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Veröffentlicht am 27.05.2019

augenzwinkernd erzählt

Das Glück ist ein Vogerl
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Der augenzwinkernde Buchtitel Das Glück ist ein Vogerl deutet schon an, dass es sich um einen vergnüglichen Roman handelt. Es ist der Debütroman der Drehbuchautorin Ingrid Kaltenegger. Schauplatz ist in ...

Der augenzwinkernde Buchtitel Das Glück ist ein Vogerl deutet schon an, dass es sich um einen vergnüglichen Roman handelt. Es ist der Debütroman der Drehbuchautorin Ingrid Kaltenegger. Schauplatz ist in Österreich, das spürt man als Leser bei den Dialogen stark.
Zwar würde ich das Buch nicht als besonders wichtig oder anspruchsvoll einstufen, aber es ist gute Unterhaltung.

Aufgrund des parodistischen Ansatzes verwundert es nicht, dass es sich bei den handelnden Figuren um Stereotypen handelt.
Franz, der frustrierte Lehrer, der mit 48 Jahren immer noch einer vergebenen Musikerkarriere nachtrauert.
Seine Frau Linn, die mit der Ehe unzufrieden ist und Hilfe von einem Lebenstrainer erhofft.
Dann die gemeinsame Tochter, natürlich dauerpubertierend und entsprechend schlecht drauf.
Und der alte Physiker Egon, der schusselig ist und einen Autounfall nicht überlebt.
Franz ist der letzte, den Egon vor seinem Tod sah. Grund genug künftig Franz als Geist zu begleiten, auf der Mission, die Liebe seines Lebens wiederzutreffen.
Entsprechend chaotisch und witzig geht die Handlung weiter.

Ein amüsanter Roman!

Veröffentlicht am 25.05.2019

Lebensabschnitt, literarisch betrachtet

Was das Leben kostet
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Deborah Levy schreibt in diesem Memoir-Buch autofictional. Also ist die Icherzählerin jemand, der die Eckdaten der Autorin teilt und sogar ihre Bücher schreibt und doch nicht ganz sie ist. So erhält Levy ...

Deborah Levy schreibt in diesem Memoir-Buch autofictional. Also ist die Icherzählerin jemand, der die Eckdaten der Autorin teilt und sogar ihre Bücher schreibt und doch nicht ganz sie ist. So erhält Levy die Möglichkeit, sich selbst und ihre Emotionen zu analysieren
Diese Form beherrscht Deborah Levy gut und Prosa und Essay vermengen sich im Text.
Die Icherzählerin schreibt stark reflektierend und zeigt den Alltag nach ihrer Trennung. Sie muss für sich und ihre Töchter ein neues Zuhause schaffen und einen Platz für s Schreiben finden und nicht zuletzt ausreichend Geld verdienen.

Die Überlegungen sind häufig philosophischer Natur, manches bezieht sich auf Simone de Beauvoir, Marguertite Duras oder sogar Martin Heidegger.

In der zweiten Hälfte des Buches liegt der Schwerpunkt auf den Erinnerungen an die verstorbene Mutter.

Der relativ kurze, aber stark verdichtete Text wurde aus dem Englischen von Barbara Schaden übersetzt, gefühlsmäßig sehr gut, würde ich sagen.

Veröffentlicht am 24.05.2019

Eine New Yorker Ikone

"Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen."
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Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen ist ein witziger Titel, der an eine andere Persönlichkeit erinnert, die scharfzüngige Dorothy Parker.
Die Journalistin und Schriftstellerin Maeve Brennan ...

Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen ist ein witziger Titel, der an eine andere Persönlichkeit erinnert, die scharfzüngige Dorothy Parker.
Die Journalistin und Schriftstellerin Maeve Brennan (1917–1993) war praktisch ihre Nachfolgerin. Sie war Redakteurin beim New Yorker und u.a. mit Trumans Capote bekannt.
Sie war „todschick, selbstbewusst, berufstätig und eine feste Größe in einer männerdominierten Öffentlichkeit“.
Auch für ein Mode- und Gesellschaftsmagazin schrieb sie, daher spielt auch die Welt der Mode eine Rolle in diesem Buch. Die emanzipierte Brennan war offensichtlich auch äußerlich eine Stilikone und „vielleicht“ das äußerliche Vorbild für die Hauptfigur von Frühstück bei Tiffany.

Ein Buch über Maeve Brennan ist aber vor allen auch eins über New York, insbesondere Manhattan, und auch über ihre irischen Wurzeln. Sie war 17 als sie in die USA kam. Ihre Karriere beim New Yorker und mit ihren literarischen Texten war bemerkenswert, bis sie später aufgrund Krankheit in Vergessenheit geriet.
Die Abschnitte über Brennans Arbeit als Literaturkritikerin und Kolumnistin fand ich amüsant. Die kritisierten Autoren waren das wahrscheinlich nicht, denn Brennan hatte eine scharfe Zunge und einen geschliffenen, glasklaren Verstand.
Aber auch die Passagen, in denen es um Maeve Brennans eigene Literatur geht, sind lesenswert.
Michaela Karl gelang eine interessante Biografie, bei der sie die Besonderheiten der Persönlichkeit Maeve Brennans herausarbeitete und besondere Momente festhielt.

