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Veröffentlicht am 15.06.2019

Literatur, die immer aktuell sein wird

Wo die Schakale heulen
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Wer “Eine Geschichte von Liebe und Finsternis” von Amos Oz gelesen hat, wird manche Begegnungen, Szenen und Charaktere in diesem Buch möglicherweise leichter begreiflich finden als ohne dieses “Vorwissen” ...

Wer “Eine Geschichte von Liebe und Finsternis” von Amos Oz gelesen hat, wird manche Begegnungen, Szenen und Charaktere in diesem Buch möglicherweise leichter begreiflich finden als ohne dieses “Vorwissen” um den so eigenen, sehr metaphorischen und dann wieder unverblümten, direkten Stil des Jerusalemer Autors.

“Wo die Schakale heulen” entstand vor Oz’ autobiografischem Epos und erschien im Original 1965. Es enthält zehn Kurzgeschichten, fiktive Episoden und Einblicke in das damalige Israel und seine leidgeprüften Einwohner.

Es ist kein Roman, den man so eben nebenbei als leichte Lektüre lesen kann, die Geschichten eint allesamt dass sie kaum, eigentlich gar keine, heitere Momente besitzen. Humor findet sich nur zwischen den Zeilen, in einzelnen Bemerkungen oder Gedanken entweder eines der Personen oder des Erzählers.

Oz beherrscht meisterlich, feinste Stimmungen und Schwingungen zwischen Charakteren entstehen zu lassen, ohne etwas darüber niederzuschreiben. Er lässt das meiste im Kopf des Lesers entstehen, so lange bis man sich fragt, ob man da nicht doch zu viel hineininterpretiert hat?

Und dann wieder, ganz plötzlich, schwenkt die Situation um und er präsentiert mit wenigen Sätzen eine so intensive, überraschend direkte, fast brutal ehrliche Szenerie, die auch so schnell wieder vorbei ist, dass man als Leser kaum Zeit hat, davon abgestoßen zu werden.

Die zehn Geschichten lassen sich zwar auch rein als Einblick in die damalige, uns ferne Welt verstehen, dennoch bieten sie allesamt die Möglichkeit, Gleichnisse zu entdecken, Kritik an Umständen, der Gesellschaft und anderem, die auch heute und auch außerhalb Israels ihre Gültigkeit haben.

Werke von Amos Oz sind jedem zu empfehlen, der Lust auf anspruchsvolle, tiefgehende Literatur hat, aber die “klassische Weltliteratur” schon kennt oder nicht lesen möchte. Es ist nur wichtig, sich auf dieses Abenteuer einzulassen, nicht vom ungewohnten, schwierigen Beginn abschrecken zu lassen, den Oz einem neuen Leser zweifellos bieten kann.

Wer es sich zutraut, sollte meiner Meinung nach gleich mit “Eine Geschichte von Liebe und Finsternis” starten, aber ansonsten ist “Wo die Schakale heulen” ein guter Einstieg und stilistisch sogar der etwas schwierigere. Durch die kurzen Episoden, die über mehrere Jahre entstanden sind, merkt man, dass der Stil noch nicht ganz der ausgereifte ist wie im großen Roman, er schwankt noch stärken zwischen den Extremen.

Dass Amos Oz seine Werke nicht mehr überarbeiten kann (er verstarb 2018), ist einerseits schade, andererseits hat er durch seine erzählerische Gabe Texte geschaffen, die in vielen Aspekten so universell sind, dass sie mehrere Generationen später als Gesamtkomposition nichts an Eindringlichkeit verloren haben. Oz blickt seinen Protagonisten tief in Kopf und Seele und extrahiert mittels weniger Wörter und Sätze ihre ureigenste Menschlichkeit. Und solange es Menschen auf der Erde gibt, ganz egal was und wie wir uns verändern, solange bleibt diese Form der Literatur aktuell.

Veröffentlicht am 05.06.2019

Eine jazzige Achterbahnfahrt mit viel Humor und wunderbarem Protagonisten

Murder Swing
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Dieser britisch-humorige Musik-Krimi ist ein kunterbuntes und abwechslungsreiches Lesevergnügen. Nicht nur für Katzenbesitzer oder jene, die Katzenbesitzer und ihren Umgang mit den Vierbeinern kennen, ...

Dieser britisch-humorige Musik-Krimi ist ein kunterbuntes und abwechslungsreiches Lesevergnügen. Nicht nur für Katzenbesitzer oder jene, die Katzenbesitzer und ihren Umgang mit den Vierbeinern kennen, nicht wahr? Ja genau.

Der Londoner Vinyl-Enthusiast und Klang-Fetischist, dessen Name nie genannt wird und der aus der Ego-Perspektive erzählt, ist selbsternannter Detektiv. Er spürt wertvolle Platten auf, die er hortet und gewinnbringend verkauft, wovon er teilweise mehr schlecht als recht seinen Lebensunterhalt bestreitet.

