Die wahnsinnige Aufregung um den "Genderwahn"
Ich gebe zu, bis vor kurzem hielt ich Gendern auch für Quatsch und dachte mir: „Wir haben doch wirklich größere Probleme.“ Wenn in Interviews meist Menschen, die etwas jünger sind als ich, das Gendersternchen ...
Ich gebe zu, bis vor kurzem hielt ich Gendern auch für Quatsch und dachte mir: „Wir haben doch wirklich größere Probleme.“ Wenn in Interviews meist Menschen, die etwas jünger sind als ich, das Gendersternchen durch den „glottal stop“ in der Sprache angedeutet haben, habe ich innerlich die Augen gerollt und gedacht: „Lass gut sein.“ Erste Zweifel an meiner Haltung bekam ich beim Lesen von Facebook-Kommentaren. (My guilty peasure!) Die Tagesschau schrieb da z. B. einen wichtigen Artikel zu einem der Themen, die unsere Welt gerade beschäftigen. Ich will mir also anschauen, was Deutschland, zumindest der Teil, der auf Facebook Kommentare schreibt, zu diesem Thema so denkt, stattdessen aber allgemeines Aufgerege über den Genderwahn, die Verhunzung der Sprache und dass das doch gefälligst verboten werden müsse. Und je mehr ich so lese, umso mehr denke ich mir, diese Aufregung darum, dass sich einige Menschen entschieden haben zu gendern, finde ich jetzt eigentlich wahnsinniger als den angeblichen Genderwahn. Denn: „Wir haben doch wirklich größere Probleme.“ Schließlich wird doch niemand gezwungen zu gendern.
Und so kam Petra Gersters neues Buch „Vermintes Gelände“ genau zum richtigen Zeitpunkt für mich. Neben der Verwendung des Gendersternchens geht es auch um die achtlose Verwendung von Wörtern, die im heutigen Sprachgebrauch einfach nichts mehr zu suchen haben. Ein kluges, ausgleichendes Buch einer Autorin, die keine Angst hat, Stellung zu beziehen. Gendern, ja oder nein? Kann jeder machen, wie er möchte, die Autorin hat sich dazu entschieden, es zu tun, denn wenn man durch die Verwendung des Gendersternchens alle Menschen mit einbeziehen kann, warum denn nicht. Oder etwas banal ausgedrückt, wenn man damit vielen Menschen hilft, kann man es doch machen, schmerzt doch nicht. N- und Z-Wort? Beim N-Wort muss man da wahrscheinlich nur noch mit den Vorvorgestrigen diskutieren, beim Z-Wort besteht vermutlich noch mehr Diskussionsbedarf. Auch da stimme ich mit der Autorin völlig überein. Das sind Wörter, deren Verzicht uns nicht schmerzt. Wenn ich denn ein großer Fan des scharfen Schnitzels ungarischer Art bin, wird es mir doch bestimmt genauso gut schmecken, wenn ich es nicht mehr mit dem Z-Wort beschreibe und zusätzlich beleidige ich niemanden. Die Autorin sagt an keiner Stelle, dass ganz Deutschland jetzt in irgendeiner Weise zu sprechen und schreiben hat, das tun eher die vermeintlichen Hüter der deutschen Sprache, die vermutlich noch nie etwas von Sprachwandel gehört haben. Egal, sie müssen ja nicht gendern. Aber vielleicht würde diesen ja ein wenig Leichtigkeit und Lockerlassen im Leben auch mal gut tun. Die Zeit wird sowieso zeigen, was sich durchsetzt und was nicht, so auch die Meinung der Autorin. Sprache lässt sich nicht festschreiben. Und dass gewisse Wörter aus dem Wortschatz fallen, das hat es auch schon immer gegeben und es war dann auch nie schade drum.
Großartiges Buch einer intelligenten Frau, die wirklich Relevantes zum Thema schreibt, die die Argumente von allen Seiten beleuchtet und irrsinnige Auswüchse auf allen Seiten beim Namen nennt.