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Veröffentlicht am 11.04.2024

Karigs tiefgründige Analyse über die Macht des kollektiven Aktivismus ist inspirierend & motiviert, selbst aktiv zu werden!

Was ihr wollt
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Friedemann Karigs "Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt" ist eine tiefgründige und augenöffnende Auseinandersetzung mit der Macht des kollektiven Aktivismus. Karig, renommierter Journalist und Autor, ...

Friedemann Karigs "Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt" ist eine tiefgründige und augenöffnende Auseinandersetzung mit der Macht des kollektiven Aktivismus. Karig, renommierter Journalist und Autor, durchleuchtet mit Sachverstand und einer Prise Humor die Mechanismen hinter erfolgreichen Protestbewegungen.

Das Buch beginnt mit einer einprägsamen Analyse der menschlichen Natur und führt weiter zu einer eingehenden Untersuchung der Möglichkeiten und Ziele des Aktivismus. Karig illustriert seine Argumentation mit einer Fülle historischer und zeitgenössischer Beispiele, die verdeutlichen, wie beharrlicher Protest und ziviler Ungehorsam fundamentale Veränderungen bewirken können. Dabei geht es stets um die kollektive Anstrengungen für nachhaltige Veränderung, die nie einzelne Aktivist:innen (wie Martin Luther King oder Ghandi) allein geschafft haben, auch wenn die Geschichte uns das manchmal glauben lassen mag. Was auch bewundernswert ist, ist Karigs Fähigkeit, komplexe theoretische Konzepte verständlich und lebendig darzustellen. Er bietet nicht nur Einsichten, sondern auch konkrete Handlungsempfehlungen für den/die Einzelne:n und die Gesellschaft als Ganzes.

Besonders beeindruckend ist die Vielfalt der dargestellten Protestbewegungen, von bekannten historischen Ereignissen bis zu weniger bekannten Graswurzelinitiativen. Karig gelingt es, die Leser:innenschaft mit seiner fundierten Analyse zu fesseln und zum Nachdenken anzuregen. Ich hab das Buch in einem durch gelesen.

Insgesamt ist "Was ihr wollt. Wie Protest wirklich wirkt" ein unverzichtbares Buch für alle, die sich für gesellschaftliche Veränderungen engagieren möchten. Es liefert nicht nur Erkenntnisse, sondern auch Inspiration und Hoffnung für eine bessere Zukunft. Ich vergebe volle 5 Sterne.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Bewertung.

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Veröffentlicht am 01.04.2024

Generationen verbinden: Ein Plädoyer für inklusive Arbeitskultur

Du bist mehr als eine Zahl
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Das Buch "Du bist mehr als eine Zahl" von Irène Kilubi ist ein Aufruf zum generationsübergreifenden Miteinander in allen Lebensbereichen, der Fokus des Buches liegt aber ganz klar auf dem Berufsleben. ...

Das Buch "Du bist mehr als eine Zahl" von Irène Kilubi ist ein Aufruf zum generationsübergreifenden Miteinander in allen Lebensbereichen, der Fokus des Buches liegt aber ganz klar auf dem Berufsleben. Die Autorin, eine erfahrene Unternehmerin und Hochschuldozentin, plädiert für eine Abkehr von Vorurteilen und eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Generationen. Mit ihrer Social-Impact-Initiative JOINT GENERATIONS möchte sie die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Generationen verbessern.

"Du bist mehr als eine Zahl" beginnt mit einem ungewöhnlichen Format und einer großen Schrift, was vor dem Hintergrund des Inhalts durchaus Sinn macht, da es ja auch Menschen aus allen Generationen ansprechen möchte. Jedoch könnte das Cover definitiv anders gestaltet sein, um das Thema besser zu vermitteln. Alleine vom Cover her, hätte ich das Buch a.) nicht ausgewählt und b.) nicht mit dem Thema in Verbindung gebracht. Das Cover ist nun einmal "die halbe Miete" wie man so schön sagt und ich hätte was verpasst, wenn ich das Buch, dank eines Leserundengewinns nicht doch gelesen hätte. Woran ich mich auch gestört habe ist das Layout allgemein. Das Buch hat leider weder Bilder noch farbige Gestaltung. Da könnte man wirklich wesentlich mehr rausholen, auch um die versch. Abschnitte besser zu gliedern. Was mir positiv aufgefallen ist ist, dass durchgehend gegendert wird - das unterstreicht die inklusive Botschaft des Buches.

