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Veröffentlicht am 27.08.2017

Erinnerungsbilder aus Flugschnee

Flugschnee
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Ein junger Mann namens Simon ist spurlos verschwunden! Ein Schock für seine Schwester Lucy und seine Eltern Arnold und Vera.

Schon ganz zu Beginn fällt am Roman die Sprache auf. Ein inneres Zwiegespräch ...

Ein junger Mann namens Simon ist spurlos verschwunden! Ein Schock für seine Schwester Lucy und seine Eltern Arnold und Vera.

Schon ganz zu Beginn fällt am Roman die Sprache auf. Ein inneres Zwiegespräch der Protagonistin mit dem verschwundenen Bruder, Erinnerungsarbeit an die gemeinsamen Erlebnisse der Vergangenheit. Eine Bewusstseinsdarstellung, die den Schmerz des Verlustes darstellt, aber auch die Ungewissheit und die Angst, dass es einen Suizid gab. Oder ist Simon nur untergetaucht? Was sind seine Beweggründe?

Diese Kapitel in Berlin wechseln sich mit anderen Handlungsebenen der Vergangenheit ab, z.B. 20 Jahre zuvor in Hamburg mit dem schon älteren Lorenz. Er ist Lucys und Simons Großvater.
Es gibt auch einige Kindheitsszenen mit Simon und Lucy. Aus dem ganzen entsteht eine komplexe Familiengeschichte.

Bemerkenswert, wie auch die Literatur im Text eingesetzt wird: Das Berlinbuch “Die Ästhetik des Widerstands” von Peter Weiß, Novalis und die schwedische Schriftstellerin Karin Boye. Das trägt bei, den hohen Ton des Romans zu unterstützen.

Wenn man sich die Definition von Flugschnee ansieht (sehr feiner Schnee, der bei stärkerem Wind entsteht und die Schneekristalle auch unter die Dachhaut oder die Dachziegel eines Hauses eindringen lässt.) kann man einen Zusammenhang zur Wirkung der Sprache von Birgit Müller-Wieland erkennen. Wie Flugschnee dringen die Erinnerungsbilder in Lucy.
Das gilt jedenfalls für viele Passagen, aber es gibt auch einige, wo es nur leichten Schneefall gibt. Da wird die Geduld des Lesers auf die Probe gestellt.
Aber die Geschichte braucht diesen Raum. Vorfälle der Vergangenheit werden langsam herausgearbeitet, die Zusammenhänge familiärer Probleme ergeben sich erst allmählich. Man muss sich nur gewiss sein, dass sich die Autorin Zeit lässt, dann ist das schon okay.
Die Ernsthaftigkeit, die Birgit Müller-Wieland ihrer Sprache verleiht und wie sie mit ihr arbeite, ist bewundernswert.

Veröffentlicht am 26.08.2017

Wohlfühlroman

Morgen ist es Liebe
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Durch den gewählten ansprechenden Stil wird es ein leicht zu lesender Roman.
Martin ist verzweifelt, sein Leben ist aus der Bahn geglitten. Auch wenn das Buch mit einem Mann beginnt, der seinen Suizid ...

Durch den gewählten ansprechenden Stil wird es ein leicht zu lesender Roman.
Martin ist verzweifelt, sein Leben ist aus der Bahn geglitten. Auch wenn das Buch mit einem Mann beginnt, der seinen Suizid beginnt, hat man eher eine Art Roman vor sich, der wie eine wärmende Decke wirkt. Dazu trägt auch die weihnachtliche Stimmung bei!
Die Handlung wechselt zu der Ärztin Alexandra Novak.
Ich mochte beide Figuren auf Anhieb.
Dann kommt der Unfall, bei dem Martin zum Retter wird.

Weitere sympathische Figuren sind Martha, Alexandras Mutter und ihr quirliger Hund Mr.Spock.

