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Veröffentlicht am 09.09.2018

Tristesse mit Ironie

Amerika
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Das es kleine Dörfer gibt, die am aussterben sind, wo die Jugend verschwindet und wo es keine Zukunft mehr gibt, ist nicht so ungewöhnlich. Sehr wohl aber, dass dann ein Chronist ins Dorf kommt.

In dem ...

Das es kleine Dörfer gibt, die am aussterben sind, wo die Jugend verschwindet und wo es keine Zukunft mehr gibt, ist nicht so ungewöhnlich. Sehr wohl aber, dass dann ein Chronist ins Dorf kommt.

In dem fiktiven Dorf Rillingsbach, das vermutlich in Baden-Württemberg ist das so. Der Chronist sucht nach Tendenzen und Muster und will eine Geschichtserinnerung schaffen. Dazu befragt er die dagebliebenen, meist alten Dorfbewohner. Martha, Alfred, Frieder, Hilde.
Der Chronsiut selbst hat keinen Namen, es geht auch nicht um ihn sondern um die Dorfbewohner.
Sie gehen gedanklich zurück in die Zeit nach dem Krieg, als der gewalttätige Erwin viel Ärger machte und schließlich tot aufgefunden wurde. Mord oder Selbstmord? Marthas Vater jedenfalls reinigt andernstags auffällig sein Gewehr.
Erwin schwangere Frau Elisabeth bleibt im Dorf. Ihre Tochter Hilde wird später ein wildes Leben führen, aber auch ein Buch schreiben.
Auch für Alfred und seine Frau Erna gab es einmal etwas anderes als das Dorf. Das war eine Reise in die USA, die ausführlich geschildert wird. Die USA war Alfreds Leidenschaft und doch konnte er nicht auswandern sondern blieb.
Frieder hingegen hat eine fatalistische Einstellung, die mit dem möglichen Untergang des Dorfes einhergeht.
Überraschungen und Geheimnisse bleiben.

Jede Menge Tristesse könnte man annehmen, aber Kai Wieland mildert das mit leichter Ironie beim Erzählen ab.

Trotz vieler guter Ansätze überzeugt mich der Roman letztlich nicht ganz. Vielleicht will der Autor bei dem großen Aufwand zu wenig, wie auch der Chronist. Der wertet nicht und er reflektiert nicht. Er stellt am Ende nur zu wenig Substanz fest. Als Leser folgt man ihm und damit bleibt einfach zu wenig.

Veröffentlicht am 09.09.2018

Wiedersehen in Wales

Die Sonnenschwestern
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Tracy Rees beschreibt auf sensible Art den Zustand in dem sich die Protagonistin von Die Sonnenschwestern befindet. Nora ist in einer Lebenskrise. Mit fast 40 trennt sie sich von ihrem Freund, kündigt ...

Tracy Rees beschreibt auf sensible Art den Zustand in dem sich die Protagonistin von Die Sonnenschwestern befindet. Nora ist in einer Lebenskrise. Mit fast 40 trennt sie sich von ihrem Freund, kündigt ihren Job und ist von Albträumen geplagt. Gründe dafür mögen in der Vergangenheit zu finden sein. Deswegen reist Nora nach Wales, der ehemaligen Heimat ihrer Mutter Jasmine.

Ein zweiter Handlungstrang ist in den fünfziger Jahren angelegt.
Hier ist die junge Chloe Hauptfigur. Sie ist eine lebhafte Persönlichkeit, die sich entwickelt im Laufe der Jahre. Ich mag sie mehr als die etwas langweilige Nora.
Die Verbindung zwischen den beiden Handlungssträngen wird erst allmählich klar. Verraten möchte ich aber nichts.

Geschickt gemacht sind die Zeitabläufe. Während in der heutigen Zeit nur Monate vergehen, wird Chloes Leben in Jahren dargestellt.

Wales wird voller Atmosphäre, oft regnerisch, dargestellt. Manchmal hätten die Beschreibungen der Umgebung detaillierter sein dürfen.

Der Roman ist gut lesbar, nicht zu flach, nicht zu komplex. Auch nicht sehr spannend! Ein entspanntes Lesen ist möglich. Man kann von einem Frauenroman sprechen, denn es spielen fast nur Frauen die tragenden Rollen.

Veröffentlicht am 09.09.2018

Lamb und seine Gäule

Slow Horses
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Slow Horses ist ein Agententhriller der etwas anderen Art. Die Slow Horses sind die Agenten, die Fehler gemacht und versagt haben und daher in die Abteilung von Jackson Lamb im Slough House kommen.
Ein ...

Slow Horses ist ein Agententhriller der etwas anderen Art. Die Slow Horses sind die Agenten, die Fehler gemacht und versagt haben und daher in die Abteilung von Jackson Lamb im Slough House kommen.
Ein Haufen von Losern, wie Jackson Lamb betont. Das ist nicht gerade eine Ehre. Im Mittelpunkt steht der noch junge Agent River Cartwright.
Mit ihm und einem Einsatz, der scheitert, beginnt der Roman unheimlich packend und mit einem Drive, der später im Buch überwiegend fehlt.

