Zwischen Heimatfilm und Schweigen brodelt es gewaltig
Auch 6 Jahre nach Kriegsende sind noch längst nicht alle Trümmer weggeräumt. Die sichtbaren, als auch die, die für immer Spuren hinterlassen werden. Doch Deutschland hat sich berappelt, ist im Wiederaufbau, ...
Auch 6 Jahre nach Kriegsende sind noch längst nicht alle Trümmer weggeräumt. Die sichtbaren, als auch die, die für immer Spuren hinterlassen werden. Doch Deutschland hat sich berappelt, ist im Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder beginnt so langsam seinen Arme auszustrecken und das Nachkriegsdeutschland zu verändern. Und trotzdem bleibt da ein dunkler Schleier, denn die Nazis kriechen wieder aus ihren Verstecken und übernehmen gut dotierte Posten in Parteien, Parlamenten und Presse. Wie fühlt sich eine Jugend an, in der man erkennen muss, dass der eigene Vater nicht doch so unbescholten ist, wie man vermutet hat. Ludwig wird nämlich mit der Vergangenheit konfrontiert und weiß, dass er hier nicht wegsehen darf...
Paul Kohl, Jahrgang 1937, hat selbst die schreckliche Zeit des Krieges und den wirtschaftlichen Umschwung in den 50er Jahren miterlebt und kann daher eigene Erlebnisse mit einer fiktiven Handlung brillant verweben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn es ist nicht nur ein Spiegel der damaligen Zeit, sondern auch eine Art Verarbeitung der eigenen Erinnerungen..
Mit sehr eindrucksvollen Worten und einer sehr plastischen Beschreibung der Szenen entsteht so ein gelungenes Bild der vorherrschenden Normen und Gepflogenheiten (formvollendeter Handkuss, Tragen von Trauerkleidung, das "richtige" Grüßen"), der moralischen Gesinnung und der täglichen Entwicklung des Umschwungs.
Mittendrin Ludwig - ein Junge, der auf schmerzliche Art und Weise erkennen muss, dass sein Vater nicht der ist, für den er ihn gehalten hat. Einer von denen, die mitgemacht haben, die dafür verantwortlich sind, was geschehen ist. Gemeinsam mit ihm und Luise, eine Überlende des Holocaust, finden sich die Leser:innen vor Ort wieder, erleben die Zerrissenheit, die zwischen Heimatfilmen und Schlagerwelt ( das Traumpaar der Nachkriegszeit Sonja Ziemann und Rudolf Prack in "Schwarzwaldmädel" und "Grün ist die Heide", Conny Froboess trällert "Pack die Badehose ein", das Hazy- Osterwald-Sextett spielt die Titelmelodie "Krimialtango" zum gleichnamigen Film mit Peter Alexander, Vivi Bach und Susi Nicoletti) und den aufregenden Spielen der Fußballweltmeisterschaft 1954 herrscht.
Die Figuren sind authentisch und können mit ihren Handlungen und vor allen Dingen mit ihren Charakterzügen überzeugen. Die Bemühungen der Alt-Nazis, im Hier und Jetzt wieder Fuß zu fassen, ihre Weltanschauung weiterhin der Bevölkerung aufs Auge zu drücken und das Deckmäntelchen des Schweigens über alles auszubreiten, sind sehr eindringlich beschrieben und zeigen die verstörende Wahrheit auf.
Der Roman ist sehr gut recherchiert, trägt eine sehr persönliche Handschrift und ist aktueller denn je. Denn wer sich das politische Zeitgeschehen anschaut, geht mit dem Buchtitel konform - "Sie waren nie weg".
Ein empfehlenswertes Buch, das sehr anschaulich zusammenfasst, was damals bewegt hat und heute immer noch für Aufruhr sorgt.