Als er gar nicht damit rechnet, heuert ihn eine schöne Frau, hinter der ein Auftraggeber steckt, an, um eine bestimmte Schallplatte aufzutreiben. Ihre vorübergehende Gesellschaft und viel Geld als Belohnung winken

Auf dieser Reise kreuz und quer durch London und durch Vereinigte Königreich und sogar nach Amerika lässt der Namenlose den Leser auf locker flockige Weise einerseits an der Story selbst teilhaben, aber flicht auch wunderbar unaufgeregt zahlreiche Details zu Sound, Abspielanlagen, Aufnahmestudios und vielerlei technischen Finessen zwischendurch ein. Diese Teile lassen sich natürlich auch querlesen, aber sind so anschaulich erzählt, dass sie auch für Nicht-Vinyl-Freaks eine schöne Ergänzung darstellen.

Die Suche verläuft natürlich weder einfach noch ungefährlich, sonst wäre es ja kein Krimi. Tatsächlich dauert es etwas, bis auch dieser Handlungsteil voll in Fahrt gerät, aber dann ist er nicht zu bremsen. Andrew Cartmel, selbst Jazzfan natürlich, hat hier eine wundervolle Hauptfigur geschaffen. Bodenständig, katzenliebend, loyal und ein bisschen neurotisch wie wir alle, kommt es einem am Ende des Buches vor als wäre der Vinyl-Detektiv ein alter Bekannter. Und man freut sich schon auf die geplanten zwei weiteren Romane, sobald sie auf Deutsch erschienen sind. Wer weiß, vielleicht erfährt man ja auch noch seinen Namen?

Veröffentlicht am 28.05.2019

Ein wunderbar atmosphärisches Thrill-Love-Roadmovie in Buchform

Destination Dallas
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Es ist eine harte Welt, die des Frank Guidry. Im New Orleans des Jahre 1963 regiert die Mafia, regieren ihre “Angestellten”, die Respekt und Annehmlichkeiten genießen, von dene die arme Bevölkerung weit ...

Es ist eine harte Welt, die des Frank Guidry. Im New Orleans des Jahre 1963 regiert die Mafia, regieren ihre “Angestellten”, die Respekt und Annehmlichkeiten genießen, von dene die arme Bevölkerung weit entfernt ist. Guidry kommt genau aus einer solchen armen Familie. Seine schwierige Kindheit erfährt der Leser so ein bisschen zwischen den Zeilen.

Guidry ist einer, der als Teenager sein Leben selbst in die Hand nahm und Glück hatte. Er steigt in der Hierarchie höher und höher. Zu Beginn dieses Thrillers begegnet uns ein selbstsicherer “Mann für die Drecksarbeit”, der auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere steht und alle Möglichkeiten hat.

Doch schleichend macht sich in Guidry ein anderes Gefühl breit.. will ihm jemand an den Kragen? Etwa einer von der eigenen “Seite”? Der gutaussehende Junggeselle tritt den Rückzug an und trifft auf sein Gegenstück - eine Frau, die ebenso auf einer wilden Reise quer durch Amerika ist.

Lou Berney schafft mit “Destination Dallas” ein Roadmovie mit Thrill, Blut und “so könnte es gewesen sein” - wie das Cover verrät, spielt in diesem fiktiven Roman eine schockierende Tatsache aus Dallas eine große Rolle.

Mit unkompliziertem Schreibstil zwingt der Autor seinen Protagonisten, immer vorwärts zu gehen, immer auf der Hut zu sein und lässt dennoch ganz leise Momente zu, Szenen, die nicht nur Guidry, sondern auch den Leser fast vergessen lassen, worum es eigentlich geht: Frank muss seine Haut retten, um jeden Preis. Schafft er es, seiner Vergangenheit und der harten Welt, aus der er kommt, zu entfliehen? Oder holt sie ihn wieder ein, kann er sich nicht aus dieser ihm antrainierten Denke lösen?

Veröffentlicht am 21.05.2019

Ein Statement für den Zusammenhalt

Der Wal und das Ende der Welt
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Was würdest du tun, wenn du befürchtest, dass die Ordnung der Welt innerhalb von wenigen Tagen und Wochen komplett zusammenbrechen wird? Nein, das ist kein Tweet von Donald Trump, sondern ein Aspekt dieses ...

Was würdest du tun, wenn du befürchtest, dass die Ordnung der Welt innerhalb von wenigen Tagen und Wochen komplett zusammenbrechen wird? Nein, das ist kein Tweet von Donald Trump, sondern ein Aspekt dieses Romans von John Ironmonger.

Da es ein Roman ist, der auch unterhalten möchte, ist nicht alles zu 100% logisch oder so wie es jeder erwarten würde, dennoch hat die Geschichte rund um den Londoner Joe Haak, der in das abgelegen 300-Seelen-Dorf St. Piran an der westlichen Spitze Cornwalls reist, viel Charme und auch Stoff zum Nachdenken.

