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Veröffentlicht am 05.11.2022

Ein absolutes Lieblingsbuch

Eine iranische Liebesgeschichte zensieren
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Ein iranischer Schriftsteller - erfüllt von der Idee einer Liebesgeschichte - steckt tief im Dilemma. Einerseits sitzt ihm der staatliche Zensor in Gestalt von Herrn Petrowitsch im Kopf und überwacht jedes ...

Ein iranischer Schriftsteller - erfüllt von der Idee einer Liebesgeschichte - steckt tief im Dilemma. Einerseits sitzt ihm der staatliche Zensor in Gestalt von Herrn Petrowitsch im Kopf und überwacht jedes getippte Wort und sogar jeden gewagten Gedanken. Zum anderen kämpft unser Autor gegen ein wahres Übel der persischen Erzähltradition an - alle Liebesgeschichten enden stets tragisch.
Und überhaupt - wie soll er Saras und Daras erste Begegnung, ihre aufkeimenden Gefühle denn beschreiben, in einem Land, wo Unverheiratete nicht mal zu zweit ins Kino oder allein spazieren gehen oder gar Händchen halten dürfen? Im lyrischen Blütenschatten einer national vererbten Dichtkunst, die sich zur Veranschaulichung körperlicher Gelüste an Granatäpfel und Trauben hält? Wie soll er seine beiden jungen aufrechten Teheraner Helden vor den Gefahren und den politischen Wirren bewahren, in die sie natürlich unweigerlich hineingeraten? Wie ihre Leben retten und auch noch ihre Liebe und das alles gegen die Schere im Kopf und zwischen den Zeilen? Und wer ist der unheimliche bucklige Zwerg, der sich ungefragt in die Geschichte geschlichen hat?
Doch als alles über unserem armen Dichter zusammenzubrechen droht, nehmen Dara und Sara ihr Schicksal selbst in die Hand...

Shahriar Mandanipour bricht in diesem Werk ironisch und meisterhaft mit sämtlichen gängigen Stilformen und spielt den Autor und die von ihm erschaffenen Figuren gegeneinander aus. Typografisch voneinander abgesetzt folgen wir dem im Entstehen begriffenen Roman (fett gedruckt), den in vorauseilendem Gehorsam vorgenommenen Streichungen (durchgestrichen) und der normal gesetzten Rahmenhandlung mit dem Autor als Ich-Erzähler.

Obwohl die eigentliche Geschichte immer wieder von Reflexionen über das literarische Schreiben durchsetzt ist, liest sich das Ganze spannend und aufrüttelnd von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist thematisch durchaus schwere Kost doch serviert mit leichter Hand und feinem Humor. Selten habe ich bei der Lektüre eines iranischen Romans so oft gelacht. Natürlich ist das Werk im Iran verboten.
Auf Wunsch des Autors wurde es aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt und zwar ganz wunderbar von Ursula Ballin.

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Veröffentlicht am 05.11.2022

Unbedingt lesen!

Der Nachtwächter
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September 1953, North Dakota, Reservat des Turtle Mountain Band of Chippewa. Stammesratsvorsitzender Thomas Wazhashk - benannt nach der tapferen Bisamratte - bewirtschaftet tagsüber sein Farmland und arbeitet ...

September 1953, North Dakota, Reservat des Turtle Mountain Band of Chippewa. Stammesratsvorsitzender Thomas Wazhashk - benannt nach der tapferen Bisamratte - bewirtschaftet tagsüber sein Farmland und arbeitet nachts als Wächter der Lagersteinfabrik, deren Ansiedlung am Rande des Reservats den Bewohnern ein bescheidenes, aber stetes Einkommen ermöglicht. Zwischen den Kontrollgängen erledigt er die Post; Briefe an die Verwandten und die Politik, geschrieben in vollendet schönen Schwüngen und gewähltem Ausdruck. Thomas war einst Schüler in Fort Totten, einem jener Internate, in die viele Kinder der Ureinwohner zum Zwecke der Zivilisierung verschleppt wurden. Unsägliches ist ihnen dort widerfahren. Doch was er lernte, vermag sie jetzt vielleicht zu retten, denn den indianischen Nationen droht die Terminierung.
Der Kongress in Washington hat mit der sogenannten House Concurrent Resolution 108 beschlossen, sie zu "emanzipieren", allen US-Bürgern gleichzustellen. Die Reservate sollen aufgelöst, die Ländereien verkauft, die Bewohner - von der Autorin schlicht Indianer genannt - in die Städte umgesiedelt und damit ausgelöscht werden, als hätte es sie nie gegeben.