Kilubi, die ich bisher nicht kannte, zeigt auf, wie weit verbreitet Altersdiskriminierung ist und wie wichtig es ist, diese zu überwinden, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten. Durch die Verknüpfung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und persönlicher Reflexion regt das Buch zum Nachdenken und Handeln an. Die grafische Gestaltung sollte, wie bereits angesprochen, jedenfalls überarbeitet werden. Nichtsdestotrotz hat mich das Buch durch seinen klaren Fokus auf eine inklusive Arbeitskultur und die Leidenschaft, mit der die Autorin ihr Anliegen vertritt überzeugt. Es ist auf jeder Seite spürbar, wie sehr Kilubi das Thema am Herzen liegt. Besonders empfehlenswert ist es meiner Meinung nach für Fachleute im Personalwesen/der HR, die tagtäglich mit dem Thema konfrontiert sind.

"Du bist mehr als eine Zahl" ist nicht nur eine theoretische Abhandlung, sondern ein praktischer Leitfaden für ein erfülltes und gemeinschaftliches Arbeitsleben. Insgesamt gebe ich dem Buch 3,5 von 5 Sternen.

Das Buch war ein Rezensionsexemplar. Dies hat die Bewertung nicht beeinflusst.

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Veröffentlicht am 30.03.2024

Faszinierend und beklemmend zugleich - ein Roman, der gesellschaftliche Abgründe aufdeckt und zum Nachdenken anregt!

Doch das Messer sieht man nicht
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In I.L. Callis' packendem Thriller "Doch das Messer sieht man nicht" taucht man als Leser:in ein in das Berlin der 1920er Jahre, wo ein brutaler Mord die Stadt überschattet. Die Autorin entführt uns in ...

In I.L. Callis' packendem Thriller "Doch das Messer sieht man nicht" taucht man als Leser:in ein in das Berlin der 1920er Jahre, wo ein brutaler Mord die Stadt überschattet. Die Autorin entführt uns in eine Zeit des Umbruchs und der gesellschaftlichen Spannungen, während eine mutige Reporterin sich dem gefährlichen "Ripper von Berlin" entgegenstellt. I.L. Callis, gebürtige Italienerin mit einem Hintergrund in Jura und journalistischer Erfahrung, zeigt mit diesem Roman ihr Können, indem sie brisante gesellschaftspolitische Themen in Form eines Kriminalromans aufgreift.
In "Doch das Messer sieht man nicht" begleiten wir Anaïs Maar, eine junge und unerschrockene Reporterin, deren Recherchen über Prostituiertenmorde sie in ein Netz von Intrigen und Gefahr ziehen. Während Berlin auf dem Höhepunkt seiner wilden und zugleich düsteren Epoche steht, muss Anaïs nicht nur den Mörder finden, sondern auch den gefährlichen Zeichen eines Epochenwandels trotzen.

Das Buch startet mit 3 Zitaten, von dem eines schon den Titel des Buches birgt. Da das Buch ja auch das Thema Feminismus behandelt ist mir aufgefallen, dass die 3 Zitate allesamt von Männern stammen. Besonders bei Bertold Brechts Zitat aus der Dreigroschenoper musste ich schlucken. In dem Buch „Beklaute Frauen“ von Leonie Schöler, das kürzlich auch erschienen ist wird da nämlich unter anderem genau über Brecht berichtet. So kann zwar nicht nachgewiesen werden in welchem Ausmaß, aber unbestreitbar ist, dass Brecht Angestellte und Geliebte Elisabeth Hauptmann (wahrscheinlich zu einem wesentlichen Teil) dazu beigetragen und mitgewirkt hat. Als Leser:in wird man gleich zu beginn mit einer sehr brutal beschriebenen Szene konfrontiert (S. 10) Und mir gefällt die Stelle mit dem Heiligenschein, der zuerst golden scheint, dann dunkel leuchtet.