Veröffentlicht am 24.05.2019

Symphonien und ihre Wirkung

Rausch und Stille
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Karl-Heinz Ott schreibt ausführlich über alle Sinfonien von Ludwig van Beethoven.
Davor bringt er aber zur Einleitung ein rasantes Stück Literatur rund um Beethoven und seine Zeit sowie seine Wirkung aus ...

Karl-Heinz Ott schreibt ausführlich über alle Sinfonien von Ludwig van Beethoven.
Davor bringt er aber zur Einleitung ein rasantes Stück Literatur rund um Beethoven und seine Zeit sowie seine Wirkung aus Sicht von verschiedenen Interessengruppen, z.B. Musikkritiker, Literatur und Philosophie. Es wird einem fast schwindelig von den vielen überzeugen den Verweisen, die Ott eloquent bringt.

Dieser Beginn haut den Leser nahezu um, doch dann wird es ruhiger.
Für Nichtmusiker wird es in den Musikdetails außerdem manchmal auch etwas schwierig zu folgen.
Daher wird man in der Regel die Musik begleitend zum Buch klingen lassen.
Das lockert die Textabschnitte auch sofort auf.

Vergleiche zu anderen Komponisten, z.B. Hayden gibt es hauptsächlich anfangs,bei späteren Sinfonien ist Beethovens Eigenständigkeit dominierend.
Ich mag außerdem Otts Abschnitte über Besonderheiten, zum Beispiel die musikalischen Scherze, die Scherzi. Es werden auch andere Komponisten in diesem Zusammenhang genannt, z.B. Mozart und Schumann.
Interessanterweise folgen auch den Abschnitten über die Sinfonien zwischendurch immer wieder Ausflüge in die Literatur und Gesellschaft seiner Zeit, also Goethe, Eckermann, E.T.S.Hoffmann, Napoleon etc. sowie auch neuere Literatur wie Saramago, Andre Gide oder Alejo Carpentier. Philosophen wie Heidegger, Derrida und Roland Barthes ebenso, was ich sehr interessant, fast erleuchtend fand.

Ott widmet sich den Sinfonien ausführlich. Ich persönlich liebe ja die idyllische 6-Sinfonie, die praktisch zeitgleich zur aufwühlenden fünften entstand und so wunderschön dahinfließt. Heiter ist auch die 8.Sinfonie! Was dann in der neunten Sinfonie inklusive der Ode an die Freude ist imposant wie nichts anderes.

Das Buch braucht seine Zeit. Vieles was ich erst einmal nur so überflogen habe, lohnt sich offensichtlich weiter ausgeführt zu werden und so ist das mächtige Buch, dass von seiner Leichtigkeit profitiert, etwas für die Dauer.
Die entstehende Wirkung aus Tönen und Schrift ist enorm!

Veröffentlicht am 23.05.2019

Ein Buch der Wahrheit

Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist oder Sieben Schritte in die Diktatur
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Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist. Dieser Titel spricht Bände und verrät unter anderem, dass die Autorin von den Repressionen des Mobs zum Exil gezwungen war. So ging es auch vielen anderen Menschen ...


Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist. Dieser Titel spricht Bände und verrät unter anderem, dass die Autorin von den Repressionen des Mobs zum Exil gezwungen war. So ging es auch vielen anderen Menschen in der Türkei, viele landeten im Gefängnis. Von einer Demokratie in der Türkei kann man nicht mehr sprechen.

Die Journalistin und Schriftstellerin Ece Temelkuran, die natürlich auch emotional schreibt, besitzt die Fähigkeit, die Situation genau zu beschreiben.
Auch der Untertitel „Sieben Schritte in die Diktatur“ ist sprechend.
Ece Temelkuran spricht aber nicht nur von der Türkei unter Erdogan, auch Trump, Putin, Orban, AfD, die Brexiteers uva. werden erwähnt.

Wie die Autorin die Methode genau analysiert und durchschaut hat, ist beeindruckend und sollte dem Leser helfen, diese Maschen der Populisten früher zu durchschauen. Das Schema ist oft das gleiche.
Die Autorin verschweigt auch nicht, wie schwierig es ist, sich gegen diese Taktiken zu wehren und wie die Folgen weitreichend sind. Es ist nicht unbedingt ein optimistisches Buch. Die Populisten haben ihre Machtstellung weitgehend so gefestigt, dass eine kurzfristige Umkehr unwahrscheinlich ist.
Es wird auch klarer, was diese Ideologien aus den Menschen machen. Die Gesellschaft wird grundsätzlich verändert. Der Zusammenbruch der Demokratie ist möglich, zum Teil erfolgt.
Es ist schwer, in so einer verzerrten Welt zu leben, in der Wahrheiten und frühere Werte bei der Masse nicht mehr viel zählen. Aber resignieren und den Populisten kampflos das Feld zu überlassen, wäre fatal. Ece Temelkurans Buch ist daher wichtig!