"Das ist es dann also, dachte Thomas, als er die nüchternen Satzgirlanden der Gesetzesvorlage vor sich sah. Wir haben die Pocken überlebt, die Winchester-Repetierbüchse, die Hotchkiss-Kanone, die Tuberkulose. Wir haben die Grippeepidemie von 1918 überlebt und in vier oder fünf Kriegen für die USA gekämpft. Und jetzt vernichtet uns diese Ansammlung knochentrockener Wörter. Die Veräußerung, das Einstellen, die Terminierung, Obiges, Folgendes, besagte."

Doch der Legende zufolge war es die tapfere Bisamratte, die ihr Leben gab, um die Welt entstehen zu lassen, auf der sie immer noch lebten. Die Bisamratte, die Thomas Wazhashk seinen Namen gab...

Mit dem vorliegenden Roman hat Louise Erdrich ihrem Großvater, der Ende 1953 den Protest der Ureinwohner mit einer kleinen Delegation von North Dakota bis in den Kongress nach Washington trug und dabei seine Gesundheit ruinierte, ein literarisches Denkmal gesetzt.
Wie sie das tut, hat zu Recht den Pulitzer Preis verdient. Ihre bild- und detailreichen Schilderungen der indianischen Lebenswelt zeugen von intimer Milieukenntnis, tiefer Liebe und Verwurzelung. Der Roman ist mit vielen wunderschönen poetischen Details - etwa der Geschichte von Thomas' Flickendecke - und zarten lyrischen Bildern ausgestattet, die Gesine Schröder ebenso sanft ins Deutsche übertragen hat. Mir fallen jetzt zur Nachtzeit nicht mehr nur die Augen zu, sondern ich "treibe auf den Flusslauf des Schlafes hinaus".

Obwohl ihre Charaktere, Lebende wie Geister, alle auffallend empathisch sind, zeichnet die Autorin sie keineswegs als idealisierte Heroen, sondern auch als Menschen in Zweifel und Zwiespalt. Sie irren, treffen fragwürdige, aber selten eigennützige Entscheidungen. Die Gemeinschaft, so die Botschaft, ist das einzige, was sie letztlich retten wird. Ein feiner untergründiger Humor durchdringt dabei fast den gesamten Text und lässt vor allem die Dialoge sehr lebendig wirken.

"Es heißt, dass er uns beibringen will, auf eigenen Füßen zu stehen.« Die beiden schauten auf ihre Füße hinunter. »Ich glaub, das sind meine«, sagte Louis. »Tja, ich weiß nicht«, sagte Thomas. »Du weißt was nicht?« »Ob einer von denen jemals sagen wird:Mensch, diese Indianer, die hatten schon was drauf. Die hätten wir nicht ausrotten sollen. Da haben wir was verpasst.« Louis lachte. Thomas lachte. Diese Vorstellung fanden sie beide sehr komisch."

Louise Erdrich hat die historisch verbürgte Handlung mit einer fiktiven Story rund um die starken Frauenfiguren Patrice 'Pixie' Paranteau und ihre Mutter Zhaanat verknüpft. Deren (auch übersinnliche) Suche nach Pixies verschollener Schwester Vera (TW: sexuelle Gewalt) verleiht der Geschichte einen zusätzlichen Spannungsbogen und macht sie auch zu einem Familien- und Entwicklungsroman.