Das Buch spielt in der Zeit rund um 1927 in Berlin. Mit dem (Berliner?) Dialekt musste ich erst einmal warm werden :D Das Lesen und Verstehen an sich hat mir keine Schwierigkeiten bereitet. Der aufkeimende Antisemitismus ist durch das ganze Buch hinweg spürbar. Daneben werden u.a. folgende weiteren Themen behandelt: Mutigen Frauen, Feminismus, Patriarchat, Antisemitismus, Rassismus, Familie und (sexualisierte) Gewalt, Sexarbeit, die Kluft zwischen Arm und Reich und die Suche nach der eigenen Identität. Besonders beeindruckend ist die Darstellung der sozialen und politischen Atmosphäre des Berlins der 1920er Jahre. Die Autorin hat es geschafft, dass ich mich in diese Zeit zurückversetzt gefühlt habe und mich mit den Konflikten und Paradoxien dieser Ära konfrontiert sah. Bei vielen Szenen musste ich immer wieder schlucken über das Gesellschaftsbild, dass manche propagiert, haben: Bspw. dass Frauen ihren Lebenssinn als „Gebärmaschine“ haben und nur durch das Muttersein vollkommen werden, oder nichts von Politik verstehen… Außerdem, dass Menschen die Verbrechen begehen, schon böse geboren werden… Was mir sehr gut gefallen hat war dennoch, dass in dieser Zeit scheinbar langsam die Erkenntnis aufkam, dass man Frauen im alltäglichen Leben nicht länger außenvor lassen kann. Dies auch weil sie nach dem 1. Weltkrieg in viel mehr Bereichen präsent waren und auch vielfach einer öffentlichen Arbeit nachgingen. Insofern beschreibt es das Buch sehr gut „…an den Frauen führte kein Weg mehr vorbei, da musste man sich arrangieren.“ (S. 32)
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und vielschichtig. Sowohl Anais als auch Josefine sind unglaublich starke Persönlichkeiten, wobei mich Anais mehr in ihren Bann gezogen hat. Eine meiner liebsten Szene ist, die im Romanischen Café bei dem Anaïs die Herren am Nebentisch für ihre frauenverachtenden und entmenschlichenden Aussagen „Frischfleisch“ zurechtweist und bloßstellt. Auch die Nebenfiguren tragen zur Tiefe der Geschichte bei und verleihen dem Roman eine lebendige und authentische Atmosphäre. Man erfährt auch einiges über das Leben von Schwarzen Menschen in der damaligen Zeit. Einerseits gab es die sogenannten „Rheinlandkinder“ die aus Verbindungen deutscher Frauen mit französischen Soldaten aus afrikanischen Kolonien hervorgingen, andererseits gab es auch „Völker- bzw. Menschenschauen“ wo Menschen unter anderem im Hagenbecker Zoo wortwörtlich als Attraktion ausgestellt wurden und rassistische Klischees bedienen mussten. Die Szenen im Schlachthaus haben mir besonders mitgenommen, da ich selbst zum größten teil vegan lebe, weil mir das Tierleid so sehr ans Herz geht.

Das Buch ist in sich abgeschlossen, würde aber auch Stoff für eine Fortsetzung bieten. Es hat mir sehr gut gefallen, wie am Schluss alle Fäden zusammengelaufen sind und die offenen Fragen geklärt wurden.
Was mich gestört hat: Es wurde nicht gegendert und auch rassistische Sprache verwendet: Das das N-Wort ausgeschrieben wird, musste ich öfters schlucken. Und auch das an manchen Stellen von „Rassen“ die Rede ist… Ich bin immer Zwiegespalten, ob im Sinne der historischen Tatsachen und des ideologischen Standpunktes der damaligen Zeit man das machen soll, oder nicht… Auch hatte ich Mühe, mir die viiiiielen Personen, die eingeführt worden sind zu merken und sie auseinanderzuhalten (Redaktion) - vor allem weil viele im Verlauf der Geschichte keine tragende Rolle hatten.
Trotz dieser kleinen Kritikpunkte hat mich "Doch das Messer sieht man nicht" insgesamt fasziniert und mitgerissen. Die komplexe Handlung, mutige Protagonist:innen, die eindrucksvolle Kulisse im Berlin der 1920er Jahre und die Einblick in tiefgreifende gesellschaftliche Themen machen diesen Kriminalroman zu einem empfehlenswerten Leseerlebnis. ich vergebe 4 von 5 Sternen.

