Ein WG-Leben ohne Ecken und Kanten: Interessante Idee, aber unauthentische Umsetzung
WohnverwandtschaftenIn "Wohnverwandtschaften" erzählt Isabel Bogdan von einer Wohngemeinschaft, die aus vier Menschen verschiedener Lebensphasen besteht und dabei die Grenzen zwischen Freundschaft und Familie auslotet. Die ...
In "Wohnverwandtschaften" erzählt Isabel Bogdan von einer Wohngemeinschaft, die aus vier Menschen verschiedener Lebensphasen besteht und dabei die Grenzen zwischen Freundschaft und Familie auslotet. Die Autorin, die unter anderem Werke von bekannten Autoren wie Jonathan Safran Foer und Nick Hornby ins Deutsche übersetzte, hat sich auch als Schriftstellerin einen Namen gemacht. Ihr Debütroman "Der Pfau" war ein großer Erfolg und zeigte ihren feinsinnigen Humor und präzisen Stil. Bogdan, die in Hamburg lebt und arbeitet, verknüpft in ihrem neuen Roman nun humorvolle und nachdenkliche Töne, um eine Geschichte über moderne Wahlfamilien zu erzählen.
Worum geht’s genau?
Nach der Trennung von ihrem langjährigen Partner Flo zieht Constanze als Übergangslösung in eine Wohngemeinschaft, die von Jörg, einem älteren Witwer, gegründet wurde. Neben ihm leben noch Murat, ein charmanter und lebenslustiger Mann in den Fünfzigern, und Anke, eine Schauspielerin, die unter den beruflichen und persönlichen Herausforderungen des Älterwerdens leidet, in der WG. Alle vier bringen ihre individuellen Geschichten, Hoffnungen und Unsicherheiten in die Wohngemeinschaft ein. Dabei stellt sich bald die Frage: Ist diese Zweck-WG mehr als eine bloße Wohnlösung? Könnte sie eine Art Ersatzfamilie sein, die ihnen Halt gibt?
Meine Meinung
Leider muss ich sagen, dass mich der Roman "Wohnverwandtschaften" enttäuscht hat. Die Vorstellung, dass Freundschaften eine bessere Familie sein könnten, ist zwar eine interessante Thematik, die sich allerdings im Buch nicht wirklich befriedigend widergespiegelt hat. Die vier Hauptfiguren haben zwar ihre eigenen Baustellen im Leben, scheinen jedoch keine Probleme mit ihren leiblichen Familien zu haben, wodurch das Thema der „besseren Familie“ hier nicht nachvollziehbar herausgearbeitet wird. Die einzelnen Charaktere sind dabei durchaus vielseitig: Jörg, der nach dem Tod seiner Frau (den er noch nicht überwunden hat) seine Lebenssituation verändert & die WG gegründet hat; Murat, der mit Mitte fünfzig eine jugendliche Freiheit zu leben scheint, die jedoch oberflächlich bleibt; Anke, die um ihre Schauspielkarriere bangt und mit den sozialen Erwartungen ans Alter kämpft; und schließlich Constanze, die nach der gescheiterten Beziehung & einem von ihr abgelehnten Heiratsantrag auf der Suche nach sich selbst ist. Für mich sind leider alle Figuren trotz dieser Hintergründe erstaunlich unnahbar geblieben. Die sehr harmonisch beschrieben WG-Leben hat auf mich künstlich inszeniert und unrealistisch gewirkt.
Insbesondere die "Rivalität" zwischen Constanze und Anke in Bezug auf Murat war für mich wenig authentisch und erschien aufgezwungen, ohne einen echten Spannungsbogen zu entwickeln. Auch zur Erzählweise mit den kurzen Kapiteln und langen inneren Monologen hab ich keinen Zugang gefunden - ebenso wie zu den Charakteren. Die Perspektive von Jörg fand ich dabei noch am gelungensten, während mich die Abschnitte der anderen Charaktere durch die langatmigen Gedankengänge oft eher ermüdeten. Die Dialoge, vor allem zwischen Jörg und Anke, waren dagegen ein Lichtblick: Sie waren humorvoll und haben mich gelegentlich schmunzeln lassen. Insgesamt jedoch hat mich der Roman nicht gepackt, obwohl die Themen die angeschnitten werden, wie bspw. Zusammenleben, Altern und Demenz, an sich spannend und wichtig sind - jedoch für meinen Geschmack zu oberflächlich behandelt wurden.
Fazit
"Wohnverwandtschaften" behandelt eigentlich interessante Themen, bleibt für mich jedoch zu inszeniert und distanziert. Trotz der gelungenen Dialoge und mancher humorvollen Momente fehlt dem Roman für mich persönlich die emotionale Tiefe, um das Kernthema Freundschaft als Wahlfamilie wirklich überzeugend darzustellen. Daher kann ich nur 2 von 5 Sternen vergeben.