Ich habe das Buch fast atemlos und in einem Rutsch gelesen und wollte am Ende gleich wieder von vorn beginnen, um die Menschen nicht verlassen zu müssen, die einem wie Freunde ans Herz wachsen.
Unbedingte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 05.11.2022

Ungewöhnlich und vielversprechend

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
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Ba ist gestorben. Dem Ritual folgend müssen die Geschwister Sam (11) und Lucy (12) dem Vater die Augen mit Silberdollars beschweren und ihn an einem Ort begraben, den man Zuhause nennt. Doch weil die Kinder ...

Ba ist gestorben. Dem Ritual folgend müssen die Geschwister Sam (11) und Lucy (12) dem Vater die Augen mit Silberdollars beschweren und ihn an einem Ort begraben, den man Zuhause nennt. Doch weil die Kinder aus der Bank gejagt werden, wo sie um das Silber auf Kredit baten und Sam daraufhin den Revolver zieht, sind die beiden chinesischen Waisenkinder nun auf der Flucht durch die Prärie. Mit dem gestohlenen Pferd des Lehrers und dem Leichnam des Vaters obendrauf lassen sie die Hügel voller Gold und Kohle und mit ihnen die zu Staub und Einsamkeit zerfallenen Träume der Eltern hinter sich. Auf der Suche nach einem Begräbnisplatz für den Vater und einem Ort, an dem sie endlich ankommen dürfen...
Im Nu entfaltet die Geschichte einen nahezu magischen Sog, der einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen und - ich nehme es vorweg - aufgewühlt, betroffen und beschenkt zurück lässt.

Obwohl wir uns ganz offensichtlich in den Jahren des Goldrausches und des Eisenbahnbaus im nordkalifornischen Hügelland befinden, verzichtet C Pam Zhang auf eine eindeutige Verortung und hat einen Roman voller zeitloser "Geschichten gegen die Geschichtsbücher" (S.333) geschrieben. Dessen Wild-West-Setting dient vor allem der Entzauberung der noch immer glorifizierten "Zivilisierung" des amerikanischen Westens. Menschen wie Lucy und ihre Familie, die Blut, Schweiß und Leben dafür gaben, finden in den Chroniken keine oder sehr zweifelhafte Erwähnung. Da ist der Lehrer, der die intelligente Lucy, aus deren Perspektive der Roman überwiegend erzählt wird, als exotisch-"wildes" Forschungsobjekt für eine zweifelhafte Niederschrift missbraucht.
"Der Garten wird als Triumph gefeiert, aber die Pflanzen, die nicht anwachsen, sieht niemand." (S.277), resümiert Lucy am Ende bitter, als sie erkennt, dass selbst sie, die in den Hügeln geboren ist, in diesem Land gar keine Wurzeln schlagen soll. In diesem Land, wo sie unablässig angestarrt, aber nicht gesehen wird.

Doch in diesem Buch geht es um mehr als zerplatzte Träume und gescheiterte Integration. Es ist zugleich ein raffiniert komponierter Abenteuer-, Familien- und Entwicklungsroman, voll von Schuld und Verrat, Rivalität, Liebe und Enttäuschung, Selbstfindung, Aufopferung und überraschenden Wendungen.
Geschickt spielt C Pam Zhang dabei mit den Erwartungen der Lesenden, die mehr als einmal überrumpelt und verdutzt zurückblättern und sich hier und da bei allzu festgefügten Wertvorstellungen ertappt fühlen. Erst am Ende ist alles stimmig, liegt jedes Teil dieses großen und kunstvollen Panoramas an seinem Platz.
Dass die Geschichte ihren unwiderstehlichen Sog entfaltet, liegt nicht nur an der Story, ihren anrührenden jugendlichen Helden und dem abenteuerlichen Setting, sondern vor allem an der so präzise und wirkmächtig eingesetzten Sprache C Pam Zhangs: Kraftvoll und bildgewaltig, reduziert und verknappt, poetisch und magisch. Man fühlt die Hitze brennen, schmeckt Kohlestaub, riecht Hühnerdreck und Leichengestank, hört wie selbstverständlich Geister sprechen und sieht Tiger durch die Handlung streifen.
Wer einen Blick ins Original geworfen hat, weiß: Eva Reguls Übersetzung ist pures Leseglück; sie hat diese Sprachmagie exzellent eingefangen und ebenso gekonnt ins Deutsche übertragen. Ihr Name auf dem Cover dürfte ruhig größer sein.

