Cover-Bild Der Gott jenes Sommers
22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Suhrkamp
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 254
  • Ersterscheinung: 07.05.2018
  • ISBN: 9783518427934
Ralf Rothmann

Der Gott jenes Sommers

Roman

Ein Kind im Krieg: Anfang 1945 muss die zwölfjährige Luisa Norff mit ihrer Mutter und der älteren Schwester aus dem bombardierten Kiel aufs Land fliehen. Das Gut ihres Schwagers Vinzent, eines SS-Offiziers, wird ein unverhoffter Raum der Freiheit: Kein Unterricht mehr, und während alliierte Bomber ostwärts fliegen und immer mehr Flüchtlinge eintreffen, streift die Verträumte durch die Wälder und versucht das Leben diesseits der Brände zu verstehen: Was ist das für eine Beunruhigung, wenn sie den jungen Melker Walter sieht, wer sind die Gefangenen am Klostersee, wohin ist ihre Schwester Billie plötzlich verschwunden, und von wem bekommt die Perückenmacherin eigentlich die Haare? Und als ihr auf einem Fest zu Vinzents Geburtstag genau das widerfährt, wovor sich alle Frauen in jenen Tagen fürchten, bricht Luisa unter der Last des Unerklärlichen zusammen.

War Ralf Rothmanns großer, in fünfundzwanzig Sprachen übersetzter Roman Im Frühling sterben ein aufwühlendes Drama am Rand der Schlachtfelder, so ist Der Gott jenes Sommers eine ebenso erschütternde Geschichte über das Klima von Verblendung und Denunziation in den letzten Monaten eines Krieges, der jedem für immer die Seele verdunkelt und schon eine Zwölfjährige mit Recht sagen lässt: »Ich hab alles erlebt.«

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.08.2018

Rothmann besticht nach wie vor durch einen beeindruckenden Stil und eine wirklich schöne Sprache.

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Ralf Rothmann, Der Gott jenes Sommers, Suhrkamp 2018, ISBN 978-3-518-42793-4

Nach der Lektüre des mittlerweile in 25 Sprachen übersetzten hervorragenden Romans „Im Frühling sterben“ aus dem Jahr 2015, ...

Ralf Rothmann, Der Gott jenes Sommers, Suhrkamp 2018, ISBN 978-3-518-42793-4

Nach der Lektüre des mittlerweile in 25 Sprachen übersetzten hervorragenden Romans „Im Frühling sterben“ aus dem Jahr 2015, der die dramatische und bewegende Geschichte zweier fast noch jugendlicher deutscher Soldaten erzählte, war meine Erwartung an den neuen Roman Ralf Rothmanns hoch, sehr hoch. Doch wie so viele andere Leser im Netz bleibe ich nach der Lektüre dieses 252 - seitigen Romans eher ratlos und skeptisch zurück. Der Roman fällt hinter die literarische Qualität seines Vorgängers und auch vieler anderer Romane von Rothmann zurück.
In „Der Gott des Sommers“ beschreibt Rothmann, der seine Stimme der zwölfjährigen Luisa Norff leiht, ein Dorf in Schleswig-Holstein in den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945. So wie in diesem Dorf, in das Luisa zusammen mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester aus dem ausgebombten Kiel auf das Gut ihres Verwandten und hochrangigen SS- Offiziers Vinzent geflohen ist, mag es damals in vielen deutschen Ortschaften zugegangen sein. Ein Alltagsleben voller Verblendung und Denunziation, zunehmende Verzweiflung und Zweifel machen sich breit. Jeder versucht seine eigene Haut zu retten, angesichts näher rückender Alliierter und immer mehr Flüchtlingen aus dem Osten, die im Ort hängen geblieben sind.

Vinzent ist mit Luisas sehr viel älterer Halbschwester Gudrun aus der ersten Ehe der Mutter verheiratet und kommt nur sporadisch mit Unmengen von Essen und anderen kriegsknappen Dingen nach Hause. Verwaltet wird das Gut von dem Ehepaar Thamling, das dafür sorgt, dass der übliche Betrieb aufrechterhalten wird.

