Wenn sich Geschichte reimt
Schon das Cover des Romans lässt ein bestimmtes Setting vermuten. Der einfache zweifarbige Druck auf rauhem Altpapier sowie die Schriftart erinnern mich optisch an alte Bücher aus dem Ostblock. Vom Klappentext ...
Schon das Cover des Romans lässt ein bestimmtes Setting vermuten. Der einfache zweifarbige Druck auf rauhem Altpapier sowie die Schriftart erinnern mich optisch an alte Bücher aus dem Ostblock. Vom Klappentext beeindruckt, hatte sich eine bestimmte Erwartungshaltung manifestiert. Doch wie so oft gingen meine Gedanken in eine andere Richtung. Letztlich wurde ich von Pieter Waterdrinker‘s Roman positiv überrascht.
Der Autor führt uns durch einzelne Abschnitte der sowjetischen bzw. russischen Geschichte. Dabei setzt er zwei Schwerpunkte. Der erste liegt auf der Oktoberrevolution 1917. Der zweite beschäftigt sich mit der Zeit des Zerfalls der Sowjetunion nach dem Mauerfall bis ins heute hinein. In diesen Zweiten tritt der Autor selbst als Protagonist in den Roman ein. Daneben sind seine Hauptakteure Zar Nikolaus II, Lenin und der Satrap. Zusätzlich führt er die Literaten an, die über ihr Werk, als Zeitzeugen erhalten geblieben sind, wie beispielsweise Sinaida Hippius. Mit diesem bunten Blumenstrauß an Charakteren begibt sich Waterdrinker, wenn auch indirekt in den gedanklichen Austausch. Er verknüpft seine eigene Biografie als Handelsreisender und touristischer Eventmanager, sein Leben zwischen den Niederlanden und der zerfallender Sowjetunion, seinen späteren Lebensmittelpunkt in der Tschaikowskistraße 40 von Sankt Petersburg mit der Historie. Ein beeindruckendes Unterfangen, das ich als sehr gelungen empfinde.
In diesem Rahmen thematisiert der Autor die in der glorifizierten Geburtsstunde der Sowjetunion begangenen Gräueltaten, Verbrechen der folgenden Phasen, aber auch die Betrügereien des aufkommende Kapitalismus. Er beschäftigt sich darüber hinaus mit den russischen Klischees und ich frage mich, wieviel davon tatsächlich nur ein Klischee ist. Mitten drin erlebt Waterdrinker eigene Abenteuer. Manche sind eher lustige Anekdoten, andere beängstigend und gefährlich.
Insgesamt hat Pieter Waterdrinker mit „Tschaikowskistraße 40“ eine Atmosphäre geschaffen, die sich der westliche Leser gut vorstellen kann. Durch die Einbindung seiner eigenen Biografie erscheint die Schilderung sehr glaubwürdig. Besonders gefallen hat mir der familiäre Zusammenhalt, die wiederkehrende Hilfe für seinen Schwager, die nicht viele Fragen stellt.
Gern empfehle ich den Roman weiter. Mich hat die Lektüre zu tiefergehender Auseinandersetzung animiert. Demnächst werde ich mich mit den Tagebüchern der Sinaida Hippius beschäftigen.