Lange hat mich kein Buch so gefesselt, berührt und nachhaltig beschäftigt. Unbedingte Leseempfehlung! (Rezensionsexemplar)


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Veröffentlicht am 05.11.2022

Packende Geschichte

Piccola Sicilia
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Was für eine packende Geschichte! Historisches Drama, Familiensaga, Schatz- und Spurensuche, Liebes- und Entwicklungsroman, fulminant verwoben und fesselnd erzählt. Warum nur habe ich so lange gezögert?

Tunis ...

Was für eine packende Geschichte! Historisches Drama, Familiensaga, Schatz- und Spurensuche, Liebes- und Entwicklungsroman, fulminant verwoben und fesselnd erzählt. Warum nur habe ich so lange gezögert?

Tunis 1943 - Der Kameramann Moritz Reinke, Propaganda-Offizier im deutschen Afrika-Corps, verhilft dem jüdischen Pianisten Victor Safati zur Flucht. Eine Entscheidung, die nicht nur beider Leben dramatisch wendet. Als kurz darauf die Alliierten Nordafrika erobern, findet der schwer verletzte und zudem fahnenflüchtige Moritz seinerseits Zuflucht bei den Safatis und verliebt sich dort in die schöne Yasmina, deren Herz jedoch längst vergeben ist.

Im Deutschland der Gegenwart erhält die Archäologin Nina eine erschütternde Nachricht. Schatztaucher haben vor Sizilien das Wrack einer Ju 52 gesichtet. Auf der Passagierliste der 1943 abgestürzten Maschine steht der Name ihres verschollenen Großvaters Moritz. Gerade frisch getrennt und ziemlich deprimiert macht sie sich auf den Weg nach Italien. Dort trifft sie auf Joelle, die behauptet, Moritz' Tochter zu sein und dass ihr Vater noch lebt...
Anfangs skeptisch, fasst Nina auf der Suche nach Antworten Vertrauen zu der eigenwilligen Joelle, die ihr nach und nach ihre Familiengeschichte enthüllt und uns dabei die Welt um uns herum vergessen lässt.
Dafür sorgen mit Luise Helm und Michael Rotschopf auch zwei einfühlsame Stimmen, die ihren Figuren immer das richtige Quantum Intensität verleihen und zudem - da Musik eine wichtige Rolle spielt - auch mit ihrem gefühlvollen Gesang überzeugen.
Der eigentliche Zauberer ist natürlich Daniel Speck, der sein detailreiches historisches Panorama nicht nur sorgfältig recherchiert hat, sondern als erfahrener Drehbuchschreiber auch von der ersten Szene an das Kopfkino anschaltet.
Während des Hörens habe ich - glaube ich - meinen Garten entdschungelt. Aber eigentlich bin ich durch die verwinkelten Gassen der Medina gelaufen, habe im quirligen Italienerviertel Piccola Sicilia mit Juden, Christen und Muslimen Shakshuka gegessen, gefeiert und gesungen, bis die Gemeinschaft unwiederbringlich in Scherben fiel. Musste mit ansehen, wie die Juden zusammengetrieben wurden, der Nachbar den Nachbarn verriet oder verbarg, habe um Albert und Victor gebangt, Yasminas Geheimnis geteilt und mit Moritz durchzuhalten versucht.

Dieses Buch handelt von so vielem: von Familiengeheimnissen, die Wunden durch drei Generationen schlagen; von alles überwindender Liebe; von selbstlosem Handeln und dem Ringen um menschliche Würde in grausamen Zeiten, von geschenkten und selbstgewählten Identitäten.
Daniel Speck lässt seine sorgfältig und liebevoll angelegten Charaktere folgenschwere Entscheidungen treffen und sich dennoch behutsam entwickeln. Er nimmt sich Zeit für sie, sodass nie vorhersehbar, aber immer nachvollziehbar bleibt, was und wie sie denken und handeln.
Überflüssig zu sagen, dass auch Nina am Ende nicht mehr dieselbe ist und doch sie selbst.