Es scheint also, als ob Luisa dort die letzten Kriegsmonate gut überleben könnte. Doch sie sieht das brennende Kiel aus ihrem Fenster und begegnet bei verbotenen Besuchen des nahen Waldes ausgehungerten Kriegsgefangenen, die dort in Baracken wie Sklaven als Torfstecher gehalten werden. Ein Massengrab wird man nach dem Krieg dort finden.

Immer mehr Flüchtlinge müssen in Ställen und Nebengebäuden des Gutes untergebracht werden, während sich Luisa vor all dem, was sie an Schrecklichem beobachtet, vor all den Fragen, die sich ihr stellen und auf sie keine Antwort erhält oder findet, in ihre Bücher flüchtet.

Rothmann besticht nach wie vor durch einen beeindruckenden Stil und eine wirklich schöne Sprache. Dennoch kann man sich bei fortschreitender Lektüre als Leser, der schon viele Romane aus dieser Zeit und mit diesen Themen gelesen hat (zuletzt Rothmanns letzten aus dem Jahr 2015) des Eindrucks nicht erwehren, dass Rothmann sowohl in der Handlung als auch bei seinen Charakteren allzu viele Klischees einsetzt.

Ein interessantes Element des Buches ist hingegen der fiktive, von Rothmann kapitelweise eingestreute Bericht des Schreibers Bredelin Merxheim in barockem Deutsch über die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Der Schreiber, der an Grimmelshausen und Gryphius(ein Gedicht von ihm steht dem Buch als Motto vor) erinnert, lässt inmitten der Kriegswirren eine Kapelle bauen, um seinen nach Brandschatzung, Raub, Mord und Vergewaltigung verlorenen Mitmenschen in Gott wieder einen Halt zu geben. Über diese Botschaft Rothmanns habe ich lange nachgedacht und würde gerne mal mit ihm darüber sprechen.

Auch Luisa Norff will nach Ende der Schreckensjahre im Kloster Halt finden und Nonne werden: an ihrem 13. Geburtstag ist das junge Mädchen überzeugt, nach dem Mord am britischen Piloten,den sie gesehen hat, nach der erlebten Hinrichtung des Schwagers, dem Selbstmord des Vaters, dem Verschwinden der Schwester und ihrer Vergewaltigung durch den eigenen Schwager das weltliche Dasein bereits in allen Facetten gelebt und erlebt zu haben: „Ich hab alles erlebt!“, sagt sie am Ende eines Buches voller Humanität jenseits religiöser Dogmatik.
Christoph Schröder hat Ralf Rothmann einen Schriftsteller genannt, „den nicht die Reflexion, sondern das bloße Erzählen und die Evokation starker, aussagekräftiger Bilder antreibt.“

Dass das auch stellenweise eine Schwäche sein kann, zeigt sein neuer Roman.

Veröffentlicht am 25.05.2018

Die Zeit, die keine gute war

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„Frei und mittig sitzen wir unter dem Himmelsrund, und mag der Gott dieses Sommers unsere Nähe auch verschmähen – kann er sich denn weiter entfernen, als der Gedanke, der ihm gilt? Haben wir nicht alles ...

„Frei und mittig sitzen wir unter dem Himmelsrund, und mag der Gott dieses Sommers unsere Nähe auch verschmähen – kann er sich denn weiter entfernen, als der Gedanke, der ihm gilt? Haben wir nicht alles dem Menschen Mögliche versucht?“


Inhalt


Die 12-jährige Luisa erlebt die letzten Ausläufer des 2. Weltkrieges in ihrer Kindheit, ohne genau benennen zu können, was um sie herum vor sich geht. Zwar kommt sie durchaus mit den Kriegsopfern in Kontakt, sieht Leid und Elend, erlebt die Flüchtlingsströme und die verzweifelten Versuche des Regimes, den Krieg noch zu gewinnen, doch bleibt ihr das Verständnis, wozu dies alles geschieht verborgen. Was sie stattdessen erlebt, ist ein Elternhaus, in dem es wenig Gefühle gibt, eine große Schwester, die sich jedem Mann an den Hals wirft, nur um sich zu betäuben und zu spüren, dass sie lebt und einen Vater, der nur noch Gast im eigenen Hause ist. So schwärmt sie lieber für den Melker Walther, bis dieser dann einberufen wird und als ihre Schwester verschwindet und sie auf der Geburtstagsfeier ihres Schwagers mit der Willkür eines Mannes in Berührung kommt, zieht sie sich mental immer weiter aus der Welt zurück.


