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Veröffentlicht am 19.11.2018

Psychogramm eines Mörders

Das Geheimnis der Grays
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Dieser britische Krimi von 1934, der jetzt in einer kleinen Reihe von Klett-Cotta neu aufgelegt wurde, liest sich ein bisschen wie eine Episode von Columbo. Man weiß, es gibt eine Leiche, man weiß auch ...

Dieser britische Krimi von 1934, der jetzt in einer kleinen Reihe von Klett-Cotta neu aufgelegt wurde, liest sich ein bisschen wie eine Episode von Columbo. Man weiß, es gibt eine Leiche, man weiß auch bald, wer es ist. Früh erfährt man auch wer der Mörder ist, ist bei der Tat quasi als Rückblende durch dessen Erinnerungen dabei und steckt so erstmal lange und tief in der Haut der Verbrechers.

Als Leser wird man schon früh damit konfrontiert, nachzudenken, wie man selbst in dieser Situation gehandelt hätte. Man erfährt das Motiv und weitere wesentliche Fakten. Wie beim bekannten Fernsehinspektor aus den USA beobachtet man anschließend, wie der Mörder sich verhält, als ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt, nicht nur zwischen Ermittler und Täter sondern auch zwischen Ermittler und dem Rest der zur Weihnachtsfeier angereisten Familie.

Ja, es ist eine klassische Beziehungstat, der Kreis der Verdächtigen beschränkt sich auf die Verwandten des Opfers und wenn man gerade nicht an Columbo denken muss, könnte man sich die Geschichte auch recht effektiv auf einer Theaterbühne vorstellen. Ein Tanz rund um Wahrheiten, Lügen, Schwindeleien und Vorurteile beginnt.

Wer gerne selbst Indizien entdeckt und miträtselt, wer es nun war und warum - für den ist dieser Krimi eher weniger geeignet, aber für England- und Krimifans allgemein, denen das nichts ausmacht, sicher das passende Buch für wohlige Winterabende.

Veröffentlicht am 09.11.2018

Tagebuch tut Wahrheit kund

Falkenberg
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Den Schuldigen soll nicht vergeben werden, die Unschuldigen sollen niemals vergessen sein. Wir errichten Mahnmale und Gedenkstätten, verfassen Tatsachenberichte und Filmdokumentationen über bestimmte dunkle ...

Den Schuldigen soll nicht vergeben werden, die Unschuldigen sollen niemals vergessen sein. Wir errichten Mahnmale und Gedenkstätten, verfassen Tatsachenberichte und Filmdokumentationen über bestimmte dunkle Jahrzehnte in Europas nicht allzu ferner Vergangenheit. Doch manchmal sind es gerade die leisen Töne, die zahlreichen fiktiven, aber dennoch sorgfältig recherchierten Geschichten, die in Krimis und anderen Büchern Einzug halten und hier genauso viel Bestürzung und Ekel auslösen können wie ein Zeitzeugenbericht.

“Falkenberg” ist so ein Beispiel. Schüler finden in Hamburg eine Leiche und die Truppe der Mordbereitschaft 5 rund um Banu Kurtoğlu und Stella Brandes nimmt ihre Arbeit auf. Der Tote war gut situiert und lebte in einer Seniorenresidenz. Einige illustre Charaktere tauchen in seinem Umfeld auf, dennoch ergeben sich wenig Ansätze für Ermittlungen. Wer will schon einem alten Knacker Böses?

Der Schlüssel scheint in der Vergangenheit zu liegen, alte Tagebucheinträge wechseln sich mit den aktuellen Ereignissen ab. Und so interessant diese auch sind, neben den so packend und eindringlich geschilderten damaligen Erlebnisse eines Mädchens verblassen sie doch etwas. Diese kurzen Ausflüge in die (fiktive und doch wieder nicht) Vergangenheit tragen den Roman, geistern im Kopf herum und lassen einen an der geistigen Gesundheit der Beteiligten zweifeln. Und zwar nicht derer, denen dies vorgeworfen wurde.

