Kann eine Geschichte am Happy End nicht zu Ende sein?!
Es ist Heilig Abend. Auf die Polizeistation von Erleboro kommt ein junger Mann und behauptet, er habe Lord Fauntleroy erschossen. Begleitet wird er von Felicitas, dem selbstverliebtem Lama, und Fred, einem ...
Es ist Heilig Abend. Auf die Polizeistation von Erleboro kommt ein junger Mann und behauptet, er habe Lord Fauntleroy erschossen. Begleitet wird er von Felicitas, dem selbstverliebtem Lama, und Fred, einem kappadokischen Pinguin. Und in der Folge erzählt der junge Mann dem diensthabenden Polizisten, Constabler Paddock, seine Geschichte. Und wir erfahren, dass die Geschichte des "Kleinen Lords" Ceddie am harmonischen Weihnachtsabend auf Schloss Dorincourt nicht zu Ende war, sondern dass er und seine Mutter Opfer einer Intrige wurden...
Wer kennt ihn nicht, den Weihnachtsklassiker "Der kleine Lord", in dem der herzerwärmend freundliche Junge Cedrik aus Amerika erfährt, dass er eigentlich Lord Fauntleroy ist, Erbe des Earl von Dorincourt, und dann das Herz des griesgrämigen alten Earls erweicht und alles in einem harmonischen, friedlichen Weihnachtsfest endet. Ein bisschen weltfremd, zu gut für diese Welt sozusagen, aber dadurch halt die ideale Geschichte für den Advent. Braucht diese Geschichte eine Fortsetzung?! Ja, fand Raymond A. Scofield. Und ich muss sagen, als ich das Buch sah, war auch ich sehr gespannt, was mich erwartet...
Und ich muss gestehen, ich bin ein bisschen fassungslos, seitdem ich es weiß. Der Schreibstil des Buches ist flüssig und locker, man kann sehr schnell lesen. Die Kapitel beginnen jeweils mit einem Rückblick, wo der junge Mann von seiner Geschichte erzählt, und endet wieder auf der Polizeistation, wo der Polizist das Gehörte kommentiert. Die Geschichte ist durchaus mit Witz gespickt und überraschungsreich. Allerdings reiht sich eine Katastrophe an die andere, bis zum dramatischen Höhepunkt, und dann geht alles plötzlich ganz schnell und wir finden uns im Friede-Freude-Eierkuchen-Land wieder. Insgesamt alles recht unrealistisch- und ich bin echt Fan von kitschigen Happy Ends! Dabei wirkte die unschuldig-naive Art Ceddies, die ihn im "kleinen Lord" so liebenswert gemacht hat, nun beim "großen Lord" auf mich eigentlich nur dumm und charakterlos, schwächlich. Der große Lord kann meine Sympathie nicht wirklich gewinnen, eher mein Mitleid. Ganz schwierig fand ich jedoch die komplette charakterliche Verkehrung des Mr. Havisham, der plötzlich zum bösartigen, intriganten Gauner wird (wofür sich der Autor im Nachwort auch entschuldigt). Insgesamt war ich also, obwohl es eine gut zu lesende Geschichte war, reichlich enttäuscht. Und es stellte sich mir die Frage: muss man immer noch eins drauf setzen? Oder kann eine Geschichte am Happy End nicht einfach mal zu Ende sein? Die "Magie" des Kleinen Lords ist hier jedenfalls nicht zu spüren...