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hat meine Meinung zum Roman allerdings nicht beeinflusst.

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Veröffentlicht am 28.03.2024

Spannung, Humor und Action – ein weiterer spannender Fall für das Finale rund um Carl Morck und das Sonderdezernat Q.

Verraten
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Time to say Goodbye - "Verraten" von Jussi Adler-Olsen ist ein weiterer packender und leider auch der 10. und letzte Fall aus der Reihe rund um Kommissar Carl Mørck und das Sonderdezernat Q. Mit gewohntem ...

Time to say Goodbye - "Verraten" von Jussi Adler-Olsen ist ein weiterer packender und leider auch der 10. und letzte Fall aus der Reihe rund um Kommissar Carl Mørck und das Sonderdezernat Q. Mit gewohntem Geschick führt uns der Autor durch ein Netz aus Lügen, Geheimnissen und Mord(en), während man mit dem Ermittlungsteam mitfiebert, um den/die Täter:innen zu stoppen.

Wie auch schon bei den letzten Büchern bin ich beeindruckt, wie es dem Autor gelungen ist, die Spannung auf über 600 Seiten aufrecht zu erhalten. Ich hab das Buch innerhalb von 2 Tagen ausgelesen. Dabei steht nun der Fall im Zentrum (eeeeendlich!), über den wir schon im allerersten Band etwas erfahren und der auch in allen Büchern der Reihe immer wieder erwähnt wird und mitschwingt. Im Zentrum der Ermittlungen steht diesmal aber Carl Morck höchstpersönlich.

Daneben tauchen auch alte Bekannte wieder auf, und wir erfahren, wie ihr Leben verlaufen ist. Die erneute Präsenz des gesamten Ermittlungsteams, allen voran Assad, Rose und Gordon, verleiht der Geschichte eine vertraute Atmosphäre in die man sehr leicht einsteigen kann, auch wenn ich den vorangegangenen Teil der Reihe vor mehr als zwei Jahren gelesen habe. Assads Kamelwitze sind auch wieder am Start und haben bei mir für den ein oder anderen Lacher gesorgt :D Zudem habe ich ein neues Wort gelernt = "stippen" bedeutet "tunken/eintauchen/dippen". Es kommt auch klar heraus, wie mediale Hetzjagd und Fake-Kampagnen auf Kosten von ganzen Existenzen verbreitet werden und welche Macht sie auf die Demokratie ausüben können.

Dennoch gibt es auch einige Kritikpunkte. Die Geschichte verlässt sich gelegentlich etwas zu sehr auf Zufälle (also bestimmte Personen sind dem Tod sehr oft "von der Schippe gesprungen"), und leider wurde auf das gendern verzichtet. Auch ein kleine Fehler (S. 22) ist mir aufgefallen, wo von "Carla" statt von Carl die Rede ist. Am meisten gestört hat mich aber, dass sich einige Stellen im Buch finden, die durch ableistische 8S. 59), rassistische (S. 521/522) oder diskriminierende "Witze" negativ auffallen und den Lesegenuss beeinträchtigen. Um ein Beispiel zu nennen: Auf Seite 100 ist davon die Rede, dass die obdachlose Person "die am längsten in die Hose gepisst hat und noch immer von der Sozialhilfe lebt" über allen anderen steht. Das finde ich eine ziemlich respektlose Aussage.

