Die Macht der Väter und das Schweigen der Töchter: Ein intensives Familiendrama
Die UngelebtenCaroline Rosales' Roman "Die Ungelebten" behandelt auf eindringliche Weise das Thema der Machtverhältnisse zwischen Vätern und Töchtern und das Schweigen, das oft über traumatischen Ereignissen liegt. ...
Caroline Rosales' Roman "Die Ungelebten" behandelt auf eindringliche Weise das Thema der Machtverhältnisse zwischen Vätern und Töchtern und das Schweigen, das oft über traumatischen Ereignissen liegt. Im Zentrum steht Jennifer Boyard, die als dreifache Mutter und Leiterin des Familienunternehmens zunehmend mit den dunklen Seiten der Vergangenheit ihres Vaters Bernd konfrontiert wird. Als eine Sängerin Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn erhebt, gerät Jennifers eigenes Leben ins Wanken. Rosales zeichnet ein vielschichtiges Bild von Frauen, die in patriarchalen Strukturen gefangen sind und ihre eigenen Wege finden müssen. Die Autorin, Jahrgang 1982, ist bekannt für ihre feministischen Themen und gesellschaftskritischen Schriften, die sie regelmäßig als Kolumnistin bei der ZEIT veröffentlicht.
Worum geht's genau?
Jennifer Boyard ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau und Mutter, die die Leitung des Familienunternehmens übernommen hat. Doch als Lorelei, eine frühere Sängerin ihres Vaters, ihren ehemaligen Arbeitgeber der Vergewaltigung beschuldigt, wird Jennifer gezwungen, sich mit der dunklen Vergangenheit ihres Vaters auseinanderzusetzen. Während Bernd Boyard die Vorwürfe gewohnt kalt und manipulativ behandelt, beginnt Jennifer zu zweifeln: Ist der Mann, den sie immer bewundert hat, wirklich schuldig? Gleichzeitig erfährt Jennifer immer mehr über das Schicksal ihrer Mutter und die unterdrückte Wahrheit, die hinter den Fassaden ihres Familienlebens lauert. Sie befindet sich auf einem schwierigen Weg, um die Wahrheit herauszufinden – nicht nur über ihren Vater, sondern auch über sich selbst und ihre Rolle als Tochter, Mutter und Frau.
Meine Meinung
"Die Ungelebten" ist ein Roman, der mich von Beginn an gepackt hat, auch wenn ich mich später immer wieder mit einigen Aspekten schwertat. Besonders beeindruckt hat mich die Komplexität von Jennifers Beziehung zu ihrem Vater. Sie wird ambivalent und vielschichtig dargestellt, was ich als sehr realistisch empfand. Es ist spannend zu sehen, wie Jennifer sich allmählich von der manipulativen Figur Bernd löst, auch wenn dies ein schmerzhafter und langsamer Prozess ist. Der Roman bietet viele starke Momente, insbesondere wenn er die Themen Victim Blaming und die historische Verharmlosung von Vergewaltigungen aufgreift. Jennifers anfängliche Opferbeschuldigungen zeigen eindrucksvoll, wie tief verwurzelte gesellschaftliche Normen selbst bei den betroffenen Frauen weitergegeben werden können.
Die Darstellung von Regina, Jennifers Mutter, und ihres Lebens unter Bernds Kontrolle ist bedrückend und zugleich sehr kraftvoll. Man spürt deutlich, wie sehr sie unter seiner manipulativen Art gelitten hat und schließlich resignierte. Der Roman greift viele gesellschaftliche Themen auf, die immer noch aktuell sind: ungleiche Geschlechterrollen, Altersdiskriminierung und unbezahlte Care-Arbeit. Besonders hat mir gefallen, dass die Geschichte immer wieder auf diese Themen zurückkommt und sie durch die Erlebnisse der Charaktere greifbar macht.
Ein kleines Manko war für mich der Schreibstil, der durch ungewöhnliche Perspektivwechsel und sprunghafte Szenen manchmal etwas verwirrend war. Gerade im letzten Teil des Buches fand ich es schwierig, den Überblick zu behalten, was meiner Lesefreude einen kleinen Dämpfer verpasste. Besonders das Ende wirkte auf mich zu diffus und ließ mich ein wenig enttäuscht zurück. Ich hatte gehofft, dass Jennifer aus den Strukturen ihrer Familie ausbrechen würde, doch stattdessen bleibt vieles unklar und unaufgelöst.
Trotz dieser Kritikpunkte fand ich das Buch insgesamt sehr lesenswert. Es schafft es, eine vielschichtige Familiengeschichte zu erzählen und gleichzeitig wichtige gesellschaftliche Themen zu thematisieren.
Fazit
"Die Ungelebten" von Caroline Rosales ist ein spannender und komplexer Roman, der tief in die Mechanismen patriarchaler Strukturen eintaucht und die Leser:innen dazu anregt, über Themen wie Macht, Geschlecht und Familie nachzudenken. Auch wenn der Schreibstil an manchen Stellen etwas verwirrend ist und das Ende nicht ganz meinen Erwartungen entsprach, bietet das Buch starke Figuren und eine packende Handlung. Eine klare Empfehlung, auch wenn ich letztlich 3,5 von 5 Sternen vergeben würde.