Meinung


Ralf Rothmann greift in diesem Roman die letzten Tage des Krieges auf, und begibt sich mit der Hauptprotagonistin Luisa auf eine Spurensuche hinein in die kindliche Vorstellungskraft von Recht und Unrecht. „Der Gott jenes Sommers“ reiht sich damit ein in die Reihe der Kriegsromane, die aus dem alltäglichen Erleben der Zivilbevölkerung erzählen und damit die Auswirkungen eines kriegsgebeutelten Landes in der Gegenwart spürbar machen. Und was anfangs noch eine interessante Kombination zwischen dem persönlichen Leben eines Mädchens und den historischen Entwicklungen scheint, bleibt leider im Folgenden etwas stecken, verharrt sozusagen auf der Stelle und verliert mit den profanen Geschehnissen doch etwas an Überzeugungskraft.


Mein Hauptkritikpunkt liegt dabei auf einer gewissen Distanziertheit, die immer mehr zunimmt. Denn obwohl Luisa als Ich-Erzählerin auftritt, gelingt es ihr nicht, den Leser direkt für sich einzunehmen, man fühlt sich beim Lesen immer wie ein Außenstehender, der zwar beobachtet, erkennt und Zusammenhänge begreift, diese aber nicht in Verbindung mit Emotionen und der Gedankenwelt der Erzählerin in Einklang bringen kann. Die Intensität des Geschriebenen wirkt vielmehr über die Sachebene, über das intensive Beschreiben einer Situation, über die detaillierten Einblicke in zwischenmenschliche Beziehungen, die jedoch mehr auf Fakten, denn auf Gefühlen basieren. Gerade für einen Roman, der sich auf kindlicher Ebene abspielt, hätte ich mir eine Palette an Emotionen gewünscht, angefangen von Wut über Trotz, meinetwegen auch Unsicherheit und Trauer – doch Luisa wirkt abgestumpft, blasser als gehofft und selbst ihre Naivität kauft man ihr nicht so recht ab.


Positiv hervorheben möchte ich die Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen, denn dieser Teil lebt durch Schilderungen, durch detaillierte Bilder, mit einer Wucht und Konsequenz, die den Leser erbarmungslos daran erinnert, wie das wirkliche Leben damals aussah und wie durchschlagend das nationalsozialistische Gedankengut einst war und welch fatale Auswirkungen der Krieg mit sich brachte. Immer, wenn sich die Erzählung in Richtung Hintergrundhandlung bewegte, konnte sie mich ausgesprochen überzeugen. Mit leichten Pinselstrichen zeichnet der Autor ein Bild der Verwüstung, brennende Städte, Schutt und Asche, Leichenberge und wandelnde Skelette, die in den Trümmern ihre verlorene Vergangenheit suchen. Der Schreibstil ist durchaus anspruchsvoll und erfordert Konzentration, er bleibt sachlich-neutral und vermag es trotzdem, genau die richtigen Punkte zu berühren.


Fazit


Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen schonungslosen, sachlichen, stillen Kriegsroman, der zwar das Leben thematisiert aber dennoch viel mehr vom Verlust der Unbeschwertheit berichtet als vermutet. Was er nicht so recht schafft, ist das Verständnis für die Menschen, die hier agieren, sie bleiben irgendwo auf der Strecke, verloren an ihre Zeit, die keine gute war. Was er vermag, ist die Schilderung einer Zeit, der man nur mit stoischer Ruhe entgegenwirken konnte und in der Hoffnung verborgen und nur schwer zugänglich zu entdecken war. Wer einen eher sachlichen Blick auf das Leben der Menschen zum Kriegsende werfen möchte, ist hier richtig. Wer Gefühle sucht, wird hier langfristig etwas vermissen. Da dies mein erstes Buch des Autors war, der bereits mit seinen vorhergehenden Romanen für Schlagzeilen sorgte, möchte ich gerne noch ein weiteres Buch lesen, die Kritiken sind durchaus positiv, vielleicht konnte mich dieser Text nicht ganz erreichen, weil ich mir etwas anderes davon versprochen hatte. Lesenswert ist er aber dennoch.