Am Ende steht neber einer Lösung des Falls noch ein Moraldilemma. Ein Aspekt, mit dem Polizisten wahrscheinlich häufiger konfrontiert sind als man annimmt und das eher selten zur Sprach gebracht wird. Und wieder beschäftigt den Leser sehr eindringlich eine Frage: Was würde ich tun?

Veröffentlicht am 09.11.2018

Ein Fall wie eine Zwiebel

Flucht über den Brenner
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Im November 2015 hat Marta Donato ihren Krimi angesiedelt und ruft damit wieder einen Teil der damaligen Ereignisse wach, die Europa fest im Griff hatten. Im dritten Band der Reihe um Antonio Fontanaro, ...

Im November 2015 hat Marta Donato ihren Krimi angesiedelt und ruft damit wieder einen Teil der damaligen Ereignisse wach, die Europa fest im Griff hatten. Im dritten Band der Reihe um Antonio Fontanaro, Commissario in Verona, und Georg Breitwieser, Kommissar in Traunstein, werden die beiden in gleich mehrere mysteriöse Vorgänge verstrickt.

Und als hätte die Polizei nicht schon genug mit Raub, Mord und anderem zu tun, ist es auch noch ihre Aufgabe, die zahlreichen geschleusten Flüchtlinge zu entdecken und registrieren zu lassen. Besonders Georg hat darunter zu leiden und ahnt nicht, welche wertvolle Fracht er da eigentlich “aufgegriffen” hat, als er einige Syrer in einem italienischen Transporter entdeckt.

Durch diesen Zufall arbeiten Breitwieser und Fontanaro zeitgleich viele Kilometer voneinander am selben Fall und erst nach und nach werden dem Bayern die Zusammenhänge klar. Währenddessen schlägt Antonio sich mit hochnäsigen Veronesern und überaus reichen, skrupellosen zugereisten Russen herum. Und dann taucht noch eine seltsame Gestalt in Verona auf, die ganz zufällig ebenso mit seinem Fall zu tun hat.

Augenzwinkernd und geografisch wie kulinarisch sattelfest leitet die Autorin die Aufmerksamkeit des Lesers zwischen den Ländern hin und her, von der Questura zur Polizeistation, vom Ristorante zum Delikatessladen. Sie lässte den Leser spekulieren, präsentiert zwischen den Zeilen ein paar Möglichkeiten, was Täter und Motiv betrifft.

Dieser Fall ist für die beiden Ermittler ebenso wie für den Leser einer Zwiebel ähnlich: man kann sich nur ganz langsam, Schicht für Schicht an die Lösung herantasten und kneift zwischendurch auch schon mal stark die Augen zusammen - nicht vor Tränen, aber aus gesundem Unglaube und Misstrauen, wenn ein Ganove sich mal wieder herauswinden will. Und von denen wimmelt es nur so in Verona.

Veröffentlicht am 26.10.2018

Eine Mordserie in Stockholm

Hasenjagd
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Viel Blut, nordische Action und mittendrin Joona Linna: ein klassischer Lars Kepler wartet hier auf Thriller- und Spannungsfans allgemein. Das Autorenpaar lässt Linna, Finne und Polizist in Schweden, in ...

Viel Blut, nordische Action und mittendrin Joona Linna: ein klassischer Lars Kepler wartet hier auf Thriller- und Spannungsfans allgemein. Das Autorenpaar lässt Linna, Finne und Polizist in Schweden, in seinem sechsten Fall wieder zur Hochform auflaufen. Allerdings steigt Linna diesmal ungewöhnlich spät ins Geschehen ein, denn er ist “verhindert”.

Vom Kriminalfall kann man nicht allzu viel erzählen, da man sonst die Zusammenhänge wohl unabsichtlich verraten würde. Neben Joona Linna hat auch Saga Bauer vom Staatsschutz ihren Auftritt sowie die jeweiligen Kollegen.