Doch nicht nur Martin, alle Figuren sind ein wenig in einer Lebenskrise.
Martha ist jüngst verwitwet und jetzt sehr alleine.
Alexandra fragt sich nach dem Unfall, ob sie ihr Leben ändern muss.
Nicht nur sie fragen sich, wer ihr Retter war, auch Polizei und Presse spüren dem Fall nach.
Der Polizist Jean-Claude und ein skrupelloser Reporter werden Teil der Handlung. Sie bedienen jedoch Klischeevorstellungen und haben mir vergleichsweise etwas weniger als die anderen gefallen.

Der Autorin gelingt es gut, die Emotionen ihrer Figuren herauszuarbeiten. Die Leichtigkeit dabei ist vielleicht die größte Stärke des Romans.
Erstaunlich ist aber auch, dass die vermeintlichen Nebenfiguren einen großen Anteil im Roman bekommen, insbesondere Martha, und dass das so gut funktioniert.
Eine kleine Schwäche sehe ich darin, dass manche Passagen zu ausführlich erzählt werden.

Morgen ist es Liebe ist ein Wohlfühlroman, der auch noch in der Weihnachtszeit angesiedelt ist. Das liest sich selbst bei +29°C draußen erfrischend.
Weiterhin prägt der Schauplatz Luxemburg, wo die Autorin lebt, den Roman.

Monika Maifeld ist wirklich eine Neuentdeckung.

Veröffentlicht am 24.08.2017

Feierlichkeit des Erzählens

Pirasol
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Pirasol ist der Name der Villa, in der die 84jährige Gwendoline Suhr und die einige Jahre jüngere Thea Hartwig seit langen gemeinsam leben. Diese Villa kann eine Festung sein, aber auch zum Gefängnis werden.

Dem ...

Pirasol ist der Name der Villa, in der die 84jährige Gwendoline Suhr und die einige Jahre jüngere Thea Hartwig seit langen gemeinsam leben. Diese Villa kann eine Festung sein, aber auch zum Gefängnis werden.

Dem Buch ist ein Zitat der großartigen Dichterin Hilde Domin vorangestellt. Das deutet schon auf den hohen Ton des Romans hin, dem auch ein gewisse Pathos inne ist. Das ist nicht negativ gemeint, den daraus entsteht eine Feierlichkeit des Erzählens. Ein Stil, der sich vom Einheitsbrei der meisten zeitgenössischen Literatur abhebt, auch wenn er altmodisch wirken kann.

Auffällig auch die Erzählstruktur. Die Autorin setzt sinnvoll Zeitsprünge ein.
Gwendolines Erinnerungen reichen zurück in die Zeit, als ihr Vater in der schlimmen Zeit verhaftet und nach Sachsenhausen verbracht wurde, die Jahre ihrer unglücklichen Ehe mit dem besitzergreifenden Willem und ihrem Sohn.
Gegen den Jungen war Willem sogar gewalttätig. Das Gefühl, ihr Kind nicht beschützen zu können, ist für Gwendoline die schlimmste Qual.
Diese Szenen vermögen zu berühren, da die Autorin sie sehr sensibel und mit Detailgenauigkeit schildert.

Gwendoline musste harte Zeiten durchmachen. Auch die Jahre nach dem Krieg waren nicht leicht, das Eheleben mit dem älteren, sadistischen Mann war eine Qual.
Schlimm, dass selbst nach Willems Tod mit Thea sich noch so ein Parasit bei ihr einnistet. Aber da steckt noch etwas anderes dahinter.

Sprachlich ist der Roman feinfühlig gemacht. Es gibt zahlreiche Sätze, die bemerkenswert sind.
Manchmal ist das geschilderte für den Leser nicht einfach zu ertragen, aber es ist ein wichtiges Buch.

Susan Kreller schafft eine Sprache, die angemessen ist, den gepeinigten der Welt, die sich selbst nicht äußern können, eine Stimme zu geben.
Das halte ich für eine große Leistung.

