen Vorstellungen von ihrer Zukunft. Leighton und Liam finden beide ihren Platz in der Welt durch einen Raum, den sie selbst erschaffen: Leightons großes Ziel ist es, Journalistin zu werden, um den Menschen, die Lügen verdecken und permanent wegschauen, endlich die Wahrheit aufzutischen. Ihr Talent mit Worten umzugehen, gibt ihr eine Stimme, die nicht überhört werden kann.
Liam findet sich selbst in seiner Kunst. Durch seine Kunst verleiht er seinen Gefühlen Ausdruck und gibt anderen transkulturell aufwachsenden Kindern und Jugendlichen etwas, woran sie sich festhalten können – ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, ein „du bist nicht allein.“
Nun zu den weniger gelungenen Punkten:
Die Krähen hielt ich zunächst für eine Metapher oder ein stilistisches Mittel, um eine noch düsterere Atmosphäre zu schaffen und den Horror zu unterstreichen, den Leighton und ihre Familie durchleben. Absolut unnötig, da die Thematik an sich schon schockierend genug ist. Im weiteren Verlauf beschreibt die Autorin die Vögel als „Symbol für Verönderung. Neubeginn. Als großes Erwachen. Eine Auflösung des Status quo.“~S. 276. Ein tröstlicher und literarisch gut durchdachter Gedanke.
Gegen Ende des Buches nehmen sie aber eine sehr viel zentralere Rolle ein, die das Buch für mich ein wenig ruinierte. Das Ende ist sehr abstrus und ich fühlte mich gelegentlich, als spulte ein Horrorfilm in meinem Kopf ab.
Außerdem störte mich, dass die Autorin den Eindruck vermittelte, dass immer nur Männer die „Bösen“ seien. So gehört der folgende Satz zu meinen liebsten Textstellen:
„Doch ich frage mich langsam, wie viele Männer zwei Gesichter haben. Eines für im Haus und eines für draußen.“~S. 81
Ich wünschte nur, McCauley hätte statt Männer „Menschen“ geschrieben, denn es gibt auch Frauen, die ihrer Familie Gewalt antun.
Deshalb kann ich „nur“ 4 Sterne vergeben.
Trotzdem möchte ich allen nahelegen, sich ein wenig mit der Thematik zu beschäftigen, da häusliche Gewalt in vielen deutschen Haushalten brutale Realität ist. Seid aufmerksam, hört zu, lest zwischen den Zeilen und bietet eure Hilfe, wenn sie gebraucht wird.
Meine liebsten Textstellen (Spoiler):
„Ich weiß, warum in Horrorfilmen Leute Türen öffnen und in verdunkelten Kellern nachschauen. Warum sie das Monster suchen. Sie tun es, weil manchmal nichts mehr wehtut als die Vorahnung.“~S. 47
„Worauf würde sich seine Wut richten, wenn es niemanden gäbe, der sie bezeugt?“~S. 52
„Doch ich frage mich langsam, wie viele [Menschen] zwei Gesichter haben. Eines für im Haus und eines für draußen.“~S. 81
„Rote und blaue Lichter blitzen über die abgenutzte, früher mal weiße Verkleidung des Hauses. Rot, blau und grau.
Eine andere Art von amerikanischem Traum.“~S. 341