Der Chef dieser abgehalfterten MI5-Einheit Jackson Lamb ist nicht so einfach fassbar. Zu übertrieben wirkt die Figur. Seine Originalität mehr behauptet als wirklich gezeigt. Der Untertitel Ein Fall für Jackson Lamb versprach mehr. Immerhin hat er spät im Buch doch noch einige gute Szenen.
River Cartwright funktioniert kaum besser als Protagonist, vermag auch nicht den Roman zu tragen.
Mit Catherine Standish gibt es eine interessante weibliche Figur, die im Zusammenspiel mit Jackson Lamb gut funktioniert.
Weitere wichtige Slow Horses sind Louisa, Min Harper und James Webb, genannt Spider.

Mick Herron lehnt sich mit Slow Horses an klassische Spionageromane an, bringt jedoch einen neuen Ansatz hinein. Das wird sogar durch das gut gemachte Cover des Buches ausgedrückt. Das ganze ist sehr britisch und lange Zeit nicht unbedingt spannend.
Eigentlich dachte ich, die Zeit der Agententhriller wäre mehr oder weniger vorbei, aber Slow Horses hat immerhin einen originellen Ansatz.
Es gibt weitere Teile der preisgekrönten Reihe um Jackson Lamb, die vor allen für Fans dieses Genres zu empfehlen ist.

Veröffentlicht am 07.09.2018

eigenwillig

Der Südelefant
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Der Südelefant ist ein ausgestorbenes Exemplar, dem Mammuth verwandt. Ein ungewöhnlicher, origineller Titel, der deswegen zu Archil Kikodze Text passt, der das Leben in der georgischen Stadt Tbilissi auf ...

Der Südelefant ist ein ausgestorbenes Exemplar, dem Mammuth verwandt. Ein ungewöhnlicher, origineller Titel, der deswegen zu Archil Kikodze Text passt, der das Leben in der georgischen Stadt Tbilissi auf eigenwillige Weise zeigt.
Wild, intellektuell, unangepasst ist der Protagnonist auf der Suche nach dem Lebensgefühl der Stadt. Dabei schwingt mit den Erinnerungen auch die Geschichte des Landes mit. Überwiegend sind es die Gedanken und Reflektionen der Hauptfigur, die den Roman bestimmen.
Die Hauptfigur ist Filmemacher. Einflüsse von Außen sind daher häufig Filme, über die gesprochen oder an die gedacht werden: Akira Kurosowa, Tarkowski, Ingmar Bergmann, oder auch Bogart. Ich kann damit viel anfange, aber es wird auch Leser geben, denen das nichts sagt. Den ganzen Text kann man lesen wie man einen Arthouse-Film sehen würde.
Man folgt dem Protagonisten, der ziellos durch die Stadt wandert, kommt zum Beispiel zum Marjanischwilli-Platz, überquert die Galaktioni-Brücke oder erreicht Sololaki, einem Stadtviertel im historischen Zentrum. Erwähnenswert auch der Woronzow-Platz, die Art nouveau, den Jugendstilhäuser und das Ufer des Flusses Mtkvari, dieverse Parks und Gärten etc.
Archil Kikodze schreibt teilweise sehr detailreiche Ortsbeschreibungen. Das erzeugt eine eigenwillige Atmosphäre.

Der Südelefant ist ein Buch, dass es dem deutschen Leser erlaubt, einen etwas anderen Blick auf Georgien zu werfen.

Veröffentlicht am 07.09.2018

zurückhaltend

Ein Start ins Leben
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Ein Start ins Leben ist der erste Roman der britischen Autorin Anita Brookner. Diese Autorin hat wirklich Klasse, sie schreibt elegant und mit Understatement, ziemlich zurückhaltend. Dadurch hebt sie sich ...

Ein Start ins Leben ist der erste Roman der britischen Autorin Anita Brookner. Diese Autorin hat wirklich Klasse, sie schreibt elegant und mit Understatement, ziemlich zurückhaltend. Dadurch hebt sie sich ab von anderen Schriftstellern.
Bemerkenswert auch die lange Einleitung von Julian Barnes in das Buch, wobei er von seinen Begegnungen mit Anita Brookner und ihren Qualitäten berichtet.

Wie der Stil der Autorin sind auch die Figuren, zurückhaltend, nicht ohne Emotionen, doch diese behalten sie größtenteils für sich. Diese inneren Konflikte sind das große Thema von Anita Brookner.

Die Handlung erzählt von einer Frau, Ruth, wie sie aufwächst und schließlich als junge Frau nach Paris geht, doch die Erkrankungen ihrer Eltern zwingt sie zur Rückkehr nach England.
Viele Spannungsmomente gibt es nicht, der Plot bleibt immer dicht an der Figur und ist realistisch geschildert.
Man braucht Geduld und Ausdauer für den Roman, aber viele gute Beschreibungen und ausgearbeitet Details entschädigen dafür.