Veröffentlicht am 24.08.2017

Komplexer Generationsroman

Heimkehren
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Heimkehren ist ein richtig komplexer Roman, da er seine Themen durch einen großen Zeitraum transportiert und dabei die handelnden Figuren relativ rasch wechseln. In der Regel tauchen die alten Personen ...

Heimkehren ist ein richtig komplexer Roman, da er seine Themen durch einen großen Zeitraum transportiert und dabei die handelnden Figuren relativ rasch wechseln. In der Regel tauchen die alten Personen in den neuen Kapitel auch nur selten auf, dennoch gibt es offensichtlich ganz starke Verbindungen.

Das sich der Ton der Geschichten im Verlaufe der Zeit verändert, merkt der Leser erst allmählich, zum Beispiel in Teil 2 mit H. als Protagonist 1880 spürt man eine andere Sprache als noch zu Anfang des Buches. Natürlich ist da auch zwischen den afrikanischen und den amerikanischen Abschnitten zu unterscheiden
Auch inhaltlich gibt es Veränderungen, das wird z.B. deutlich im Abschnitt als Willie und Robert nach Harlem gehen und die Beschreibungen des Jazzclubs Jazzing.
Auch die Geschichte von Yaw und der Entstehung seiner Brandnarbe oder von Sonny und seine Arbeit für das NAACP sind beeindruckend. Das gilt auch für die Geschichte von Marjorie und Marcus, mit der der Roman schließlich schließt..
Es gibt in fast allen dieser Episoden so viel zu entdecken und manche hätten das Potential für eigene Romane.

Diese Romankonzeption ist ein großer, umfassender Ansatz um die Geschichte der Sklaverei zu erzählen und die Autorin hat die entsprechenden Mittel.
Wenn eine junge Autorin so schreiben kann, darf man viel von ihr erwarten. Es sei denn, das war schon ihr wichtiges Thema, mit dem sie sich dann ausgeschrieben hat.
Das muss man abwarten.

Veröffentlicht am 23.08.2017

Parallelen

Das Schicksal der Sterne
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Das Schicksal der Sterne ist ein Jugendroman, indem sich die Wege eines Jungen und eines Alten kreuzen. Adhib aus Afghanistan erlebte die Ermordung seines Vaters durch die Taliban mit und musste flüchten. ...

Das Schicksal der Sterne ist ein Jugendroman, indem sich die Wege eines Jungen und eines Alten kreuzen. Adhib aus Afghanistan erlebte die Ermordung seines Vaters durch die Taliban mit und musste flüchten. In Deutschland trifft er Karl, der einst als Kind den zweiten Weltkrieg miterlebte und aus Schlesien flüchten musste. Neben dem zeitgenössischen Plot gibt es immer wieder ergreifende Rückblicke, die den Leser emotional anspricht. Der Roman profitiert von den Details der berichteten Widrigkeiten bei der Flucht die sowohl damals wie auch heute sehr hart und gefährlich waren. Der Autor zeigt überraschende Parallelen auf.

Eine ähnliche Konstellation mit Alt und Jung gab es in Peter Härtlings letzten Jugendroman Djadi, Flüchtlingsjunge.
Daniel Höra schreibt aber einen anderen Stil und lässt die beiden Parteien gleichberechtigt zu Wort kommen. Das ist überzeugend und führt zum gelingen des nicht einfachen Stoffes.
Das der Roman trotz so einiger geschildeter Härten nicht düster wird, liegt am Wortwitz, der sich z.B. in den Dialogen zwischen Karl und Mildred entwickelt und an Adhibs positiver Lebenseinstellung. Dabei gaben sie es auch nach ihrer Flucht in der neuen Heimat nicht leicht. Immerhin profitieren sie von ihrer Freundschaft zueinander.
Viele der Beschreibungen halte ich für sehr glaubhaft und nachvollziehbar.

Das Schicksal der Sterne ist ein Roman der bewegt und dem ich viele Leser wünsche.