Ich schwankte beim Lesen oft zwischen Weinen und Lachen - ein unbedingt lesenswerter Roman
Garnet Raven vom Stamm der Ojibwe wird als Dreijähriger zusammen mit seinen Geschwistern den Eltern entzogen, später auch von seinen Geschwistern getrennt, wird er von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht. ...
Garnet Raven vom Stamm der Ojibwe wird als Dreijähriger zusammen mit seinen Geschwistern den Eltern entzogen, später auch von seinen Geschwistern getrennt, wird er von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht. Erwachsen fühlt er sich nirgends zugehörig, dichtet sich allerlei Identitäten an, landet schließlich im Gefängnis. Dort nimmt einer seiner Brüder Kontakt mit ihm auf, und Garnet trifft endlich seine Familie wieder, doch um sich zugehörig zu fühlen, braucht er seine Zeit.
Garnets Schicksal mussten viele Kinder indigener Völker erleiden – es ging darum, die Kinder ihrer kulturellen Wurzeln zu entziehen. Auch der Autor selbst war Angehöriger der First Nations Kanadas, wie Garnet, und hatte ein ähnliches Schicksal.
Der Roman wird auf zwei parallelen Ebenen erzählt, zum einen die Garnets, zum anderen die Keepers, der sich Garnets annimmt und ihn lehrt „Indianer zu sein“ – beide erzählen in Ich-Form. Keeper selbst wurde, nachdem er aus der Residential School entflohen war, von Garnets Großvater, der Medizinmann war, unter die Fittiche genommen, hatte sich aber später von diesem entfernt und war zum Trinker geworden. Für Garnet wird er trocken, um an ihn das weiterzugeben, was er selbst gelernt hatte. Es sind nicht nur reine Riten und Traditionen, letztlich kommt viel aus einem selber, und aus der Beziehung zum Land.
Der Roman (erstmals erschienen 1994) nimmt den Leser mit tief hinein in die Kultur der Ojibwe, zeigt aber auch, was sich durch den Eingriff des „weißen Mannes“ verändert hat, Gesellschaftskritik gehört hier unbedingt dazu. Garnet lässt sich darauf ein, seine Kultur kennen zu lernen. Ich fand es sehr interessant, nicht nur die Spiritualität, sondern auch das Humorvolle, denn Lachen und Humor gehört zu dieser Kultur dazu, kennenzulernen. Besonders intensiv sind die vier Tage, die Garnet alleine in der Natur verbringt, aber auch all die Anekdoten, die er erzählt, wie z. B. als er seinem Bruder Jackie wieder nahe gekommen ist, oder die Sache mit der Radiostation. So schwankt man während des Lesens zwischen Weinen und Lachen und hat hin und wieder sogar den Wunsch, selbst dazuzugehören.
Auch wenn die Thematik eher bedrückend ist, so strahlt der Roman viel Humor und Hoffnung aus, und ist auf jeden Fall lesenswert. Mir hat er zudem einen interessanten Autor nahegebracht, von dem ich mehr lesen möchte. Wer sich für die Kultur der First Nations interessiert, sollte hier unbedingt zugreifen.