Es bleiben Fragen offen. Warum will Moritz nicht gefunden werden? Und woher konnte Joelle von Nina und der deutschen Familie wissen? Moritz hat den Brief aus Berlin nie geöffnet. Zum Glück gibt es eine Fortsetzung. Und damit biege ich jetzt ab, direkt auf die „Jaffa Road“…
(Selbst gekauft und gern empfohlen)

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Veröffentlicht am 05.11.2022

So wunderbar wie der erste Band

Jaffa Road
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Auch der Folgeroman um Nina, ihre Tante Joëlle und den verschollenen Großvater Moritz lässt mich bewegt und begeistert zurück. Mit „Jaffa Road“ legt Autor Daniel Speck nach meinem Gefühl sogar noch eine ...

Auch der Folgeroman um Nina, ihre Tante Joëlle und den verschollenen Großvater Moritz lässt mich bewegt und begeistert zurück. Mit „Jaffa Road“ legt Autor Daniel Speck nach meinem Gefühl sogar noch eine Schippe drauf, denn er stürzt sich und seine Held*innen nicht nur in ein schwer zu verkraftendes Gefühlschaos, sondern auch in den Nahost-Konflikt. Erneut akribisch recherchiert, raffiniert inszeniert, präzise und spannend geschrieben und einfühlsam gesprochen von Luise Helm und Michael Rotschopf - Hörgenuss pur!

1948. Moritz, Yasmina und Joëlle landen mit dem Schiff in Haifa und finden in der Jaffa Road ein neues Zuhause. Die Straße heißt so, weil sie vom Hafen der Altstadt bis nach Jaffa führt. Dort liegen die Orangenhaine von Amals Familie, die sie als Palästinenser nun für immer verlassen müssen. Obwohl sich die Wege beider Mädchen nie kreuzen, wird ihr Schicksal einmal eng verflochten sein…
Die Berliner Archäologin Nina reist nach Palermo, denn ihr verschollener Großvater Moritz ist erschossen in der Garage seiner Villa aufgefunden worden und hat sie offenbar im Testament bedacht. Vor Ort trifft sie auf die fassungslose Joëlle, die nicht an Selbstmord glaubt, und - den palästinensischen Arzt Elias, der behauptet, Moritz‘ Sohn zu sein. Während Joëlle zunächst jeden Kontakt zu Elias verweigert, versucht Nina hinter die Geheimnisse ihres Großvaters zu kommen und gleichzeitig zwischen den beiden Geschwistern zu vermitteln.
In vielen Gesprächen und Rückblenden tauchen wir tief ein ins Deutschland der Nachkriegszeit, Israels Gründerjahre und das leidvolle Exil der Palästinenser: drei Familien, drei Kulturen und Moritz, der alles verbindet. Stück für Stück entsteht ein facettenreiches Puzzle, in dem es um Liebe in vielen Formen, Identität, der Sehnsucht nach einer (verlorenen) Heimat, um Täter- und Opfersein und nicht zuletzt um die direkte Verstrickung in eine epochale Krise geht.

Es ist an sich schon große Kunst, einen Konflikt von diesem weltumspannenden Ausmaß so ausgewogen und differenziert darzustellen. Daniel Speck gelingt nicht nur dieser Balanceakt grandios, er macht ihn durch seine liebenswerten und wieder einmal sehr sorgsam entwickelten Charaktere für uns emotional nahbar. Wir können (mit)fühlen und verstehen, ohne uns auf eine Seite schlagen oder Partei ergreifen zu müssen.
Der Roman schließt mit einem wunderschönen leinwandreifen Bild. Ich habe mich kurz gefragt, ob es nicht ein bisschen zu idealisiert, gar kitschig daherkommt. - Aber nein, ich denke, gerade auf dieser Ebene gibt es vermutlich jeden Tag ein solches kleines Happy End, das auf ein großes hoffen lässt, getreu diesem Satz, der sinngemäß irgendwo im Buch zu finden ist.
„Es gibt kein jüdisches Leben, kein deutsches oder palästinensisches Leben, es gibt nur Leben.“
Unbedingt lesen!


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