„Daran krankt unsere Gesellschaft! An lauter kaputten Beziehungen!“ (Rita, S. 170). Die bundesdeutsche Familie der 80er Jahre ist ein gärender Mikrokosmos, in dem jeder Einzelne ein einsames Teilchen ist – gerade in Reihenhaussiedlungen, dem Blockwarteparadies. Alexa Hennig von Lange erzählt vielstimmig eine Geschichte, die auch die Geschichte ihrer Generation ist. Die Geschichte der Kriegskindergeneration, der 68er-Bewegten und wiederum deren Kindern, zu denen auch Hennig von Lange gehört (geb. 1973). Dass die Hauptfigur die achtjährige Alexa – „Lexchen“ – so aussieht und heißt wie die Autorin und eine große Schwester hat, die „Cotsch“ gerufen wird (man kennt sie schon aus der 2008 begonnenen Lelle-Serie), sind Hinweise auf die autobiographische Verortung der Geschichte, gleichsam als Authentisierungsstrategie: „Hier schreibt eine, die weiß, wie es war, weil sie es selbst erlebt hat – so oder so ähnlich.“ In einem Interview im Magazin ‚Allegra‘ von 2016 sagt Hennig von Lange: „Wir waren alle Töchter der 68er-Generation, wir alle hatten Mütter, die erst einmal nur davon träumten, leidenschaftlich zu lieben, zu leben und zu arbeiten– aber eben auch Mütter sein wollten, die für ihre Kinder da waren. In Freiheit.“ Ehefrauen und Ehemänner, Kinder und Mütter und Väter, Nachbarn untereinander. Kindsein, Erwachsenwerden, Sichausprobieren, Frausein, Liebe und Familie – das sind Hennig von Langes Themen seit „Relax“ und kehren in der Reihenhaussiedlung der „Kampfsterne“ wieder.
Schon der Einstieg in den Roman ist wie der Opener zu Star Wars: Die „Kampfschiffe“ kreisen durch das Bild und laden ihre Waffen oder fahren ihre Schilde hoch. Allen Personen sind starke Emotionen zu eigen: Die verbitterte Rita ist voller Hass und Neid. Die unterdrückte Ulla ist voller Angst, will es aber allen „schön“ machen und verkennt, dass man für Freiheit und Wohlbefinden kämpfen muss. Ullas und Rainers ältere Tochter Cotsch ist voller Zorn und auf dem Selbstfindungsweg, verliert sich aber im Kampf. Dann ist da noch Lexchen, die kleine Schwester: Für sie ist alles „wunder-wunderschön“ wie in Roald Dahls „Sophiechen und der Riese“. Dieses unbeschwerte Mädchen muss es irgendwann mit den Riesen aufnehmen, mit den Kampfsternen in dieser schrecklich-schönen Siedlung mit den schönen Fassaden und den starken Emotionen dahinter. Sie ist das Auge des Sturms, in dem Ruhe herrscht vor der zerstörerischen Kraft des Wirbelsturms namens Leben.
Der Roman ist gelungen: Frausein ist die Problemstellung für vier Personen (Cotsch, Ella, Ulla und Rita) und wird mit unterschiedlichen Strategien angegangen. Da die Perspektive der handelnden Personen ständig wechselt – „ich“ ist immer ein anderer –, erfährt man beim vielstimmigen Lesen stets, was die Figuren sich bei ihrer Handlungsweise gedacht haben. Das ist sowohl geschickt als auch simpel – engt die Interpretationsbreite ein, weitet aber den handlungstreibenden Hintergrund. Allerdings wird aus der Abfolge vieler innerer Monologe nicht ein innerer Dialog, aber vielleicht ist auch das Absicht. Manchmal aber gelingt ein direkter Dialog der Gedanken, etwa wenn Rita und Ulla sich gegenüberstehen (S. 113 ff.).
Die inneren Monologe werden zum Ende hin grundsätzlicher, und man spürt, dass es Hennig von Lange hier ernst wird mit ihren Gedanken, dass Freiheit und Beziehungen immer auch Kampf. Dass es hier durchaus eine Schwarz-Weiß-Einteilung gibt, „gute“ und „böse“ Menschen, ist okay, denn die „Kampfsterne“ leben von ihrer Überzeichnung. Wenn Cotsch sich wie auf dem „Scheiterhaufen der gesammelten Versäumnisse“ (S. 124) ihrer Mutter fühlt, sich Lexchen oder Rita mit Jesus gleichsetzen (der überhaupt häufig um die bildungsbürgerliche Ecke linst), dann darf Johannes auch „die Guten/Bösen“ (S. 185) benennen. Sogar die kitschige Ausblendung aus dem Roman passt zur den starken Farben, in denen Hennig von Lange malt.
Die „Kampfsterne“ sind nicht nur etwas für Kinder der 1970er Jahre, sondern ein gelungener Blick in einer Generation, die verstehen und verstanden werden will, und macht Lesefreude.