Insgesamt bietet "Verraten" jedoch eine gelungene Mischung aus Spannung, Charakterentwicklung und überraschenden Wendungen. Trotz kleiner Schwächen ist es ein würdiger Beitrag zur Reihe, der Fans der Serie sicherlich begeistern wird. Mit einem fulminanten Ende und einem Einblick in die Vergangenheit des Sonderdezernats Q bleibt nur zu sagen: "Time to say goodbye" – zumindest vorerst. Ich vergebe 4/5 Sternen.

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Veröffentlicht am 25.03.2024

Amanda Sthers entführt uns in "Caffè sospeso" in die Welt des Café Nube und präsentiert sieben Kurzgeschichten rund um seine Besucher:innen.

Caffè sospeso
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"Wenn man die Augen schließt, hört man die Wäsche, die im Wind tanzt wie Fahnen, die flirrenden Masten der Schiffe, die Stimmen, die in der Ferne lachen oder schreien, das Tyrrhenische Meer, das kommt ...

"Wenn man die Augen schließt, hört man die Wäsche, die im Wind tanzt wie Fahnen, die flirrenden Masten der Schiffe, die Stimmen, die in der Ferne lachen oder schreien, das Tyrrhenische Meer, das kommt und geht, ein paar wendige Vespas, und dieser bunt gemischte Chor besagt, dass ein Weg bereitet ist für alle, die den Fuß auf neapolitanischen Boden setzen. In Neapel gilt ein Gebot, das sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat: Die Geschichte verläuft hier in Schleifen, denen man sich fügen muss, es gibt ein ausgeprägtes Gespür für das Schicksal. Man entkommt dem nicht, was die Stadt ins Buch unseres Lebens eingeschrieben hat, man muss da- mit verschmelzen, wie man sich, auch wenn man Angst hat, in den Armen des geliebten Menschen fallen lässt." - Buchzitat (S. 1)

Ein Besuch im Café Nube in Neapel birgt mehr als nur eine Tasse Kaffee – es ist eine Einladung, dem Leben anderer zuzuhören und sich von ihren Geschichten berühren zu lassen. In "Caffè sospeso" erzählt Amanda Sthers in sieben Kurzgeschichten von Begegnungen, Verlusten und der Menschlichkeit, die sich zwischen den dampfenden Tassen entfaltet.

Der Protagonist des Romans, in diesem Fall der französische Autor Jacques Madelin, führt uns durch das Gewirr der neapolitanischen Straßen und Herzen, während er die Geschichten der Menschen um ihn herum enthüllt, die, wie er, das Café Nube besuchen. Diese Geschichten, die zwischen 1982 und 2022 angesiedelt sind, bieten einen facettenreichen Einblick in die menschliche Natur und ihre Verbindungen. Wir folgen aber nicht nur den Erzählungen der Figuren, sondern auch der persönlichen Reise des Protagonisten Jacques Madelin, dessen eigene Geschichte uns ebenso enthüllt wird. Manche Figuren tauchen in mehreren Geschichten auf wie alte Bekannte, manche kommen nur in einer Geschichte vor.

Besonders fasziniert und angetan war ich von der poetischen Beschreibungen Neapels, die mir das Gefühl gab, so richtig in das "dolce vita" Neapels einzutauchen und dem Buch eine besondere Lebendigkeit gegeben haben. Leider dominiert meiner Meinung nach das Thema (heterosexuelle) Liebe in fast allen Erzählungen, was sehr schade ist, da ich mir hier wirklich vielfältigere Themen und Lebensentwürfe gewünscht hätte. Zwar werden wichtige gesellschaftsrelevante Themen wie Rassismus, Heteronormativität, Homosexualität, Transsexualität, Patriarchat, Emanzipation, Schönheitsideale, Identität, Feminismus subtil angeschnitten, doch bleibt das Potenzial, diese weiter auszuarbeiten, ungenutzt.

