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Veröffentlicht am 21.07.2018

Schelmenroman

Guten Morgen, Genosse Elefant
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Christopher Wilsons eindringlich erzähltter Roman "Guten Morgen, Genosse Elefant" (im Original The Zoo) ist in der Tradition der Schelmenromane angesiedelt. Die Handlung ist in die Stalinzeit der Sowjetunion, ...

Christopher Wilsons eindringlich erzähltter Roman "Guten Morgen, Genosse Elefant" (im Original The Zoo) ist in der Tradition der Schelmenromane angesiedelt. Die Handlung ist in die Stalinzeit der Sowjetunion, im Jahr 1953 gelegt.
Das Besondere ist die Erzählstimme, die die Handlung ganz und gar dominiert. Der 12jährige Juri wurde als 6jähriger bei einem Unfall schwer verletzt, überlebte, aber ist gehandicapt, dennoch lebt Juri gerne und ist immer positiv. Er lebt bei seinem Vater, ein bekannter Tierarzt, in der Nähe des Zoos. Dann wird der Vater gerufen, einen Patienten zu behandeln. Überraschenderweise ist es kein Tier sondern Stalin, der schwer erkrankt ist. Stalin lässt sich von Juri die Zeit vertreiben, sie spielen Dame, wobei Stalin schummelt, sehen gemeinsam Filme, meist Western und Juri muss den Vorkoster machen. Eine gefährliche Situation, aber Juri sieht immer alles positiv und durchschaut auch so einiges. Er ist eine wirklich starke Romanfigur!

Der Roman ist durch die Erzählstimme positiv und manchmal humorvoll angelegt, doch es ist ein ernster Hintergrund. Wer in Stalins Umgebung ist, wird auch dessen Schergen ausgesetzt und das kann blanker Terror sein. Wer etwas dagegen sagt, verschwindet. Selbst wer nur in Verdacht gerät, wird nach Kolmya verbannt. So ging es Juris Mutter, Gefängnis droht auch seinem Vater und vielleicht auch Juri selbst, denn als Stalin im Sterben liegt, ist auch er nicht mehr sicher.

Es ist ein ergreifender, packender Roman, der auch den Leser gefangen nimmt.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Jugend einer Schriftstellerin

Weit weg von Verona
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Die britische Schriftstellerin Jane Gardam hat mit ihren Old Filth-Romanen zweifellos Weitliteratur geschaffen. Ihr erster Roman „Weit weg von Verona“ hatte diesen Status vielleicht noch nicht so ganz, ...

Die britische Schriftstellerin Jane Gardam hat mit ihren Old Filth-Romanen zweifellos Weitliteratur geschaffen. Ihr erster Roman „Weit weg von Verona“ hatte diesen Status vielleicht noch nicht so ganz, aber es ist dennoch ein beeindruckendes Portrait eines intelligenten und lebhaften 12jährigen Mädchens während der Kriegsjahre in England.
Inwieweit die Hauptfigur Jessica Vye eventuell autobiographische Züge der Autorin trägt, ist schwer zu sagen, aber Jahresdaten ähneln sich und Jane Gardam kannte die Zeit, daher wirkt ihr Roman in Sprache und Verhalten der Protagonisten sehr authentisch.

Die 1928 geborene Jane Gardam wurde schon ganz zutreffend mit der kanadischen Literaturnobelpreisträgerin Alice Munroe verglichen.
Aber Jessica als emotional aufgeladene Erzählerin nimmt der Sprache diesmal das Nüchterne, das man sonst von Jane Gardam kennt. Jessica ist noch jung und doch ist es ihr wichtig, um ihre Identität und Eigenständigkeit zu kämpfen. Sie sagt sich: “Ich werde nicht sein wie sie, nur weil es für sie einfacher ist.”
Jessica ist für ihr Alter ein reifes, intelligentes Mädchen, doch dann gibt es auch die für Jugendliche so typische wie auch verblüffende Rückfälle ins Kindliche. Deswegen fällt ihr es schwer, ihr Selbstbewusstsein durchgehend aufrechtzuerhalten.
Zudem ist ihr Leben vom Krieg beeinflusst und einmal gerät sie mitten in einen Luftangriff. Das verarbeite sie in einem Geicht. Literatur ist ihr wichtig!

Ich mag an dem Roman sehr, wie sorgfältig er gearbeitet ist und wie erfrischend die Erzählerin spricht.

