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Veröffentlicht am 15.03.2019

Der Friseur von Wien

Mozarts Friseur
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Mozarts Friseur ist ein relativ kurzer Buch ohne große Handlung, aber das macht nichts. Das Buch hat alles was es braucht, um vergnüglich zu sein. Witz, originelle Einfälle, Plaudereien und den Wondratschek-Sound. ...

Mozarts Friseur ist ein relativ kurzer Buch ohne große Handlung, aber das macht nichts. Das Buch hat alles was es braucht, um vergnüglich zu sein. Witz, originelle Einfälle, Plaudereien und den Wondratschek-Sound. Der speist sich aus übersprudelnden Satzgebilden, die immer wieder zu überraschen vermögen. Und das ganze ist gut ausbalanciert und bildet eine Einheit.

Ort der Handlung ist Wien, das prägt das Buch stark.
Im Friseursalon des besagten Friseurs treffen immer wieder schräge Persönlichkeiten ein, Schriftsteller mit Thomas Bernhard-Haaren, (Möchtegern-)Künstler, sogar Mozart persönlich.
Ein weitere obskurer Fall ist ein Kunde, der immer wieder kommt. Er bittet um ein Glas Wasser und schläft dann ein. Auch eine Textilrestauratorin kommt mal. Es ist viel los im Laden. Viele kleine Geschichten reihen sich aneinander.
Den Friseur und seinen Gehilfen Nick und Karotte stört das nicht. Der Friseur hat die Ruhe weg. Er plaudert gerne und hört gerne zu. Das ist wichtiger als das Haareschneiden und so wird der Salon eine kleine Welt für sich.

Veröffentlicht am 15.03.2019

Wondratschek und wie er die Weit sah

Erde und Papier
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Das neue Buch von Wolf Wondratschek macht wirklich Spaß, weil es eine ganze reihe originelle, essayistische Texte versammelt. Thematisch ist viel zu finden, oft stehen Persönlichkeiten aus der Welt der ...

Das neue Buch von Wolf Wondratschek macht wirklich Spaß, weil es eine ganze reihe originelle, essayistische Texte versammelt. Thematisch ist viel zu finden, oft stehen Persönlichkeiten aus der Welt der Kunst, Musik, Film, Literatur oder des Boxens im Mittelpunkt.

Wondratscheks Einschätzungen sind klar subjektiv gehalten, lassen eigene Gedanken, Zustimmung oder Skepsis zu. Darin unterscheidet der Autor sich von anderen Essayisten, die behauptend schreiben und keinen Spielraum für den Leser lassen. Das ist in der Naturwissenschaft meinetwegen okay, aber bei kulturwissenschaftlichen Themen sollte man Objektivität nicht vortäuschen.
Wie Wolf Wondratscheks es macht, liegt ganz auf meiner Linie. Da auch noch der typische, manchmal spöttische Wondratschek-Ton dazukommt, wird es nie langweilig.

Veröffentlicht am 14.03.2019

Das Geheimnis der Keiko Ishida

Rainbirds
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Es ist erst ein paar Jahre her, als Indonesien Partnerland der Frankfurter Buchmesse war. Viele indonesische Bücher erschienen in deutscher Übersetzung und einiges habe ich davon gelesen.
Man merkte schnell ...

Es ist erst ein paar Jahre her, als Indonesien Partnerland der Frankfurter Buchmesse war. Viele indonesische Bücher erschienen in deutscher Übersetzung und einiges habe ich davon gelesen.
Man merkte schnell wie reichhaltig und vielfältig diese Literatur ist. Auch Clarissa Goenawans Debütroman Rainbirds ist ein überraschendes Buch, denn es ist einem Stil geschrieben, der stark an moderne japanische Literatur erinnert und tatsächlich ist die Handlung auch in Japan angelegt.
Der Student Ren Ishida reist aus Anlass des Todes seiner älteren Schwester Keiko von Tokio nach Akakawa, einer abgelegene Stadt.
Offenbar war es ein Mord. Ishida merkt aber auch, dass er nicht viel über seine Schwester weiß, die sich von der Familie entfernt hatte. Es gab wohl mal einen Familienstreit, der Keiko weggehen hat lassen ohne je zurückzukehren. Ein Familiengeheimnis, dass Ishida nicht kennt.

Ishida schlüpft unmerklich in die Rolle seiner Schwester, indem er ihre Lehrerstelle annimmt und er kümmert sich um eine Schülerin, die aus der Spur zu sein scheint.

Der Roman baut langsam, aber sicher Atmosphäre auf. Streckenweise finde ich die Handlung nicht ganz so zwingend wie erhofft, aber es entwickelt sich langsam. Schließlich wird man auch über die Vergangenheit und was passierte mehr erfahren. Der Roman ist überwiegend in einem einfachen Stil gehalten, der gut lesbar ist. Es gibt auch poetische Momente, z.B. in den Kapitelüberschriften.

Man darf gespannt sein, was von Clarissa Goenawan noch folgen wird. Ich hoffe auf weitere Veröffentlichungen.

