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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.10.2020

Ein theaterreifes britisches Krimistück

Das Geheimnis von Dower House
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Großbritannien, nach dem ersten Weltkrieg. Fergus O’Brien flog im Krieg sehr erfolgreich und kehrt als Held zurück. Er ist berühmt, zieht sich aber auf einen Landsitz zurück, der er mietet. Er fordert ...

Großbritannien, nach dem ersten Weltkrieg. Fergus O’Brien flog im Krieg sehr erfolgreich und kehrt als Held zurück. Er ist berühmt, zieht sich aber auf einen Landsitz zurück, der er mietet. Er fordert die Hilfe des Privatdetektivs Nigel Strangeways an, er hat einen brisanten Auftrag für ihn.

Nigel ist eine exzentrische, grüblerische Person mit viel Scharfsinn und einem Onkel bei der Polizei. Er ist belesen und verfolgt à la Sherlock Holmes auch die abstrusesten Theorien. Der Leser kann bei diesem Krimi, der auch auf der Theaterbühne funktionieren könnte, gut miträtseln. Er erfährt Nigels Gedanken dazu und ist bei den Besprechungen der Ermittler dabei.

Nigels Scharfsinn lässt ihn schließlich hinter die Kulissen blicken und enthüllt am Ende eine fast unmögliche Geschichte anhand einiger unglücklich verketteten Umstände.

Zusätzlich zu den - für uns aktuell - schrullig anmutenden Charakteren kommt der gut erhaltene Stil, die damalige Sprache. Dazu kommt eine Prise britischer Humor.

“Das Geheimnis von Dower House” wurde bereits 1996 und auch später nochmals unter anderen Titeln auf Deutsch veröffentlicht. Klett-Cotta legt seit wenigen Jahren einige britische Krimis aus der Zwischenkriegszeit in zueinander passenden Leineneinbänden mit Cover-Illustrationen neu auf.

Veröffentlicht am 16.10.2020

Tagebuch einer willensstarken Frau

American Spy
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Dieser Thriller ist zwar ein Agententhriller, aber in vielerlei Hinsicht komplett anders. Der Agent der hier aus der Ego-Perspektive erzählt, ist eine Frau. Und sie ist schwarz. Auch heute wird es nicht ...

Dieser Thriller ist zwar ein Agententhriller, aber in vielerlei Hinsicht komplett anders. Der Agent der hier aus der Ego-Perspektive erzählt, ist eine Frau. Und sie ist schwarz. Auch heute wird es nicht so viele von ihnen beim FBI geben, aber die Geschichte spielt großteils auch noch für mehr als 30 Jahren.

Marie Mitchell schreibt ihre Geschichte in ein Tagebuch nieder, das sie ihren Zwillingssöhnen vermachen möchte. Sie sollen darin unter anderem erfahren wer ihr Vater ist. Marie erwähnt natürlich, dass vieles in ihrem Beruf nicht einfach war und als Kinder gingen sie und ihre Schwester beispielsweise schwimmen in Bädern für Schwarze oder fuhren in ebensolche Sommercamps.

Doch sie spielt nie die “Rassismus-Karte” aus, nicht auf eine weinerliche oder Mitleid heischende Art. Ihre Hautfarbe bringt Marie plötzlich einen Sonderauftrag ein, der sie bis nach Afrika führt. Auch das könnte rassistisch ausgelegt werden und teilweise denken die “weißen Männer”, die das einfädeln, auch so. Aber Marie hat Pläne und Ziele in ihrer Karriere und sagt letztlich doch zu.

Lauren Wilkinson hat mit ihrer Spionin eine willensstarke, selbstbestimmte Frau geschaffen, die von einer schwierigen Kindheit und weiterem nicht selbst verschuldetem Leid geprägt wurde. Sie ist gut in dem was sie macht, so gut wie es die Umstände zulassen. Das gilt für ihren Job, aber auch für die Familie und ihre eigenen Kinder.

Das Ende bleibt teilweise offen. Man erfährt wie ihre FBI-Karriere endete, man weiß warum Marie das Tagebuch geschrieben hat, aber wie dieses “warum” verläuft und endet, wird nicht erzählt. Schafft sie, was sie sich vorgenommen hat?

Der Schreibstil ist stellenweise packend, aber bleibt trotz der Ego-Perspektive großteils distanziert. Es gibt viele (für Marie) aufwühlende Szenen aber den Leser rühren nur wenige davon. Auch Marie bleibt meist möglichst neutral, will ihren Söhnen gegenüber vielleicht auch nicht alles preisgeben.

Veröffentlicht am 16.10.2020

Waffenkampf statt Klassenkampf

Capitana
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Eine der härtesten, nicht-weißen, weiblichen Hauptfiguren der aktuellen Krimi-Literatur ist wieder zurück: Lola Vasquez, Anführerin, Drogenboss, Mutter und Latina (in stetig wechselnder Reihenfolge). ...

Eine der härtesten, nicht-weißen, weiblichen Hauptfiguren der aktuellen Krimi-Literatur ist wieder zurück: Lola Vasquez, Anführerin, Drogenboss, Mutter und Latina (in stetig wechselnder Reihenfolge). Zwischen all ihren legalen und weniger legalen Aktivitäten im multikulturellen Los Angeles droht sie immer wieder, sich selbst zu verlieren.

