Wie wir der malthusianischen Falle entkommen sind
Jahrtausende lang war die Menschheit wie jede andere Tierart dem täglichen Kampf ums nackte Überleben unterworfen. Zwar gab es immer wieder technologischen Fortschritt von Steinwerkzeugen über die Landwirtschaft ...
Jahrtausende lang war die Menschheit wie jede andere Tierart dem täglichen Kampf ums nackte Überleben unterworfen. Zwar gab es immer wieder technologischen Fortschritt von Steinwerkzeugen über die Landwirtschaft bis hin zum Buchdruck. Doch führten diese jeweils nur zu einer vorübergehenden Erhöhung des Lebensstandards. Denn wie der englische Gelehrte Thomas Malthus Ende des 18. Jahrhunderts feststellte: Jeder durch technische Innovationen erreichte Überschuss an Nahrungsmitteln führte zu einem Bevölkerungszuwachs, welcher die Nahrungsüberschüsse aufzehrte, sodass die Lebensbedingungen wieder auf das Existenzminimum zurücksanken.
Doch in den letzten Jahrhunderten kam es – zunächst in Europa und Nordamerika - zu einem sprunghaften Anstieg des Wohlstands, der nicht nur einen Ausweg aus dieser Armutsfalle bedeutete, sondern auch zu großer Ungleichheit zwischen verschiedenen Gesellschaften führte.
Der Wirtschaftswissenschaftler Oded Galor spürt hier den Gründen für diese in der Geschichte der Menschheit (und des Lebens) einzigartige Entwicklung nach und untersucht auch, warum sie in verschiedenen Weltgegenden so unterschiedlich verlief.
Als unmittelbare Ursache für die Überwindung der malthusianischen Falle identifiziert er die steigende Bedeutung von Fähigkeiten und Kenntnissen für Arbeitskräfte, die notwendig waren, um sich in einem neuen technologischen Umfeld zurechtzufinden. Deshalb wurden Eltern dazu animiert, weniger Kinder zu bekommen und dafür mehr in deren Erziehung und Bildung zu investieren.
Doch diese Umwälzungen kamen nicht so plötzlich wie es auf den ersten Blick scheint, sondern beruhen auf langfristigen unterschwelligen Strömungen.
Während der Autor daher im ersten Teil des Buches dem Weg des Menschen von der Steinzeit ins Industriezeitalter folgt, geht er im zweiten Teil in der Zeit zurück, um die tieferliegenden Ursachen für die heutige Ungleichheit in der Welt zu finden.
Auch diese Kapitel enthalten zahlreiche interessante Gedanken. Beispielsweise, dass Beschaffenheit der Böden und klimatische Bedingungen (und damit die Frage, ob sich die Gründung großer Plantagen rentierte) in ehemaligen Kolonien die dortigen politischen Institutionen und damit auch die Gegebenheiten nach dem Ende des Kolonialismus beeinflussten. Oder dass das richtige Verhältnis von Homogenität und Diversität in einer Gesellschaft über ihren Wohlstand entscheidet. Weshalb sogar die geographische Entfernung von Afrika einen Faktor darstellt, der Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen erklären kann.
Fazit: Geschichte und Gegenwart der Menschheit werden hier aus einer ungewöhnlichen und faszinierenden Perspektive betrachtet. Der Autor hat das große Ganze im Blick, verdeutlich seine Ausführungen aber auch mit zahlreichen konkreten Beispielen. So erklärt er etwa, woher die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Norditalien und Süditalien rühren, oder dass die Regierungen von Bolivien und Äthiopien völlig konträre Strategien verfolgen müssten, um das Pro-Kopf-Einkommen ihres Landes zu steigern.
Auch der Aufbau hat mir sehr gut gefallen. Er ist klar strukturiert, ein Argument folgt logisch auf das andere. Jede Aussage wird dabei gründlich belegt. Der Autor kann auf umfangreiche Kenntnisse der Menschheits- und Wirtschaftsgeschichte zurückgreifen und beruft sich beispielsweise auf natürliche Experimente (bei denen etwa der Zustand von zwei Ländern verglichen wird, die sich nur in einem Faktor unterscheiden). Zahlreiche Grafiken veranschaulichen die Ergebnisse.
Zwar ist nicht jede der hier verarbeiteten Ideen neu. Die Art, wie sie zusammengestellt und zu einer konsistenten Erklärung verarbeitet werden, inspiriert aber immer wieder zu interessanten Gedankengängen und ließ mich die gegenwärtige Weltlage mit anderen Augen sehen.