Veröffentlicht am 12.03.2019

Kontrovers und interessant

Die große Heuchelei
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Die große Heuchelei habe ich als Hörbuch gehört. Gelesen wurde von dem großartigen Frank Arnold, dessen Stimme ich sowieso mag, der aber auch der ideale Sprecher für ein politisches Sachbuch mit brisanten ...

Die große Heuchelei habe ich als Hörbuch gehört. Gelesen wurde von dem großartigen Frank Arnold, dessen Stimme ich sowieso mag, der aber auch der ideale Sprecher für ein politisches Sachbuch mit brisanten Thema ist, da sein Tonfall den Text gut erdet.
Jürgen Todenhöfer verzichtet bewusst nicht auf Polemik. Man kann ihn aber auf sachliche Weise hören, da das Thema wichtig ist und unvoreingenommen gewertet werden sollte. So manche westliche Entscheidung war nicht gerade friedensliebend und geschehene Kriegsverbrechen kann man nicht leugnen.
Ein Aufrechnen gegen die Verbrechen des IS kann nicht zulässig sein.

Der Anfang des Hörbuchs hat beklemmende Passagen, wenn der Autor zusammen mit seinem erwachsenen Sohn, der filmte und dokumentierte, die irakische Stadt Mossul besuchte. Sie begeben sich in reale Gefahr.

Als behütet in Deutschland lebender Mensch kann man sich kaum vorstellen, was es heißt in zerstörten, gefährlichen Gegenden wie Syrien, Irak oder Jemen zu leben.

Todenhöfer beklagt zu Recht fehlende Proteste der Weltöffentlichkeit gegen Kriege, insbesondere von der Jugend.
Man kann gegen Todenhöfers Thesen Bedenken haben, aber seine Argumente
zur Verhältnismäßigkeit und gegen Maßlosigkeit sind schlüssig, z.B. in dem Abschnitt über Gaza.
Pauschal gegen Todenhöfer zu sein, zeugt von Verbohrtheit. Wer ihn pauschal als Naivling abtut, trägt zur Kriegstreiberei seinen Teil bei.
Der USA-Abschnitt, angesiedelt an der Wahlnacht, bei der Trump über H.Clinton triumphierte, vermag auch zu überzeugen. Jedenfalls erhält man einen guten Eindruck über die vorherrschende Stimmung.
Ebenfalls erhält man tiefe Einblicke in Saudi Arabien und Iran.
Die Syrien-Abschnitte hingegen entwerfen Verschwörungstheorien, die die Komplexität des Geschehens zu vereinfachen scheinen.
Am Ende ist noch eine Flüchtlingsgeschichte integriert.

Das Buch hat eine elementare Schwäche. Bei derart zementierten Meinungen und Behauptungen, wäre es dienlich, wenn sich eine Diskussion daraus entwickeln würden. Das ist natürlich im ersten Moment schwierig. Es bleibt daher der Eindruck der Einseitigkeit.

Am Ende bin ich froh, mich für die Hörbuchversion entschieden zu haben. Frank Arnold weiß seine Stimme passend einzusetzen. Die ideale Sprecherwahl für anspruchsvolle Texte. Ihm zuzuhören ist angenehm. Man kann ihn nicht genug loben für seine Hörbucharbeit.

Veröffentlicht am 10.03.2019

Tief im Spessart

Zornfried
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Der Bremer Autor und Journalist Jörg-Uwe Albig thematisiert in seinem schmalen Roman Zornfried den Umgang des Journalismus mit den neuen Rechten. Einerseits kann ich etwas damit anfangen, dass Albig das ...

Der Bremer Autor und Journalist Jörg-Uwe Albig thematisiert in seinem schmalen Roman Zornfried den Umgang des Journalismus mit den neuen Rechten. Einerseits kann ich etwas damit anfangen, dass Albig das Verhalten dieser Leute auf den Boden holt und ihr lächerliches Auftreten zeigt, aber für harmlos sollte man sie auch nicht halten. Zum Beispiel Reichsbürger sind offen gewaltbereit, andere auf versteckte Art auch.

Es bleibt ein Versagen der Presse und die Hauptfigur, der Icherzähler, der Journalist Jan Brock und andere Reporter stehen dem Verhalten der neurechten Bewegungen irgendwie hilflos entgegen.
Immerhin fährt Jan zur Burg Zornfried, die mitten im Wald liegt und in der rechte Denker wie der Burgherr Hartmut Freiherr von Schierling einen merkwürdigen Lebensstil pflegt. Junge Neonazis machen hier Übungen. Auch der Dichter Storm Linné lebt auf der Burg und produziert fleißig grauenvolle martialische Gedichte, die Jörg-Uwe Albig in pathetischen Ton nachbildet.

Ich würde das Buch nicht als Satire abtun, einige Verhaltensweisen sind sehr realistisch.
Der Roman hat gute Ansätze, macht aber zu wenig um wirklich eine Wirkung zu entfalten.