Das Schöne an diesem Roman, der die Bedrohung durch eine aggressive Grippe-Version mit dem Wunsch nach Menschlichkeit und Zusammenhalt verbindet, ist, dass jeder Leser für sich eine Moral daraus ziehen kann. Der Autor stößt einen nicht mit Gewalt in eine Richtung, zudem kann man auch die Anwesenheit des im Titel erwähnten Wals verschieden deuten.

Joe kommt also in dieses Dorf und wird erst einmal mit den Unterschieden zwischen der funktionierenden Gemeinschaft und der anonymen Großstadt konfrontiert. Wie auch er tut sich der Leser mit der Fülle an Namen und Charakteren erst einmal schwer, aber dabei hilft das beigelegte Heftchen, wo die Figuren allesamt mit Namen und Funktion gelistet sind.

Dies ist vor allem hilfreich wenn man wie ich die Hörbuchversion kennt und somit vom Hören nicht unbedingt auf die Schreibweise schließen kann. Apropos: Johann von Bülow ist absolut der Richtige für dieses Hörbuch. Seine Stimme passt zur Stimmung und den Erzählstellen im Buch, zusätzlich gibt er den wichtigsten Personen eine eigene Stimme, was besonders bei Dialogen zwischen zweien von ihnen hilfreich ist.

Wer also einen leicht nachdenklich, british-eigenbrötlerischen Roman mit einer Prise Moral und Romantik sucht, ist hier gut aufgehoben.

Details zur Wertung: drei Sterne für den Roman, einen zusätzlich für Johann von Bülow.

Veröffentlicht am 19.05.2019

Eine musikalische, politische und intellektuelle Reise ins Paris der Nachkriegszeit

An den Ufern der Seine
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Dieses über 500 Seiten starke Buch (darin inkludiert Einleitung und Anhang) braucht Durchhaltevermögen. Es ist wohl nur für sehr “parisophile” Leser zu empfehlen und solche, die sich stark für die damalige ...

Dieses über 500 Seiten starke Buch (darin inkludiert Einleitung und Anhang) braucht Durchhaltevermögen. Es ist wohl nur für sehr “parisophile” Leser zu empfehlen und solche, die sich stark für die damalige Zeit, also rund 1940-1950 und/oder für die Personen interessieren, die im Zentrum stehen. Zahlreiche Künstler, Philosophen, Schriftsteller, Autoren und viele ihrer (musikalischen) Wegbegleiter begegnen dem Leser im Verlauf dieses Romans.

“An den Ufern der Seine” ist kein Büchlein, das man eben schnell in wenigen Zügen durchlesen kann. Es ist nicht schwierig zu lesen, weil es schwierig geschrieben wäre, sondern weil so unheimlich viele Namen auf einen einprasseln und man mit der Zeit das Gefühl hat, jeder Dritte habe damals Jean geheißen. Zudem passiert mit den Personen und um die Personen herum so viel dass man auch das alles erst verdauen muss und immer wieder Pausen braucht.

Die sehr interessanten Nachweise und das praktische Namensregister zeugen davon, wie viel unglaublich akribische Recherche Agnès Poirier in “An den Ufern der Seine” reingesteckt haben muss. Nicht nur hat sie zahlreiche Briefe und Tagebuchaufzeichnungen der Protagonisten wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Pablo Picasso gesichtet, sie scheint auch Dutzende Werke von und über die Genannten verschlungen zu haben.

Das wäre bei drei Hauptpersonen ja noch überschaubar, jedoch kommen rund 750 Namen im Register vor. 32 Buchseiten sind alleine nur für die sehr ausführlichen Anmerkungen/Quellenangaben reserviert.

Der Leser erfährt in diesem historisch also sehr ausführlich verankerten Roman nicht nur wann wer wen getroffen und wann wer welches Buch veröffentlicht hat (was relativ einfach nachzusehen ist heutzutage), sondern viele kleine Geschichten, Verstrickungen zwischen Namen, die man noch nie gehört hat oder wo man nie vermutet hätte, dass die sich gekannt oder getroffen hätten. Viele persönliche Gedanken und Tagebuchauszüge flicht die Autorin in aktuelle politische Vorgänge oder allgemein bekannte oder weniger bekannte Begebenheiten ein.

Hier auch nur ein paar Beispiele zu nennen, ist fast unmöglich und würde den Rahmen sprengen. Dank dieses Buches hat der Leser aber auch die Möglichkeit, mit den berühmten Namen zu wohnen, durch die französische Hauptstadt zu streifen und auch ein wenig hinter die Fassade zu blicken und zu erfühlen, wie diese “Popstars” des Paris von damals so gedacht und gelebt - und auch gearbeitet haben.

Ein wahrhaft ereignisreiches Jahrzehnt, das auch heute noch zum Nachdenken anregt. Zusätzlich bekommt man ungeheuer viele Buchtipps. Einerseits sind da die immer wieder erwähnten Werke, an denen die Autoren arbeiteten, Bücher, Stücke, Essays und vieles mehr. Andererseits kommen dann noch die Bücher aus den Quellenangaben hinzu. Genug Lesestoff für das nächste Jahrzehnt also.