Sanfte Geschichte mit kleinen Schwächen
Inhalt:
In der Öffentlichkeit spricht Reyes nicht, kommuniziert nur über Gebärdensprache. Auch im Privaten redet sie nur mit einem kleinen, ausgewählten Personenkreis. Denn sie hat Angst davor, dass andere ...
Inhalt:
In der Öffentlichkeit spricht Reyes nicht, kommuniziert nur über Gebärdensprache. Auch im Privaten redet sie nur mit einem kleinen, ausgewählten Personenkreis. Denn sie hat Angst davor, dass andere Menschen ihre Stimme hören könnten. Und dann trifft sie Fynn. Fynn, der Musiker und taub ist und bei dem sie alles sagen kann. Nicht alle aus ihrem Umfeld heißen ihre Freundschaft zu ihm gut, doch Reyes beginnt zu verstehen, was sie loslassen muss, um endlich aus ihrer Stille ausbrechen zu können und ihre Stimme wiederzufinden.
Meinung:
„Us – Wie Worte so laut“ war mein drittes Buch, das ich von der Autorin gelesen habe und nachdem eines 2020 sogar ein Jahreshighlight geworden ist, war ich mir ziemlich sicher, dass mir auch dieses Buch von ihr gefallen würde. Und zum großen Teil war es auch der Fall, allerdings ist mir ein großer Punkt aufgefallen, der mir die Geschichte dann doch ein wenig vermiest hat.
Zunächst sei aber mal gesagt, dass Ronja Delahayes Geschichten sehr gut ohne künstliches, übertriebenes Drama auskommen und auch keinen allzu ausgeklügelten Plot voller Spannung und überraschender Wendungen benötigen, um zu überzeugen. Stattdessen tragen die Figuren die Geschichten und das war auch hier wieder der Fall. Denn die beiden Protas haben mir wirklich gut gefallen.
Reyes erschien mir zunächst sehr behütet und ein klein wenig unselbstständig, was aber sehr gut zu ihrer gesamten Situation gepasst hat. Da sie seit Kindertagen unter selektivem Mutismus leidet, ist es nachvollziehbar, dass sie sich auf ihre Vertrauenspersonen verlässt. Umso schöner war es, ihr bei ihrer Entwicklung zuzusehen und mitzuerleben, wie sie sich nach und nach für neue Bekanntschaften und Erlebnisse geöffnet hat. Auch ihre wachsende Unabhängigkeit wurde sehr schön geschildert, da deutlich wurde, dass dies ein Prozess ist, der dauern kann.
Auch Fynn mochte ich sehr gerne, da er einen sehr ruhigen, in sich gefestigten Charakter hatte, der einen schönen Gegenpol zu seinem Freundeskreis gebildet hat. Außerdem hat er neben seiner inneren Ruhe sehr viel Empathie gezeigt und war vor allem Reyes in jeglichen Situationen ein wirklich guter Freund. Daher fand ich das Fortschreiten der Beziehung zwischen den beiden nicht nur faszinierend, sondern auch absolut authentisch.
Was mich allerdings enorm an diesem Buch gestört hat, waren die vielen Punkte, die hier in puncto Gehörlosigkeit und Gehörlosenkultur nicht gut dargestellt wurden. Angefangen damit, dass während des gesamten Buches die Rede von Zeichen- statt von Gebärdensprache war (mit exakt einer Ausnahme), weiterführend mit der Annahme, dass Lippenlesen kein großes Problem und eine gute Kommunikationsform sei (obwohl beide Gesprächspartner:innen der Gebärdensprache mächtig sind), bis hin zu der Darstellung, dass gebärden nur mit zwei Händen gleichzeitig möglich sei, obwohl es auch anders möglich ist. Das sind nur ein paar der Punkte, die mir aufgefallen sind, und es gab auch noch mehr, allerdings fasse ich die alle unter einem großen Kritikpunkt zusammen, da eben dieser Mangel an Realitätsnähe immer wieder dazu geführt hat, dass ich beim Lesen aus der Geschichte gerissen wurde.
Ansonsten habe ich die Geschichte von Reyes und Fynn jedoch sehr genossen. Zwar ging es mir am Anfang ein wenig schnell, doch das ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass das Buch mit knapp 320 Seiten nicht allzu lang ist. Und gerade deshalb ist es eigentlich auch eine wunderbare Geschichte für zwischendurch.
Lieblingszitat:
Irgendwie ist es faszinierend, dass ein Mensch so viel über sein Gesicht und seine Augen ausdrücken kann, wo andere Menschen einen regelrechten Wettbewerb daraus machen, sich Masken überzuziehen und nichts von ihrem Innersten preiszugeben.