Cover-Bild Die Asche des Tages
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18,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Alfred Kröner Verlag
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: allgemein und literarisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 160
  • Ersterscheinung: 30.04.2020
  • ISBN: 9783520603012
Ó Cadhain Maírtín

Die Asche des Tages

Roman
Haefs Gabriele (Übersetzer)

Jeder kennt diese Situation: Man schiebt etwas so lange vor sich her, bis es fast unmöglich erscheint, es noch in Angriff zu nehmen. Wenn es sich aber um die Beerdigung der eigenen Frau handelt, wird es doch irgendwann brenzlig. So geht es N., der gerade seine Frau verloren hat und sich nun um die Beerdigung kümmern müsste, aber statt dessen irrt er verloren durch Dublin, ohne Geld, Plan oder Whiskey, während die Menschen um ihn herum ihren Verrichtungen nachgehen, als wäre nichts geschehen. Allein mit seiner Trauer und seinem Gedankenkarussell, weiß er weder wohin, noch was zu tun ist – und indem die Zeit verstreicht, wird es immer unmöglicher, nach Hause zurückzukehren, wo zu allem Überfluss noch die bösen Schwestern seiner Frau lauern.
Typisch Ó Cadhain: komisch, skurril, sprachmächtig, tieftraurig und ohne jede Pathetik. Die unheimliche Nähe von Tragik und Komik durchzieht auch dieses letzte Meisterwerk des Autors, der nicht nur deshalb einer der Lieblingsdichter der Iren ist, betrachten sie sich selbst doch als Verkörperung eben dieser Nähe.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.02.2021

Eine verstorbene Ehefrau und eine gestohlene Brieftasche.

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„Die Asche des Tages“ von Máirtín Ó Cadhain spielt in Irland und ist ein Band einer interessanten Reihe die der Kröner Verlag herausgibt.
Diese Reihe umfasst Werke von international bedeutenden Schriftstellern, ...

„Die Asche des Tages“ von Máirtín Ó Cadhain spielt in Irland und ist ein Band einer interessanten Reihe die der Kröner Verlag herausgibt.
Diese Reihe umfasst Werke von international bedeutenden Schriftstellern, die leider in Vergessenheit geraten sind.
Máirtín Ó Cadhain ist in Deutschland wenig bekannt, was vielleicht daran liegen mag, dass er in irischer Sprache geschrieben hat und lange nicht übersetzt wurde.

Die Ehefrau von N. ist heute Morgen nach langer Krankheit verstorben.
N. ist noch im Büro und er muss dringend nach Hause, um die Beerdigung vorzubereiten und die Trauerfeier und alles drumherum zu organisieren.
Der Gedanke an die Kosten dafür liegt ihm schwer im Magen. Er hofft auf Vergünstigungen und Rabatte.

Was bzw. wer ihm auch schwer im Magen liegt, das sind die beiden Schwestern seiner Frau, die zu Hause auf ihn warten, um gemeinsam alles zu regeln.
Er und seine Schwägerinnen sind sich nicht besonders sympathisch. Sie werfen ihm vor, sich nicht genug um seine kranke Frau gekümmert zu haben und beäugen ihn argwöhnisch.
Er hält seine Schwägerinnen für zwei alte gehässige Zicken und ist froh, wenn er nichts mehr mit ihnen zu tun hat.

Der Protagonist wirkt irgendwie abgebrüht, kaltherzig und sarkastisch, die Handlung überspitzt und absurd.
N. ist im Büro und arbeitet, obwohl seine Frau vor wenigen Stunden verstorben ist.
Er eilt nicht sofort nach Hause, sondern findet noch hundert Sachen, die wichtiger sind.
Er denkt nur an die Kosten und fragt sich allen Ernstes, ob die Beerdigung seiner Frau eigentlich etwas anderes ist, „als eine tote Maus unter die Erde zu bringen“. (S. 12)
Er geht ins Wirtshaus und überlegt, am Nachmittag noch einen schon lange vereinbarten geschäftlichen Termin mit einem Fernsehteam wahrzunehmen.
Er denkt an eine Schreibmaschine, die ihm schon lange im Kopf herumgeht und will in einem Warenhaus einen Heizstrahler kaufen.
Und zu allem Überfluss wird ihm genau in diesem Warenhaus seine Brieftasche gestohlen.
Wie soll er nun die anstehende Beerdigung bezahlen?!?!
Dann überlegt er, ob er die Geschichte seines Lebens niederschreiben soll. Beginnend mit dem Tag, an dem seine Frau starb und er ausgeraubt worden war.

... und dann hat er aufgrund einer kurzen Begegnung eine brillante Idee: eine gewonnene Pferdewette könnte doch einen Teil seines Verlustes kompensieren. Den Einsatz von ein paar Münzen findet er in seiner Jackentasche.

Übersprungshandlungen, absurde Gedankenkonstrukte und Ausflüge in fantastische Welten lenken N. von der Realität ab.
Er versucht auf Teufel komm raus, die Konfrontation mit dem Hier und Jetzt hinauszuzögern.
Er schiebt und schiebt und schiebt. Nur nicht nach Hause!
Nur nicht den verhassten Verwandten begegnen!
Nur nicht die Aufgaben in Angriff nehmen müssen!
Ob er letztlich Verantwortung übernimmt und seinen Verpflichtungen nachkommt, erzähle ich natürlich nicht.
Aber es lohnt sich, es herauszufinden!