Es gibt mehrere Tote, deren Gemeinsamkeit es natürlich zu entschlüsseln gilt. Soweit so klar. Zwischendurch werden Abschnitte auch aus Tätersicht erzählt, was dem Leser natürlich neue Erkenntnisse etwas früher verspricht. Alles vorauszusehen wird man trotzdem nicht schaffen. Die Spannung bleibt auch durch die vielen Nebenstränge und Nebencharaktere aufrecht, man kann selbst rätseln, ob und wie sehr diese oder jene Person in die Sache involviert ist oder ob sie eine falsche Fährte darstellt.

Mit klarem, direktem Stil führen die Autoren durch den Thriller und Stockholm im Spätsommer. Viele Schilderungen sind detailreich und brutal, dennoch: Wer von uns hat das Beschriebene schon einmal tatsächlich gesehen? Hoffentlich niemand. Lesen aber sollte man das Buch dennoch.

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Veröffentlicht am 12.10.2018

Ein Roman mit Distanz: räumlich, zeitlich und menschlich

Ein Winter in Paris
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Die Stärke von Jean-Philippe Blondel ist es, auf wenigen Seiten, mit wenigen Zeilen, ein ganzes Leben zu erzählen. Und das nicht einfach als Nacherzählung, als Bericht, sondern in einer Intensität und ...

Die Stärke von Jean-Philippe Blondel ist es, auf wenigen Seiten, mit wenigen Zeilen, ein ganzes Leben zu erzählen. Und das nicht einfach als Nacherzählung, als Bericht, sondern in einer Intensität und Gefühlsblase, dass man meint, zu ersticken, weil sie so intensiv ist.

Hier lässt er auf knapp 200 Seiten seinen Protagonisten Victor als gefestigten Familienvater eine kurze Episode aus seinem Leben Revue passieren. Gerade einmal erwachsen, fand sich der angehende Lehrer in Paris wieder. Er kommt aus der Provinz, muss sich zurechtfinden, verzichtet auf allzu viel sozialen Umgang und lernt lieber. Bis jener Winter kommt, der sein und das Leben einiger weniger anderer stark prägen wird. Seines am stärksten.

Der Selbstmord eines Kommilitonen lässt viele Aspekte auf einmal zu: Kritik an den Lehrmethoden, Kritik am französischen (Elite-)Bildungssystem, Kritik an Familien, Eltern, die Kinder unter Druck setzen oder in eine Richtung drängen. Aber neben all dem sucht Victor auch Schuld bei sich - obwohl er den Mitstudenten kaum gekannt hat.

Durch die Ereignisse werden die Probleme, die Entbehrungen, die das harte Vorbereitungsstudium verlangt, für ihn erst real. Ist das noch das richtige Weg für ihn? Real werden ganz zufällig auch die Studenten um ihn herum. Sie merken, dass ihn das Geschehene sehr mitnimmt, öffnen sich ihm gegenüber und er lernt, das umgekehrt zu tun.

Der Roman packt viel an Gefühlen zwischen zwei Buchdeckel und lässt in so viele Facetten Raum für Interpretation und Vermutungen, dass - will man alles genau analysieren, durchdenken - das Lesen ganz schön herausfordernd werden kann.

Aber Achtung: es ist keine komplett abgeschlossene Geschichte mit einem klassischen Ende, sondern einfach ein Fragment aus Victors Leben, geschildert in mehreren Episoden. Zwar grundsätzlich chronologisch, aber dennoch auf ungewöhnliche Weise erzählt. Victor selbst ist einfach nicht der umgänglichste Typ und gerne etwas reservierter, daher wirkt auch das Buch mitunter so. Wer damit gut zurechtkommt, kann sich auf eine herausfordernde Reise ins Paris von 1984 freuen.