Veröffentlicht am 20.07.2018

Familienglück

Kampfsterne
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Die Handlung ist 1985 angesiedelt, aber die Autorin nutzt das nicht zum Selbstzweck und erspart dem Leser weitgehend ein übertriebenes Namedropping der achtziger Jahre, einige Symbole dieser Zeit werden ...

Die Handlung ist 1985 angesiedelt, aber die Autorin nutzt das nicht zum Selbstzweck und erspart dem Leser weitgehend ein übertriebenes Namedropping der achtziger Jahre, einige Symbole dieser Zeit werden aber geschickt eingebracht.

Die Perspektiven wechseln schnell und da die Figuren sehr unterschiedlich sind, wird der Roman abwechslungsreich erzählt und es entsteht eine hohe dichte.
Die Gedanken der jeweiligen Erzähler dominieren den Text, der frisch und gediegen wirkt.

Alexa Hennig von Lange fängt gut die Abgründe ein, die in den Beziehungen ihrer Figuren zueinander lauern. Man merkt schnell, dass Kampfsterne alles andere als ein harmloses Buch über Familien ist.
Man spürt, wie die Ereignisse langsam aber sicher auf eine Eskalation zulaufen.

Alexa Hennig von lange habe ich schon oft gelesen. Einst war sie die erste Ikone der Popliteratur. Inzwischen schreibt sie souverän über Familien, ist aber doch noch kein Mainstream.
Ich denke, Kampfsterne ist tatsächlich ihr bisher bestes Buch!

Veröffentlicht am 14.07.2018

Eine Lebensgeschichte

Ida
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Die Titelfigur basiert auf der Urgroßmutter der Autorin und besitzt daher den Hauch mehr Authentizität als fiktive Figuren, der dem Buch das besondere verleiht.
Sie ist aber auch ein recht stachliger Charakter, ...

Die Titelfigur basiert auf der Urgroßmutter der Autorin und besitzt daher den Hauch mehr Authentizität als fiktive Figuren, der dem Buch das besondere verleiht.
Sie ist aber auch ein recht stachliger Charakter, was ich interessant finde.
Die Handlung springt zwischen den Zeiten.
In der brillant gemachten Anfangsszene kommt Ida Adler 1941 in New York und Chicago an.
Später geht es zurück in die Jugend und Kindheit Idas, ins Wien ab 1901, dann sogar 1892.
Diese Passagen der Vergangenheit sind auch sehr reizvoll.
Manchmal wird es mir zu ausführlich und detailliert, aber es ist natürlich ein Eintauchen in eine vergangene Zeit. Man gleitet durch Idas Leben, das von Krankheiten gezeichnet ist.
Der Roman zeichnet sich durch den Stil aus, der literarische Qualitäten besitzt.

Veröffentlicht am 14.07.2018

eigentümlich

Hier ist noch alles möglich
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Für einen Auszug aus diesem Roman gewann die Schweizer Autorin Gianna Molinari den 3Satpreis beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb. Sie hat einen interessanten Stil, in dem ein ruhiger, langsamer Erzählstil ...

Für einen Auszug aus diesem Roman gewann die Schweizer Autorin Gianna Molinari den 3Satpreis beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb. Sie hat einen interessanten Stil, in dem ein ruhiger, langsamer Erzählstil dominiert. In ihrem Roman gibt es eine Icherzählerin, die als Nachtwächterin in einer Fabrik anfängt und in einer Halle sogar wohnt.
Allzuviel erfährt man zunächst nicht von der Icherzählerin, obwohl ständig ihre gedanklichen Reflektionen gezeigt werden.

Viel Personal gibt es nicht. Da ist der Chef, ein Koch und mit Clemens und Lohse weitere Kollegen. Der Einsatz so weniger Figuren verleiht dem Roman etwas Kammerspielartiges, was einen Kontrast zu den weiträumigen Schauplätzen der Fabrik und des in der Nähe liegenden Flugplatzes bildet.

Die Fabrik steht kurz vor der Schließung, was eine eigenartige Endzeitstimmung mit sich bringt. Der Job ist unspektakulär, wird aber aufgelockert durch das Gerücht, dass ein Wolf auf dem Gelände sei.
Außerdem gibt es einen rätselhaften Fall mit einem Mann, der sich vor der Fabrik zu Tode stürzte, offenbar ein Flüchtling, der aus einem Flugzeug fiel.

Gianna Molinari arbeit geschickt mit der Sprache, hält die Handlung in der Schwebe und erzeugt auf verhaltene Art eigentümliche Stimmungen und Atmosphäre.