Ist N. tatsächlich abgebrüht, kaltherzig und sarkastisch oder ist er nur völlig durcheinander und überfordert?
Er scheint den Boden unter den Füßen zu verlieren, wirkt gelähmt und wie erdrückt von seinen Geldsorgen.
Ist es Verleugnung, Verdrängung oder schlicht das, was wir alle mehr oder weniger kennen und „Aufschieberitis“ nennen?

Ich denke, wir haben es hier mit einem Menschen zu tun, der ein schwerwiegendes psychisches Problem namens „Prokrastination“ hat.
Der Begriff meint, dass Menschen aufgrund von Versagensängsten und Angst vor Kritik anstehende Aufgaben hinauszögern und aufschieben.
Daneben kann aber auch eine Rolle spielen, dass sie unrealistische Ziele verfolgen oder falsche Prioritäten setzen. Manchmal sind sie auch schlecht strukturiert und haben Schwierigkeiten mit der Zeiteinteilung.

Der 1906 bei Galway in Irland geborene Máirtín Ó Cadhain hat mit „Die Asche des Tages“ eine unglaublich detaillierte, scharfsinnige und psychologisch stimmige Beschreibung eines Mannes vorgelegt, der sich m. E. mit dem ernst zu nehmenden Problem der Prokrastination herumschlägt. Der Autor hat dies zwar auf sehr zugespitzte, fast schon absurd anmutende Weise getan, aber mit diesem Stilmittel wird besonders deutlich, um welches Problem es sich handelt.
Vergessen wird man N. und seine Geschichte genau wegen dieser akzentuierten Eindrücklichkeit und Absurdität ganz bestimmt nicht so schnell.

Die Lektüre des schmalen Bändchens ist ein außergewöhnliches, wuchtiges und originelles Leseerlebnis, das oberflächlich grotesk und skurril anmutet, hinter den Kulissen aber tiefgründig, ernst und traurig ist UND gleichzeitig mit einem gewissen Witz aufwartet.

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Veröffentlicht am 21.09.2023

Melancholisch, humorvoll, skurril

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Wer kennt das nicht, wenn eine unangenehme Aufgabe vor einem liegt, schiebt man sie gern vor sich her.
Es ist Samstagmorgen und N.s Frau ist gerade nach langer Krankheit gestorben, doch N. hat etliche ...

Wer kennt das nicht, wenn eine unangenehme Aufgabe vor einem liegt, schiebt man sie gern vor sich her.
Es ist Samstagmorgen und N.s Frau ist gerade nach langer Krankheit gestorben, doch N. hat etliche Fehlstunden und geht zunächst ins Büro, obwohl er sich um eine Grabstätte, einen Sarg und die Trauerfeier kümmern müsste.
Schon am missbilligenden Ton seiner Schwägerin, die ihn per Telefon antreibt, spürt man, dass N. es ihr wahrscheinlich nicht recht machen kann – egal, was er tut. Und so folgen wir Leser*innen ihm nicht nur seinen abwägenden Gedanken, sondern in die nächste Kneipe, wo ihm sein Bekannter Simón helfen soll, einen günstigen Sarg aufzutreiben. Doch allein die Kosten des Whiskeys sind N. zu hoch und er überlegt, wo er ihn günstiger bekommt. Er könnte ja noch schnell einen mit Tomás trinken, und dabei fällt ihm ein, dass der Leichnam seiner Frau auch noch aufgebahrt werden muss. Ob das nicht die Kleinen Schwestern der Armen für lau machen könnten?

»Und dann fielen ihm die Kirche und der Priester ein. Es gab so viel zu tun. Es war ein einziger Spießrutenlauf, und jede ausgestreckte Hand musste mit Geld geschmiert werden.« S.11

Doch Geld hat er bald keins mehr, denn ihm wird die Brieftasche gestohlen und die letzten Pence verliert er auf der Rennbahn. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf, denn mit jeder Stunde, die vergeht, wird es schwieriger, nach Hause zurückzukehren – wenn nicht sogar unmöglich.

Jetzt stellt sich die Frage: Was macht es für Lesende interessant, einem Menschen beim Prokrastinieren zuzusehen? Denn Handlung wird man in dieser Geschichte fast vergeblich suchen. Und ich habe mich ehrlich gesagt auch etwas schwergetan, brauchte mehrere Anläufe, um das Buch zu beenden. Aber Ó Cadhain hat es immer wieder geschafft, mich zurückzuziehen.

Und hier lag wohl auch die Kunst – es ist eine so anschauliche, zuweilen traurige Charakterstudie auf hohem Niveau. Ganz im melancholisch humorvollen Tenor, der der irischen Literatur eigen ist, vermittelt der Autor einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt eines einfachen Mannes, den nichts anderes plagt, als auch uns in manchen Stunden. Ist es nicht allzu menschlich, sich nicht mit dem Thema Tod und Trauer beschäftigen zu wollen?
Ich schwankte oft zwischen dem Wunsch, ihn zu schütteln und zu sagen: »Jetzt mach doch endlich mal« und tiefem Verständnis für seine Situation, die durch seine Mitmenschen angefacht und befeuert wird. Auch mir waren seine Ausreden, seine Gedanken nicht fremd, die ihn immer wieder die Dinge verzögern ließen. Nun ja, da wäre ja noch das Thema mit dem »freien Willen«.

Ich denke, dass es kein Werk für jedermann ist, man sollte schon bereit sein, wirren, abstrusen Gedankengängen zu folgen. Aber dafür wird mit auch mit der Auflösung belohnt, ob N. seine Frau unter die Erde bekommt oder nicht.

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