Auch wenn Drogen, Waffen, Gewalt und Blut Lolas Welt bestimmen, finden sich im Thriller auch immer wieder nachdenkliche, kritische Zeilen. Melissa Scrivner Love verbindet Lolas fiktives, aber wohl auf vielen realen Biografien fußendes Leben mit Gesellschaftskritik am Amerika der “Weißen Männer”. Rassismus, Armut und Verbrechen lauern hinter vielen Mauern und unscheinbaren Gesichtern.

Für einen echten Klassenkampf sind die Unterschiede zu groß, dennoch drückt man Lola und ihrer Gang immer wieder die Daumen gegen das System, das sie einerseits unterdrückt, in dem sie sich aber so gut wie möglich zurechtfinden und einfügen (um nicht aufzufallen und weiter ihre Geschäfte machen zu können).

Lolas Welt ist weit von unserer entfernt, ist illegal, gefährlich und weitestgehend unmoralisch. Aber als Charakter ist sie faszinierend und durch ihre Brille betrachtet, ist das was sie tut logisch und fast verständlich. Eine Anti-Heldin die für die Dauer des Buches als Heldin durchgeht. Eine toughe Frau die im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Richtige tut.

“Capitana” ist Band 2 um Lola Vasquez. Die Reihe startet mit “Lola”.

Veröffentlicht am 16.10.2020

Prägende Vergangenheit

Der Dämon von Vermont
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Sehr spezielle Charaktere und eine spannend mit zwei parallelen Handlungssträngen erzählte Thriller-Geschichte vereint Vincent Hauuy hier gekonnt. US-amerikanische und kanadische Polizisten ermitteln in ...

Sehr spezielle Charaktere und eine spannend mit zwei parallelen Handlungssträngen erzählte Thriller-Geschichte vereint Vincent Hauuy hier gekonnt. US-amerikanische und kanadische Polizisten ermitteln in einem aktuellen, aber dennoch alten Fall: Es sieht so aus als wäre ein totgeglaubter Serienmörder wieder aktiv.

Die beiden Protagonisten auf amerikanischer Seite, Profiler Noah Wallace und Lieutenant Steve Raymond, werden so eingeführt, dass es wirkt, als hätte es vor “Der Dämon von Vermont” schon einen Krimi mit ihnen gegeben. Alles ist sehr unmittelbar, die beiden teilen eine intensive Vergangenheit, unter anderem die Arbeit an den Morden des wiedergekehrten Serienkillers.

Im ersten Drittel des Buchs springt die Handlung zwischen den beiden und ihren Ermittlungen und denen von Sophie Lavallée, Studentin, die aus reiner Neugier zum Verschwinden eines Journalisten recherchiert. Damit scheint sie in ein Wespennest gestochen zu haben. Sie fürchtet um ihr Leben und stößt bei ihren gefährlichen Recherchen auch auf die Namen von Noah und Steve.

Der Thriller lebt zu Beginn vom Szenenwechsel und den viele Fragen die sich bezüglich Noah und seiner Vergangenheit ergeben. Die Geschichten vereinen sich und ab dann geht es richtig los - wie tief stecken die Beteiligten in der Sache drin? Welche Geheimnisse lauern in Noahs Unterbewusstsein?

Auch wenn vieles hier fiktiv ist, laufen die Fäden am Ende bei einer Sache zusammen, die es tatsächlich so (ähnlich) gegeben hat: MK Ultra. Ein fesselnder Thriller mit Realitätsbezug.

Veröffentlicht am 28.09.2020

Tödliches Spiel

Baskische Tragödie
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Was vom Titel ein wenig nach Theaterstück klingt, kann auch so verstanden werden. Wer spielt hier mit wem? Wer spielt was? Doch von Anfang an.

Es scheint ein warmer Sommer zu werden in der Aquitaine und ...

Was vom Titel ein wenig nach Theaterstück klingt, kann auch so verstanden werden. Wer spielt hier mit wem? Wer spielt was? Doch von Anfang an.

Es scheint ein warmer Sommer zu werden in der Aquitaine und Luc Verlain, Commissaire in Bordeaux, möchte nichts weiter als ruhige Tage mit seiner Partnerin verbringen und Zukunftspläne schmieden. Doch es kommt natürlich anders.

Drogenfunde an den Stränden fordern die Aufmerksamkeit der Ermittler aber noch bevor Luc sich an die Fersen der Hehler heften kann, erreicht ihn eine wichtige Nachricht die sein Leben auf den Kopf stellt. Der so besonnene Kommissar reagiert sofort auf den Inhalt und gerät in ein spannendes Versteckspiel.

Die Spur führt ins Baskenland und Luc wird von einem Fall aus seiner Pariser Vergangenheit heimgesucht, den er offiziell nie lösen konnte. Er lässt sich auf ein Spiel mit Kriminellen ein, das ihn sein Leben kosten könnte. Doch er hat vorgesorgt…

Alexander Oetker lässt seinen Helden hier wieder einiger solcher Taten vollbringen, schiebt ihn immer wieder nahe an den Abgrund und schafft es nebenbei noch, baskische Kultur und Kulinarik einzuflechten. Der Krimi steht aber klar im Mittelpunkt.

“Baskische Tragödie” ist Luc Verlains vierter Fall. “Retour”, “Château Mort” und “Winteraustern” sind seine Vorgänger.