Ein weiterer Kritikpunkt liegt in der teilweise vulgären Sprache und dem problematischen Frauenbild, das in einigen Geschichten präsentiert wird. Frauen werden oft durch den "male gaze" beschrieben und stereotypisiert, was dem sonst vielschichtigen Erzählstil einen bitteren Beigeschmack verleiht. Trotz dieser Mängel bietet "Caffè sospeso" faszinierende Einblicke in die neapolitanische Kultur, sei es durch die Darstellung der Mafia, religiöse Bezüge oder die mythologischen Elemente, die eine wichtige Rolle spielen. Teilweise hatte ich auch Mühe, die Personen auseinanderzuhalten. Manche Aussagen fand ich auch grotesk oder gar widerlich:

"Wie das Schicksal so spielt, sollte sich Rechtsanwalt Pericone eines Tages unsterblich in eine gewisse Flavia verlieben, die ihm zwar keine Kinder würde schenken können, ihm aber einen blasen konnte, wie nur ein Mann es vermag..." - Buchzitat (S. 26)
"Dieses Kind ist noch immer sehr präsent im Körper der erwachsenen Frau, die nicht besonders groß geworden ist und deren Brüste noch nicht einmal eine Männerhand ausfüllen würden." - Buchzitat (S. 65/66)
"Ich weiß nicht, ob ich alte Paare wirklich so reizend finde, diese Ansammlung von welker Haut und Bauchgeräuschen, an die sie sich gewöhnt haben, wie in einem Familiengrab, in dem lauter Körper zu verwesen beginnen." - Buchzitat (S. 112)
"Der Architekt nannte sie »Zigarren-Anzünder<<< und Francesco »die Hauptspeise, sie war ein bisschen zu rund für seinen Geschmack, was er wirklich liebte, waren die kleinen Desserts<<. Die Männer sind immer hart zu denen, die besonders weich sind." - Buchzitat (S. 155)

Meine persönliche Lieblingsgeschichte ist die von Doktor Chen. Ich durfte neues über die Mafia lernen und man erfährt auch viel über die Beziehung zur Religion, Heiligenfiguren und Schutzpatronen, Mythen, Sagen und Gottheiten die eine wichtige Bedeutung für viele Menschen in Neapel zu haben scheinen. Und hier noch einige meiner Lieblingszitate aus dem Buch:

"Worte werden nur lebendig, wenn sie von Schweigen unterbrochen sind; auch in unserem Körper gibt es Leerstellen, unsichtbar schreibt sich das Schicksal in uns ein, das wir mit uns herumtragen wie die Narben alter Wunden." - Buchzitat (S. 92)
"Wir sind nichts als eine Hand, die man jemandem reicht oder die man ergreift. Wenn die Erde bebt und das Leben vergeht, vergrößert all unser Krimskrams die Trümmerhaufen nur noch." - Buchzitat (S. 140)
"Italien ist ein Land, in dem man auch nachts immer eine Möglichkeit findet, um Blumen zu kaufen. Das sagt alles. Über den Umgang mit Unglück, mit Freude, mit Symbolen und mit Leidenschaft." - Buchzitat (S. 173)

Insgesamt bietet das Buch eine ansprechende Mischung aus Tradition, Moderne und menschlichen Begegnungen, die zum Nachdenken anregen. Während einige Geschichten mehr Tiefe verdient hätten und ich die Darstellung der weiblichen Figuren teilweise problematisch fand, hat mich "Caffè sospeso" durch seine atmosphärische Dichte und die kurzweiligen Geschichten trotzdem weitestgehend unterhalten. Daher vergebe ich 3 von 5 Sternen.

"Jetzt, da ich alt werde, habe ich den Eindruck, dass ein caffè sospeso manchmal wertvoller ist als ein Kunstwerk. Für den, der gibt, steckt ebenso wie für den, der empfängt, ein Stück Leben in dieser Tasse, die der eine sich in seiner Fantasie vorstellt und der andere aus unbekannten Händen entgegennimmt. Was hier verschenkt wird, ist nicht ein Kaffee, sondern die Welt darum herum, das Spektakel, das man mit anderen teilt, die Blicke, die sich kreuzen, Menschen, die liebenswert sind. - Buchzitat." (S. 14)

Das Buch war ein Rezensionsexemplar. Dies hat die Bewertung nicht beeinflusst.

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